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Das Kopflose Hühnermonster (Enypniastes eximia) ist eine Tiefsee-Seegurke, die schwimmen kann. Das ist ungewöhnlich. Denn die meisten der ca. 1.700 Arten dieser Stachelhäuter (Holothuroidea) leben und kriechen ausschließlich am Meeresboden. Außerdem kann sich die mitunter auch Spanische Tänzerin* genannte Seegurke mit ihren Füßchen zügig über den Meeresboden bewegen. Damit verfügt sie über mehr Mittel als „normale“ Seegurken, Feinden zu entkommen oder Futterplätze zu wechseln. Zudem können Kopflose Hühnermonster fluoreszieren. Das findet man recht häufig bei Tieren, die in der Tiefsee leben. Wobei noch unklar ist, wozu sie die Biolumineszenz einsetzen. Vielleicht dient sie als Schutz vor Fressfeinden.
Inhaltsverzeichnis
© NOAA Ocean Exploration and Research
Träumer der Tiefsee
Entdeckt wurde das Kopflose Hühnermonster während der berühmten britischen Challenger-Expedition (1872 – 1876). Es war die erste Seeexpedition zur Erforschung des Ozeanbodens. Der schwedische Zoologe Hjalmar Théel hatte 1882 bei der Erstbeschreibung der Art jedoch nur in Alkohol konservierte, unvollständige und schlecht erhaltene Reste zur Verfügung. Ihr wissenschaftlicher Gattungsname Enypniastes bedeutet „Träumer“ und stammt aus Genesis (37,19): „Seht, der Träumer kommt daher“.
Erst seit 1984 existieren Filmaufnahmen von Kopflosen Hühnermonstern. US-Tiefsee-Expeditionen stießen im Golf von Mexiko 2017 und vor Puerto Rico 2018 auf die sonderbaren Tiefseebewohner. Ebenso australische Forscher 2018 im Südpolarmeer. Auf ihren Aufnahmen ist zu sehen, wie ein Kopfloses Hühnermonster am Meeresboden das Sediment durchwühlt und organisches Material mit seinen Tentakeln aufnimmt.
Wo leben Kopflose Hühnermonster?
Man weiß bis jetzt nicht viel über diese seltsamen Tiefseebewohner. Weder, wo überall sie vorkommen, noch, wie viele es von ihnen gibt oder wer ihre Fressfeinde sind. Auf Störungen reagieren sie empfindlich und schwimmen davon. Daher gelingt es nur selten, sie am Meeresboden zu beobachten.
Auf der AleutBio-Expedition des Forschungsschiffs FS SONNE zwischen Juli und September 2022 filmten Julia D. Sigwart vom Senckenberg Forschungsinstitut und Museum in Frankfurt (Main) und Akito Ogawa und Chong Chen (Japan) mehrere schwimmende Kopflose Hühnermonster im Aleutengraben vor Alaska im Nordostpazifik. Damit dokumentierten1 sie die nördlichste bekannte Ausbreitung der Spanischen Tänzerin. Die in Tiefen zwischen 5.272 und 5.320 m gemachten Aufnahmen erhärten die Annahme, dass diese schwimmfähigen Tiefseeseegurken global verbreitet sind.
Man findet Kopflose Hühnermonster in Meerestiefen zwischen 1.000 m und bis ins Abyssopelagial. Ihr bisheriger Tiefenrekord liegt bei 6.900 m (im Javagraben). Die meiste Zeit halten sie sich dort, wie „normale“ Seegurken, am Meeresboden auf.
Artensteckbrief Kopfloses Hühnermonster
Forscher der Nationalen US-Meeres- und Ozeanografiebehörde (NOAA), die 2017 während einer Tiefsee-Expedition im Golf von Mexiko in fast 2.100 m Tiefe eine der schwimmenden Seegurken filmten, sagten, sie sähe aus wie ein Huhn, kurz bevor man es in den Ofen schiebt. So erhielt Enypniastes den Namen „headless chicken monster“.
Ihr intensiv rot bis kastanienbraun gefärbter Körper ist leicht durchscheinend (semi-transparent). Man kennt Exemplare mit Körpergrößen zwischen 6 und 25 Zentimetern.
Ihre Schwimmfähigkeit verdanken sie einer am Kopf befindlichen, halbkreisförmigen, regenschirmartigen Schwimmhaut und zwei seitlich am Körper befindlichen kleinen Schwimmhäuten. Während die Schwimmhaut am Kopf für An- und Auftrieb sorgt, dienen die seitlichen Schwimmhäute der vertikalen Stabilisierung. Meist schwimmt Enypniastes in senkrechter Körperhaltung.
Sie sind Substratfresser, ernähren sich von darin befindlichem organischem Material. Dabei schaufeln sie Bodensubstrat mithilfe kleiner Tentakel zum Mund.
Foto: © NOAA Ocean Exploration and Research
Sedimentreiniger der Tiefsee
Kopflose Hühnermonster und alle anderen Seegurken in der Tiefsee haben eine wesentliche ökologische Funktion (Bioturbation) und sind ein Schlüsselfaktor für den globalen Kohlenstoffkreislauf. Wenn sie ihren Futterplatz verlassen, hinterlassen sie – ähnlich wie Regenwürmer – entlüftetes und gereinigtes Sediment. Sie bereiten Bodensedimente auf, damit andere Tiefseetiere diese nutzen können. Kopflose Hühnermonster hinterlassen vor dem Abheben ihren Kot auf dem Meeresboden.
- Sigwart, J.D., Ogawa, A. & Chen, C. “Dreamer holothurians” in the north. Mar. Biodivers. 53, 8 (2023). https://doi.org/10.1007/s12526-022-01314-z ↩︎
* Spanische Tänzerin (Spanish Dancer) heißen auch die bis zu 60 cm großen Nacktschnecken der Art Hexabranchus sanguineus.
Autor: Ulrich Karlowski