Delfine im Delfinarium – wie sinnvoll ist das?

Eine artgerechte Haltung von Walen und Delfinen (Cetaceen) ist nicht möglich. Daher lehnen wir die Gefangenschaftshaltung dieser Tierarten ab. Die Diskussion um das Thema Delfine im Delfinarium geht mittlerweile auch weit über technische Fragen über Beckenbeschaffenheit, Nahrung, Beschäftigung, Möglichkeiten für soziale Interaktionen usw. hinaus.

Orca im Loro Parque.
Orca in Gefangenschaft im Loro Parque auf Teneriffa,
© Jacqueline Schmid/Pixabay

Kaum ein Wissenschaftler oder ernsthaft mit dem Schutz dieser Säugetiere befasster Experte zweifelt heute noch daran, dass Delfine zu den Tieren zählen, die über ein Bewusstsein und eine ausgeprägte individuelle Persönlichkeit verfügen.

Unzweifelhaft handelt es sich um nichtmenschliche Personen. Auch von daher stellen sich zunehmend Fragen nach der ethischen Rechtfertigung für die Haltung der Delfine im Delfinarium.

Mehr als 3.600 Wale und Delfine sollen nach Angaben der britischen Organisation Born Free derzeit weltweit in Gefangenschaft leben. Bei den meisten handelt es sich um Delfine. Ganz überwiegend werden Individuen der Art Großer Tümmler in Delfinarien gehalten, daneben einige Orcas, Irawadi-Delfine und andere Arten. Bei den Walen überwiegen Belugas.

Ein Interview mit Ulrich Karlowski, Biologe von der Deutschen Stiftung Meeresschutz

Welche Rolle kann ein Delfinarium beim Schutz von Delfinen spielen?

Keine, wenn es um das Überleben der Art oder einzelner Populationen geht! Das öffentliche Vorführen von gefangenen Delfinen in einer einstudierten Show ist für den Artenschutz sogar kontraproduktiv. Hier wird das Bild ewig lächelnder Tierclowns vermittelt, die vermeintlich begeistert Kunststücke vorführen.

Delfine im Delfinarium: Trainerin steht auf der Stirn eines Orcas, Orlando-Seaquarium, Florida.
© matmoe/Pixabay

Vieles davon gehört nicht zum natürlichen Verhaltensrepertoire. Wie das Springen durch einen (brennenden) Reifen, oder Menschen, die auf Körper und Nase eines Großen Tümmlers oder Orcas stehen oder sich von ihm durchs Wasser ziehen lassen.

Im Delfinarium wird zudem der für Mensch-Tier-Interaktionen in der freien Wildbahn schädliche und für alle Beteiligten gefährliche Eindruck vermittelt, dass man diese Raubtiere bedenkenlos und beliebig anfassen und mit ihnen schwimmen kann. Hier besteht nicht nur die Gefahr gegenseitiger Verletzungen, sondern auch die gegenseitiger Krankheitsübertragungen.

Informative Inhalte zur Biologie und Bedrohungssituation der Meeressäuger in der freien Wildbahn spielen im Delfinarium – so es sie denn überhaupt gibt – eine dem Showcharakter untergeordnete Rolle.

Wie artgerecht kann die Haltung von Delfinen im Delfinarium gestaltet werden?

Überhaupt nicht! Delfine gehören zu den Tierarten, die man nicht artgerecht in Gefangenschaft halten kann. Die grundlegenden, natürlichen Verhaltensansprüche der Tiere lassen sich in der Gefangenschaftssituation nicht nachbilden. Abgesehen von den sich aus der natürlichen Lebensraumnutzung entstehenden physischen Rahmenbedingungen, wie Tiefe, Weite und Länge, Temperatur und Salzgehalt, ist hier besonders auf die spezielle, hochkomplexe Sozialstruktur der am häufigsten in Gefangenschaft gehaltenen Art Großer Tümmler (Tursiops truncatus) zu verweisen.

Großer Tümmler in der Adria bei Zadar mit Nachwuchs.
Eine Mutter-Kind-Gemeinschaft, © Ulrike Kirsch/DSM

Diese Art lebt in Fission-Fusion-Gesellschaften, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Mitglieder einer Gruppe ständig wechseln (können). Lediglich Mutter-Kind-Gemeinschaften bleiben über mehrere Jahre konstant zusammen.

Mitunter findet man auch Zweier-Bünde bei Männchen, sogenannte mitunter lebenslang bestehende „Männerfreundschaften“. Neben einzeln wandernden Tieren – was eher selten ist – treffen sich in freier Wildbahn Gruppen in häufig wechselnder Zusammensetzung und Größe.

Drei Orcas schwimmen eng zusammen.
© djmboxsterman/Pixabay

Diese Sozialstrukturen sind wissenschaftlich nur ansatzweise verstanden und untersucht. Sie lassen sich nicht annähernd simulieren. Selbst wenn man „nur“ den Begriff der „tiergerechten Haltung“ als Maßstab nimmt, also bei gravierenden Abstrichen an die sich aus der Habitatnutzung ergebenden Lebensansprüche.

Bei Orcas (Orcinus orca) wiederum lassen sich die überaus engen, familiären und mitunter lebenslangen bestehenden sozialen Bindungen in kein Delfinarium der Welt übertragen.

Im Rahmen der Proteste gegen Delfinarien wird unter anderem die Gabe von Beruhigungsmitteln kritisiert – wie ist hier die Faktenlage?

Für die Haltung im Delfinarium wird oft ein erheblicher tiermedizinischer Aufwand betrieben, wie die ständige Gabe von Beruhigungsmedikamenten. So verabreicht man den Tümmlern im Delfinarium Nürnberg regelmäßig Diazepam (besser bekannt als Valium). Der Wirkstoff wird angewendet, um körperliche und psychische Spannungs- und Erregungszustände zu behandeln. Er wirkt angst- und spannungslösend. Man spricht von einem Psychopharmakon. Bei uns Menschen ist es oft als Schlafmittel im Einsatz.

Grund hierfür ist die unnatürliche Gruppenzusammensetzung in einem Delfinarium, die für ein erhöhtes Aggressionspotenzial bei den Tieren sorgt. In der freien Wildbahn können die Tiere Konflikten ausweichen, was sie auch tun. Für Delfine im Delfinarium ist dieser Ausweg verschlossen. Oft ein ganzes Leben lang.

Der große veterinärmedizinische Aufwand zeigt, dass die Haltung im Delfinarium den Tieren keine adäquaten und schon gar keine artgerechten Lebensbedingungen bieten kann.

Sind sich diese Tiere ihrer Situation bewusst?

Die Diskussion um das Thema Delfinarium geht mittlerweile weit über die Fragen nach art- oder tiergerechter Haltung hinaus. Kaum jemand zweifelt noch daran, dass Delfine zu den Tieren zählen, die über ein Bewusstsein und eine ausgeprägte, individuelle Persönlichkeit verfügen. Unzweifelhaft handelt es sich um nichtmenschliche Personen.

Prof. Mike Tomasello, Professor für Psychologie und Neurowissenschaft an der Duke University und von 1998 bis 2018 Leiter des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, ist überzeugt: „Wie immer man es nimmt, es gibt keinen fundamentalen qualitativen Unterschied zwischen Mensch und den anderen Tieren, wenngleich es teilweise deutliche quantitative Unterschiede gibt, eben im Nachdenken, in der Handlungsplanung, der Kooperativität oder in der Sprache.“

Für den Psychologen, Wissenschaftsjournalisten und Zoodirektor Benjamin Mee ist es ein Verbrechen, Delfine zu töten. Ein Verbrechen, für das man, wie Benjamin Mee es fordert, ins Gefängnis gehört: „Dann sprechen wir von einem Mord und von einem Mörder.“

Ein Großer Tümmler wird zerlegt, Republik Kongo.
© Tim Collins

Welche Rechtfertigung für ein Delfinarium gibt es?

Der einzige, mit den ethischen Werten der meisten Menschengesellschaften erkennbare Rechtfertigungsgrund, (Tier-)Persönlichkeiten einzusperren, wäre, dass sie gegen Gesetze der Länder, in denen sie leben müssen, verstoßen hätten. Gesetze, die eine lebenslange Gefangenschaft fordern

Ganz unabhängig von der Frage nach den in einem Delfinarium herrschenden Lebensbedingungen muss sich unsere Gesellschaft der Frage nach der Rechtmäßigkeit nicht schuldhafter Gefangenschaft für nicht menschliche Personen stellen und Antworten darauf finden. Und das gilt nicht nur für Delfine. Es trifft auch zu für Gorillas, Bonobos, Schimpansen, Orang-Utans, Elefanten, Oktopusse und viele andere mehr.

Was bedeutet die Theory of mind?

Die aus wissenschaftlichen Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse zur Delfin-Kognition führten dazu, dass man zumindest der Art Großer Tümmler mittlerweile auch die „Theory of mind“ zuspricht. Das bedeutet, diese Tierpersönlichkeiten sind sich nicht nur ihrer selbst bewusst, sondern können sich auch in die Gefühls- und Gedankenwelt ihres Gegenübers versetzen. Sie sind fähig zu Empathie, zu Mitgefühl.

Nimmt man unser bisheriges, immer noch recht bescheidenes Wissen zu ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit zusammen, dann ist es nur folgerichtig, dass zahlreiche Wissenschaftler und Natur- und Tierschutz-Organisationen mittlerweile eine eigene „Delfin-Ethik“ und die Anerkennung als „nicht menschliche Personen“ fordern.

Einige wenige konkrete Folgen hatte dieses neue Denken bereits.

Im August 2012 erklärten die Bewohner der japanischen Insel Toshima die rund um die Insel lebenden Großen Tümmler zu Mitbürgern.

In Indien wurden Delfine im Jahr 2013 offiziell als nicht menschliche Personen anerkannt. Ihre Rechte und Lebensbedürfnisse müssen respektiert werden. Als direkte Folge kamen sämtliche Bauvorhaben für Delfinarien in Indien zum Erliegen, die Gefangenschaftshaltung von Delfinen und Walen wurde verboten.

Gut zu wissen: die Cambridge Declaration on Consciousness

Welche Auswirkungen hat die Haltung von Delfinen auf den Wildbestand?

Die Haltung der Delfine im Delfinarium hat keine Auswirkungen auf Wildbestände, eher das, was vorher passiert, wenn man sich mit der Frage des „Woher“ beschäftigt. Fangaktionen sind mit hohen Verlusten und schwerwiegenden Zerstörungen innerhalb frei lebender Delfingesellschaften durch die Entnahme aus Sicht des Menschen besonders „wertvoller“, „geeigneter“ Tiere, meist junger Weibchen, verbunden.

Fischer aus Taiji, Japan, fangen bei ihren jährlichen Delfinmassakern auch Delfine für Delfinarien, Japan.
Fischer aus Taiji haben eine Gruppe Delfine eingekreist,
© Ric O’Barry

Lokal können Wildpopulationen im Bestand geschädigt werden. Viele, überwiegend traumatisierte Tiere, stammen aus der grausamen Delfinjagd vor der japanischen Küste in Taiji.

Die jährliche Abschlachtung mehrerer Hundert Kleinwale finanziert sich hauptsächlich aus dem Verkauf am Leben gelassener Einzeltiere, da das Fleisch aus der Schlachtung der Meeressäuger in Japan zunehmend unbeliebter wird.

Erfreulicherweise untersagen einige regionale Schutzabkommen, wie z. B. ACCOBAMS (Abkommen für Cetaceen im Mittelmeer und Schwarzen Meer) den Handel mit lebenden Exemplaren. Es hatte sich gezeigt, dass fortwährende Entnahmen Großer Tümmler aus der Population des Schwarzen Meers für Zoos und Vergnügungsparks sich zunehmend negativ auf den Bestand auswirkten.

Unterscheidet sich die Lebenserwartung von Delfinen im Delfinarium und in der Wildnis?

Auch hoch entwickelte, anspruchsvolle Tiere können in Einzelfällen in Gefangenschaft sehr alt werden. Im Februar 2017 verstarb der weltweit älteste Delfin „Skinny“ im Delfinarium Harderwijk nach fast 50 Jahren Gefangenschaft im Alter von ca. 55 Jahren an einem Tumor.

Die durchschnittliche Lebenserwartung beim Großen Tümmler liegt in freier Wildbahn bei etwa 30 Jahren bis zu 50 Jahren. Orcas sollen in freier Wildbahn sogar bis zu 80 Jahre erreichen können. Genaue Vergleiche sind nicht möglich. Weder „melden“ sich wild lebende Tiere zum Sterben ab, noch sind die Betreiber der Delfinarien ernsthaft an der Veröffentlichung von Statistiken zu Todesfällen interessiert.

Die hohe Sterberate gerade in Delfinarien in China oder auf der Arabischen Halbinsel, in der Türkei, Mexiko oder anderen Schwellenländern hat zur Folge, dass die durchschnittliche Lebenserwartung in Gefangenschaft deutlich unter der wild lebender Tiere liegt. Mit ein Grund, weshalb der internationale Handel mit Tieren aus der Taiji-Delfinjagd floriert: Es wird konstant „Nachschub“ an frisch gefangenen Delfinen benötigt.

Das winzige Becken von Orca Lolita im Miami Seaquarium.

Am 18. August 2023 starb das Orca-Weibchen Lolita im Alter von ca. 57 Jahren im Seaquarium Miami, USA. Man darf wohl sagen: Endlich ist Lolita frei. Denn sie musste über 50 Jahre ihres Lebens in Gefangenschaft verbringen. Die meiste Zeit war sie allein, ohne Artgenossen, in einem winzigen Becken.

Das traurige Schicksal von Orca Lolita

Titelfoto: © Kristopher Matte / pixabay


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