Es gibt nur wenige Themen, um die sich derart viele Gerüchte und „Fake News“ ranken, wie die Nutzung von Meeressäugern (Delfine und Robben) zu militärischen Zwecken. So stießen sogenannte Kampfdelfine – für den militärischen Einsatz trainierte Große Tümmler – im April 2022 erneut auf großes Medieninteresse. Satellitenaufnahmen der Einfahrt des Marinehafens von Sewastopol zeigten, dass sich dort zwei ominöse Netzkäfige befinden. Schnell wurden daraus Meeresgehege mit russischen Kampfdelfinen. Dabei ist auf den Bildern lediglich zu erkennen, dass sich unmittelbar vor der Einfahrt zum Marinehafen zwei Netzkäfige befinden. Mehr nicht.
Ähnliches wiederholte sich Ende Juni 2023. Selbst seriöse Medien wie spiegel.de berichten, dass Russland angeblich die Präsenz seiner Kampfdelfine im Hafen von Sewastopol auf der Krim erhöht habe, um feindliche Taucher abzuwehren. Man beruft sich auf Berichte des britischen Geheimdienstes. Demnach hat sich die Zahl der Netzkäfige in der Einfahrt der Marinebasis fast verdoppelt. Doch ob sich darin auch nur einziger Delfin befindet, wissen weder die Briten noch sonst jemand zu sagen. Dabei ist fraglich, ob Russland wieder über Kampfdelfine verfügt. Sicherlich hat die russische Armee im Zuge der Krim-Annektion einige der Netzkäfige erbeutet, in denen früher einmal „Soldaten aus dem Meer“ leben mussten. Und wie im Vorjahr zeigt sich, dass man diese nach wie vor propagandistisch äußerst wirksam einsetzen kann. Auch ohne Delfine.
Interview auf SRF 4 News: Kampfdelfine im Ukrainekrieg: Gibt es sie wirklich?
06:58 min, vom 28.06.2023
Inhaltsverzeichnis
Wettrüsten mit Kampfdelfinen im Kalten Krieg
Unzweifelhaft ist, dass sich sowohl die USA als auch die ehemalige Sowjetunion viele Jahrzehnte lang bemühten, Delfine und Seelöwen zu militärischen Zwecken zu trainieren. Die US-Navy startete ihr Trainingsprogramm mit wild gefangenen Großen Tümmlern bereits 1959. Kampfdelfine gehörten zu Zeiten des Kalten Krieges zu einem der bestgehüteten militärischen Geheimnisse. Es gab ein regelrechtes Wettrüsten zwischen den USA und der UdSSR. Die Amerikaner wollen dabei bis zu 140, die Russen etwa 120 besessen haben.
Militärischer Nutzen speist sich aus Gerüchten und Mythen
Die intelligenten Meeressäuger sollten dabei hauptsächlich Patrouillendienste leisten, feindliche Kampftaucher oder See-Minen aufspüren. Eines der unzähligen Gerüchte um die Soldaten aus dem Meer ist dagegen ihre angebliche Fähigkeit, ausgerüstet mit speziellen Nasenwaffen, im Wasser befindliche Menschen töten zu können. Wie auch die Legende, sie würden Haftminen an feindlichen Schiffen anbringen.
Der tatsächliche militärische Nutzen des mit hohem Aufwand verbundenen „Navy Marine Mammal Program“ blieb jedoch gering. Ihre Wirkung bezogen derartige Programme vielmehr aus Gerüchten und Geheimniskrämereien, die von den Militärs nur zu gerne bedient wurden und werden. Was können diese Tiere? Was können sie nicht? Wie viele Kampfdelfine hat der Gegner?
Überragende Unterwasserortungsfähigkeiten
Unstrittig sind allerdings die überragenden Unterwasserortungsfähigkeiten von Delfinen und Seelöwen. Besonders Delfine verschaffen sich mit ihrem Echo-Ortungssinn ein genaues dreidimensionales akustisches Abbild ihrer Umgebung. Mit diesem Biosonar können sie organische Körper durchdringen. Auch anorganische Materie, wie Sand am Meeresboden, ist für sie kein Hindernis. Auf diese Weise können sie dort verborgene Fische lokalisieren.
Außerdem sind sie sehr neugierig, erkunden ihre Umgebung genau und können sich auch bei schlechter Sicht oder nachts hervorragend in ihrer Umwelt orientieren. Dazu sind sie schnell und extrem wendig.
Kampfdelfine auf dem Rückzug
Tatsächlich zum Einsatz kamen die Soldaten aus dem Meer allerdings kaum. Die US-Navy setzte einige in der Bucht von Cam Ranh im Vietnamkrieg und viele Jahre später 1991 im Persischen Golf während des zweiten Golfkriegs ein.
Für den Delfin „Takoma“ war dieser Einsatz nach nur zwei Tagen allerdings zu Ende. Der 22 Jahre alte Große Tümmler verschwand angeblich gleich bei seiner ersten Mission. Vielleicht war Takoma auch zu neugierig und wurde von einer Mine zerrissen. Ob entkommen oder getötet, das Ergebnis bleibt gleich. In der freien Wildbahn hatte Takoma kaum eine Überlebenschance.
Verbürgt ist der Einsatz dieser Tiere während eines NATO-Manövers in der Ostsee (2020) und von sechs Tieren während einer Übung in der montenegrinischen Bucht von Kotor im Oktober 2012.
Kampfdelfine in Russland?
Die etwa 120 russischen Kampfdelfine gingen 1991 nach dem Zusammenbruch des Sowjetreichs in den Besitz der Ukraine über. Von dort sollen viele an Delfintherapiezentren in der Türkei und in den Iran verkauft worden sein. 2012 von der ukrainischen Marine gestreute Gerüchte, man habe in Sewastopol das Trainingsprogramm mit zehn Großen Tümmlern wiederbelebt, blieben unbestätigt.
Ukrainische Quellen schlossen damals nicht aus, dass die Wiederaufnahme der Ausbildung von Kampfdelfinen weniger mit Landesverteidigung, denn vielmehr mit einem lukrativen Auftrag des iranischen Militärs zu tun haben könnte.
Auch die US-Navy will ihr Trainingsprogramm im „Space and Naval Warfare Systems Center“ in San Diego im Süden Kaliforniens auslaufen lassen. Künftig sollen spezielle Mini-U-Boote die Aufgaben der Soldaten aus dem Meer übernehmen. Bei den Amerikanern hat dabei auch eine Rolle gespielt, dass es dem Ruf der Landesverteidigung heutzutage nicht zuträglich ist, intelligente Tierpersönlichkeiten wie Große Tümmler für militärische Zwecke zu missbrauchen. Denn für die Tiere sind Übungen und Einsätze ein unschuldiges Spiel. Ein Spiel, bei dem sie und andere ihr Leben verlieren können.
Autor: Ulrich Karlowski
Update: überarbeiteter und mit neuem Datum veröffentlichter Beitrag
Titelfoto: Transport eines US-Navy Kampfdelfins. © US-Navy