Delfintherapie

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Das Geschäft mit der Delfintherapie, im Englischen dolphin-assisted therapy (DAT), boomt. Weltweit gibt es Einrichtungen, in denen erkrankte oder behinderte Menschen, vor allem auch Kinder, mit in Gefangenschaft lebenden Delfinen schwimmen können. Die Anlagen reichen von kleinen Becken bis zu Meeresgehegen. Die Delphintherapie ist jedoch stark umstritten, zumal ihre Wirksamkeit, von einzelnen kurzfristigen Erfolgen abgesehen, bislang wissenschaftlich nicht erwiesen ist.

Delfine sind sozial hochentwickelte Meeressäuger, die in Gefangenschaft kein artgerechtes Leben führen können. Egal, ob in Delfinarien oder Einrichtungen zum „therapeutischen“ oder nur zum „einfachen“ Schwimmen mit Delfinen.

Delfine als schwimmende Goldesel

Mit dem Delfinschwimmen und der DAT lässt sich sehr viel Geld verdienen. So kostet eine meist empfohlene 14-tägige Delfintherapie in der Regel mehrere Tausend Euro, Reise- und Unterbringungskosten nicht mit einberechnet.

Raubtiere als Therapeuten?

Ob Depressionen, Autismus, Kinderlähmung, geistige und körperliche Behinderungen – vom Schwimmen mit den Meeressäugern verspricht man sich Linderung oder Heilung bei diversen Krankheitsbildern. Als Grund hierfür wird vorwiegend das freundliche Wesen der Delfine gegenüber Menschen genannt. Aber auch die Biosonar-Ultraschallwellen der Meeressäuger sollen heilen können.

Delfintherapie ist wirkungslos: Großer Tümmler im Delfinarium

Das vermeintliche „Lächeln“ der Großen Tümmler wird ihnen oft zum Verhängnis. Es täuscht Menschen darüber hinweg, dass ein Delfinleben in Gefangenschaft kein Vergnügen ist. Foto: mikakaptur/Pixabay

Ihren Ursprung dürfte die Faszination, die diese Tierart auf uns Menschen ausübt, in einem im Tierreich einzigartigen Phänomen haben: Delfine sind Raubtiere und doch nähern sie sich dem Menschen neugierig und freundlich. Sogar Schiffbrüchige haben sie schon gerettet. Diese artübergreifende „Hilfsbereitschaft“ hat sicherlich auch dazu beigetragen, dass man ihnen im Laufe der Zeit allerlei heilbringende Eigenschaften andichtete.

Anfänge der Delfintherapie

Die Delfintherapie kam in den 1970er-Jahren auf. Die Gründung wird sowohl dem Neuropsychologen und Verhaltensforscher Dr. David Nathanson als auch der amerikanischen Anthropologin Betsy Smith zugeschrieben. Sie distanzierte sich später jedoch davon: „Manche Therapeuten, die keinerlei Kenntnisse über Delfine haben, berechnen exorbitante Honorare für Behandlungen, die man auch ohne Delfine durchführen könnten. […] Im Kern all dieser Therapieprogramme steht die Ausbeutung von verletzlichen Menschen und verletzlichen Delfinen“, wie sie 2003 in einem Essay schrieb.

Delfintherapie: unfundierte Heilversprechen

Tatsächlich gibt es keine Studien, die Heilungserfolge durch DAT belegen. Bisherige Untersuchungen zur Delfintherapie enthielten derart eklatante methodische Mängel, dass eine nachhaltige positive Wirksamkeit nicht nachweisbar sei, wie die Delfinexpertin und Neurowissenschaftlerin Dr. Lori Marino gemeinsam mit ihrem Kollegen Scott Lilienfeld herausfand.

So wurden laut Morino keinerlei Kontrollstudien über sogenannte „unspezifische“ Wirkfaktoren durchgeführt. Damit sind Besserungen gemeint, die nicht speziell mit den Delfinen in Zusammenhang stehen, sondern zum Beispiel auf eine neue Umgebung oder fremde Menschen zurückzuführen sind. Auch fehlten Vergleichsstudien mit anderen Tieren, wie Hunden, oder Studien über Therapien ohne Tiere, die unter ähnlichen Bedingungen wie die DAT durchgeführt würden. Demnach könnten viele Faktoren, wie sonnige Umgebung, Wasser und intensive Beschäftigung mit dem Patienten, für die vereinzelt berichteten Besserungen von Patienten verantwortlich sein.

Auch die vermeintlich heilsame Wirkung von Ultraschallwellen des Delfin-Biosonars wurde 2003 vom Delfinexperten Dr. Karsten Brensing und seinen Kollegen von der Freien Universität Berlin nicht bestätigt. In ihrer Untersuchung „Can dolphins heal by ultrasound?“ machten sie nebenbei eine interessante Beobachtung: „… Viele Patienten interagierten in den ersten Sitzungen nur zögerlich mit den Delfinen, weil sie vor den riesigen, unbekannten Tieren Angst hatten“.

Leid in Gefangenschaft

„Der Große Tümmler, die Delfinart, die bei der Delfintherapie zum Einsatz kommt, ist ein hoch entwickeltes Meeresraubtier. Große Tümmler leben in komplexen Fission-Fusion-Gesellschaften, die nur ansatzweise erforscht und verstanden sind. Es sind die komplexesten sozialen Gesellschaftsstrukturen unter nicht menschlichen Säugetieren überhaupt. Wie andere Delfinarten auch besitzen Große Tümmler ein Ich-Bewusstsein, haben Humor, zeigen Empathie und trauern um ihre Toten. Hinzu kommt, dass sie verschiedene Kulturen entwickeln. Diese geben sie über Lernerfahrungen an ihre Nachkommen weiter. Nicht umsonst fordern daher auch zahlreiche Wissenschaftler eine eigene Delfin-Ethik und die Anerkennung eines besonderen Status für Delfine als nicht menschliche Personen“, sagt Diplom-Biologe Ulrich Karlowski von der Deutschen Stiftung Meeresschutz.

Wirkungslose Delfintherapie: Großer Tümmler spielt mit einem Ball.

Die Beschäftigung der Tiere in Gefangenschaft hat nichts mit dem natürlichen Verhalten von Delfinen in freier Wildbahn zu tun. Ihr Leben in Delfinarien oder Meeresbecken ist ein artfremdes. Foto: Christels/Pixabay

Gefahren für wild lebende Delfinpopulationen

Da Delfine in Gefangenschaft außerhalb Europas meist aus freier Wildbahn stammen, hat die Entnahme einzelner Tiere für die Bestandserhaltung lokaler Populationen dramatische Konsequenzen. Grundsätzlich besteht durch den hohen „Verschleiß“ von Delfinen in Gefangenschaft großer Bedarf an „Nachschub“. Denn ihre Lebenserwartung ist aufgrund des artwidrigen Lebens und des durch die häufigen erzwungenen Kontakte mit Menschen beim Delfinschwimmen verursachten Stresses deutlich kürzer.

Bei den mit brutalen Methoden durchgeführten Fangaktionen erleiden die intelligenten Meeressäuger ein extremes Trauma. Die Verlustraten während des Fangs und in den ersten Monaten in Gefangenschaft liegen bei ca. 50 %. Da Delfinarien – der besseren Verträglichkeit in der Gruppe wegen – bevorzugt weibliche Tiere halten, schädigt die Entnahme die Überlebensfähigkeit der betroffenen Population. Ebenso werden soziale Verbände auseinandergerissen und dabei wichtige soziale Bindungen zerstört.

Diesen Fakten wurde 2014 erstmals in der Artenschutzkonferenz CMS (Convention on the Conservation of Migratory Species) mit einer Resolution gegen Lebendfänge von Delfinen und Walen für Delfinarien Rechnung getragen. Die CMS-Mitgliedsländer sind angehalten, nationale Gesetze zu schaffen, die den Fang wild lebender Delfine und Wale zu kommerziellen Zwecken verbieten.

Blutiges Geschäft

Etliche „Therapie-Delfine“ stammen aus den brutalen Delfinjagden im japanischen Taiji. Fischer treiben Hunderte von Delfinen in eine Bucht, wo sie bis auf wenige Exemplare alle abschlachten.

Delfinmassaker in Japan

Bei der jährlichen Delfintreibjagd im japanischen Taiji kommen jedes Jahr Hunderte von Delfine ums Leben. Einige der Meeressäuger lässt man am Leben, um sie weltweit in Delfinarien zu verkaufen. Manche von ihnen müssen sogar in der Delfintherapie zu Diensten sein. Der Aktivist Ric O’Barry kämpft seit Jahrzehnten gegen die grausamen Delfinmassaker in Taiji. Foto: Ric O’Barry, Dolphin Project

Während die meisten Tiere zum menschlichen Verzehr getötet werden, ist der Hauptantrieb für diese Barbarei der lukrative Erlös aus dem Verkauf von lebenden Delfinen. Denn einige „besonders schöne“ Exemplare sortiert man aus, um sie an Delfinarien in der ganzen Welt zu verkaufen. Bis zu 200.000 Dollar legen Händler für einen Großen Tümmler auf den Tisch. Er ist die häufigste Art in Delfinarien und in der Delfintherapie.

Delfintherapie: Hohe Risiken für Mensch und Tier

Häufig vergessen „Delfin-Schwimmer“, dass Delfine Raubtiere sind. Arten wie der Orca, aber auch der Große Tümmler, Gemeine Delfine und Kleine Schwertwale beherrschen die wahrscheinlich höchstentwickelte Form der Jagd im gesamten Tierreich: die Jagd im sozialen Verband mit genauer Aufgabenteilung und Absprache. „Niemand würde auf die Idee kommen, ausgewachsene Löwen, deren Jagdtechnik, der der Delfine verwandt ist, in freier Wildbahn oder im Zoo anzufassen, sie zu streicheln oder sich von ihnen tragen zu lassen“, verdeutlicht Ulrich Karlowski.

Das Schwimmen mit Delfinen, besonders in einer Gefangenschaft-Situation, kann für den Menschen gefährlich sein. Die vermeintlich ewig lächelnden Großen Tümmler können gelegentlich auch aggressives Verhalten an den Tag legen oder im Spiel oder bei der Balz grob werden.

Verletzungen und Infektionen

Ein höheres Aggressionspotenzial besteht allein schon durch die artwidrige Haltung in Gefangenschaft. Denn sie erhöht das Risiko von Bissen und Verletzungen durch stressbedingte Beiß- oder Rammattacken mit ungeahnten und gefährlichen Folgen. So kann ein erwachsener Großer Tümmler seine bis zu 600 kg Körpergewicht mit unglaublicher Schnelligkeit durchs Wasser katapultieren.

Hinzu kommen Infektionsrisiken von Mensch auf Delfin und umgekehrt. Erkrankungen können außerdem hervorgerufen werden durch einen hohen Anteil an Fäkal- und Fäulnisbakterien durch Nahrungsreste in ungenügend gefiltertem Wasser. Aber auch durch eine Vielzahl von Mikroorganismen, die üblicherweise in einem Aquarium oder in einer Meerwasserumgebung auftreten, sowie durch Mikroorganismen, die zur normalen Flora der Meeressäuger gehören.

Tiere öffnen Herzen

Hund

Tiere öffnen Herzen. Es gibt gute Alternativen zur Delfintherapie: nämlich tiergestützte Therapien mit Haus- und Nutztieren, zum Beispiel mit Hunden. Foto: U. Kirsch/DSM

Dass Tiere Herzen öffnen können, ist kein Geheimnis. Doch es gibt wesentlich bessere und tierfreundlichere Alternativen zur DAT: Als „Therapeuten“ fungieren hier unter anderem Hunde, Pferde oder Esel.

Anders als Delfine, die aus ihrem natürlichen Lebensraum gerissen werden, um in Gefangenschaft ein artfremdes, dressiertes Dasein zu fristen, handelt es sich bei diesen „Therapeuten“ jedoch um Haus- und Nutztiere. Sie sind domestiziert und können in menschlicher Umgebung ein tiergerechtes Leben führen. Diese tiergestützte Therapieform bietet viele Vorteile: Sie kann einer Therapie im eigentlichen Sinne tatsächlich gerecht werden, weil man sie längerfristig anlegen kann. Außerdem ist sie deutlich kostengünstiger und kommt ohne Tierleid aus.

„Vielleicht ist es an der Zeit, die Delfine endlich in Ruhe zu lassen“

Betsy Smith, Anthropologin

Text: Ulrike Kirsch, Februar 2022


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