Seegras – Seegraswiesen

Ist Seegras die „Wunderwaffe aus dem Meer“ gegen die Klimakatastrophe? Bislang vielfach unterschätzt, häufen sich mittlerweile die Erkenntnisse über das Potenzial von Seegraswiesen als bedeutende CO₂-Senke.

Im Allgemeinen steht Pflanzenschutz weniger im Fokus als der Schutz von Tieren. Seegras jedoch könnte ein Beispiel dafür werden, wie sich die sogenannte „Pflanzenblindheit“ überwinden lässt. Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit naturbasierten Lösungen (Nature-based Solutions, NbS).

Je nach Standort haben die Meereswiesen eine 30- bis 50-mal höhere CO₂-Senkungsrate als Wälder. Je nach Art speichert eine ein Hektar große Seegraswiese dieselbe Menge Kohlenstoff wie zehn Hektar Wald und das auch noch 35-mal schneller. Schätzungen sprechen sogar davon, dass Seegraswiesen weltweit bis zu 15 Prozent des vom Ozean aufgenommenen CO₂ binden. Dabei bedecken sie schätzungsweise nur etwa 0,2 Prozent des Meeresbodens.

Zur aktuellen weltweiten Bedeckung reichen die Schätzungen von 160.387 bis 266.562 km2. Allein dies zeigt, wie wenig man über den Zustand der Meereswiesen weiß.

Seegras produziert Unmengen an lebenswichtigem Sauerstoff. Außerdem sind die Unterwasserwiesen Hotspots der Biodiversität. Sie schützen Küsten vor Zerstörung, reinigen und filtern das Meerwasser, reduzieren die Ozean-Versauerung.

Weniger als 20 % aller Seegraswiesen sollen bislang vollständig kartiert sein. Man weiß nicht einmal, wie eine „unberührte“ Seegraswiese aussieht, was dazu führt, dass wir ihre wahre ökologische Rolle nur unzureichend verstehen. Es besteht ein enormes Forschungsdefizit.

Für den Erhalt der Artenvielfalt in den Ozeanen und den Kampf gegen die Klimakatastrophe muss die Zerstörung von Seegraswiesen gestoppt und, dort, wo es möglich ist, müssen diese wiederhergestellt werden. Dabei hat Priorität, die Renaturierung vorrangig dort durchzuführen, wo es sie einmal gegeben hat.

Projekte zur Renaturierung von Seegraswiesen

Mission Förde: aktiver Meeresschutz in der Flensburger Förde.

Flensburger Förde
mit Mission Förde e.V.

Vielfältiger Lebensraum für unzählige Arten

Seegraswiesen sind wie Mangrovenwälder und Korallenriffe unverzichtbar für die marine Biodiversität. Sie sind Lebensraum und Kinderstube für unzählige Knochenfische, Krebstiere, Tintenfische oder Rochen, Haie, Meeresschildkröten und andere Meerestiere.

Da eine Seegraswiese den Wellengang dämpft, können hier zahlreiche kleinere Meerestiere leben, die ansonsten von der Strömung weggetragen würden. Andere ernähren sich vom Algenbewuchs auf der Oberfläche der Blätter. In den Meereswiesen finden Jungfische Schutz vor Feinden und Nahrung. Verschiedene Fischarten legen ihre Eier direkt an Seegraspflanzen ab.

Seegras ist wie die Serengeti des Meeres

Emmett Duffy, Ökologe an der Smithsonian Institution, Hakai Magazine

Überdies ist Seegras eine bedeutende Nahrung für Zugvögel – beispielsweise für die Ringelgänse während ihres Herbstzuges durch das westeuropäische Wattenmeer.

Für Seekühe oder Grüne Meeresschildkröten sind Seegräser die Hauptnahrungsgrundlage. Es gibt sogar einen Hai, der nicht nur Tintenfische, sondern auch gerne mal Seegras frisst: der Schaufelnasen-Hammerhai (Sphyrna tiburo), auch Kleiner Hammerhai genannt.

Große Krabbe am Meeresgrund in einer Seegraswiese.
Experten gehen davon aus, dass 4.000 Quadratmeter Seegraswiese etwa 40.000 Fischen und rund 50 Millionen wirbellosen Tieren (u. a. Hummer, Oktopoden, Garnelen) Lebensraum und Nahrung bieten. © Michie Vos/Ocean Image Bank

Seegras ist ökologisch einzigartig. Es wächst länglich und krautartig. Die Unterwasserpflanzen sehen zwar aus wie Gräser an Land, sind mit diesen aber nicht näher verwandt. Sie gehören zur Ordnung der Froschlöffelartigen (Alismatales). Man vermutet, dass sie vor 110 bis 120 Millionen Jahren in der Kreidezeit entstanden.

Weltweit gibt es ca. 60 Seegras-Arten aus vier Familien. Darunter ca. 20 Arten in der Familie der Seegrasgewächse (Zosteraceae) und wahrscheinlich 9 Arten aus der Familie der Neptungrasgewächse (Posidoniaceae).

Seegraspflanzen bilden vornehmlich auf sandigen Meeresböden im flachen Küstenbereich dichte Bestände als Pflanzengesellschaft – Seegraswiesen. In den Blättern der Pflanzen befinden sich luftgefüllte Kanäle. Sie sorgen für den notwendigen Auftrieb unter Wasser. Bei Ebbe, wie in der Nordsee im Wattenmeer, liegen die Wiesen schlaff auf dem Wattboden.

Zum Leben benötigen die Meeresgräser viel Sonnenlicht. Per Fotosynthese entzieht Seegras dem Meerwasser Kohlendioxid und produziert im Gegenzug Sauerstoff. Daher findet man sie meist in Wassertiefen von 1 m bis 10 m. Manche Arten kommen allerdings auch in tieferen Meeresregionen vor. Karibisches Seegras (Halophila decipiens) aus der Familie der Froschbissgewächse (Hydrocharitaceae) mit seinen gestielten, paddelförmigen Blättern wurde auch in einer Wassertiefe von bis zu 85 m gefunden. Man findet Seegraswiesen an den Küsten fast aller Kontinente. Nur in der Antarktis fehlen sie.

Hat die Pflanze Wurzeln eignet sie sich, zum Seegras pflanzen.

Seegras-Pflänzchen an der Ostseeküste. © U.Kirsch

Seegraspflanzen bestehen aus oberirdischen Trieben, Blättern, Wurzeln und Wurzelstöcken, sogenannten Rhizomen unter dem Meeresboden. Auf nur einem Quadratmeter einer Wiese können 1.000 oder mehr Sprosse wachsen. Die Rhizome bilden mit der Zeit dichte Matten. Bei einem Wachstum von 1 bis 2 cm im Jahr können sie in 250 bis 500 Jahren mitunter bis zu 5 m dick werden.

Die CO₂-Speicherfunktion von Seegraswiesen entsteht also nicht nur in den Blättern, sondern vor allem in unterirdischen Teilen der Pflanzen. Zusätzlich stabilisiert und festigt ihr dichtes und stabiles Wurzelgeflecht den Meeresboden und verhindert, dass dort eingeschlossener Kohlenstoff (Blue Carbon) entweicht.

Das von uns unterstützte Project Manaia – Meeresschutz im Mittelmeer – erforscht und renaturiert Seegraswiesen des auch Lunge des Mittelmeers genannten Neptungrases (Posidonia oceanica). Es wächst langsam, ca. 1,5 bis 2 cm im Jahr, wird bis 1,5 m groß, hat ca. 1 cm breite Halme, kann mehrere Tausend Jahre alt werden und ist im Mittelmeer endemisch. An deutschen Küsten leben zwei Arten: Großes Seegras (Zostera marina) und Zwergseegras (Zostera noltei). Beide Arten gelten als nicht gefährdet.

Neptungras ist auch aus einem anderen Grund eine besondere Meerespflanze. Es kann Stickstoff mithilfe einer symbiotischen Beziehung zu stickstofffixierenden Bakterien binden. Ganz so, wie Hülsenfrüchte an Land (Bohnen oder Erbsen). Das ist im Ozean außergewöhnlich. Erst vor wenigen Jahren entdeckte ein Forscherteam des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen diese Symbiose.

Seegras wird seit Jahrhunderten von Küstenvölkern traditionell genutzt. Als Nahrungsmittel, Füll- und Dichtmaterial, für Tierfutter und Dünger oder medizinische Anwendungen. Außerdem haben Seegraswiesen eine wichtige Küstenschutzfunktion und verbessern als natürlicher Meeresfilter die Wasserqualität. Überragend ist ihre Funktion als natürliches CO₂-Speichersystem. Seegraswiesen schaffen eine dreidimensionale Umgebung mit hoher Biodiversität. Zudem schützen sie angrenzende Küstenökosysteme wie Mangrovenwälder und Korallenriffe und deren Artenvielfalt.

Die derzeitige globale Kohlenstoff-Speicherkapazität von Seegraswiesen soll bei jährlich bis zu 300 Millionen Tonnen liegen1. Vorteilhaft dabei ist, dass sie ihre Speichertätigkeit größtenteils unterirdisch entfalten. Für lange Zeit der Umwelt entzogenen Kohlenstoff nennt man „blauen Kohlenstoff“ oder Blue Carbon.

Seegraswiesen sind als Kohlenstoff-Speicher unterschiedlich effektiv. Seegräser in einer Bucht bei der Insel Thurø vor Dänemark speichern pro Quadratmeter etwa 27 Kilogramm Kohlenstoff im Meeresboden. Damit ist die dänische Meereswiese zehnmal so effektiv wie vergleichbare Wiesen bei uns an der Ostseeküste.

Dennoch zeigt ein Forschungsprojekt um die Meeresforscherin Angela Stevenson des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel, dass die Seegrasflächen in der Ostsee zwei- bis sechzig Mal so reich an organischem Kohlenstoff sind wie Meeresböden ohne Seegrasbedeckung. Die Forscher haben berechnet, dass allein die 285 km2 Seegrasflächen in der Ostsee, von deren Existenz man weiß, pro Jahr unglaubliche 29 bis 56 Tonnen CO₂ speichern.

Zum Kohlenstoff-Speicherpotenzial von Posidonia (Neptungras) im Mittelmeer gibt es noch keine vergleichbaren Berechnungen. Es ist in jedem Fall pro Quadratmeter mehr als ein Regenwald und ein Vielfaches dessen, was ein europäischer Mischwald schafft.

Im Mai 2022 veröffentlichten Forscher vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie (MPIMM) in Bremen eine Studie, die zeigt, dass Seegräser überschüssigen Kohlenstoff in Form von Zucker im umgebenden Meeresboden speichern können. Die Konzentration von Zucker (Saccharose) in den untersuchten Wurzelstöcken vor Elba, in der Karibik und in der Ostsee war mindestens 80-mal so hoch wie alles, was bisher im Meer gemessen wurde.

Der Clou daran ist: Die Meereswiesen schützen ihre Zuckervorräte vor dem Abbau durch Mikroben. Sie geben zusätzlich Phenole ins Sediment, das hält Mikroben ab. Die Bremer Forscher schätzen, dass im Wurzelbereich von Seegraswiesen weltweit ca. 600.000 bis 1,3 Millionen Tonnen Zucker lagern – so viel wie in 32 Milliarden Dosen Cola.

Erst seit wenigen Jahren hat man begonnen, die Bedeutung von Seegraswiesen für den Küstenschutz zu erkennen. Deutlich wird dies jeweils dann, wenn ihre Schutzfunktion ausbleibt. Entweder, weil sie abgestorben sind oder zerstört wurden. Erste Untersuchungen zeigen, dass die Unterwasserwiesen ein erhebliches Potenzial bei der Dämpfung von Wellen und für die Stabilisierung des Meeresbodens haben. Je nach Situation vor Ort können Seegraswiesen Wellen mindestens um 25 bis 45 Prozent dämpfen, bevor diese auf die Küste treffen.

Mittlerweile halten Seegraswiesen verstärkt Einzug in Konzepte zu ökosystembasierten, „weichen“ Küstenschutzlösungen. Diese können auch in Kombination mit „harten“ Küstenschutzmaßnahmen wie Wellenbrechern oder Deichen wesentlich zu einem kosteneffizienten und langfristig wirksamen Küstenschutz beitragen. Abgesehen von den vielen Vorteilen für den Klimaschutz und die Artenvielfalt.

Seegras und Korallen
Seegras und Korallen, Australien. © Matt Curnock/Ocean Image Bank

Im Januar 2021 gesellte sich zu den bis dahin bekannten Ökosystemleistungen von Seegraswiesen eine weitere hinzu. Seegräser des im Mittelmeer endemischen Neptungrases (Posidonia oceanica) sind eine potente biologische Senke für Plastikmüll. Denn sie filtern und fixieren beträchtliche Mengen am Meeresboden treibender, kleinteiliger Plastikabfälle und Mikroplastik.

An Stränden auf Mallorca fanden Wissenschaftler der Universität Barcelona2 bis zu 1.470 Kunststoffartikel pro kg Posidonia-Pflanzenmaterial. Vor Mallorca treibt nicht nur der meiste Plastikmüll im Mittelmeerraum im Meer, es gibt hier auch ausgedehnte Seegraswiesen.

Posidonia-Seegraswiesen fangen und bremsen am Meeresboden treibende Plastikfragmente. Wenn das Seegras dann im Herbst seine Blätter abwirft, werden die Kunststoffreste vom Wellengang in die Blätter gewebt. Nach diesem Prozess landen große Mengen von abgeworfenem Seegras auch in Form der berühmten Seebälle oder Neptunkugeln an die Strände. Darin enthalten sind kleine Kunststoffabfälle, Fasern, Pellets und Mikroplastik.

Posidonia-Seegraswiesen im Mittelmeer sind eine bedeutende Senke für Plastikmüll.
Auffangen von Plastikmüll in einer Posidonia-Seegraswiese. © https://doi.org/10.1038/s41598-020-79370-3

Bis 2021 wusste man nur wenig über das Schicksal von auf dem Meeresboden lagernden Abfällen aus Mikroplastik und kleinteiligen Kunststoffresten. Nach Berechnungen der spanischen Wissenschaftler könnten allein die Neptunkugeln im Mittelmeer jedes Jahr bis zu 867 Millionen Plastikteile aus dem Meer filtern und zurück an Land transportieren. Damit sind Posidonia-Seegraswiesen auch ein potenter Faktor bei der Säuberung des Meeres von kleinteiligem Plastikmüll und Mikroplastik.

Wie man mit den Plastik belastenden Neptunkugeln adäquat umgehen soll, bedarf allerdings noch weiterer Untersuchungen.

Heutzutage wird Seegras auch in großem Stil in Aquakultur gezüchtet. Führend sind hier China und Indonesien mit 85 Prozent der weltweiten Produktionsmenge. 2018 produzierten die Algen- und Seegrasfarmen in Ost- und Südostasien 32,4 Millionen an Biomasse für die Lebensmittelproduktion. Die Zucht gilt als umweltfreundlich, hat aber ein eher schwaches Klimapotenzial.

Seegras hat eine entscheidende Funktion bei der Filterung von Küstengewässern. Intakte Seegraswiesen halten Partikel (einschließlich Mikroplastik) zurück, absorbieren Stickstoff aus der Wassersäule, recyceln Nährstoffe und beseitigen Bakterien und Viren. Damit tragen sie auch zu einer besseren Hygiene im Meerwasser und zur Gesundheit und Wohlbefinden des Menschen bei.

In Seegraswiesen in der Ostsee finden sich 63 Prozent weniger gefährliche Vibrionen-Bakterien (Vibrio vulnificus und Vibrio cholerae) als im Vergleich zu Flächen, auf denen es keine Seegräser gibt.

Seegraswiesen verringern mit ihrer CO₂-Speicherfähigkeit außerdem die lokale Versauerung des Meeres – vor der Küste von Kalifornien zum Beispiel um bis zu 30 Prozent.

Wie bei Mangrovenwäldern und Korallenriffen sind auch die Meereswiesen auf dem Rückzug. Seit 1980 sollen jährlich ein bis sieben Prozent an Seegrashabitaten pro Jahr verloren gehen. Das ist allerdings nur eine grobe und umstrittene Schätzung. Nach Berechnungen von Experten der UNEP (Umweltprogramm der Vereinten Nationen) sind zwischen 1970 und 2000 weltweit etwa 30 % Seegraswiesen verloren gegangen (UNEP-Plattform „Oceans and seas“).

Mittlerweile ist circa ein Viertel aller Seegrasarten bedroht und steht auf der Roten Liste. Die Gründe hierfür sind vielfältig.

Durch den Eintrag von Düngemittelrückständen wie Phosphat aus der industriellen Landwirtschaft kommt es in küstennahen Regionen zu starkem Algenbewuchs, der durch Lichtkonkurrenz Seegräsern das Leben schwer macht. Meeresverschmutzung durch ausgeschwemmte Mutterböden von Land verschlechtert die Wasserqualität.

Überwuchertes Geisternetz im Seegras

Die Erhitzung der Meere und der damit verbundene stärkere Wellengang sowie Plastikmüll setzen Seegräsern zu. © Dimitris Poursanidis/Ocean Image Bank

Grundschleppnetzfischer vernichten Seegraswiesen in großem Stil.

Seegraswiesen werden auch aus touristischen Gründen zerstört, in der Annahme, dass Urlaubsgäste unbewachsenen, sandigen Meeresgrund bevorzugen. Hinzu kommen Schäden durch fahrlässiges Ankern oder schlechte Bootsführung durch Fahren über zu flachem Grund.

Seegräser sind nur bedingt hitzetolerant. Nach einer Hitzewelle 2010 bis 2011 waren im Shark Bay Marine Park in Westaustralien bis zu 699 km2 Meereswiesen verloren oder beschädigt. Es dauerte drei Jahre, bis sie begannen, nachzuwachsen.

Die Seegras-Bestände in der Ostsee sind laut Einschätzung der Helsinki-Kommission zum Schutz der Ostsee (HELCOM) stark gefährdet. Dies liegt an der starken Nährstoffzufuhr, die einerseits das Wasser trübt (Küstenverdunklung), andererseits zur Überwucherung durch Algen führt. Seegraswiesen sind in Deutschland als gefährdete Biotope der Roten Liste gesetzlich geschützt.

Wir setzen uns als Partner des Bündnisses Seas At Risk für ein Verbot der Grundschleppnetzfischerei ein und unterstützen die Petition von Patagonia für den Stopp bodenberührender Fischerei in Meeresschutzgebieten.

Theoretisch können Seegräser unendlich alt werden. Denn sie verbreiten und vermehren sich hauptsächlich ungeschlechtlich über unterirdische Ausläufer. Das Lebensalter der Seegräser der zwischen Schweden und Dänemark liegenden Åland-Inseln schätzen Forscher auf 800 bis 1.600 Jahre. Gabriele Procaccini, Meeresbiologe an der Zoologischen Station Neapel, datierte einige Posidonia-Wiesen im Mittelmeer auf ein Alter von 2.000 bis 3.000 Jahren.

Im Juni 2024 veröffentlichte ein Forscherteam3 vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel eine Studie über Methoden zur Altersbestimmung von Seegras-Klonen. Dabei entdeckten sie einen Seegraswiesen-Klon von Zosterea marina (Gewöhnliches Seegras) an der finnischen Ostseeküste, der stolze 1.403 Jahre alt ist.

Das älteste Lebewesen

Zwischen Ibiza und Formentera leben zwei Neptungraswiesen (Posidonia oceanica), die wahrscheinlich 80.000 und 200.000 Jahre alt sind4. Es sind Klone und die wahrscheinlich ältesten Lebewesen. Die Wiesen nehmen im Naturschutzgebiet Parc Natural de Ses Salines eine Meeresfläche von ca. 136 km2 ein. Hier sind gewaltige Mengen an blauem Kohlenstoff (Blue Carbon) gespeichert. Seit 1999 zählt das Gebiet zum UNESCO-Welterbe Ibiza.

Mitte 2022 verloren sie den Titel der „größten bekannten Pflanzen“ an einen mindestens seit 4.500 Jahre alten, polyploiden Seegras-Klon von Posidonia australis, der sich in der Shark Bay vor Westaustralien auf einer Fläche von über 200 km² ausgebreitet hat.

Eine Neptungras-Seegraswiese (Posidonia oceanica) produziert nur alle 7 Jahre nach der Blüte Samen. Meist zwischen Mai und Juni. Eine Vielzahl von Unterwasser-Bestäubern wie Krebstiere unterstützt diese Art der Fortpflanzung.

Neptungras-Samen sehen aus wie kleine Nussfrüchte oder Oliven. Ihr Vermehrungserfolg liegt allerdings weit unter dem der vegetativen Ausbreitung. Im Mittelmeer produzierten viele Wiesen 2022 synchron Unmengen von Samen. Das hatte es vorher noch nie gegeben.

Seegras-Samen
Seegras-Samen (Posidonia). © Dimitris Poursanidis/Ocean Image Bank
Seegrassamen von Posidonia/Neptungras können in einem mit Salzwasser gefüllten Glas bei entsprechender Kühlung über Wochen und Monate aufbewahrt werden.
© M.Marinelli/Project Manaia

Im Oktober 2022 veröffentlichte ein Wissenschaftler-Team aus den USA, Spanien, Saudi-Arabien, Kanada und Malaysia in der Fachzeitschrift nature eine Studie5 zur Kartierung eines riesigen Seegraswiesen-Ökosystems vor den Bahamas. Es ist gigantisch, umfasst bis zu 92.000 km2. Das ist in etwa die Fläche von Portugal.

Zur Erfassung des gewaltigen Gebiets kamen auch mit Kameras „ausgestattete“ Tigerhaie (Galeocerdo cuvier) zum Einsatz. Dabei machten die Forscher nebenbei noch eine weitere Entdeckung. Offensichtlich sind Seegraswiesen für Tigerhaie den Top-Prädatoren tropischer Meere ein bedeutender Lebensraum, in dem sie viel Zeit verbringen.

„Indem wir sowohl Tigerhaie als auch Taucher für die Vermessungen einsetzten, konnten wir eine der umfangreichsten und innovativsten Seegras-Untersuchungen durchführen, die jemals unternommen wurden. Die Daten sind belastbar und unterstützen die Bezeichnung der Bahamas Bank als größtes Seegras-Ökosystem der Erde“, schreiben die Forscher.

Kartierung von Seegraswiesen auf den Bahamas Banks mit Tauchern und Tigerhaien.
Taucher und Tigerhaie kartieren Seegras-Ökosysteme der Bahamas Banks. © Tiger Shark from study

Am 1. Juni 2022 veröffentlichte ein Forscherteam der University of Western Australia (UWA) eine genetische Studie zu 10 in der Shark Bay vor Westaustralien lebenden Seegrasteppichen6. Dabei stellte sich heraus, dass das hier vorherrschende Neptungras (Posidonia australis) aus genetisch identischen Klonen besteht. Der Seegras-Klon hat sich in einem Gebiet von 200 Kilometern in den flachen Gewässern der Bucht ausgebreitet. Damit ist diese Wiese das größte aller derzeit bekannten Lebewesen.

Doch nicht nur das. Bei den Untersuchungen zeigte sich, dass die Pflanzen doppelt so viele Chromosomen besitzen wie Posidonia australis normalerweise aufweist (40 statt 20). Derartige Chromosomen-Verdopplungen können auftreten, wenn sich zwei Elternpflanzen kreuzen.

Nach Berechnungen der Wissenschaftler wächst diese Seegraswiese seit mindestens seit 4.500 Jahren in der Shark Bay.

Untersuhcte Seegraswiesen in der Shark Bay, Westaustralien.

Verteilung der dauerhaften Seegrasbedeckung (dicht oder spärlich) und der untersuchten zehn Seegraswiesen in der Shark Bay. © The Royal Society Publishing

„Polyploide Pflanzen leben häufig an Orten mit extremen Umweltbedingungen. Sie sind oft unfruchtbar, können aber weiterwachsen, wenn sie nicht gestört werden. Genau das hat dieses riesige Seegras getan“, erklärt Evolutionsbiologin Elizabeth Sinclair von der UWA School of Biological Sciences.

Floridas Westküste entlang Springs Coast in der Nähe von Tampa beherbergt das größte Gebiet mit Seegraswiesen im Golf von Mexiko. Hier leben Jakobsmuscheln, Fische, Seekühe, Rochen und andere Meerestiere. Ende Januar 2022 schlossen Wissenschaftler des Southwest Florida Water Management District hier eine Seegraskartierung ab. Dabei stellten sie fest, dass einige Gebiete von 2016 bis 2020 erhebliche Mengen an Seegras hinzugewonnen haben.

Ein Offshore-Gebiet beim Anclote National Wildlife Refuge (Anclote Key) und zwei östlich von Cedar Key gelegene Küstengebiete in Crystal Bay und Waccasassa Bay gewannen in den vier Jahren zusammen etwa 5.300 Hektar Seegras hinzu.

Die Kartierung ergab auch, dass mehr als eine halbe Million Hektar Seegraslebensraum in der Region stabil sind. Dazu gehört auch ein Großteil des Seegrases im neuen Schutzgebiet Nature Coast Aquatic Preserve, das sich entlang der Küste von Pasco County bis Citrus County erstreckt.

Das ist besonders für Manatis (Rundschwanz-Seekühe) eine gute Nachricht. Denn Seegras ist die Hauptnahrungsquelle der gemütlichen Meeressäuger und damit überlebenswichtig.

Manati mit Jungtier. Sie sind auf Mangrovenwälder als Lebensraum angeweisen.

In anderen Teilen Floridas dagegen verhungern Manatis von durch Umweltverschmutzung bedingtem Rückgang von Seegraswiesen und Mangrovenwäldern. Allein in den ersten fünf Monaten 2021 traf es 761 Florida-Manatis (Seekühe). Das entspricht ungefähr einem Zehntel sämtlicher in den Gewässern Floridas lebender Manatis.

Das „Global Carbon Project“ schätzt die CO₂-Emissionen aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas für 2022 auf 36,6 Milliarden Tonnen. Hinzu kommen 3,9 Milliarden Tonnen aus der Landnutzung, vorwiegend aus der Entwaldung in tropischen Ländern (Brasilien, Indonesien und Demokratische Republik Kongo).

Natürliche Senken nehmen davon 22,9 Milliarden Tonnen wieder auf. Wobei die Ozeane 10,5 Milliarden Tonnen Kohlendioxid schaffen. Doch knapp die Hälfte der globalen CO₂-Emissionen (etwa 17,6 Milliarden Tonnen) verbleibt in der Atmosphäre und heizt diese immer weiter auf.

Mit Seegraswiesen allein lassen sich diese Mengen nicht abfangen. Dennoch sind die Meereswiesen ein entscheidender Baustein mit großen, teilweise noch unbekannten Potenzialen im globalen Maßnahmenmix zur Eindämmung der Klimakatastrophe.

  1. Fourqurean, J., Duarte, C., Kennedy, H. et al. Seagrass ecosystems as a globally significant carbon stock. Nature Geosci 5, 505–509 (2012). https://doi.org/10.1038/ngeo1477 ↩︎
  2. Sanchez-Vidal, A., Canals, M., de Haan, W.P. et al. Seagrasses provide a novel ecosystem service by trapping marine plastics. Sci Rep 11, 254 (2021). https://doi.org/10.1038/s41598-020-79370-3 ↩︎
  3. Yu, L., Renton, J., Burian, A. et al. A somatic genetic clock for clonal species. Nat Ecol Evol (2024).
    https://www.nature.com/articles/s41559-024-02439-z ↩︎
  4. Sophie Arnaud-Haond ,Carlos M. Duarte,Elena Diaz-Almela,Núria Marbà,Tomas Sintes,Ester A. Serrão Implications of Extreme Life Span in Clonal Organisms: Millenary Clones in Meadows of the Threatened Seagrass Posidonia oceanica, Published: February 1, 2012. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0030454 ↩︎
  5. Gallagher, A.J., Brownscombe, J.W., Alsudairy, N.A. et al. Tiger sharks support the characterization of the world’s largest seagrass ecosystem. Nat Commun 13, 6328 (2022). https://doi.org/10.1038/s41467-022-33926-1 ↩︎
  6. Extensive polyploid clonality was a successful strategy for seagrass to expand into a newly submerged environment Published: 01 June 2022 https://doi.org/10.1098/rspb.2022.0538 ↩︎

Titelfoto: © Dimitris Poursanidis/OceanImage Bank


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