Er trägt kein „Lächeln“ im Gesicht, ist von bulliger Statur und lässt sich so schnell nicht einschüchtern – der Bullenhai. Man nennt diesen Requiemhai auch Stierhai, Sambesihai oder Gemeinen Grundhai. Wegen ihres äußeren Erscheinungsbildes werden Bullenhaie oft mit Weißen Haien verwechselt. Gelegentlich greifen sie auch Menschen an. Als Top-Prädatoren sind sie bedeutend für die Gesundheit von Meeres- und Süßwasserökosystemen tropischer, subtropischer und warmen-gemäßigter Regionen. Bullenhaie leben küstennah. Man findet sie vor den Küsten Amerikas im Atlantik und Pazifik, südlich der Sahara vor Afrika, vor Indien, in Südostasien und vor Australien. Sie müssen nur wenige natürliche Feinde fürchten. Und doch ist ihr Überleben, wie das vieler anderer Haiarten, gefährdet.
Als einzige große Haiart können Bullenhaie dank spezieller Anpassungen lange Zeit auch im Süßwasser leben. So sollen schon Exemplare mehr als 4.000 km landeinwärts im südamerikanischen Amazonas-Flusssystem gesichtet worden sein. Junge Bullenhaie leben viele Jahre im Süßwasser, erwachsene eher im Salzwasser. Wie lange sich erwachsene Tiere in Flüssen aufhalten können, ist nicht bekannt.
Inhaltsverzeichnis
Systematik
Der Bullenhai (Carcharhinus leucas) ist eine von über 35 Arten der Gattung Carcharhinus, der artenreichsten Gattung der Familie der Requiemhaie (Carcharhinidae). Es gibt noch weitere Carcharhinus-Arten, die wissenschaftlich bisher nicht beschrieben wurden.
Artensteckbrief Bullenhai
Die Art verdankt ihren Namen nicht nur ihrem bulligen Aussehen. Bullenhaie stoßen, vorwiegend bei Zwischenfällen mit Menschen, potenzielle Beute erst mit ihrem Kopf an. Mit dieser unberechenbaren Jagdstrategie (bump and bite) prüfen sie blitzschnell, ob es sich um essbare Beute handelt.
Es gibt viele verschiedene Angaben. Sie reichen von 32 Jahren bis 50 Jahre.
Männchen sind mit bis zu 2,1 m Länge deutlich kleiner als die bis zu 3,5 m großen Weibchen. Während die Weibchen ca. 320 kg erreichen können, sind Männchen um einiges leichter.
Sie fressen im Prinzip alles, was ihren Weg kreuzt: von Wirbellosen über Knochenfische, Knorpelfische, Seevögel, Meeresschildkröten, Delfine oder Innereien von Walen. Aber auch Landsäugetiere stehen auf ihrem Speiseplan.
Die Tragzeit dauert mehr als ein Jahr. Weibchen gebären höchstens alle zwei Jahre, meist nicht mehr als 4 bis 6 lebendgeborene Jungtiere. In seltenen Fällen wurden auch 13 bis 14 Jungtiere nachgewiesen.
Warum können Bullenhaie im Süßwasser leben?
Bullenhaie gehören zu den Tierarten, die große Schwankungen im Salzgehalt tolerieren. Sie sind euryhalin. Das können nur wenige andere Haiarten. Meerwasser hat einen durchschnittlichen Salzgehalt von 3,5 %. Süßwasser dagegen enthält mit durchschnittlich 0,1 % kaum Salz. Außerdem weist die Netzhaut ihrer Augen spezielle Anpassungen auf, die den Tieren die Orientierung in trübem Wasser erleichtert.
Urogenitalsystem
Die Anpassung an ein Leben in salzarmer Umgebung beruht auf einem komplexen Zusammenspiel der Rektaldrüsen mit den Nieren der Haie. Im Salzwasser helfen Drüsen und Nieren überschüssiges Salz auszuscheiden. Im Süßwasser kehrt sich der Prozess um, denn hier liegt die externe Salzkonzentration weit unter der körpereigenen. Dazu verfügen Bullenhaie über veränderte Rektaldrüsen und speziell angepasste Nieren.
Wenn der Hai vom Meerwasser in einen Fluss schwimmt, passt sich der Stoffwechsel der Nieren kontinuierlich an den veränderten Salzgehalt (Salinität) an.
Ohne diese spezifischen Anpassungen würde durch den Prozess des osmotischen Drucks viel Süßwasser in die Körperzellen gelangen, um den Konzentrationsunterschied auszugleichen. In der Folge blähen die Zellen sich auf, verlieren zu viele Mineralien. Dies führt schließlich zum Tod des betroffenen Organismus. Nicht jedoch beim Bullenhai.

Ihre ungewöhnlichen länglichen Nieren sind darauf spezialisiert, körpereigenes Salz zu recyceln und im Körper zu halten. Sie filtrieren im Süßwasser umgehend weniger Salze und im Gegenzug vermehrt Harnstoff aus dem Blut. Dazu produzieren sie sehr viel wässrigen Urin. Daher sind Bullenhaie in Flüssen konstant am Urinieren.
Zudem können sie ihre Rektaldrüse „abschalten“ und dadurch Salze im Körper einschließen. Diese befindet sich direkt vor der Schwanzflosse. Sie hilft bei der Osmoregulation (Aufrechterhaltung des richtigen Wasser-Salz-Gleichgewichts).
Mit diesen Anpassungen ist es Bullenhaien möglich, problemlos sowohl im Salz- als auch im Süßwasser zu leben. Das macht sie einzigartig unter den Haien.
Netzhaut
Die Augen von Bullenhaien sind speziell an die grünlich-trüben Lichtverhältnisse, wie sie im Süßwasser oder nahe der Küste zu finden sind, angepasst.

Das Absorptionsmaximum der Stäbchen- und Zapfensehpigmente der Netzhaut von Bullenhai-Augen liegt bei 518 und 554 Nanometern (nm), also im grünen bis gelblich-grünen Wellenlängenbereich. Kurzwelliges, blaues Licht (450 – 482 nm) können sie dagegen weniger gut wahrnehmen.
Tapetum lucidum
Haie besitzen in ihren Augen einen Restlichtverstärker, wie man ihn bei vielen nachtaktiven Tieren, aber auch Hunden, Katzen oder Pferden findet. Hinter der Netzhaut befindet sich eine reflektierende Schicht. Sie heißt Tapetum lucidum (lateinisch für „leuchtender Teppich“) und besteht bei Bullenhaien aus Guanin-Kristallen. Das Tapetum lucidum reflektiert Licht, das beim ersten Durchgang durch die Netzhaut nicht genutzt wurde. Damit verschafft es den lichtempfindlichen Fotorezeptoren der Netzhaut eine zweite Chance, diese Lichtreste zu absorbieren.
Die Tiere können so vorhandenes Licht während der Dämmerung und in der Nacht optimal ausnutzen und auch bei schlechten Lichtverhältnissen noch gut sehen. Das Tapetum lucidum verursacht auch das typisch grün-gelbliche oder rote Leuchten und Schimmern in der Pupille angeleuchteter Tieraugen bei Dunkelheit.

Das Tapetum lucidum der Augen von Bullenhaien reflektiert besonders gut rotes Licht (620 – 780 nm), was zu einem auffälligen Augenglanz1 führen kann, der von Rot dominiert wird. © Kerstin Glaus
Bullenhaie lebten 17 Jahre lang in einem See
Eine extreme Anpassungsfähigkeit stellten sechs Bullenhaie aus Brisbane in Australien unter Beweis. Sie schafften es, mindestens 17 Jahre lang im Süßwassersee des Carbrook Golf Club zu leben. Das zeigt eine Studie des Forschers Peter Gausmann2 von der Ruhr-Universität Bochum (RUB), die das Fachmagazin Marine and Fishery Sciences (MAFIS) veröffentlichte.

Nach einem schweren Hochwasser gerieten die sechs Haie als Jungtiere wahrscheinlich 1996 in den See und blieben dort, nachdem die Fluten wieder zurückgegangen waren.

Offensichtlich bot ihnen die reichhaltige Fischfauna des Sees genügend Nahrung. Zusätzlich fütterten Angestellte die sechs Haie, die schnell Maskottchen und berühmtes Aushängeschild des Golfklubs wurden.
Im Jahr 2013 müssen die Bullenhaie mit Größen zwischen geschätzten 1,8 und 3 m fast ausgewachsen gewesen sein. Doch ihr weiteres Schicksal ist ungewiss. Zum letzten Mal sah man 2015 Haie im See des Golf Clubs. Sie könnten also mindestens 19 Jahre alt geworden sein. Vielleicht waren sie sogar noch älter. Denn auch 1991 gab es ein starkes Hochwasser, in dessen Folge junge Bullenhaie in den See gelangt sein könnten. Ihr Verschwinden aus dem See nach 2015 bleibt ein Rätsel.

Neben dem See des Carbrook Golf Club nennt der Autor der Studie noch zwei weitere Seen, in denen Bullenhaie für längere Zeit lebten.
Die Haie aus Brisbane jedoch sind Rekordhalter. Sie schafften es am längsten von allen bislang beobachten Bullenhaien, ununterbrochen in einem Süßwassersee zu überleben.
Bullenhaie mit Persönlichkeit
Wie viel andere Haie auch, sind Bullenhaie einzigartige Persönlichkeiten mit Charakter. So beschreibt François Sarano in seinem Buch „Wie man mit Haien schwimmt“ zwei Bullenhai-Weibchen: Die eher risikobereite Ana und die zögerliche und scheue Stella.
Gefahren
Ihre Lebensraumnutzung macht die Art anfällig für die Folgen von Zerstörung und Veränderung von Küstengebieten und Flussläufen. Zudem stehen Bullenhaie unter enormem Fischereidruck. Auch Jungtiere werden gezielt befischt. Begehrt sind ihr Fleisch und die Flossen.
Hohe Beifangverluste treten aber auch in der Stell- oder Treibnetzfischerei, in Schleppnetzen und in der Langleinenfischerei auf. Eine weitere Gefahr droht den kräftigen Haien zudem von der sogenannten Sportfischerei. Dort müssen sie als beliebte Trophäe herhalten. Andere wiederum sterben in Hainetzen, mit denen zahlreiche südafrikanische Badestrände ausgerüstet sind.
Lebensraumverluste und fischereiliche Ausbeutung setzen dieser Haiart hart zu. In der Folge sind die Bestände in den vergangenen Jahrzehnten um 30–49 % zurückgegangen.
Schutzstatus
Auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tierarten der Weltnaturschutzorganisation IUCN ist der Bullenhai als gefährdet mit abnehmender Bestandsentwicklung gelistet.
Im November 2022 nahm die 19. Vertragsstaatenkonferenz des Washingtoner Artenschutzübereinkommens (CITES) 54 Arten der Requiemhaie, darunter den Bullenhai, in CITES-Anhang II auf. Damit unterliegt der Handel mit Produkten dieser Arten (Fleisch, Knorpel, Flossen) unter der Kontrolle nationaler Artenschutzbehörden und des Zolls. Für Haischützer ist diese Entscheidung ein Meilenstein.
Unser Einsatz für Bullenhaie
Seit Januar 2022 führen wir gemeinsam mit der Schweizer Meeresbiologin und Haiforscherin Dr. Kerstin Glaus das Projekt „Ein Herz für Bullenhaie“ in Fidschi durch. Hierbei geht es darum, die Kinderstuben junger Bullenhaie mittels der Analyse von Umwelt-DNA (eDNA) aufzuspüren, damit diese geschützt werden können.
Junge Bullenhaie mit roten Augen
Von 2015 bis 2019 förderten wir die Dissertation3 „Unverzichtbare Gewässer: Junge Bullenhaie im größten Flusssystem der Fidschi-Inseln“ der Schweizer Meeresbiologin. Zu ihrer großen Überraschung hatte fast jeder (80 %) kleine Bullenhai, den sie in der Rewa zu Markierungszwecken kurzzeitig einfing, beidseitig rote Augen. Wir unterstützten die Haiforscherin bei der Suche nach den Ursachen.

- Glaus Kerstin, Genter Franziska, Brunnschweiler Juerg M. (2023) Red eyes in juvenile bull sharks (Carcharhinus leucas) from Fiji. Pacific Conservation Biology. https://doi.org/10.1071/PC23009 ↩︎
- Gausmann, P. (2023) “Whoʼs the biggest fish in the pond? The story of bull sharks (Carcharhinus leucas) in an Australian golf course lake, with deliberations on this speciesʼ longevity in low salinity habitats”, Marine and Fishery Sciences (MAFIS), 37(1). doi: 10.47193/mafis.3712024010105 ↩︎
- Glaus KBJ, Brunnschweiler JM, Piovano S, et al., Essential waters: Young bull sharks in Fiji’s largest riverine system, Ecol Evol. 2019;00:1–12. https ://doi. org/10.1002/ece3.5304 ↩︎
Autor: Ulrich Karlowski
Titelfoto: © Michael J. Lawrence/Marine Photobank