Oliv-Bastardschildkröten (Lepidochelys olivacea) verdanken ihren Namen der olivgrünen Farbe ihres herzförmigen Panzers. Die Art gehört zu den kleinsten Meeresschildkröten. Sie leben hauptsächlich pelagisch (im offenen Ozean) in teilweise über 3.800 km Entfernung von der nächsten Küste. Gelegentlich halten sie sich aber auch entlang von Küstengebieten auf.
Wie bei allen Meeresschildkrötenarten ist ihr Bestand im Vergleich zu historischen Schätzungen von z. B. etwa 10 Millionen Tieren allein im Pazifischen Ozean stark zurückgegangen. Denn sie wurden über Jahrhunderte intensiv bejagt. Dennoch sind Oliv-Bastardschildkröten am häufigsten vorkommenden Meeresschildkröten.
Auch heute noch sind die Nutzung ihres Fleisches als Nahrung und die Plünderung der Nester in vielen Ländern Hauptbedrohungsfaktoren. Hinzu kommen Beifangverluste durch die Fischerei, Zerstörung von Niststränden, Meeresverschmutzung und die Auswirkungen der Klimakatastrophe. Alle Arten der Familie Cheloniidae stehen seit 1981 auf Anhang I des Washingtoner Artenschutzübereinkommens (CITES). Damit ist der internationale Handel mit lebenden Tieren oder Produkten verboten.
Systematik
Oliv-Bastardschildkröten (im Englischen Olive Ridley Turtle) sind eine von sechs Arten der Familie Cheloniidae und eine von zwei Arten der Gattung Lepidochelys. Die zweite Art ist die Atlantische Bastardschildkröte, im Englischen Kemp’s Ridley Turtle genannt. Der deutsche Name Bastardschildkröte ist darauf zurückzuführen, dass man sie früher für Hybride der Grünen Meeresschildkröte und der Unechten Karettschildkröte hielt.
Lebensraum und Verbreitung
Oliv-Bastardschildkröten sind weltweit, hauptsächlich in den tropischen Regionen des Pazifischen, Indischen und Atlantischen Ozeans, verbreitet.
Wie hoch ist der Bestand?
Auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN ist die Art als gefährdet mit rückläufiger Bestandsentwicklung gelistet. Dabei wird davon ausgegangen, dass der weltweite Bestand der Oliv-Bastardschildkröten bereits um 30 bis 50 Prozent zurückgegangen ist. Zwar verzeichnen einige Nistpopulationen in den vergangenen Jahren Zuwächse oder sind stabil, doch überwiegen die Verluste nach wie vor diese Zuwächse.
Während es im westlichen Atlantischen Ozean seit 1967 bei einigen Nistpopulationen einen 80-prozentigen Rückgang gab, verzeichnete man in Brasilien wiederum eine Zunahme. Die derzeit größte Oliv-Bastardschildkröten-Population des Ostatlantiks gibt es in Gabun, mit ca. 1.000 bis 5.000 nistenden Weibchen im Jahr.
Im Pazifik gibt es noch große Nistpopulationen in Mexiko mit schätzungsweise 450.000 und in Costa Rica mit 600.000 Weibchen.
Im indischen Bundesstaat Odisha (Indischer Ozean) soll es jährlich noch an die 100.000 Nester von Oliv-Bastardschildkröten geben. Vor einiger Zeit entdeckte man sogar einen neuen Massenbrutplatz mehr als 5.000 Nestern auf den Andamanen, Indien.
In Ländern wie Bangladesch, Myanmar, Malaysia und Pakistan dagegen sind dramatische Rückgänge zu verzeichnen. An manchen Niststränden in Malaysia kommen statt einst Tausender heute nur noch ein paar Dutzend Weibchen zur Eiablage.
Artensteckbrief Oliv-Bastardschildkröte
Die Art gehört zu den kleineren Meeresschildkrötenarten. Ausgewachsene Exemplare erreichen Panzerlängen zwischen 60 cm und fast 80 cm und sind bis zu 45 kg schwer.
Ihre Lebenserwartung ist unbekannt. Experten schätzen, dass sie zwischen 30 und 50 Jahre alt werden. Mit etwa 14 Jahren erreichen sie ihre Geschlechtsreife.
Das Nahrungsspektrum der Allesfresser umfasst sowohl Algen als auch Krebstiere, Tintenfische und andere Mollusken. Am Meeresboden machen Oliv-Bastardschildkröten außerdem Jagd auf am Boden lebende (benthische) wirbellose Tiere. Ihre maximale Tauchtiefe soll bei 150 m liegen.
Ein Nest kann aus etwa 100 Eiern bestehen. Da Oliv-Bastardschildkröten hierfür zu klein und zu leicht sind, können sie mit ihren Hinterflossen ihr Nest nicht fest und dicht mit Sand verschließen. Folglich setzen sie eine andere Technik ein. Sie benutzen ihren ganzen Körper, indem sie den Sand nach dem Bedecken der Eier mit ihrem unteren Panzer zusammenpressen.
Wie bei allen Meeresschildkrötenarten sind geschlüpfte und heranwachsende Jungtiere als Beute beliebt bei allem, was Zähne und Fangarme hat, sowie bei großen Seevögeln. Erwachsene werden von großen Haien erbeutet.
Verhalten und Fortpflanzung
Oliv-Bastardschildkröten zeigen, ähnlich wie ihre Verwandten, die Atlantischen Bastardschildkröten, das wohl außergewöhnlichste Nistverhalten unter den Meeresschildkröten. Während andere Arten einzeln und unkoordiniert an die Strände kommen, versammeln sich Bastardschildkröten zu mehreren Tausend, um dann gemeinsam zu nisten. Sie nisten in fast 60 Ländern, jedes Jahr, ein- bis dreimal pro Saison.
Arribada – die große Ankunft
Quelle: NOAA Fisheries
Während des spektakulären Naturschauspiels einer „Arribada“ – spanisch für Ankunft – treffen sich Tausende Oliv-Bastardschildkröten vor der Küste. Dann, ganz plötzlich, krabbeln sie alle gemeinsam aus dem Meer an Land. Es ist wie eine Schildkröten-Invasion, die leider auch sehr viele Touristen anzieht. An vielen Niststränden ist die Nestdichte dabei so hoch, dass zuvor gelegte Gelege von anderen Weibchen ausgegraben werden, während sie eine Nestkammer für ihre eigenen Eier ausheben.
Arribada – viele Fragen
Niemand weiß, was eine Arribada auslöst, auch wenn es dazu viele Theorien gibt: ablandige Winde, bestimmte Mondzyklen oder die Abgabe von Pheromonen durch die Weibchen. Unbekannt ist auch, warum eine Arribada überhaupt stattfindet. Ihr evolutionsbiologischer Vorteil ist unklar.
Vielleicht bietet dieses Schwarmverhalten sowohl erwachsenen Tieren als auch für Schlüpflinge Schutz vor Fressfeinden. Jedoch nisten nicht alle Weibchen während einer Arribada. Es gibt auch Einzelgänger. Andere wiederum wechseln zwischen Arribada und Einzelgängernisten. Sie setzen eine gemischte Niststrategie ein.
Rätselhaft ist auch, wie sie es schaffen, sich mehr oder weniger pünktlich an „ihrem“ Niststrand, wo sie einst das Licht der Welt erblickten, zu treffen.
Wanderungen
Oliv-Bastardschildkröten wandern oft über große Entfernungen zwischen ihren Nahrungs- und Brutgebieten. Mithilfe von Satellitensendern konnten Wissenschaftler dokumentieren, dass männliche und weibliche Tiere von den Nistplätzen Costa Ricas aus bis in die tiefen Gewässer des Pazifiks schwimmen.
Gefahren
Wie bei allen Meeresschildkrötenarten sind geschlüpfte und heranwachsende Jungtiere als Beute beliebt bei allem, was Zähne und Fangarme hat, sowie bei großen Seevögeln. Erwachsene werden von großen Haien erbeutet. Wie alle Meeresschildkrötenarten sehen sich Oliv-Bastardschildkröten zudem mit einer Mischung unterschiedlichster, menschengemachter Gefahren konfrontiert, denen die Art nur schwer standhalten kann.
Plünderung der Nester und Wilderei
Hauptursache für den weltweiten Rückgang der Oliv-Bastardschildkröten war das Sammeln von Eiern und das Massentöten erwachsener Weibchen an den Niststränden. Das Arribada-Nistverhalten konzentriert Weibchen und Nester zur gleichen Zeit und am gleichen Ort. Das macht es einfach, Nester zu plündern und Tiere zu töten. Dieses erhebliche Problem für die Art hat sich in einigen Ländern durch Verbote und Schutzprojekte mittlerweile etwas gemildert.
Fischerei
Hauptbedrohung für die Lungenatmer ist heute das Verheddern und Ertrinken in Fischereigerät (Beifang). Außerdem können sie Angelhaken und -schnüre sowie Netzteile verschlucken. Zu den wichtigsten Fanggeräten, die Beifang von Oliv-Bastardschildkröten verursachen, gehören Schleppnetze, Langleinen, Kiemennetze und Ringwaden.
Das ungewöhnliche Arribada-Nistverhalten macht Oliv-Bastardschildkröten anfällig für ungewöhnlich hohe Beifangverluste. So starben 2018 und 2021 jeweils mindestens 300 Tiere – fast nur Weibchen – vor dem Morro Ayutla Strand im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca. Wahrscheinlich ertranken die Meeresschildkröten in illegalen Fischernetzen. Morro Ayutla ist einer von mehreren Arribada-Niststränden an der mexikanischen Pazifikküste.
Verlust, Zerstörung und Störung der Niststrände
Durch Baumaßnahmen an Stränden und deren intensive touristische Nutzung sowie steigende Meeresspiegel sind viele Niststrände für die Art verloren gegangen. Künstliche Beleuchtung an und in der Nähe von Niststränden bereitet Jungtieren nach dem Schlupf große Probleme, das Meer zu finden. Denn sie orientieren sich dabei nach dem hellsten für sie sichtbaren Horizont.
Die spektakulären Arribadas, die in Costa Rica jedes Jahr im September und Oktober am Pazifik in ganz bestimmten Nächten zu beobachten sind, ziehen viele Touristen an. Dabei wird oft wenig Rücksicht auf die Tiere genommen. Es kommt zu massiven Störungen bei der Eiablage und der Entnahme von Eiern.
Verluste durch Landraubtiere
Eier und geschlüpfte Jungtiere von Oliv-Bastardschildkröten gehören auch zur Beute einheimischer und nicht einheimischer Raubtiere (insbesondere Wildschweine, Warane, Kojoten, Nasenbären, Vögel und Krebse).
Schiffs- und Bootskollisionen
Fast alle Wasserfahrzeuge können Oliv-Bastardschildkröten treffen, wenn sie an oder nahe der Oberfläche schwimmen. Diese Kollisionen verletzen oder töten die Tiere. Schiffskollisionen sind speziell für zu ihren Niststränden schwimmende Weibchen eine große Gefahr, wenn sie sich stark befahrenen Küsten nähern.
Meeresverschmutzung/Meeresmüll
Die zunehmende Verschmutzung küstennaher Lebensräume bedroht alle Meeresschildkröten und beeinträchtigt ihre Lebensräume. Zusätzlich laufen sie Gefahr, herumtreibenden Müll aufzunehmen. Im Magen von Oliv-Bastardschildkröten findet man z. B. Angelschnüre, Luftballons, Plastiktüten, schwimmende Teer- oder Ölklumpen und anderen von Menschen weggeworfenen Müll. Auch das Verheddern in herumtreibenden Müllansammlungen ist für die Tiere gefährlich.
Klimakrise
Meeresschildkröten stehen unter starkem Klimastress. Höhere Temperaturen verändern die Strandmorphologie und führen zu höheren Sandtemperaturen. Das kann zum Absterben der Eier führen oder dazu, dass nur noch Weibchen zur Welt kommen. Denn die Geschlechterzuordnung steuert sich bei Reptilien über die Nisttemperatur.
Kälteeinbrüche – Regulierung der Körpertemperatur
Plötzliche Kälteeinbrüche oder intensive, lang anhaltende Kälte können für die Meeresreptilien sehr gefährlich sein. Denn sie sind wechselwarm. Zur Aufrechterhaltung ihrer Körpertemperatur sind sie von der Umgebungstemperatur abhängig. Normalerweise kontrollieren Meeresschildkröten ihre Körpertemperatur, indem sie sich zwischen Wasserbereichen mit unterschiedlichen Temperaturen bewegen. Außerdem wärmen sie sich gerne an der Wasseroberfläche oder am Strand in der Sonne auf.
cold stunning
Kommt es jedoch zu einem plötzlichen Kälteeinbruch, können sie nicht schnell genug in wärmere Gewässer flüchten. Sie unterkühlen, fallen in Kältestarre (cold stun). Dies kann tödlich sein. Die Tiere werden lethargisch, sämtliche Körperfunktionen verlangsamen sich. Meeresschildkröten in Kältestarre sind einem hohen Risiko durch Schiffs- und Bootskollisionen ausgesetzt. Sie sind zudem leichte Beute für Raubtiere, werden krank und sterben.
Ab Wassertemperaturen von unter 10 Grad Celsius wird es kritisch, besonders wenn sich die Tiere gerade in Flachwasserbereichen aufhalten. Denn diese werden bei sinkenden Lufttemperaturen dann sehr schnell sehr kalt.
Rettungsnetzwerke
Plötzliche Kälteeinbrüche (cold stun events) sind kein Phänomen der Klimakatastrophe. Man kennt sie z. B. aus Texas und Florida seit den späten 1800er-Jahren. Allerdings könnte die Klimakrise eine Häufung von cold stun events verursachen. So ist die Anzahl kältestarrer Meeresschildkröten, die entlang der US-Ostküste gefunden werden, in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen.
Entlang der Ostküste der USA, von Massachusetts bis hinunter in den Golf von Mexiko, existieren Rettungsnetzwerke aus freiwilligen Helfern, Hilfsorganisationen, der US-Küstenwache und der US-Meeresfischereibehörde NOAA Fisheries.
Jedes Jahr werden dadurch mehrere Tausend kältestarrer Meeresschildkröten gerettet. Die bewegungslos an der Wasseroberfläche treibenden oder an Land gespülten Tiere lagert man in großen Hallen. Dort können sie sich langsam aufwärmen. Anschließend findet so schnell wie möglich, die Auswilderung in wärmere Gewässer statt. Je früher dies geschieht, desto höher sind die Chancen, dass die Meeresschildkröten sich vom Kälteschock erholen.
Wie Sie im Urlaub Meeresschildkröten helfen können ↗
Empfehlungen der Fischereiabteilung der Wetter- und Ozeanografiebehörde der Vereinigten Staaten (NOAA Fisheries).
Titelfoto: © NOAA Fisheries
Artenliste
Weitere Informationen
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