Berühmte Delfine – Einzelschicksale

20 Minuten

Immer wieder kommt es vor, dass Delfine zu Einzelgängern werden und aus freien Stücken die Nähe zu Menschen suchen. 114 solcher Solitärdelfine dokumentierte die britische Naturschutzorganisation Marine Connection in ihrem Bericht „Lone Rangers“ (2019). Viele von ihnen kennt man auch lange Zeit nach ihrem Tod als berühmte Delfine. Neuester Einzelgängerdelfin in Deutschland ist der Große Tümmler „Delle“ in der Ostsee. Er tauchte Ende April 2023 erstmals in der Lübecker Bucht auf. Anhand von Fotos stellte man fest, dass Delle kein Unbekannter ist. Man kannte ihn bereits in Schottland und in Dänemark! Nach mehreren Phasen der Abwesenheit ließ sich Delle von Mitte November 2023 bis Ende Januar 2024 erneut in Travemünde in der Lübecker Bucht blicken. Dort machte der ungemein aktive Delfin wieder mit seinen gewaltigen Sprüngen auf sich aufmerksam.

Die Menschenflüsterer

Manche dieser im Französischen auch Botschafterdelfine genannten Tiere wurden sogar in Büchern verewigt. Etwa JoJo, der sich seit den 1980er-Jahren in den Gewässern der Bahamas aufhält. In „JoJo und ich: Die Geschichte einer tiefen Freundschaft“ erzählt Dean Bernal von seiner Freundschaft zu JoJo. Oder Oline, die von 1994 bis 2004 im Roten Meer unterwegs war: Pascale Noa Bercovitch beschreibt ihre Geschichte über diesen berühmten Delfin in „Das Lächeln des Delfins“.

Auch in jüngster Zeit sorgten manche dieser außergewöhnlichen Tiere für Schlagzeilen. Wie Fungie, der „Ire“, der nach mehr als 25 Jahren im Oktober 2020 aus seinem „Heimathafen“ Dingle verschwand. Oder der „Franzose“ Zafar, der die Bretonen auf Trab hielt und dann in Holland ein trauriges Ende fand.

Stars der Ostsee

Auch vor unseren eigenen „Haustür“ häufen sich Besuche von „Lone Ranger“-Delfinen: Freddy, Delfie und Selfie, Schwenteeny und Sandy hießen die Stars der Ostsee. Von Irrgästen abgesehen, ist die Ostsee allerdings keine Heimat für Delfine. Dass sie in den vergangenen Jahren dort gehäuft auftauchten, könnte mit dem gelegentlichen Einströmen von Nordseewasser in die Ostsee zu tun haben. So vermuteten Experten vom Institut für Ostseeforschung im Zusammenhang mit Selfie, Delfie und Freddy, dass die Winterstürme 2014 die Meeressäuger in die Ostsee trieben.

Delle

Von Ende April 2023 bis Mitte Mai machte der Große Tümmler Delle mit seinen gewaltigen Sprüngen in der Lübecker Bucht, im Hafen von Travemünde und in der Trave auf sich aufmerksam. Dann verschwand Delle dann aus der Lübecker Bucht. Erneut gesichtet wurde er am 9. August vor Warnemünde bei Rostock.

Gewaltiger Sprung von Delle. Foto von Kirsten Bruns.
Delfin Delle bei Travemünde, Lübecker Bucht, © Kirsten Bruns

Zu diesem Zeitpunkt war sein Körper von multiplen Hautinfektionen gezeichnet, die allerdings nicht lebensbedrohlich sind. Anfang September nahm Delle Abschied von Rostock und Kurs Richtung Fehmarn. Im Fehmarnsund begleitete er am 5. September 20 Minuten lang das Segelboot „Kalami Star“. Seine auffälligen Hauterkrankungen sind deutlich zurückgegangen.

Am 13. September kehrte Delle schließlich wieder nach Travemünde zurück. Dort begleitet er Lotsenboote, Segelboote und Fähren.

Offensichtlich schwamm er von dort nicht wieder ins dänische Svendborg – dem Ausgangspunkt seiner Reise durch die deutsche Ostsee. In Svendborg hatte Delle drei Jahre lang gelebt.

Von Mitte November 2023 bis zum 29. Januar 2024 konnte man Delle wieder in der Lübecker Bucht bewundern. Dann verschwand er erneut. Möglicherweise wieder nach Warnemünde. Das ist bislang allerdings nicht eindeutig geklärt.

DSM-Spendenurkunde Delfin Delle.

Für Spenden ab 50,00 €: Spendenurkunde mit einem tollen Foto von Delle von der Fotografin Kirstin Bruns.

Der berühmte Delfin Delle im Warnow-Kanal bei Rostock mit starken Hautinfektionen.
Delle im Warnow-Kanal bei Rostock im August 2023. Deutlich zu erkennen sind die großflächigen Hauterkrankungen. © Verena Heidmann/DSM

„Bei den deutlich sichtbaren Hautflecken könnte es sich um Tattoo skin disease oder Lobomycosis handeln. Beides wird von Pockenviren und Pilzen hervorgerufen und sollte wieder verschwinden, wenn Delle in salzhaltigere und/oder kältere Gewässer schwimmt“, erklärt der Biologe Ulrich Karlowski von der Deutschen Stiftung Meeresschutz. „Auch der verstorbene Eckernförder Delfin Sandy zog sich mit der Zeit diese großflächigen Hauterkrankungen zu. Nachdem dieser Gemeine Delfin zur Überraschung aller erfolgreich in der Ostsee überwintert hatte, waren die Infektionen auf seiner Haut verschwunden. Ähnlich ist es nun bei Delle. Fotos vom September aus dem Fehmarnsund zeigen, dass die Infektionen auf dem Rückzug sind. Seine Haut sieht schon viel besser aus“.

Salzgehalt bei Warnemünde und in der Beltsee

Das Brackwasser bei Warnemünde gilt mit 12 g Salz je kg Meerwasser (12 PSU, Practical Salinity Unit) als mesohalin (5 bis < 18 PSU). Wobei 10 PSU als biologische Grenze angesehen werden, die nur von wenigen Süßwasserarten überschritten und nur von wenigen Meerestierarten unterschritten werden kann1.

Der Salzgehalt östlich von Fehmarn bewegt sich dagegen, je nach Wassertiefe, zwischen 18 und 21,8 PSU (polyhalin). Zum Vergleich: Der Salzgehalt des Atlantiks und der nördlichen Nordsee liegt bei etwa 35 PSU.

Delle kam ursprünglich aus dem schottischen Moray Firth

Vor seinem Ausflug in deutsche Küstengewässer hatte der Einzelgängerdelfin drei Jahre in Svendborg (Dänemark) gelebt. Ursprünglich soll er aus einer Population stammen, die im schottischen Moray Firth lebt. 2017 verschwand Yoda, wie man ihn getauft hatte, und tauchte 2019 erstmals bei Svendborg auf. Mit seinen akrobatischen Kunststücken begeisterte der berühmte Delfin dort die Menschen und wurde schnell zu einer touristischen Attraktion.

Jesper Stig Andersen mit Delfin Delle und Möwenmutter Maggie mit Nachwuchs Pie auf dem SUP-Board
Dream Team beim Ausflug mit SUP-Board, Svendborg Anfang 2023: Jesper Stig Andersen mit Delfin Delle sowie Möwenmutter Maggie und ihrem Nachwuchs Pie. © Jesper Stig Andersen

Eine besondere Beziehung entwickelte Delle in dieser Zeit zu Jesper Stig Andersen. Über seine Freundschaft mit Delle hat der Däne auch ein Buch geschrieben. Und Jesper war es auch, der den inzwischen ca. 15 Jahre alten Großen Tümmler bereits nach der zweiten Begegnung Delle nannte, wie er uns verriet.

Delle kann rückwärts auf der Schwanzflosse laufen

Jesper Stig Andersen weiß auch von einem weiteren rätselhaften Verhalten seines Freundes zu berichten. Denn Delle beherrscht das sogenannte Tailwalking. Er kann rückwärts auf der Schwanzflosse laufen. Man kennt das von trainierten Delfinen aus der Gefangenschaftshaltung. Es tritt – soweit man bisher weiß – natürlicherweise nicht auf.

Tailwalking war zeitweise eine Art Modetanz bei einigen Port-River- oder Adelaide-Delfinen in Australien. Doch hier fanden Forscher den Ursprung für das Auftreten des Verhaltens. Ein wilder Delfin – das berühmte Weibchen Billie – hatte es sich während eines kurzen Rehabilitationsaufenthalts in einem Delfinarium von ihren in Gefangenschaft trainierten Artgenossen abgeschaut und später ihren wilden Artgenossen vorgeführt.

Vielleicht hat der aktive und springfreudige Delle Tailwalking zufällig ausprobiert und – wie die Port-River-Delfine – Spaß daran gefunden?

Wieso heißt Delle Delle?

Der Name hat nichts mit dem deutschen Wort Delle zu tun. Vielmehr handelt es sich um eine Art Kurzform, entstanden aus dem Dänischen delfin (Dänisch und Deutsch sind hier einheitlich): Spaßeshalber habe man den Großen Tümmler zunächst dellefin genannt, erklärt Jesper. Recht schnell setzte sich dann aber die verkürzte Fassung durch: Delle.

Von Svendborg sind es etwa 200 km bis in die Lübecker Bucht. Auch dort und bei Ausflügen in die Trave zog Delle mit seinen hohen Sprüngen und Drehungen immer mehr Einheimische und Besucher in seinen Bann. Anders als im dänischen Svendborg, wo Hinweisschilder die Besucher auf Verhaltensregeln hinweisen, gab es in Travemünde keine Pläne, den Einzelgängerdelfin zu schützen. Immerhin machte man keine Werbekampagne mit dem Großen Tümmler.

Grundsätzlich gilt: Abstand halten

Dringend abzuraten ist vom Schwimmen mit dem rund vier Meter großen und mehrere hundert Kilogramm schweren, sehr agilen und kräftigen Delfin. Denn dass die vermeintlich immer lächelnden Großen Tümmler auch anders können, zeigte sich im August 2020: Damals tötete Delle vor den Augen mehrerer schockierter Zuschauer im Hafen von Svendborg einen Schweinswal.

  1. Täuscher, Lothar. (2019). Wasser ist unser Element. Übersicht über 120 Jahre der Erforschung der Algenbesiedlung in nordostdeutschen Küstengewässern ↩︎

Sandy

Am 27. Januar 2021 starb der berühmte Eckernförder Delfin, den seine Fans Finchen, Sandy oder Lucy nannten. Das Weibchen der Art Gemeiner Delfin (Delphinus delphis) war im Februar 2020 erstmals in der Eckernförder Bucht gesichtet worden. Es hatte eine Boje als seine „Heimat“ auserkoren. Bis auf großflächige Hautinfektionen wirkte der Delfin bis zuletzt recht fidel, zeigte keinerlei Anzeichen einer Krankheit. Doch dann entdeckte ein Taucher die tote Sandy auf dem Meeresgrund liegend nahe „ihrer“ Boje. Ihr Körper wurde geborgen und ins Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) in Büsum gebracht.

Der berühmte Delfin Sandy lebte bis zu seinem Tod in der Eckernförder Bucht.

Der Eckernförder Delfin Sandy gehörte zur Art der Gemeinen (oder Gewöhnlichen) Delfine. Der einzelgängerische Delfin erfreute Einheimische und Touristen fast ein Jahr lang und wurde berühmt.
Foto: © Kai Müsebeck

Die Obduktion ergab, dass das nicht geschlechtsreife, erst etwa sechs Jahre alte Weibchen an einer schweren Lungenentzündung starb. Fremdeinwirkung schlossen die ITAW-Tierärzte aus. Die Untersuchungen zeigten auch, dass sich Sandy von ihren Hauterkrankungen gut erholt hatte.

Schwenteeny

Nicht lange vor Sandy hatte ein männlicher Artgenosse namens Schwenteeny die Menschen im Norden begeistert. Er hielt sich von April bis Juni 2019 in der Kieler Bucht auf, meist im Mündungsbereich der Schwentine – daher auch sein Name. Medienberichten zufolge wurde er am 7. Juni das letzte Mal gesehen. Möglicherweise vertrieb ein am 5. Juni begonnenes NATO-Marinemanöver diesen berühmten Delfin.

Selfie und Delfie

Anfang 2016 tauchten die beiden Großen Tümmler Selfie und Delfie in der Ostsee auf. Da sie gemeinsam umherzogen, zählen sie genau genommen nicht in die Rubrik der „Lone Ranger“-Delfine. Erwähnt werden sollen sie dennoch, da auch sie ohne Scheu mit Menschen interagierten und zu berühmten Delfinen wurden. Ihre Namen hatten sie im Sommer 2015 von schwedischen Fans in Kalmar erhalten, wo sie sich zeitweise aufhielten. Im Januar 2016 erschienen sie bei Rostock, dann – mit Abstechern – in der Flensburger Förde und schließlich in der Kieler Bucht. Danach zogen sie weiter nach Dänemark.

Freddy

Der männliche Große Tümmler Freddy (mitunter auch Fiete genannt) war zunächst in Dänemark eine Berühmtheit, wo man ihn nach der Hafenstadt Fredericia benannte. Im September 2016 tauchte er in der Kieler Förde auf. Auch hier sprach sich die „tierische Attraktion“ schnell herum, der „Delfintourismus“ boomte. Nach einem kurzen Abstecher in die Holtenauer Schleuse und den Nord-Ostsee-Kanal kehrte Freddy zurück in die Ostsee.

Später verlor sich seine Spur, bis er Anfang 2017 vor der bretonischen Hafenstadt Saint Malo gesichtet wurde, wie sich mittels Fotoidentifizierung (Aufnahmen der Finne) feststellen ließ. In zwei Monaten hatte er rund 2.000 Kilometer zurückgelegt! Er verweilte nur kurz, bevor er die Gegend wieder verließ. Sein derzeitiger Aufenthalt ist unbekannt.

Berühmte Delfine von Neuseeland bis ins Rote Meer

Pelorus Jack aus Neuseeland

Pelorus Jack, ein Rundkopfdelfin, hielt sich von 1888 bis 1912 in der Cookstraße zwischen den beiden Hauptinseln Neuseelands auf. Dort begleitete er regelmäßig durchfahrende Schiffe. Viel näher kam er Menschen allerdings nicht. Nachdem 1904 von einem Schiff aus auf ihn geschossen wurde, stellte die Regierung ihn unter Schutz. 1912 verschwand Pelorus Jack und wurde nie wieder gesehen.

Zafar: Reise von Frankreich nach Holland – ohne Happy End

Am 2. Mai 2020 erreichte der Segelfrachter Tres Hombres den niederländischen Hafen IJmuiden – mit ungewöhnlicher „Eskorte“. Ein Großer Tümmler war seit der Bretagne nicht mehr von seiner Seite gewichen. Und er begleitete das Schiff weiter durch die Schleusen hindurch und 20 km landeinwärts bis in den Amsterdamer Suez-Hafen.

Doch der Industriehafen war kein sicheres Umfeld für den Delfin. Und so wurde er mit geeinten Kräften der niederländischen Stiftung SOS Dolfijn, der Wasserschutzpolizei und der Tres Hombres wieder ins offene Meer gelockt. Nach vier Tagen verlor man ihn aus den Augen. Und nach weiteren sieben Tagen wurde ein toter Delfin etwa 3 km nördlich von IJmuiden aufgefunden. Schnell stellte sich heraus, dass es sich um die treue Begleitung der Tres Hombres handelte. Denn wie SOS Dolfijn mittels Fotovergleich zwischenzeitlich herausgefunden hatte, war der Große Tümmler ein berühmter Delfin: Der „Franzose“ Zafar. Er hatte sich seit 2017 vornehmlich in der Gegend von Brest in der Bretagne aufgehalten.

Der berühmte Delfin Zafar aus Frankreich

Boote und Propeller zogen Zafar magisch an. Dies wurde ihm letztlich zum tödlichen Verhängnis. Basierend auf ihren Erlebnissen mit Zafar schrieb die Autorin und Fotografin Sand Arty ein Kinderbuch. Foto mit freundlicher Genehmigung: © Facebookseite Zafar dauphin ambassadeur

Fatal Attraction

Er war, wie Untersuchungen an der Tierärztlichen Fakultät der Uni Utrecht ergaben, an den Folgen eines Zusammenstoßes mit einem Boot gestorben. Seine Fluke fehlte, er wies mehrere Wirbel- und andere Knochenbrüche sowie ausgedehnte Blutungen auf: alles untrügliche Zeichen einer Kollision mit Schiffsrumpf und Schraube. Das rund 3,00 m große und 290 kg schwere Männchen war erst 14 Jahre alt, wie die Tierärzte anhand von Zahnuntersuchungen feststellten. Es hatte die Geschlechtsreife noch nicht erreicht.

Französischen Medienberichten zufolge war Zafar sehr gesellig und spielfreudig. Allerdings kam es wiederholt zu kritischen Situationen: So musste eine Schwimmerin per Boot gerettet werden, weil er sie daran hinderte, wieder an Land zu gehen. Auch rieb er sich gern an Booten auf dem Meer, sodass diese nicht weiterfahren konnten oder gar zu kentern drohten. Schwimmerinnen näherte sich dieser berühmte Delfin auch in offenkundig sexueller Absicht.

Fungie aus Irland

Fungie dürfte der berühmteste Einzelgängerdelfin sein. Der über die irischen Landesgrenzen hinaus bekannte männliche Große Tümmler hatte sich 1983 in der Dingle Bay „angesiedelt“. 2019 wurde er als ältester Solitärdelfin ins Guinness-Buch der Weltrekorde aufgenommen. Doch seit Oktober 2020 ist er verschwunden. Ob er tot ist oder weitergezogen, ist unbekannt. Bootstouren, Souvenirs, Veranstaltungen – in der Hafenstadt Dingle drehte sich alles um diesen einzigartigen Delfin. Sie lebte von Fungie und setzte ihm mit einer Skulptur ein Denkmal.

Fungie aus Irland war wohl der berühmteste Delfin.

Großer Tümmler Fungie mit Besuchern
Foto: © Philip Loos, 2014

Bobi aus Kroatien

Auch in Kroatien haben sich die tierischen Einzelgänger schon gezeigt. 2014 erfreute ein auf den Namen Bobi getaufter männlicher Großer Tümmler erstaunte Badende im Kariner Meer, einem Seitenarm der Adria bei Zadar. Immer wieder suchte er gezielt die Nähe zu den Menschen. Nach einiger Zeit verschwand der, tauchte 2015 dann erneut in der Gegend auf, diesmal im Novigrader Meer. 2016 sichtete man ihn weiter südlich, als er bei Neum Schwimmer „bespielte“. Danach verliert sich seine Spur.

Menschenretter Filippo aus Italien

Zu einiger Berühmtheit gelangte auch der männliche Große Tümmler Filippo an der süditalienischen Adriaküste: Er rettete im Jahr 2000 einen vierzehnjährigen Nichtschwimmer vor dem Ertrinken. Dieser Solitärdelfin lebte von 1995 bis 2004 im Hafen von Manfredonia. Er war Menschen sehr zugetan und ließ sich von ihnen auch berühren. Morgens begleitete er Fischer- oder Freizeitboote aus dem Hafen und kehrte abends mit ihnen zurück. 2004 fand man ihn leider tot auf. Auch er starb wohl an den Folgen eines Zusammenstoßes mit einem Boot.

Filippo in Manfredonia

Großer Tümmler Filippo in Manfredonia
Foto: © Giovanni Simone

JoJo aus der Karibik, ein berühmter Delfin wird zum Problemdelfin

Anfang der 1980er-Jahre verschlug es den jungen Dean Bernal als Tauchlehrer auf die Turks- und Caicosinseln in der Karibik (die genau genommen im Atlantik liegen). Es dauerte nicht lang, da schloss er Freundschaft mit einem Delfin, den er auf den Namen JoJo tauft.

Das Tümmlermännchen war als „aggressiv“ verschrien, als „Delfin-Raubein“, das „arglose Schwimmer anfiele“ und auch beißen würde. Dean fand jedoch heraus, dass JoJo sich lediglich gegen aufdringliche Besucher wehrte und dass die Bucht vormals eine Art Stammgebiet für ihn und etwa 15-20 Artgenossen war – bevor die ersten Ferien- und Wasserskianlagen entstanden und die Großen Tümmler vertrieben.

Nur JoJo kehrte immer wieder zurück. Vielleicht weil er bei einem Hurrikan von seiner Mutter getrennt wurde, ebenso wie zwei weitere Jungdelfine, denen jedoch kein langes Leben beschieden war: Der eine starb an den Folgen eines Zusammenstoßes mit einem Boot, der andere war von Einheimischen mit einem Fischspeer getötet worden.

Männerfreundschaft mit einem berühmten Delfin

„Warum JoJo mir Gelegenheit gab, seinen Lebensweg zu teilen, weiß ich bis heute nicht“, erzählt der studierte Zoologe in seinem Buch „JoJo und ich: Die Geschichte einer tiefen Freundschaft“. Es ist eine einzigartige Freundschaft zwischen einem Menschen und einem Delfin. Dean glaubt, dass es sich dabei um eine für Große Tümmler typische „Männerfreundschaft“ handelt, wie sie sich gewöhnlich unter Jungtieren entwickelt und die mitunter ein Leben lang andauern kann.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Geschichte dieser ungewöhnlichen Freundschaft. Immer mehr Touristen reisten an, um den circa 2,50 m großen Meeressäuger selbst hautnah zu erleben. Um ihn besser vor dem Menschenandrang zu schützen, erwirkte Dean, dass JoJo 1989 von der Inselregierung zum nationalen Kulturgut erhoben und ein Großteil seines Lebensraums unter Schutz gestellt wurde. Zur Überwachung seines Wohlergehens stellte die Regierung einen Ranger ab. Zudem ist es seither verboten, den Meeressäuger anzufassen.

Seine Affinität zu Booten wurde JoJo wiederholt zum Verhängnis. Mehr als einmal zog sich der berühmte Delfin schwere Verletzungen durch Bootspropeller zu.

Oline aus dem Roten Meer

Oline, auch Olin oder Holly, war ein weiblicher Indopazifischer Großer Tümmler (Tursiops aduncus), der von 1994 bis 2004 im Roten Meer bei Nuweiba in Ägypten an der Küste von Sinai lebte. Das Weibchen war eines Tages im Frühjahr 1994 dort aufgetaucht, kam immer regelmäßiger, wurde allmählich zutraulicher und im Laufe der Jahre sehr berühmt.

Pascale Noa Bercovitch erzählt in ihrem Buch die außergewöhnliche Geschichte über die Freundschaft zwischen dem taubstummen Beduinenjungen Abid’allah und Oline. © Ullstein Buchverlage

Buchcover Oline Bercovitch

Insbesondere mit dem taubstummen Beduinenjungen Abid’allah entwickelte Oline eine engere Beziehung. Und für die Forscher des Israeli Marine Mammal Research & Assistance Center (IMMRAC) ergab sich so eine hervorragende Möglichkeit, die Entwicklung eines Lone-Ranger-Delfins und seine Beziehung zu Menschen aus nächster Nähe über mehrere Jahre hinweg zu beobachten.

Oline entwickelte sich rasch zum Publikumsmagneten. Aus aller Welt reisten Delfinfreunde an, um mit ihr zu schwimmen. Doch der Menschenandrang war ihr nicht immer willkommen. Im Laufe der Zeit verhielt sich Oline wiederholt aggressiv gegen Schwimmer, die ihre natürlichen Warnsignale oftmals nicht verstanden. Daher versuchte man, sie durch Regelung der Besucherzahlen besser zu schützen.

Oline hat Nachwuchs

Das Besondere an Olines Geschichte: Sie brachte in ihrer Zeit bei Nuweiba auch Nachwuchs zur Welt. Die beiden 1996 und 1999 geborenen Männchen zog sie in Menschennähe auf. Doch Jimmy und Ramadan starben beide jeweils im Alter von circa sechs Monaten. Die Todesursache konnte von den IMMRAC-Forschern nicht geklärt werden. Im Oktober 2000 bekam sie dann ihr drittes Junges, ein Weibchen. Diesmal zog sich Oline von den Menschen weiter nach Norden bis vor Eilat (Israel) zurück und bildete mit drei fotoidentifizierten Delfinmännchen eine Gruppe.

Ein viertes Kalb wurde 2004 geboren und starb mit 7 Wochen. Im Dezember 2004 wurde Oline selbst nördlich von Nuweiba tot aufgefunden, die Todesursache konnte nicht bestimmt werden. Sie war nur 18 Jahre alt geworden, wie die Untersuchungen ergaben.

Solitärdelfine erfordern besondere Rücksichtnahme

„Die Beispiele zeigen, wie sehr das Wohlergehen dieser Einzelgänger von unserem eigenen Verhalten abhängt. Je mehr Rücksicht wir alle nehmen, desto länger werden wir uns an ihnen erfreuen können und umso geringer ist die Gefahr von verletzungsträchtigen Situationen für Mensch und Tier“.

Deutsche Stiftung Meeresschutz

Titelfoto: Solitärdelfin Delle bei Travemünde. © Kirsten Bruns

Titelfoto: Sandy (auch Finchen oder Lucy genannt) war ein Solitärdelfin der Art Gemeiner Delfin (Delphinus delphis). Das Weibchen hielt sich fast ein Jahr lang in der Eckernförder Bucht auf, bis es im Januar 2021 tot aufgefunden wurde.  Die Delfindame war DIE Attraktion an der deutschen Ostseeküste im Sommer 2020, lockte Schwimmer, Taucher und Boote ins Wasser. Kai Müsebeck, der nur zufällig in der Gegend Urlaub machte, gelangen die wunderschönen Aufnahmen von Sandy: „Es war wirklich ein tolles Erlebnis.“
© Kai Müsebeck

Update: erweiterter und überarbeiteter Beitrag. Mit neuem Datum wieder veröffentlicht.


Weiterführende Informationen

Jagd auf Delfine und andere Kleinwale: über 100.000 Tiere jährlich!

6 Minuten

Im Jahr 2023 förderten wir Pro Wildlife e.V. für die Erstellung des Hintergrundberichts „Small cetaceans, even bigger problems“ (Kleine Meeressäuger, noch größere Probleme). Die gemeinsam mit WDC erstellte umfassende Studie über die Jagd auf Delfine und andere Kleinwale weltweit wurde im Februar 2024 veröffentlicht und erzeugte viel Aufmerksamkeit. Denn die recherchierten Zahlen der unter dem offiziellen Artenschutz-Radar stattfindenden Nutzung kleinerer Meeressäuger überraschten Fachwelt und Medien gleichermaßen. Jedes Jahr sterben ca. 100.000 Delfine und andere Kleinwale durch direkte Jagd: darunter auch solche, die auf der Liste der gefährdeten Arten der Weltnaturschutzunion IUCN stehen! Man nutzt ihr Fleisch als „Bushmeat aus dem Meer“ zur Nahrungsversorgung oder als Köder in der Hai-Fischerei. Hinzu kommen zahlenmäßig nicht erfassbare Beifangverluste in der Industriefischerei, z. B. beim Einsatz von Supertrawlern oder pelagischen Stellnetzen. Letztere sind z. B. für die hohen Beifangverluste unter unseren heimischen Schweinswalen in Nord- und Ostsee verantwortlich.

Bibliothek des Grauens zur Jagd auf Delfine und andere Kleinwale

Für die Studie werteten die Artenschutzexperten mehr als 250 wissenschaftliche Studien, Augenzeugen- und Zeitungsberichte aus. Die berechnete Gesamtzahl der im Kontext menschlicher Nahrungsversorgung getöteten Delfine und anderen Kleinwale ist seit einem früheren Bericht von 2018 noch weiter gestiegen.

„Die Vielzahl der Länder, in denen man derzeit erbarmungslos Jagd auf die kleinen Meeressäuger macht, ist erschütternd“, so Ulrich Karlowski, Biologe von der Deutschen Stiftung Meeresschutz.

Ein Großer Tümmler wird zerlegt, Republik Kongo.
© Tim Collins

Artenschutz-Ungleichgewicht – Größe entscheidet über Leben und Tod

Für Großwale wie Buckel-, Finn- oder Blauwale gelten Jagdverbote und strikte internationale Handelsverbote (an die sich die Walfangländer Island, Japan und Norwegen nicht halten). Kleinwale dagegen sind nicht durch das kommerzielle Moratorium der Internationalen Walfangkommission (IWC) geschützt.

Bericht Jagd auf Delfine und andere Kleinwale.

Der Bericht „Small cetaceans, even bigger problems“ entlarvt Länder wie Dänemark, Russland, Japan und Peru, die verhindern, dass sich an dieser Situation etwas ändert. Deshalb sind Delfine und andere Kleinwale in vielen Ländern nahezu vogelfrei. Auf internationaler Ebene gibt es nur einen Flickenteppich aus Artenschutzbestimmungen.

In Europa denkt man beim blutigen Thema Delfinjagd an die Delfinmassaker auf den nordeuropäischen Färöer-Inseln oder an die Bilder aus der Bucht des japanischen Fischerstädtchens Taiji.

Doch unter den Top 10 der Länder, in denen die Jagd auf Delfine und andere Kleinwale intensiv ist, findet man auch andere Staaten.

Jagd auf Delfine und andere Kleinwale: globale Top 10

  • Peru: bis zu 15.000 Tiere (v. a. Köder für die Haifischerei)
  • Ghana: annähernd 10.000 Tiere, zunehmend (kommerzialisierter Beifang, nun v. a. als Hai-Köder)
  • Nigeria: fast 10.000 Tiere, zunehmend (kommerzialisierter Beifang)
  • Brasilien: 5–10.000 Tiere, zunehmend (v. a. als Köder in der Fischerei)
  • Venezuela: mehrere Tausend Tiere, zunehmend (als Fleisch, Köder in der Fischerei und für religiöse Rituale)
  • Grönland: > 5.000 Tiere, zunehmend (deutlich über nachhaltigem Level stattfindende Subsistenzjagd)
  • Taiwan: mehrere Tausend Tiere, zunehmend (v. a. als Köder für die Fischerei, auch auf hoher See)
  • Indonesien: mehrere Tausend Tiere, zunehmend (für Fleischmarkt und als Fischerei-Köder)
  • Südkorea: mehrere Tausend Tiere, vermutlich zunehmend (für Fleischmarkt und Köder in der Fischerei)
  • Indien: mehrere Tausend Tiere (für Fleischmarkt und als Fischerei-Köder)

Jedoch jagt man Delfine und andere Kleinwale noch in vielen anderen Ländern. Darunter Kanada oder Malaysia. Lediglich in Japan sank in den vergangenen 20 Jahren die Zahl getöteter Delfine von mehr als 18.000 auf weniger als 1.900 Tiere.

Warum müssen so viele kleine Meeressäuger sterben?

Delfine und andere Kleinwale enden jedoch nicht nur als Nahrungsmittel oder als Haiköder. Der Bericht deckt weitere Nutzungsarten auf, wie:

Jagd auf Delfine: vier getötete Clymene-Delfine liegen and einem Strand in Ghana.
Clymene-Delfine, Ghana. © Prowildlife
  • Delfinöl als Wundermittel gegen Corona-Infektionen (Orinoko-Becken in Südamerika) oder
  • Delfinzähne als begehrter Brautschmuck auf den Salomonen

Allerdings ist nicht nur das Ausmaß der Jagd erschreckend, sondern auch ihre Grausamkeit. Die Fischer setzen Harpunen, Speere, Lanzen, Macheten, Gewehre, Messer oder Haken ein. Auch der Einsatz von Dynamit ist dokumentiert.

Vernichtungsfeldzug der Fischer

In vielen Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens verzeichnet man einen drastischen Anstieg der Jagd auf Delfine. Das Fleisch der Meeressäuger dient als Köder für die boomende Fischerei auf Hai, Thunfisch, Piracatinga (ein welsartiger Fisch im Amazonas). Damit ist eine doppelte Tier- und Artenschutz-Tragödie entstanden: Die begehrten Fischarten sind bereits überfischt. Um trotzdem noch Beute machen zu können, töten und zerschneiden die Fischer Delfine und nutzen das Fleisch an Langleinenhaken oder in Reusenfallen.

Viele Fischer sehen in Delfinen und anderen Kleinwalen ohnehin verhasste Konkurrenten um die letzten Fische – entsprechend brutal gehen sie auch bei der Jagd auf die kleinen Meeressäuger vor.

Faktenbasierte Überzeugungsarbeit für besseren Schutz kleinerer Meeressäuger

Der Bericht „Small cetaceans, even bigger problems“ dient als Grundlage für Überzeugungsarbeit bei politischen Entscheidungsträgern im Vorfeld der 69. IWC-Tagung im Herbst 2024. Die Tagung wird in Peru stattfinden, einem der Länder, wo Delfine in großer Zahl gejagt werden.

Ziel ist es, den dringenden Handlungsbedarf aufzuzeigen und den Weg für eine IWC-Resolution zu bereiten, die die Jagd auf Delfine und Kleinwale verurteilt und einen strengeren Schutz einfordert. Für einzelne Arten, die auch für den internationalen Handel relevant sind (z. B. Narwale), soll der Bericht auch die Grundlagen liefern, um ggf. Schutzinitiativen für die CITES-Konferenz (Washingtoner Artenschutzübereinkommen) im Frühjahr 2025 den Weg zu ebnen.

Bericht Jagd auf Delfine und andere Kleinwale.

Download des Berichts von Pro Wildlife und WDC:

Titelfoto: Jagd auf Delfine, Salomon-Inseln. © Dolphin Project


Zum Hintergrund: Artenschutzexpertin Dr. Sandra Altherr

Projektleiterin der Berichterstellung ist Dr. Sandra Altherr. Die Diplom-Biologin nimmt seit 1999 für Pro Wildlife als akkreditierte Beobachterin an den IWC-Konferenzen und an den Treffen von CITES teil. Entsprechend verfügt sie über exzellente Kontakte zu Delegierten der Mitgliedsstaaten und ist mit Tier- und Artenschutzorganisationen weltweit hervorragend vernetzt.

Im September 2018 förderten wir die Teilnahme von Sandra Altherr an der 67. Tagung der Internationalen Walfangkommission, die im brasilianischen Florianópolis stattfand. Damals stand zum wiederholten Mal das weltweite Walfangverbot auf dem Spiel. Doch es wurde ein Sieg für die Wale! Japans Antrag wurde mit 41 zu 27 Stimmen abgelehnt. Neben den klassischen Walfangbefürwortern Island und Norwegen unterstützten hauptsächlich Länder aus Afrika und dem asiatischen Raum den Antrag für den Walfang.


Weiterführende Informationen

Boa Vista: Artenschutzhunde für Unechte Karettschildkröten

13 Minuten

Seit September 2022 fördern wir Ausbildung und Einsatz von drei Artenschutzhunden für die Wildereibekämpfung zum Schutz von Unechten Karettschildkröten auf der Kapverdeninsel Boa Vista. Durch den Einsatz der speziell ausgebildeten Hunde in Kombination mit Überwachungsdrohnen und Ranger-Patrouillen ging die Tötung von Schildkröten auf Boa Vista stark zurück. Zudem konnten auch abgelegene Strände im Osten der Insel besser in das Schutzkonzept integriert werden. Entscheidend bei dem von der Turtle Foundation 2008 gestarteten Projekt ist ein ausgeklügeltes Zusammenspiel von Rangern und Volontären mit den Hunde- und Drohnenteams.

Die Unechte Karettschildkröte (Caretta caretta) ist auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN als gefährdet eingestuft, die Population im Nordostatlantik als stark gefährdet. Die Kapverden-Nistpopulation zählt zu den elf am stärksten bedrohten Meeresschildkröten-Populationen.

Erfolge aus der Projektbilanz 2023

  • Seit Projektbeginn sank die Schildkröten-Wilderei auf weniger als 0,2 % der jährlichen Nistpopulation.
  • In der Nistsaison 2023 töteten Wilderer nur 17 von ca. 12.000 auf der Insel Boa Vista nistenden Weibchen. Damit sank die Schildkröten-Wilderei seit Projektbeginn auf weniger als 0,2 % der jährlichen Nistpopulation.
  • An den mit Strandcamps der Turtle Foundation geschützten Stränden zählten Ranger und Volontäre 10.539 Nester. Dies entspricht etwa 2.100 nistenden Weibchen, denn jedes Weibchen gräbt etwa fünf Nester.
  • Da durchschnittlich 40 Schlüpflinge pro Nest den Ozean erreichen, entspricht dies ca. 421.560 Schlüpflingen aus den vom Projekt bewachten Stränden. Der Schlupferfolg liegt in der Natur durch von Räubern wie Geisterkrabben oder Vögel verursachte Verluste niedriger als in der Aufzuchtstation (Hatchery).
  • 336 besonders gefährdete Nester wurden in die Hatchery umgebettet. Dies geschieht immer dann, wenn Nester zu nah an der Uferlinie liegen oder durch Überschwemmung gefährdet sind. Auch Nester, die sich direkt vor dem am Strand Lacacao gebauten Hotel Riu Touareg, im Süden Boa Vistas, befinden, gelten als stark gefährdet. Aufgrund der beträchtlichen Lichtverschmutzung durch das Hotel würden alle Jungtiere nach dem Schlupf in die falsche Richtung krabbeln und sterben. Nach Möglichkeit soll der natürliche Nistprozess allerdings ungestört bleiben.
  • Aus den 336 Nestern in der Hatchery schlüpften 18.054 Schlüpflinge. Das entspricht einem Nisterfolg von 67 %. Dabei wiegt und vermisst man einige der Jungtiere. Auch der Einfluss von Mikroplastik im Sand auf den Schlupferfolg wird untersucht.
  • 2023 erreichten aus den ca. 60.000 Nestern der ca. 12.000 auf Boa Vista nistenden Weibchen bei einem durchschnittlichen Schlupferfolg von 40 Schlüpflingen pro Nest etwa 2.400.000 junge Meeresschildkröten das Meer!

52 einheimische Ranger, 36 internationale Volontäre, die Artenschutzhunde Zedda, Karetta und Kelo sowie Hundetrainer Marcel Maierhofer und sein Team von Mantrailing24 sind die Helden dieser wunderbaren Erfolgsgeschichte. Ziel ist es, die Wilderei auf Schildkröten in Boa Vista auf null zu reduzieren.

Ranger-Team mit drei Artenschutzhunden und einer Drohne auf Boa Vista, Schutzprojekt für Meeresschildkröten der Turtle Foundation.
Das dreiköpfige Drohnenteam, bestehend aus Emilio Landin, Anilton Furtado und Ailton de Jesus Monteiro Andrade, bildet mit dem Hundeteam (drei Artenschutzhunde mit ihren Hundeführern) eine Spezialeinheit zur Wilderei-Bekämpfung. Geleitet wird sie von Team-Koordinator Adilson Monteiro Ramos.

Boa Vista ist eine bedeutende Niststätte für Schildkröten

Die Kapverdischen Inseln im Atlantik sind nach Oman und Florida die drittgrößte Nistplatz der Unechten Karettschildkröte.

Etwa zwei Drittel der auf Kap Verde nistenden Schildkröten zieht es auf die Insel Boa Vista. Jedes Jahr zwischen Juni und Oktober kommen die Weibchen in großer Zahl nachts an die Strände, um Nester zu graben und ihre Eier abzulegen.

Seit 1987 stehen Meeresschildkröten auf den Kapverden unter Schutz. Dennoch ging die seitdem als Wilderei geltende Jagd dadurch nur unwesentlich zurück. Die „Nutzung“ der Meeresreptilien zur Nahrungsversorgung war tief in der ländlichen Bevölkerung verwurzelt.

Bekämpfung der Schildkröten-Wilderei auf Boa Vista

Allein 2007 starben hier an den Stränden etwa 1.200 Weibchen. Die meisten von ihnen, bevor sie ihre Eier legen konnten. Daher rief die Turtle Foundation 2008 ein umfassendes Projekt zum Schutz dieses bedeutenden Nistplatzes ins Leben.

Nistling und Weibchen Unechte Karettschildkröte an einem Strand auf Boa Vista.
Groß und klein am Strand von Boa Vista.

Feldstationen

Zu Beginn einer jeden Nistsaison errichtet das Turtle-Foundation-Team an strategisch günstigen Stellen fünf Feldstationen. Über die gesamte Nistzeit sind dort von Juni bis Oktober Ranger und Volontäre untergebracht. Sie patrouillieren rund 30 Kilometer der insgesamt 65 km umfassenden Niststrände. Als flankierende Maßnahmen findet ein intensives Begleitprogramm vorwiegend in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, Umweltbildung und Öffentlichkeitsarbeit statt. Damit fördert das Projekt die Nachhaltigkeit der direkten Schutzmaßnahmen.

Zunahme der Wilderei trotz Strandpatrouillen

Mithilfe der konventionellen Strandpatrouillen ging die Wilderei von nistenden Schildkrötenweibchen von 2008 bis 2014 deutlich zurück.

Unechte Karettschildkröte.
Weibchen kehrt nach der Eiablage zurück ins Meer.

Doch 2015 verstärkten die Wilderer ihre Aktivitäten, wurden auch aggressiver. Denn es locken finanzielle Anreize. Dank verbesserter Ausrüstung und anderen „Strategien“ konnten sie den Ranger-Patrouillen ein um andere Mal ausweichen. Es gelang ihnen, viele Schildkröten zu töten.

Mittlerweile gilt Schildkrötenfleisch auf den Kapverden als teure Delikatesse. Dies führte dazu, dass bis 2017 in einigen Gebieten fast 5 % aller nistenden Weibchen getötet wurden.

Artenschutzhunde ergänzen Drohnen und Nachtsichtgeräte

Um dies in den Griff zu bekommen, erweiterte die Turtle Foundation in enger Zusammenarbeit mit der lokalen Naturschutzbehörde und der Polizei die Maßnahmen zur Wildereibekämpfung. Zum Einsatz kommen jetzt moderne Nachtsichttechnik, Funkgeräte, Drohnen, Ferngläser mit Wärmebildtechnik.

Doch mit Technik allein bekam man die Wilderei nicht vollständig in den Griff. Deshalb setzt man seit 2022 zusätzlich auf die Spürnasen speziell ausgebildeter Artenschutzhunde. Damit eröffneten sich neue Dimensionen in der Wildereibekämpfung. Zur besseren Abschreckung arbeitet das Ranger-Team dabei mit aufeinander abgestimmten Einsatzkonzepten und -strategien.

Da die Meeresschildkröten stets nachts zur Eiablage an die Strände kommen, finden auch die Patrouillen nachts statt. Und das täglich an zufällig ausgewählten Stränden. Schwerpunktmäßig sind dies Strände mit hohem Wilderei-Risiko im Norden und Osten der Insel. Häufig begleiten Polizeibeamte die Ranger.

Artenschutzhund Karetta beim Training an einem Strand für den Schutz von Schildkröten auf Boa Vista.

Mit ihren feinen Nasen und Ohren spüren die Artenschutzhunde während der Strandpatrouillen zielsicher Personen auf, die an den Niststränden nichts zu suchen haben.

Zudem sind sie auf Schildkrötenfleisch trainiert. Ihnen entgehen keine auch noch so gut versteckten und getarnten Überreste getöteter Meeresschildkröten. Auf diese Weise entdeckten die Ranger einige ihnen vorher nicht bekannte Wilderei-Hotspots.

Überdies nehmen die Hunde die Fährten der Täter anhand von Geruchsproben auf: Denn oft genug hinterlassen Wilderer Stoffreste und Seile am Tatort.

Das mobile Hunde- und Drohnenteam ist auch auf den Niststränden im Osten der Insel im Einsatz. Dann gemeinsam mit Rangern von Bios.CV und Natura 2000, zwei weiteren auf Boa Vista aktiven Projekten zum Schutz der Schildkröten.

Mit der „Skorpion-Strategie“ den Tätern auf der Spur

2022 entwickelte das Team der Turtle Foundation die sogenannte „Skorpion-Strategie“.

Artenschutzhund Kelo in Aktion auf Boa Vista

Sie beinhaltet die Überwachung eines längeren Strandabschnittes durch endständig postierte Teammitglieder mit Nachtsichtferngläsern. In der Mitte des Strandabschnittes lauern versteckt positioniert die Drohnen- und Bodenteams.

Entdecken die Nachtsichtfernglas-Posten oder das Drohnenteam Wilderer, leiten sie das Bodenteam mit den Artenschutzhunden per Funk zum Tatort. Um dort die Täter festzunehmen, müssen die Ranger von zwei Polizisten begleitet werden.

Die „Skorpion-Strategie“ erfordert viel Training, eine perfekte Kommunikation und das vertrauensvolle Zusammenspiel aller Teammitglieder. Sie hatte nicht zuletzt dank der drei Artenschutzhunde in der Nistsaison 2022 einen durchschlagenden Erfolg. An den damit überwachten Stränden kam es nur zu einem nachgewiesenen Fall von Wilderei.

Einsatz am Flughafen von Boa Vista und auf Sal

Die Hunde sind auch darauf trainiert, Meeresschildkrötenfleisch in Taschen und in Fahrzeugen aufzuspüren und zu melden. Denn verpacktes Schildkrötenfleisch wird auf andere Inseln – vornehmlich in die Hauptstadt Praia auf Sal – geschmuggelt. Der Einsatzbereich „Objektsuche“ kam auf Boa Vista während der Nistsaison 2023 zweimal am Flughafen von Boa Vista zur Anwendung. Es wurde kein Schildkrötenfleisch gefunden.

Artenschutzhund sucht nach Schmuggelware im Gepäck von Flugreisenden auf Boa Vista.
Artenschutzhündin Karetta kontrolliert einen Koffer am Flughafen von Boa Vista.

In Praia, wo der größte Teil Bevölkerung des Landes lebt, bieten Händler Schildkrötenfleisch offen auf lokalen Märkten zum Verkauf an. Noch ist unklar, woher das Fleisch stammt, denn auf Sal nisten kaum Schildkröten.

Im Rahmen eines vom britischen Illegal Wildlife Trade Challenge Fund (IWT) finanzierten Projekts, arbeitetet Turtle Foundation jetzt mit der Organisation Project Biodiversity, die auf Sal tätig ist, zusammen.

Einsatz des Hunde-Teams auf der Insel Sal zum Schutz von Schildkröten.
Die Einsätze auf Sal sind nur möglich, weil die Fahrt mit der Fähre lediglich 3–4 Stunden dauert. Deshalb können Projektfahrzeuge, für die Einsätze mitgenommen werden. So kann man das „Hundeauto“ für den sicheren Transport der Hunde nicht durch einen Mietwagen vor Ort ersetzen.

Nach mehreren Vorbereitungstreffen unter Einbeziehung der Behörden auf Sal fanden im Juli und im Oktober jeweils mehrtägige Missionen des Hundeteams statt. Trainer Marcel Maierhofer reiste von Deutschland an, um die Einsätze der Hundeführer und Hunde anzuleiten. Dabei kam es auch zu mehreren Gepäckkontrollen am Hafen und am Flughafen. Schildkrötenfleisch fanden die Hunde auch hier nicht. Allerdings konnten bei einer nächtlichen Strandpatrouille zwei Personen verhaftet werden.


Was sind Artenschutzhunde?

Mit ihren rund 200 Millionen und mehr Geruchsrezeptoren (zum Vergleich: der Mensch besitzt rund sechs Millionen) sind Hunde gefragte Mitarbeiter in etlichen Bereichen des Natur- und Artenschutzes. Am bekanntesten dürften Zollhunde sein, die in den Koffern von Reisenden illegal eingeführte geschützte Arten, wie Korallen oder Seepferdchen, ausfindig machen. Trainierte Suchhunde entdecken auch bestimmte Pflanzen- oder Tierarten und sogar Losung im Wasser! So etwa die Mischlingshündin Eba. Sie hilft beim Center for Conservation Biology im US-Bundesstaat Washington bei Orca-Schutzmaßnahmen, weil sie sehr gut darin ist, im Wasser treibenden Kot der Meeressäuger zu erschnüffeln.

Wer sind die Artenschutzhunde auf Boa Vista?

Kelo

Artenschutzhund Kelo auf Boa Vista im Einsatz für Meeresschildkröten.

Der sechsjährige (2023) Kelo ist trotz seines rassebedingten Arbeitseifers ein ruhiger und freundlicher Hund.

Er ist sehr verträglich im Umgang mit anderen Hunden und Menschen. Kraft und Ausdauer des Rüden passen sehr gut zu seinem athletischen Hundeführer Carlos “Toti” Monteiro Reis.

Karetta

Artenschutzhündin Karetta mit Hundeführerin Stephanie Butera beim Training auf Boa Vista.

Die sensible Schäferhündin Karetta wird von João „Djola“ José Mendes de Oliveira betreut.

Sie steht Kelo in der Objektsuche wie auch im Mantrailing in nichts nach, kann aber aufgrund ihrer misstrauischen Einstellung zu Fremden nicht für die Öffentlichkeitsarbeit mit Kindern eingesetzt werden. Zu ihrem Hundeführer hat sie jedoch großes Vertrauen und arbeitet mit Freude.

Zedda

Die heimliche Chefin des kleinen Rudels ist die achtjährige Zedda.

Artenschutzhund Zedda beim Training an einem Strand zum Schutz von Schildkröten auf Boa Vista.

Zedda war bereits erwachsen, als sie zum Hundeteam kam. Bis dahin lebte sie selbstständig auf Boa Vista. Daher verfügt sie nicht über den Grundgehorsam, der für die Einsatzreife erforderlich ist. Im Zweifel entscheidet Zedda immer selbst, was sie gerade tun möchte – arbeiten oder doch lieber Krabben jagen.

Dennoch ist sie ein wertvolles Mitglied des Teams, weil sie auch Anfängerfehler von Hundeführern verzeiht. Seit 2023 ist Délvis Rodrigues ihr neuer Hundeführer.

Hundetrainer Marcel Maierhofer

Marcel Maierhofer von Mantrailing24 trainiert die Artenschutzhunde Zedda, Karetta und Kelo und ihre Führer in den Disziplinen Mantrailing und Zielobjektsuche.
Marcel Maierhofer von Mantrailing24 trainiert die Artenschutzhunde Zedda, Karetta und Kelo und ihre Führer in den Disziplinen Mantrailing und Zielobjektsuche. Marcel ist internationaler Ausbilder für Personenspürhunde und als strategischer Einsatzberater, Instruktor und Prüfer der NBAS (Schweiz) tätig.

Während der Nistsaison 2022 führte das Hunde- und Drohnenteam 96 Einsätze durch, vornehmlich an den besonders gefährdeten Niststränden. Da zu Beginn der Nistsaison nur wenige Schildkröten an die Strände kamen, begannen die Anti-Wilderer-Einsätze am 1. Juli und dauerten bis zum 28. Oktober. In diesen vier Monaten fanden pro Monat durchschnittlich 24 Einsätze statt.

Insgesamt ging die Wilderei auf Schildkröten auf Boa Vista 2022 stark zurück. Lediglich zehn nachgewiesene Fälle sind bekannt. Für den deutlichen Rückgang der Wilderei spielen verschiedene Aspekte eine Rolle. Neben einem verschärften Strafmaß für Wilderei sicherlich auch die Ausweitung der Community-Projekte des Teams der Turtle Foundation. Entscheidend jedoch ist – das zeigen die Aussagen ehemaliger Wilderer – ein deutlich gestiegenes Risiko, von den Hunde- und Drohnenteams erwischt zu werden. Die „Skorpion-Strategie“ schreckt potenzielle Täter regelmäßig davon ab, es überhaupt erst zu versuchen.


Welche Schildkrötenarten gibt es bei den Kapverden?

Neben Unechte Karettschildkröten (Caretta caretta) kommen vier weitere Arten in die kapverdischen Gewässer, die hier allerdings nicht regelmäßig nisten.

UN-Nachhaltigkeitsziele des Projekts

Nach Informationen der Turtle Foundation
Alle Fotos: © Turtle Foundation

Update: erweiterter und überarbeiteter Beitrag. Mit neuem Datum wieder veröffentlicht.

Meeresschildkröten in Not

Kleine Grüne Meeresschildkröte auf dem Weg ins Meer.

Helfen Sie mit, Meeresschildkröten zu retten!

Seegraswiesen-Renaturierung im Mittelmeer: Die Meeresgärtner

7 Minuten

Seegraswiesen schützen das Klima, die Küsten und die Artenvielfalt! Ihre Zerstörung muss gestoppt werden. Dort, wo es möglich ist, sollte man Seegras pflanzen. Genau das macht das Projekt „Die Meeresgärtner“ im Mittelmeer.

Logo Project Manaia

Als Urlauber kann man helfen, diese außergewöhnlich vielfältigen Meerespflanzen zu erhalten. Sie leisten damit auch einen Beitrag zum Klimaschutz. Zudem helfen Sie, einen ungemein vielfältigen Lebensraum für unzählige Arten von Meerestieren zu schützen.

Seegras pflanzen: Wie Urlauber helfen können

Die Renaturierung von Seegraswiesen (Posidonia oceanica) im Mittelmeer ist eine der Aufgaben, der sich unser Partner und Meeresbiologe Manuel Marinelli von Project Manaia im Rahmen des Projekts widmet. Jeder kann dabei als Bürgerforscher, oder Citizen Scientist, mithelfen: Sammeln Sie frische abgerissene Seegraspflanzen oder -samen und geben Sie diese bei einer der Stationen des „Meeresgärtner-Netzwerks“ ab.

Was Sie beim Sammeln beachten müssen

Bitte keine Teile aus einer Seegrasweide entfernen oder die Samen aktiv von den Pflanzen „pflücken“: Beides ist strengstens verboten!

Fundstück: abgerissene Seegraspflanzen

Hat die Pflanze Wurzeln eignet sie sich, zum Seegras pflanzen.
© U.Kirsch
  • Die Pflanzen sollten möglichst noch im Wasser oder beim Sammeln zumindest noch nass sein.
  • Es müssen noch Wurzeln dran sein, und zumindest ein, zwei Blätter sollten intakt sein.
  • Die gesammelten Pflanzen einfach in einen Zip-lock-Beutel packen (oder in anderen Plastiksack, den man dann verknotet) und im Kühlschrank aufbewahren oder abgeben.
  • Bei Raumtemperatur hält sich die Pflanze nur circa einen Tag. Dabei wäre es allerdings wichtig, dass man ein nasses Taschentuch um die Wurzeln wickelt. Für die Aufbewahrung gilt: Je kühler (nicht gefroren), desto besser.

Fundstück: Seegras-Samen

Seegrassamen von Posidonia/Neptungras
© OceanImageBank/Dimitris Poursanidis
  • Seegras-Samen sehen aus wie Oliven. Sie schwimmen an der Oberfläche oder werden an den Strand angespült, normalerweise im Juni. Auch sie sind geeignet, um Seegras zu pflanzen.
  • Man kann sie einfach in einem mit Salzwasser gefüllten Marmeladenglas oder Ähnlichem aufbewahren. Wiederum am besten im Kühlschrank, denn so halten sie sich über Wochen und Monate.
  • Haben Sie keine Möglichkeit, Seegras-Samen mitzunehmen, werfen Sie sie wieder ins Meer zurück.

Wie kann man Seegras pflanzen?

Speziell befugte und geschulte Taucher setzen die abgerissenen Pflänzchen mit Wurzeln wieder im Meeresboden ein. Die eingesammelten Samen werden erst an einer Struktur fixiert (z. B. an einem Felsen oder biologisch abbaubarem Kabelbinder oder Bindfaden). Wenn sie dann die notwendigen Wurzeln gebildet haben, können sie je nach Lage entweder vor Ort weiterwachsen oder man „verpflanzt“ sie noch einmal, damit sie eine Wiese bilden können. Die Entwicklung der Gräser und Wiesen soll dann in regelmäßigen Abständen überprüft werden.

Problem für Seegraswiesen und die Seegras-Renaturierung: Anker reißen Löcher in die Meereswiesen.

Anker in einer Seegrasweide auswerfen ist keine gute Idee. Oft werden beim Einholen Gräser abgerissen. Wem das passiert, der sollte das Gras, soweit noch Wurzeln und ein, zwei Blätter dran sind, verpacken und abgeben. Was es dabei zu beachten gilt, steht im Artikel. Helfen Sie mit! © Dimitris Poursanidis/Ocean Image Bank

Schulung und Ausrüstung der Meeresgärtner-Stationen

Die Renaturierungsstationen arbeiten lokal als „Meeresgärtner“ und setzen Seegraspflanzen in bestehende Wiesen.

Project Manaia veranstaltet dazu jeweils einen Workshop. Dort wird gezeigt, wie es gemacht wird und worauf man sich konzentrieren muss, wenn es darum geht, die Wiesen nach der Wiederbepflanzung zu beobachten. Außerdem erhält jede Station des Meeresgärtner-Netzwerks, auf Wunsch, ein „Renaturierungsset“ bestehend aus:

  • Informationsflyern für Gäste und Teilnehmer
  • Aquarium nebst Kompressor und Sprudelsteinen zur längeren Aufbewahrung von Seegräsern und Seegras-Samen (bei Bedarf)
  • Behältern für das Sammeln von Seegräsern und Seegras-Samen (bei Bedarf)
  • Material, das bei der Anpflanzung benötigt wird

Das Meeresgärtner-Netzwerk

Stand: Oktober 2023

Italien

Frankreich

Kroatien

Malta

UN-Nachhaltigkeitsziele des Projekts

Unterstützer

Erhalt und Renaturierung von Seegraswiesen

Viele Seegräser bilden eine Seegraswiese.

Engagieren Sie sich für den Erhalt unverzichtbarer Küstenökosysteme im Mittelmeer. Für den Klimaschutz! Für die Artenvielfalt!


Update: erweiterter und überarbeiteter Beitrag. Mit neuem Datum wieder veröffentlicht.

Titelfoto:
Vorbereitungen, um Seegras zu pflanzen: ein Meeresgärtner im Mittelmeer. © Project Manaia


Weiterführende Informationen

Seehundjäger – Tod im Watt

10 Minuten

Seehundjäger (Schleswig-Holstein) und Wattenjagdaufseher (Niedersachsen) nennen sich gern „Seehundmanager“ oder gar Tierschützer. Zwar jagen sie keine Seehunde. Das ist streng verboten. Dennoch erschießen Seehundjäger jedes Jahr Hunderte kranke, verletzte oder verlassene, meist junge, Robben. Sie dürfen das. Die meisten Tiere sterben an der deutschen Nordseeküste und auf den Nordseeinseln. Angeblich sollen ihnen „unnötige Leiden“ erspart werden. Doch ob eine Robbe getötet werden muss, entscheiden die Jäger situativ. Ohne weitere Nachfrage. Dabei ist Ihre Qualifikation zweifelhaft. Sie sind Hobbyjäger, die regelmäßige Fortbildungen erhalten. Das versteht man in Deutschland unter professionellem Robben-Management.

Warum sind Jäger für das Meeressäuger-Management in Deutschland zuständig?

In Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg sind ausschließlich „die vom Land bestellten Jagdaufseher“ – also Seehundjäger und Wattenjagdaufseher – befugt, sich um gestrandete, verletzte, verlassene und kranke Meeressäuger (Robben sowie Wale, Delfine und Schweinswale) zu „kümmern“. Hat eine Robbe Glück, dann endet dieses „kümmern“ nicht mit ihrem Tod. Dann entscheidet sich ihr Schicksal in einer der „offiziellen“ Auffangstationen.

Was macht ein Seehundjäger?

In Begleitung eines Seehundjägers konnten Jäger noch bis Ende der 1970er-Jahre für 180 D-Mark legal einen Seehund schießen. Das ist heute streng verboten. 1974 wurde die Jagd endlich eingestellt. Da standen die kulleräugigen Unterwasserjäger an deutschen Küsten bereits kurz vor der Ausrottung. Unglücklicherweise verblieb die u. a. nach EU-FFH-Richtlinie geschützte Art in Deutschland jedoch im Jagdrecht (mit ganzjähriger Schonzeit). Damit gehören Seehunde weiter zu den jagdbaren Tierarten.

Schild Nationalpark Wattenmeer. Hier sind Seehundjäger und Wattenjagdaufseher zuständig für das Management von Meeressäugern.
© U.Karlowski

Im Gegensatz dazu unterliegen Kegelrobben nicht dem Jagdrecht. Zuständig für das Management beider Arten und darüber hinaus sämtlicher Meeressäuger sind in Deutschland jedoch ausschließlich Seehundjäger oder sogenannte Wattenjagdaufseher. Das gilt auch im Nationalpark Wattenmeer. Das ist fragwürdig und nicht mehr zeitgemäß.

„Zuständig“ heißt demnach auch, eine Entscheidung über Leben und Tod zu treffen. Letzteres vollziehen sie mit einem Pistolenschuss in den Hinterkopf des Tieres. Ansonsten gehören zu ihren Aufgaben das Bergen toter Meeressäuger, Kontrollfahrten sowie Informations- und Aufklärungsarbeit.

Wer sind Seehundjäger?

Seehundjäger sind ehrenamtlich tätig. Sie müssen sich regelmäßig bei Schulungen des Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover fortbilden. Im „echten“ Leben haben sie ganz normale Jobs als Hotelier, Restaurantbesitzer oder Vermieter von Ferienwohnungen. In Niedersachsen nennen sie sich Wattenjagdaufseher.

Die Fortbildungen erschöpfen sich allerdings in mehreren, knapp fünfstündigen Veranstaltungen. Hierbei stehen dann Vorträge zu Themen wie „Umgang mit der Öffentlichkeit“ oder zum „Einpacken von Kadavern“ auf der Tagesordnung. Derart „geschult“ beurteilen diese Hobbyjäger als vom Land bestellte Jagdaufseher in alleiniger Kompetenz dann den Gesundheitszustand von Wildtieren. Das ist absurd.

Entscheidung über Leben und Tod

Die Entscheidung, ein Tier zu töten, trägt in sich eine hohe moralische Verantwortung, Respekt vor dem Leben und Sachverstand.

Seehundjäger bzw. Wattenjagdaufseher sind Ausdruck eines antiquierten Robbenmanagements: Mann hält ein Gewehr im Anschlag.
Foto: Harrison Haines/Pexels

Es liegt in der Natur der Sache, dass Jägern das Töten leicht fällt. Auch deshalb ist die Tätigkeit der Seehundjäger ständiger Konfliktherd – nicht nur wegen der heutzutage unpassenden Bezeichnung.

Da auf Sylt besonders viele verletzte, kranke oder verlassene Robbenwelpen erschossen werden (müssen?), kam die Insel bereits in den zweifelhaften Ruf eines Friedhofs der Kuscheltiere.

Was verdient ein Seehundjäger?

Das Land Schleswig-Holstein zahlt für jeden Einsatz eine Pauschale von 45,00 € – auch für das Erschießen eines Tieres. Ein monetäres Interesse kann dabei nicht von der Hand gewiesen werden. So hatte ein Sylter Seehundjäger nach eigenen Angaben 2016 rund 1.000 Einsätze.

2018 erschossen die 40 ehrenamtlichen Jagdaufseher aus Schleswig-Holstein 658 Robben. Den schleswig-holsteinischen Steuerzahler kostete das 29.610,00 €.

2019 wurden an der Küste von Schleswig-Holstein mindestens 690 kleine Robben erschossen (Angabe eines Seehundjägers von Sylt vom Februar 2020). Für die rund 3.000 Einsätze aller schleswig-holsteinischen Seehundjäger zahlte das Land 2019 ca. 135.000 € an Aufwandsentschädigungen.

Laut Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein (MELUND) gab es 2020 rund 2.300 Seehundjäger-Einsätze. Dabei starben 441 Tiere per Kopfschuss. Etwa 1.600 sollen bereits tot gewesen sein. 70 Tieren fehlte angeblich nichts. In einer Seehundstation landeten 188 Tiere.

Warum gibt es heute noch Seehundjäger?

Seit vielen Jahrzehnten verhindert, die gut organisierte und politisch bestens vernetzte Jagdlobby, dass Seehunde aus dem Jagdrecht gestrichen und Privilegien für Jäger eingeschränkt werden.

Seehundjäger oder Wattenjagdaufseher sind keine Experten, sondern Hobbyjäger: Mehrere Jäger gehen durch Graslandschaft.
Foto: Jacqueline Macou/Pixabay

Prominentester Vertreter dieser Interessengruppe ist der ehemalige Bundestagsabgeordnete und Ministerpräsident von Schleswig-Holstein (2005 bis 2012) Peter Harry Carstensen (CDU). Der gebürtige Nordstränder bekennt sich seit frühester Jugend als leidenschaftlicher Jäger.

Auch der ehemalige Umweltminister von Schleswig-Holstein und heutige Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz im Kabinett Scholz, Robert Habeck, wollte dieses politisch heiße Eisen nicht anfassen.

Fachleute unerwünscht

Aufgrund einer nicht mehr zeitgemäßen Gesetzeslage und des Einflusses der organisierten Jägerschaft auf Belange des Tier- und Naturschutzes, entzieht man selbst Tierärzten weitestgehend die Kompetenz zur Hilfeleistung in Notfällen.

Feuer frei in Herbst und Winter

Wie wenig professionell oder der individuellen Situation betroffener Tiere gerecht werdend das Meeressäugermanagement beim MELUND ausgerichtet ist, zeigt auch die Aussage:

Folglich verzeichneten Robbenschützer im Herbst und Winter im Bereich der nordfriesischen Inseln ungewöhnlich viele erschossene junge Robben.

Rantum (Sylt): Seehundjäger erschießt Robbe vor den Augen entsetzter Urlauber

Nordseeurlauber sollten zu dieser Jahreszeit daher auf schreckliche Erlebnisse gefasst sein. So mussten Urlauber mitansehen, wie am 14. Januar 2024 beim Aufgang Rantum auf Sylt eine Robbe – höchstwahrscheinlich von einem Seehundjäger – erschossen wurde:

Geretteter junger Seehund „Pirie“ am Strand.
Touristen berichten wiederholt, dass ihnen ein Seehundjäger erklärte, die aufgefundene Robbe würde gerettet. Später stellte sich dann heraus, dass er das Tier erschossen hat. Andere Tiere wiederum überließ man einfach ihrem Schicksal. Damit „Natur Natur sein kann“.

Ginge es ohne Seehundjäger und Wattenjagdaufseher besser?

Seehundjäger und Wattenjagdaufseher sind der Dreh- und Angelpunkt im Management der deutschen Robbenpopulationen. Doch ist das noch zeitgemäß?

Sicherlich leisten viele von ihnen auch einen Beitrag zum Meeressäuger-Management an deutschen Küsten. Und niemand will, dass ein Lebewesen, wenn es unheilbar, krank oder schwer verletzt ist, unnötig weiter leidet. Doch es werden entschieden zu viele Tiere erschossen. Andererseits überlässt man zu viele Tiere zum langsamen Sterben einfach ihrem Schicksal. Damit „Natur Natur sein kann“. Mit professionellem Meeressäuger-Management, wie man es aus anderen Ländern kennt, hat das wenig gemein.

Anti Wolfsplakat im Nationalpark Wattenmeer.

Ein Nationalpark fest in der Hand der Ewiggestrigen: Anti-Wolfsplakat im Nationalpark Wattenmeer. Foto: Sven Deutschendorf

Unverständlich bleibt, warum das Robben-Management in Deutschland oberflächlich geschulten Amateuren vorbehalten ist. Andere Länder sind da um einiges besser aufgestellt. Es ist ein Politikum und hängt wohl auch mit dem Gewohnheitsrecht der friesischen Seehundjagd zusammen. Besser wäre eine professionelle „Robben Task Force“, der z. B. auch Ranger, Veterinäre oder Wildtierbiologen angehören.

Angesichts der hohen Zahl jährlich an der Nordseeküste und im Wattenmeer von Seehundjägern erschossener Robben bekommt die MELUND-Verlautbarung von der Etablierung eines „umfassenden Systems, das insbesondere den Umgang mit kranken und verletzten Tieren sowie deren Rehabilitierung regelt“, einen seltsamen Beigeschmack. Das deutsche Robben-Management ist weder ethisch noch faktisch auf der Höhe der Zeit.

Es ist ein moralischer Imperativ, zumindest zu versuchen, in Not geratenen Wildtieren zu helfen. Es ist unsere Verantwortung. Die finale Entscheidung – der Tod des Tieres – sollte dabei Fachleuten und nicht Hobbyjägern vorbehalten sein.

Einzelne Ringelrobbe in Mönkebude kommt ohne Seehundjäger klar

Als am 29.12.2023 eine Robbe im Jachthafen von Mönkebude in Vorpommern auftauchte, genügte ein Team der Tierrettung Vorpommern-Greifswald, um den (guten) Zustand des Tieres beurteilen zu können. Eine Robbe im Brackwasser des Stettiner Haffs bei Anklam ist gleichwohl ungewöhnlich. Für Mönkebude ist es das erste Mal überhaupt, dass sich dort eine Robbe aufhält.

Herrschte anfänglich noch Unklarheit, ob es sich um einen Seehund oder eine Kegelrobbe handelt, identifizierte Meeresbiologin Anja Gallus vom Ozeaneum in Stralsund das Tier schließlich als Ringelrobbe. Ringelrobben sind die dritte in der Ostsee lebende Robbenart und die häufigsten Robben des Nordpolarmeers. Normalerweise findet man sie in den nördlichen kalten Gewässern von in Nordschweden, Finnland und Estland. Gelegentlich suchen sie im Winter auch südlichere Gebiete auf. Ihr Bestand in der Ostsee wird auf 7.000 bis 10.000 Exemplare geschätzt.

Systemversagen Seehundjäger: Solitärdelfin in der Ostsee

Wie unprofessionell das System aus Seehundjägern und Wattenjagdaufsehern mitunter agiert, zeigen außergewöhnliche Vorkommnisse mit Meeressäugern. Darauf ist man weder vorbereitet noch weiß man, damit umzugehen.

Der Tod Eckernförder Delfins Sandy war ein typisches Beispiel für das Systemversagen der Seehundjäger.

Der Eckernförder Delfin Sandy (Gemeiner Delfin) wurde keine 6 Jahre alt. Foto: © Kai Müsebeck

Beispiel hierfür ist der tragische Tod des Einzelgängerdelfins „Sandy“ in der Ostsee. Ostern 2020 tauchte der etwa sechs Jahre alte, nicht geschlechtsreife weibliche Gemeine Delfin in der Eckernförder Bucht auf. Dabei entwickelte er eine starke Objektfixierung auf eine etwa 100 bis 150 Meter vor dem Hemmelmarker Strand schwimmenden Markierungsboje.

Mit der Zeit begann der an multiplen Hautkrankheiten leidende Delfin, Menschen als Sozialkontakte zu akzeptieren und sogar zu suchen. Dabei schwamm er auch auf sie zu und ließ sich streicheln. Schnell entstand ein ungeregelter Massentourismus. Appelle von besorgten Bürgerinnen und Bürgern oder Meeresschutzorganisationen, Schutzmaßnahmen zu etablieren, verhallten. Der zuständige Seehundjäger blieb rat-, taten- und kompetenzlos. Ende Januar 2021 starb der schwer kranke Delfin.

Update: erweiterter und überarbeiteter Beitrag. Mit neuem Datum wieder veröffentlicht.


Petition

Tierärzten muss es erlaubt sein, verletzte und kranke Robben zu retten!
auf change.org, gestartet von der Schauspielerin Janina Fautz und Janine Bahr-van Gemmert (Tierärztin im Robbenzentrum Föhr)

Titelfoto: © U.Karlowski


Weiterführende Informationen

Immer mehr Haie sterben, trotz Shark-Finning-Verboten

13 Minuten

In vielen Ländern ist die gezielte Haiflossen-Fischerei (Shark Finning) verboten oder eingeschränkt. Dennoch sterben immer mehr Haie. Laut einer aktuellen Studie1 soll die Zahl der zwischen 2012 und 2019 durch Fischereiaktivitäten getöteten Haie von 76 Millionen auf 80 Millionen Tiere gestiegen sein. Darunter mehr als 30 Prozent (ca. 25 Millionen Tiere) gefährdete Arten. Offenbar haben Anti-Finning-Regeln kaum Einfluss auf die Zahl getöteter Haie. Vielmehr schaffen sie Anreize für eine vollständige Nutzung gefischter Haie. Dies zeigt eine im Fachmagazin Science im Januar 2024 veröffentlichte Studie. Beteiligt waren Forscher um Boris Worm von der Dalhousie University und der Carleton University, Ottawa (beide aus Kanada), der University of California und von Sea Around Us. Die tatsächlichen Verluste könnten wegen der stark gestiegenen illegalen Fischerei (IUU) um einiges höher sein. Allerdings stellte die Welternährungsorganisation FAO bei ihren Erhebungen wiederum einen seit 2000 anhaltenden Abwärtstrend bei den globalen Haifängen fest.

Haiflossen-Fischerei ist grausam

Bei der Shark Finning genannten Haiflossen-Fischerei schneiden die Fischer den Tieren nach dem Fang die Flossen ab. Dann werfen sie die verstümmelten und nicht mehr schwimmfähigen Haie zurück ins Meer. Dort sterben sie langsam. Sie ersticken, verbluten, werden lebendig gefressen. Haiflossen-Fischerei ist eine gigantische Verschwendung. Denn fast 99 % jedes gefangenen Hais verschwinden ungenutzt wieder im Ozean.

Meeresschützer und Wissenschaftler befürchten schon lange den Zusammenbruch der Bestände bestimmter Arten. Denn die Fangrate steigt ständig. Doch Haie haben nur wenig Nachwuchs. Viele Arten benötigen bis zu 25 Jahre, bis sie geschlechtsreif sind.

Nachfrage nach Haiflossen übertrifft Angebot

Shark Finning (Haiflossen-Fischerei): ein Stapel Haifischflossen.

Haiflossen gehören zu den teuersten Fischprodukten überhaupt. Doch die Nachfrage übertrifft das Angebot bei Weitem. Foto: Jessica King, Marine Photobank

Nach Angaben der Welternährungsorganisation (FAO) verdreifachten sich die offiziell gemeldeten weltweiten Haifangmengen seit 1950. Im Jahr 2000 wurde ein Allzeithoch mit 868.000 Tonnen erreicht. Seit diesem Zeitpunkt ist ein Abwärtstrend zu verzeichnen. Die Fangmengen für das Jahr 2020 betrugen 665.622 Tonnen. Im Jahr 2021 wurden der FAO rund 7.100 Tonnen gehandelte Haifischflossen gemeldet. Laut FAO beträgt der Wert des weltweiten Handels mit Haiprodukten 1 Milliarde USD pro Jahr.

Haiflossen werden in über 125 Ländern verkauft. Größter Absatzmarkt ist Hongkong. Dort gelten sie als Delikatesse und Statussymbol. Eine Schale Haifischflossensuppe von bestimmten Arten kann dort bis zu 400 € kosten. Bedingt durch den wirtschaftlichen Aufschwung in Fernost können und wollen sich immer mehr Menschen Haiflossenprodukte kaufen. Früher was dies nur einer kleinen, wohlhabenden Bevölkerungsschicht vorbehalten.

Viele bedrohte Arten sterben beim Shark Finning

Wissenschaftler der Florida International University (FIU)2 durchleuchteten zwischen Februar 2014 und Februar 2015 mittels DNA-Analysen den bis dahin undurchsichtigen Handel auf dem weltweit größten Markt für Haifischflossen in Hongkong. 2016 importierte Hongkong 5.718 Tonnen Haiflossen. Das Ergebnis der im Oktober 2017 veröffentlichten Studie ist erschreckend. Denn mehr als ein Drittel der verkauften Haiflossen stammte von bedrohten Arten.

Bei 4.800 aus fast 100 Fischgeschäften gekauften Haiprodukten identifizierten die Forscher fast 80 Hai- und Rochenarten. 25 Prozent der Proben stammten dabei von Arten, die auf der Roten Liste der Weltnaturschutzorganisation (IUCN) als gefährdet gelistet sind. Mit einem Anteil von 34 Prozent war der Blauhai (Prionace glauca) die am häufigsten für Haiflossen und andere Haiprodukte verwendete Art. Auf der Roten Liste ist er mit dem Status „Gefährdung droht“ eingestuft.

Durch gezielte Haiflossen-Fischerei (Shark Finning) sterben viele Seidenhaie allein wegen ihrer Flossen.

Auch Flossen der bedrohten Seidenhaie landen auf den Märkten in Hongkong. Foto: Alex Chernikh/Marine Photobank

Weitere 8 Prozent der angebotenen Haiflossen stammten von bedrohten Arten. Darunter Bogenstirn-Hammerhai (Sphyrna lewini), Großer Hammerhai (Sphyrna mokarran), Seidenhai (Carcharhinus falciformis) oder Großaugen-Fuchshai (Alopias superciliosus). Nur etwa ein Fünftel der gefundenen Arten stammen aus nachhaltig operierenden Fischereien.

Dennoch sieht FIU-Meeresbiologe Damien Chapman, der an der Haiflossen-Studie teilnahm, Zeichen des Wandels: „Insgesamt sehen wir, dass der Schutz von Haien in der Öffentlichkeit immer mehr Unterstützung findet und die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich zieht“, sagt er auf phys.org. „Es liegt noch ein sehr langer Weg vor uns, aber wenn der jüngste Schwung anhält, dann können wir meines Erachtens die am stärksten gefährdeten Arten vor dem Handel schützen und gleichzeitig mehr auf nachhaltig gefischte Produkte umschwenken.“

Handel mit Haiprodukten in der EU

Die EU ist ein wichtiger Akteur beim internationalen Handel Haifleisch und mit Haifischflossen aus dem Shark Finning. Für die EU-Fischfangflotten, die in internationalen Gewässern Haie fangen, ist die EU dabei der wichtigste Absatzmarkt für Haifischflossen.

Viele Tiere stammen aus der gezielten Haiflossen-Fischerei (Shark Finning). Dennoch wird in der EU doppelt so viel mit Haifleisch verdient wie mit Haiflossen. Dabei muss man allerdings berücksichtigen, dass die Flossen nur etwa 2 % des Gewichts eines ausgewachsenen Hais ausmachen. Ein Kilo Haifischflossen bedeutet also viele tote Haie.Hinzu kommt, dass die EU wegen mangelnder Kontrollen auch eine Drehscheibe für illegale Haiprodukte ist.

EU exportiert jährlich rund 2.300 Tonnen Haiflossen

In den Jahren 2017 bis 2021 wurden nur wenige Haifischflossen in die EU importiert. Dagegen waren die jährlichen Exporte mit durchschnittlich etwa 2.300 Tonnen im Wert von 170 Millionen Euro erheblich. Der durchschnittliche Preis für die Ausfuhr von 1 kg Haifischflossen lag im Jahr 2021 bei 16 €. Haifleisch erzielte lediglich 1,43 € pro kg.

Shark Finning: Abgeschnittene Haifischflossen liegen auf einer Karre.

Foto: Rikke Færøvik Johannessen/Marine Photobank

In der EU sind Spanien und Portugal führend beim Haiflossen-Handel. Es folgen die Niederlande und Frankreich. Wobei Spanien sowohl bei den Einfuhren als auch bei den Ausfuhren der führende Akteur ist. Mehr als 99 % der gesamten EU-Ausfuhren stammen aus Spanien. Rund 96 % dieser Ausfuhren sind gefrorene Haifischflossen.

Die meisten Haiflossen aus der EU gehen nach Singapur und China

Laut EU-Kommission waren die wichtigsten Bestimmungsländer für EU-Ausfuhren von Haifischflossen zwischen 2017 und 2021 (angeben sind die jeweiligen Jahresdurchschnittswerte):

  • Singapur, 985 Tonnen und einem Handelswert von 13 Mill. €
  • China, 893 Tonnen bei einem Handelswert von 11 Mill. €
  • Hongkong, 194 Tonnen, Handelswert von 7 Mill. €

Rund 82 % der EU-Ausfuhren von Produkten aus dem Shark Finning landen in Singapur und China. Andere wichtige Handelsströme bestehen mit Hongkong und seit Kurzem auch mit Japan.

Blauhai ist die wichtigste Art beim Shark Finning durch EU-Fangflotten

In den Jahren 2019 und 2021 wurden von den europäischen Hai-Fangflotten insgesamt 248.392 Tonnen Hai-Fänge gemeldet. Dies entspricht einem jährlichen Durchschnitt von 82.797 Tonnen. Am häufigsten gefangen wurden Blauhaie (Prionace glauca). Etwa 56 % aller Hai-Fänge in diesem Zeitraum waren Blauhaie. Es folgten Kleingefleckter Katzenhai, Stachelrochen und Kurzflossen-Mako (Isurus oxyrinchus) mit 7 %, 6 % und 3 % der Gesamtfänge.

Bei vielen anderen Arten lagen die Gesamtfänge zwischen 2019 und 2021 bei unter 100 kg. Die Tiere waren wahrscheinlich zufällig als Beifang mitgefangen worden.

EU-Langleinenfischer fangen die meisten Haie

Die meisten Haie fangen EU-Langleinenfischer, die im Südatlantik und im Südpazifik operieren. Fänge aus internationalen Gewässern machen 60 % der Fangmenge aus. Wobei Blauhai und Kurzflossen-Mako fast ausschließlich in internationalen Gewässern gefangen werden. Ihre Befischung fällt in den Zuständigkeitsbereich regionaler Fischereiorganisationen (RFMOs).

Fins Naturally Attached-Verordnung soll Shark Finning unterbinden

Zwar ist Shark Finning seit 2013 in der EU mit der sogenannten „Fins Naturally Attached“-Verordnung (Ganzkörperanlandung) verboten. Die Tiere müssen beim Entladen im Hafen intakt sein. Erst danach darf man die Flossen abtrennen und verkaufen. Dies wird aber kaum kontrolliert. Deshalb kann niemand sagen, wie viele Haiflossen bei der Haiflossen-Fischerei illegal angelandet werden. Bislang gibt es nur in wenigen Staaten vergleichbare Gesetze zur Hai-Ganzkörperanlandung (Fins Naturally Attached). Etwa in den USA, Kanada, Indien, Südafrika, Chile, Costa Rica oder Kolumbien.

In anderen Ländern dagegen ist Shark Finning erlaubt. Daher gibt es auf dem weltweiten Markt gewaltige Mengen an Flossen. Die Herkunft ist meist kaum nachvollziehbar. Oft ist sie fragwürdig. Dennoch dürfen auch diese Haiflossen legal in und über Europa gehandelt werden. Dabei heißt es in der aktuellen „Fins Naturally Attached“-Verordnung: „Haie stellen keine traditionell europäische Speise dar, doch sie sind ein nötiges Element der europäischen marinen Ökosysteme.

Haifischflossen – Handelsverbote

Zum Glück sind andere Staaten beim Haischutz um einiges engagierter als die Europäische Union. Bis 2022 hatten 29 Länder Haischutzgebiete, Schutzgebiete oder andere Schutzmaßnahmen in Kraft gesetzt, die den Haifang in ihren nationalen Gewässern (Küstenmeer und Ausschließliche Wirtschaftszone) verbieten. Weiterhin gibt es eine Reihe unterschiedlicher Regularien Regionaler Organisationen für das Fischereimanagement (RFMOs) und einzelstaatlicher Bestimmungen (Anti-Finning-Gesetze), die das Shark Finning, nicht aber den Fang von Haien beschränken.

Großbritannien

Mit dem Brexit befreite sich Großbritannien von den nicht nur aus Sicht der Briten völlig unzureichenden EU-Fischereirichtlinien – zumindest teilweise. Beim Thema Verkauf von Haifischflossen zögerte man auf der Insel nicht lang. Im August 2021 verkündete die Regierung Handelsverbot (Import und Export) für Haifischflossen, das Ende Juni 2023 in Kraft trat.

Unter das Handelsverbot fallen auch Produkte, in denen Haiflossen enthalten sind wie Haiflossensuppe. Großbritannien übernahm damit in Europa eine führende Rolle im Kampf gegen Hai-Finning und den globalen Handel mit Haifischflossen.

„Das ist ein Meilenstein für den Haischutz und schwer Schlag gegen das Shark Finning. Einmal mehr zeigen sich andere Staaten beim Haischutz um einiges engagierter als die Europäische Union. Hier ist der Handel mit Haifischflossen immer noch erlaubt. Obwohl der Bestand nahezu aller Hochseehaie in den vergangenen 50 Jahren im Schnitt um 70 Prozent zurückgegangen ist. Die gezielte Haiflossen-Fischerei hat massiv dazu beigetragen“, erklärt der Biologe Ulrich Karlowski von der Deutschen Stiftung Meeresschutz.

USA

Am 23.12.2022 unterzeichnete US-Präsident Joe Biden den Shark Fin Sales Elimination Act. Damit sind in den USA Verkauf von Haifischflossen sowie – bis auf wenige Ausnahmen – deren Besitz illegal. Die zivilrechtliche Höchststrafe für jeden Verstoß beträgt 100.000 US-Dollar oder den Marktwert der betreffenden Haifischflossen, je nachdem, welcher Wert höher ist. Das von US-amerikanischen und internationalen Hai- und Meeresschutzorganisationen einhellig unterstützte Gesetzgebungsverfahren hatte am 15. Dezember 2022 den US-Senat passiert.

Zweifellos spielten die USA bislang eine wichtige Rolle im weltweiten Handel mit Haifischflossen. Die Wetter- und Ozeanografiebehörde der Vereinigten Staaten (National Oceanic and Atmospheric Administration/NOAA) erfasste 2016 den Import von etwa 60 Tonnen Haiflossen.

Jedoch stellte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) bereits 2015 fest, dass NOAA-Statistiken „die tatsächliche Menge der Haifischflossen-Importe erheblich unterschätzen“. Zum einen gab es keine ausreichenden Ein- und Ausfuhrkontrollen. Zum anderen erfasste NOAA, laut Shark Stewards aus Berkeley (Kalifornien), nur getrocknete und keine frisch abgeschnittenen oder eisgekühlte Haifischflossen. Gleichzeitig waren die USA allerdings ein bedeutender Exporteur.

Shark Finning (Haiflossen-Fischerei) ist grausam: Hai ohne Flossen liegt am Meeresgrund.

Handelsdaten aus den Jahren 2005 bis 2014 zeigen, dass in diesem Zeitraum 1.060 Tonnen Haifischflossen nach China verkauft wurden. Nach Hongkong gingen 16.659 Tonnen. Foto: Nancy Boucha, www.scubasystems.org 2005/Marine Photobank

Fidschi

Die Regierung von Fidschi setzt sich lokal und global aktiv für die Erhaltung und das Management von Haien und Rochen ein. Zu den Maßnahmen zählt auch ein Import- und Exportverbot für Haifischflossen, welches der pazifische Inselstaat 2019 einführte.

Haifischflossen – Handelsbeschränkungen

Im November 2022 beschloss die 19. Vertragsstaatenkonferenz des Washingtoner Artenschutzübereinkommens (CITES) Handelsbeschränkungen für 54 Arten Requiemhaie, sechs Hammerhai-Arten sowie für über 30 Geigenrochen-Arten beschlossen.

CITES stufte sie in Anhang II ein. Dies hat zur Folge, dass der Handel mit Hai- oder Rochenprodukten (Fleisch, Knorpel, Flossen) unter die Kontrolle nationaler Artenschutzbehörden und des Zolls fällt. Davon betroffen ist neben der gezielten Haifischerei besonders der lukrative Verkauf von Haifischflossen aus der Haiflossen-Fischerei.

  1. Boris Worm et al., Global shark fishing mortality still rising despite widespread regulatory change. Science383, 225-230(2024). DOI:10.1126/science.adf8984 ↩︎
  2. Andrew T. Fields et al. Species composition of the international shark fin trade assessed through a retail-market survey in Hong Kong, Conservation Biology (2017). DOI: 10.1111/cobi.13043 ↩︎

Update: erweiterter und überarbeiteter Beitrag. Mit neuem Datum wieder veröffentlicht.

Titelfoto: istock.com/lonelytravel


Was können Sie tun?

Verzichten Sie – auch im Urlaub – auf den Verzehr von Haiprodukten. Achten Sie dabei auf als Kalbsfisch, Seestör oder Schillerlocke „getarnte“ Haiprodukte.

Citizen Science – Bürgerforscher:
Mithilfe der sozialen Medien wollen Haiforscher mehr über Haie und Rochen im Mittelmeer herausfinden, um eine umfassende Datenbank über die Arten zu erstellen. Dafür wurde das MECO Project gegründet (Mediterranean Elasmobranch Citizen Observations): Denn je mehr wir wissen, umso besser können wir Arten schützen!

Die öffentliche Facebook-Gruppe heißt: Hai-Sichtungen Mittelmeer/Sharks of the Mediterranean. Dort können Sie Ihre Sichtungen melden … und staunen, welche Arten schon entdeckt wurden!

Bildspenden:
Sie haben einen Hai gesehen? Wir freuen uns immer über Bildmaterial (Foto, Video), denn: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte!


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