Wie effektiv sind Ozean-Filter gegen Plastikmüll?

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Das vom Niederländer Boyan Slat initiierte Projekt Ocean Cleanup will Unmögliches. Speziell entwickelte Ozean-Filter-Systeme (lange Meeresreusen) sollen 90 Prozent des gesamten Kunststoffabfalls aus den Weltmeeren „fischen“. Zuerst ist der Große Pazifische Müllteppich „Great Pacific Garbage Patch“ an der Reihe, trotz vielfältiger Kritik an Sinnhaftigkeit, Effektivität, Ressourcenverbrauch und Nachhaltigkeit des Vorhabens.

Projekt The Ocean Cleanup

Innerhalb weniger Jahre will The Ocean Cleanup die Hälfte des Plastikmülls aus dem Großen Pazifischen Müllstrudel herausfischen. Dieser Müllstrudel kreist im Pazifik, zwischen der Westküste der USA und Hawaii. Die dort im Uhrzeigersinn zirkulierende Mülldeponie erstreckt sich über eine Fläche von der Größe Zentraleuropas.

Wissenschaftler gehen mittlerweile davon aus, dass schwimmender Plastikmüll weniger als 1 % des weltweiten Plastikbestands in den Ozeanen ausmacht. Der überwiegende Teil sinkt auf den Meeresboden. Damit sind sie für Ozean-Filter unerreichbar. Weitere etwa 15 Prozent treiben Wind und Wellen gleich wieder an Land zurück. Vom verbleibenden Rest ist vieles als Mikroplastik bereits in so kleine Teile zermahlen, dass es von den Filtern nicht erfasst werden kann.

Erste Tests enttäuschten

Die von The Ocean Cleanup entwickelten Ozean-Filter bestehen aus mit Netzen bestückten Röhrensystemen. Das Versuchsmodell System 001 beispielsweise bestand aus zu einem Halbrund geformten schwimmenden Röhren. Die Systeme sollen an der Meeresoberfläche treibenden Plastikmüll abfischen. Anschließend wird der derart umarmte Müll in regelmäßigen Abständen von Versorgungsschiffen eingesammelt. Diese liefern ihn dann in an Land befindlichen Recyclinganlagen ab. Soweit die Theorie.

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System 001 auf dem Weg zum Great Pacific Garbage Patch

Am 9. September 2018 schließlich wurde es ernst. Ein 600 m langes Ocean-Cleanup-Rohr, System 001 oder „Wilson“ genannt, verließ im Schlepptau eines Versorgungstrawlers San Francisco in Richtung des Großen Pazifischen Müllstrudels (Great Pacific Garbage Patch). Am 3. Januar 2019 musste die Mission abgebrochen werden. Denn ein 18 m langes Teilstück des Cleanup-Geräts hatte sich selbstständig gemacht.

Neuer Versuch: System 002, „Jenny“

Ende Juli 2021 schließlich brach The Ocean Cleanup mit dem umkonstruierten, jetzt auf 800 m vergrößerten System 002, Codename „Jenny“, von der Basis im kanadischen Victoria (British Columbia) erneut zum Great Pacific Garbage Patch auf.

The Ocean CleanUp System 002 Jenny im Great Pacific Garbage Patch

System 002 „Jenny“ im Great Pacific Garbage Patch

Bei den bis Anfang September 2021 durchgeführten Tests war System 002 allerdings nur 120 Stunden (5 Tage) einsatzbereit. In dieser Zeit entfernte es 8,2 Tonnen Plastik aus dem Meer. Bei weiteren Tests sammelte „Jenny“ dann bis zum 22. September 2021 etwa 3,8 Tonnen Plastikmüll.

Bei allen neun Tests habe System 002 nach Angaben von The Ocean Cleanup insgesamt knapp 29 Tonnen auf der Meeresoberfläche treibenden Plastikmüll abgefischt. Ein recht bescheidenes Ergebnis. Denn allein im Großen Pazifischen Müllstrudel sollen Schätzungen zufolge etwa 79.000 Tonnen Plastikmüll herumtreiben – verteilt über eine Fläche dreimal so groß wie Frankreich. Geplant ist allerdings, dass bei längeren Testfahrten nun deutlich mehr Plastik zusammen kommt.

System 03

2022 stellte The Ocean Cleanup seine bisher größte Meeresreuse – das 2,2 km lange System 03 – vor, das seitdem im Einsatz ist.

Wie effektiv ist The Ocean Cleanup?

Angesichts des von Slat und seinen Mitstreitern seit 2013 ausgelösten Wirbels, „endlich die unfassbaren Mengen an Plastikteilen aus dem Meer entfernen zu können“, gehen gleich mehrere entscheidende Aspekte unter. Einer sind die Myriaden von Kleinstlebewesen (Quallenpolypen, Phyto- und Zooplankton, Fischlarven u. v. a. m.), die auf und an den treibenden Kunststoffteilen als Erstbesiedler neue Lebensräume gefunden haben. Auch deshalb warnen Experten seit Jahren vergeblich davor, dass The Ocean Cleanup oder andere Ozean-Filter mehr Schaden als Nutzen anrichten.

Sensibles Ökosystem in Gefahr – das Neuston

Zudem könnten die Sammelarme ein noch rätselhaftes Meeresökosystem zerstören – das Neuston. Dabei handelt es sich um lebende Inseln. Ende Januar 2019 machte Meeresforscherin Rebecca Helm von der University of North Carolina, Asheville, in The Atlantic auf diese sensiblen Meereslebensgemeinschaften aufmerksam. Sie sieht im Ocean-Cleanup-Filtersystem eine große Gefahr.

Auf dem Plastikmüll leben erstaunlich viele Tiere

Es gibt immer mehr Studien, die zeigen, dass viele planktonisch lebende Meerestiere auf den an der Wasseroberfläche flotierenden Plastikteilchen leben. Ein Forscherteam um Linsey Halram1 vom Smithsonian Environmental Research Center in Maryland entdeckte im großen pazifischen Müllstrudel aus 46 taxonomischen Gruppen stammende Organismen. Darunter Nesseltiere, Schwämme, Gliederfüßer und andere.

Kein Wunder. Harte, treibende Oberflächen, die für sessile (Korallen, Seepocken) und semi-sessile (Quallen) Meerestiere geeignet sind, sind natürlicherseits im Meer selten. Normalerweise herrscht eine starke Konkurrenz. Überraschend war jedoch, dass die Forscher auf viele Arten von Küstenarten auf den Plastikteilen stießen. Auf mehr als 70 % der untersuchten Proben fanden sie Arten, die nur in Küstennähe vorkommen.

Ressourcenverbrauch, Nachhaltigkeit, ökologischer Rucksack

Bislang zeigt sich, dass das Projekt vergleichsweise ineffektiv ist. Man verbraucht viele Ressourcen, ist weder klimafreundlich noch nachhaltig orientiert. Fraglich ist auch, ob die Geräte den harschen Bedingungen der Meeresrealität über längere Zeit standhalten. Hinzu kommt ein schwerer ökologischer Rucksack*.

The OceanCleanup System001B MaerskTransport Kutter.

Beim Einsatz der Versorgungsschiffe von The Ocean Cleanup, die weite Strecken zurücklegen (müssen), entstehen große Mengen des Klimagases CO₂ und andere Schadstoffe, wie Ruß, Schwefeloxide oder Stickoxide. Außerdem erhöhen sie die Unterwasserlärmbelastung in den befahrenen Gebieten.

Den Wasserhahn zudrehen, statt die Badewanne mit einem Fingerhut leeren!

Es bedarf globaler, grundlegender Änderungen bei Verbrauch und Umgang mit Kunststoffen. Ändert sich nichts, werden im Jahr 2040 schätzungsweise bis zu 29 Millionen Tonnen Plastikabfälle jährlich in den Ozeanen enden. Damit könnte man auf jedem Meter Küstenlinie der Welt 50 Kilogramm Plastikmüll abladen.

Die 13 Jahre alte Stella Alraun gewann mit ihrem Kurzfilm „Nightmare – Stop the plastic world“ beim Jugend-Contest der 4. Staffel von Energiefilm Züri den Online-Award als beliebtester Film.
  1. Haram, L.E., Carlton, J.T., Centurioni, L. et al. Extent and reproduction of coastal species on plastic debris in the North Pacific Subtropical Gyre. Nat Ecol Evol 7, 687–697 (2023). https://doi.org/10.1038/s41559-023-01997-y ↩︎

Alle Fotos: © The Ocean Cleanup


* Was ist der ökologische Rucksack?
Der ökologische Rucksack drückt das Gewicht aller natürlichen Rohstoffe aus, die für unseren Konsum anfallen. Sprich: alle Produkte inklusive ihrer Herstellung, Nutzung und Entsorgung. Für das Autofahren zählt man zum Beispiel nicht nur das Auto selbst und das Benzin, sondern anteilig auch die Eisenerzmine, die Stahlhütte und das Straßennetz.

Alle Rohstoffe zusammengezählt ergeben eine Maßzahl für die Belastung der Umwelt. Denn die Förderung von Rohstoffen ist nicht nur ein Eingriff in das natürliche Gleichgewicht der Erde, sondern wird als Abfall an die Natur zurückgegeben. Je weniger natürliche Rohstoffe wir verbrauchen, desto geringer sind auch unsere Umweltauswirkungen.

Mein ökologischer Rucksack | Der Ressourcenrechner des Wuppertal Instituts (ressourcen-rechner.de)
Quelle: Wuppertal Institut

Update: erweiterter und überarbeiteter Beitrag. Mit neuem Datum wieder veröffentlicht.


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