Die Grüne Meeresschildkröte (Chelonia mydas) ist nach der Lederschildkröte die zweitgrößte Schildkrötenart und die größte der gepanzerten Meeresschildkröten. Sie können Panzerlängen von bis 1,5 m erreichen und 300 kg schwer werden. Rekordhalter ist eine Grüne Meeresschildkröte, die bei einer Panzerlänge von 153 cm 395 kg wog. Im Deutschen sind sie auch unter dem Namen Suppenschildkröte bekannt. Grüne Meeresschildkröten wurden über Jahrhunderte intensiv bejagt. Ihr Fleisch diente dabei u. a. als lebender Schiffsproviant und zur Zubereitung von Schildkrötensuppe. Die Art ist weltweit stark gefährdet.
Unter den Meeresschildkröten sind sie einzigartig. Denn die erwachsenen Tiere ernähren sich hauptsächlich von Seegras und Algen. Ihre vorwiegend vegetarische Diät verleiht Fett und Knorpel – aber nicht dem Panzer – eine grünliche Farbe. Daher rührt ihr Name. In Mexiko allerdings werden sie „Tortuga Blanca“ („weiße Schildkröte“), genannt, während im englischen Sprachraum wiederum der bekannte Name „Green Turtle“ verwendet wird.
Inhaltsverzeichnis
Systematik
Grüne Meeresschildkröten sind eine von sechs Arten der Familie Cheloniidae.
Lebensraum und Verbreitung
Ihr Verbreitungsgebiet umfasst alle subtropischen und gemäßigten Meere und das Mittelmeer. Sie nisten in über 80 Ländern, leben in den Küstengebieten von mehr als 140 Ländern und unternehmen weite Wanderungen zu ihren Niststränden.
Wie hoch ist der Bestand?
Auf der Roten Liste der IUCN ist die Art als gefährdet mit rückläufiger Bestandsentwicklung gelistet. 1988 wurde der Handel mit Fleisch, Eiern, lebenden oder toten Grünen Meeresschildkröten und Teilen (z. B. Panzer) von ihnen durch das Washingtoner Artenschutzübereinkommen (CITES) verboten. Dort ist sie auf Anhang I gelistet.
Einschätzungen zur Populationsgröße sind wegen fehlender Daten kaum möglich. Die IUCN schätzte den weltweiten Bestand auf zwischen 262.727 bis 1.252.283 Individuen, inklusive erwachsener Tiere. Neuere verfügbare Daten zeigen einen positiven Trend in der Anzahl der Nester der Grünen Meeresschildkröte.
Die Zahl der im Mittelmeer brütenden Weibchen soll 2014 laut IUCN bei etwa 10.000 gelegen haben. Sie graben jährlich zwischen 1.164 und 2.674 Nester in 12 größeren und 53 kleineren Niststränden in Zypern, Syrien und der Türkei. Die Mittelmeer-Population der Grünen Meeresschildkröte gilt als potenziell gefährdet (near threatened).
Die weltweit größten Nistpopulationen sind in Tortuguero an der Karibikküste Costa Ricas mit durchschnittlich etwa 30.000 Weibchen pro Saison und in Raine Island am Great Barrier Reef mit über 60.000 Weibchen.
Artensteckbrief Grüne Meeresschildkröte
Ihr Panzer ist an der Oberseite in verschiedenen, meist hellen Brauntönen mit gelblich grünen oder schwarzbraunen Zonen gefärbt. An der Unterseite sind sie teilweise hellgelb.
Foto: P. Lindgren, CC BY-SA 3.0
Die Lebenserwartung beträgt mindestens 70 Jahre. Erst mit 25 bis 35 Jahren erreichen die Weibchen ihre Geschlechtsreife.
Erwachsene Tiere fressen hauptsächlich Seegras und Algen. Gelegentlich aber auch Schwämme, Wirbellose sowie weggeworfenen Fisch. Ihre pflanzliche Nahrung zerschneiden sie mit den mit Haken und Zacken besetzten Hornleisten ihrer Kiefer. Dabei überschüssig aufgenommenes Salz scheiden sie über eine „Salzdrüse“ aus. Da sich diese in der Nähe der Augen befindet, sieht es aus, als ob sie weinten. Jungtiere dagegen sind Fleischfresser (carnivor). Sie ernähren sich ausschließlich von Krebsen, Muscheln, Würmern, Fischeiern, Quallen oder Schwämmen.
Wie bei allen Meeresschildkrötenarten sind geschlüpfte und heranwachsende Jungtiere als Beute beliebt bei allem, was Zähne und Fangarme hat, sowie bei großen Seevögeln. Als Erwachsene haben sie, außer großen Haien, praktisch keine Feinde.
Verhalten
Grüne Meeresschildkröten sind Einzelgänger und Nachtbrüter. Jungtiere, die es nach dem Schlupf bis ins Meer schaffen, verbringen ihre ersten Jahre im offenen Ozean. Die Erwachsenen verbringen die meiste Zeit ihres Lebens in üppigen Seegraswiesen flacher, küstennaher Regionen.
Mit ihren flossenförmigen Paddeln können Grüne Meeresschildkröten unter Wasser hohe Geschwindigkeiten von bis zu 24 km/h erreichen. Ihre Hinterbeine setzen sie als Ruder ein. Sie scheinen dabei durchs Wasser zu „fliegen“. Foto: NOAA Pacific Islands Fisheries Science Center
Fortpflanzung
Alle 2 bis 5 Jahre begeben sich die Grünen Meeresschildkröten auf weite Wanderungen, um zu ihren Eiablageplätzen zu gelangen. Einige von ihnen legen dabei Strecken von mehr als 2.600 Kilometer zurück. Die Weibchen kehren Jahr für Jahr jeweils an einen Strand in der Umgebung zurück, wo sie Jahrzehnte zuvor geschlüpft sind.
Grüne Meeresschildkröten paaren sich sowohl in den Nahrungsgründen als auch entlang von Wanderpfaden und an Niststränden. Sie können etwa alle 2 Wochen ein neues Nest graben und das über mehrere Monate, bevor sie wieder zu ihren Nahrungsgründen zurückkehren. Die Nistsaison variiert je nach Lebensraum. So beginnt diese in den USA im späten Frühjahr.
Ein Nest kann bis zu 110 Eier enthalten. Nach etwa 2 Monaten schlüpfen die Jungtiere aus ihrer sandigen Nisthöhle. Dann krabbeln sie auf dem schnellsten Weg ins Wasser.
Gefahren
Wie alle Meeresschildkrötenarten sehen sich Grüne Meeresschildkröten heute mit einer Mischung unterschiedlichster Gefahren konfrontiert, denen sie nur schwer standhalten können.
Fibropapillomatose
Erkrankt ein Tier an Fibropapillomatose, bilden sich äußere und innere Tumore. Diese Tumore beeinträchtigen die Schwimmfähigkeit und die Nahrungsaufnahme erheblich. Unbehandelt kann die Krankheit zum Tod der Tiere führen. Allerdings bilden sich die Tumore bei 30 bis 60 % der betroffenen Tiere auch wieder zurück. Grüne Meeresschildkröten sind am häufigsten unter allen Meeresschildkrötenarten betroffen. Die meisten Tumore finden sich bei ihnen um die Flossen, den Hals und die Augen.
Was die Krankheit verursacht, ist bislang nicht vollständig geklärt. Man geht von mehreren Faktoren aus, die das Tumorwachstum verursachen. Neben einem Herpes-Virus soll auch Meeresverschmutzung eine wichtige Rolle spielen. Tierärzte des Turtle Hospital (Marathon Beach, Florida, USA) haben Techniken entwickelt, Fibropapillomatose-Tumore erfolgreich operativ zu entfernen. Das Verfahren ist schwierig. Es dauert etwa ein Jahr, bis behandelte Tiere Antikörper gegen das Virus entwickelt haben und wieder ausgewildert werden können.
Fischerei
Hauptbedrohung für die Lungenatmer ist das Verheddern und Ertrinken in Fischereigerät (Beifang). Außerdem können sie Angelhaken und -schnüre sowie Netzteile verschlucken. Zu den wichtigsten Arten von Fanggeräten, die Beifang von Grünen Schildkröten verursachen, gehören Schleppnetze, Kiemennetze, Langleinen, Haken und Leinen sowie Reusen.
Plünderung der Nester und Wilderei
Früher wurden Grüne Meeresschildkröten in großer Zahl wegen ihres Fettes, ihres Fleisches und ihrer Eier getötet. Dies führte zu einem katastrophalen weltweiten Rückgang der Art. Nach wie vor sind das Töten von Grünen Meeresschildkröten und das Sammeln ihrer Eier in einigen Ländern legal. Das erschwert Schutzbemühungen für die Art.
Verlust und Zerstörung der Niststrände
Durch Baumaßnahmen an Stränden und deren intensive touristische Nutzung sowie steigende Meeresspiegel sind viele Niststrände für die Art verloren gegangen. Künstliche Beleuchtung an und in der Nähe von Niststränden bereitet Jungtieren nach dem Schlupf zudem große Probleme, das Meer zu finden. Denn sie orientieren sich dabei nach dem hellsten für sie sichtbaren Horizont.
Verlust der Nahrungsgrundlage
Der weltweit zu verzeichnende Rückgang von Seegraswiesen, ausgelöst durch Umweltverschmutzung oder Küstenentwicklungsmaßnahmen, entzieht der Grünen Meeresschildkröte zunehmend eine ihrer wichtigsten Nahrungsgrundlagen.
Schiffskollisionen
Fast alle Wasserfahrzeuge können Grüne Schildkröten treffen, wenn sie an oder nahe der Oberfläche schwimmen. Diese Kollisionen verletzen oder töten die Tiere. Schiffskollisionen sind eine große Gefahr besonders für große Jungtiere und ausgewachsene Grüne Meeresschildkröten, da sie küstennah leben und sich dabei auch in der Nähe von Häfen, Wasserstraßen und stark befahrenen Küsten aufhalten.
Meeresverschmutzung
Die zunehmende Verschmutzung und Überdüngung küstennaher Lebensräume bedroht alle Meeresschildkröten und beeinträchtigt ihre Lebensräume. So starben im Januar 2020 vor der Küste des mexikanischen Bundesstaates Oaxaca mindestens 300 Grüne Meeresschildkröten in den sicheren Tod. Ihnen wurde eine Red Tide (Rote Flut) zum Verhängnis. Tiere, die es bis an die Küste nahe dem Küstenort Huatulco schafften, hatten große Schwierigkeiten beim Atmen. Kaum konnten sie noch ihren Kopf aus dem Wasser heben. Verzweifelte Helfer versuchten, die Meeresreptilien vor dem Ersticken zu bewahren. Meist vergeblich. Denn nur 27 von ihnen konnte man retten.
Meeresmüll
Zusätzlich laufen sie Gefahr, herumtreibenden Müll aufzunehmen. Im Magen von Grünen Meeresschildkröten findet man regelmäßig z. B. kleinteiligen Plastikabfall aller Art, Angelschnüre, Ballons, Plastiktüten, Teer und anderen Müll. Auch ist das Verheddern in herumtreibenden Müllansammlungen gefährlich.
Klimakrise
Meeresschildkröten stehen unter starkem Klimastress. Höhere Temperaturen verändern die Strandmorphologie und führen zu höheren Sandtemperaturen. Das kann zum Absterben der Eier führen oder dass nur noch Weibchen zur Welt kommen. Denn die Geschlechterzuordnung steuert sich bei Reptilien über die Temperatur im Nest.
Kälteeinbrüche – cold stun events
Plötzliche Kälteeinbrüche oder intensive, lang anhaltende Kälte können für die Meeresreptilien sehr gefährlich sein. Denn sie sind wechselwarm. Zur Aufrechterhaltung ihrer Körpertemperatur sind sie von der Umgebungstemperatur abhängig. Normalerweise kontrollieren Meeresschildkröten ihre Körpertemperatur, indem sie sich zwischen Wasserbereichen mit unterschiedlichen Temperaturen bewegen. Außerdem wärmen sie sich gerne an der Wasseroberfläche oder am Strand in der Sonne auf.
Kommt es jedoch zu einem plötzlichen Kälteeinbruch, können sie nicht schnell genug in wärmere Gewässer flüchten. Sie unterkühlen, fallen in Kältestarre (cold stun). Dies kann tödlich sein. Die Tiere werden lethargisch, sämtliche Körperfunktionen verlangsamen sich. Meeresschildkröten in Kältestarre sind einem hohen Risiko durch Schiffs- und Bootskollisionen ausgesetzt. Sie sind zudem leichte Beute für Raubtiere, werden krank und sterben.
Ab Wassertemperaturen von unter 10 Grad Celsius wird es sehr kritisch, besonders wenn sich die Tiere gerade in Flachwasserbereichen aufhalten. Denn diese werden bei sinkenden Lufttemperaturen dann sehr schnell sehr kalt.
Rettungsnetzwerke
Plötzliche Kälteeinbrüche (cold stun events) sind kein Phänomen der Klimakrise. Man kennt sie z. B. aus Texas und Florida seit den späten 1800er-Jahren. Forscher sehen allerdings einen Zusammenhang zwischen häufigeren cold stun events und der Ozeanerhitzung. So ist die Anzahl kältestarrer Meeresschildkröten, die entlang der US-Ostküste gefunden werden, in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen.
Entlang der Ostküste der USA, von Massachusetts bis hinunter in den Golf von Mexiko, existieren Rettungsnetzwerke aus freiwilligen Helfern, Hilfsorganisationen, der US-Küstenwache und der US-Meeresfischereibehörde NOAA Fisheries. Jedes Jahr werden dadurch mehrere Tausend kältestarrer Meeresschildkröten gerettet. Die bewegungslos an der Wasseroberfläche treibenden oder an Land gespülten Tiere lagert man in großen Hallen. Dort können sie sich langsam aufwärmen. Anschließend findet so schnell wie möglich, die Auswilderung in wärmere Gewässer statt. Je früher dies geschieht, desto höher sind die Chancen, dass die Meeresschildkröten sich vom Kälteschock erholen.
Wie Sie im Urlaub Meeresschildkröten helfen können ↗
Empfehlungen der Fischereiabteilung der Wetter- und Ozeanografiebehörde der Vereinigten Staaten (NOAA Fisheries).
Autor: Ulrich Karlowski
Titelfoto: Grüne Meeresschildkröte. © Olga Tsai/Unsplash
Artenliste
Weitere Informationen
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