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Trotz seiner beeindruckenden Größe von mehr als 5 m sieht man einen Riesenmaulhai fast nie. Deshalb blieb diese Haiart bis 1976 auch unentdeckt. Bis heute ist verblüffend wenig über die Biologie dieser friedlichen Krillfresser bekannt. Über ihr Sozialverhalten wusste man bis September 2022 praktisch nichts. Daran änderte sich erst etwas nach einer sensationellen Zufallsbegegnung vor der kalifornischen Küste.
Glückstreffer: Zwei Riesenmaulhaie vor Kalifornien
September 2022, knapp 40 km vor der kalifornischen Küste auf der Höhe von San Diego: Als drei Freizeitfischer zwei große Haie filmten, ahnten sie nicht, welch seltene Sichtung sie da aufgenommen hatten. Sie taten das Richtige und sandten ihre Aufnahmen an Forscher der Scripps Institution for Oceanography von der Universität von Kalifornien, San Diego.
Niemals zuvor hatte jemand gleich zwei Riesenmaulhaie, die gemeinsam an der Wasseroberfläche umherschwimmen, gesehen und dies zudem noch auf Video dokumentiert. Zachary R. Skelton und seine Kollegen analysierten das Filmmaterial und veröffentlichten ihre Studie1 im März 2023 im Fachmagazin „Environmental Biology of Fishes“.
Einzelgänger Riesenmaulhai
Nur 273 bestätigte „Sichtungen“ von Riesenmaulhaien soll es nach Informationen des Florida Museum of Natural History bislang geben. Wobei rund 89 Prozent davon als Beifang in der Fischerei landeten, schreiben die Forscher. Die meisten davon im Westpazifik. Wissenschaftlich bestätigt sind – von der jetzigen Begegnung abgesehen – nur fünf Sichtungen von frei schwimmenden Exemplaren. Und diese Haie waren jeweils allein unterwegs.
Ein kurzer Einblick
Die Sichtung vom Herbst 2022 ist daher ein extremer Glücksfall. Nicht nur ein Riesenmaulhai, sondern gleich zwei, die tagsüber gemeinsam an der Oberfläche umherschwammen! Das Video gewährte den Forschern erstmals einen – wenn auch nur kurzen – Einblick in das Sozialverhalten der rätselhaften Riesen.
Aufgrund des Größenunterschieds zwischen den beiden Tieren von rund einem Meter vermuten die Forscher, dass es sich um ein Weibchen (der größere Hai) und ein Männchen bei der Balz handelte. Denn sie umzirkelten sich, ein Werbeverhalten, das man von anderen Haien kennt.
Sicher sind sich die Forscher, dass der kleinere, rund 3,7 m große Riesenmaulhai männlich war. Bei ihm waren eindeutig Klasper zu erkennen, die Geschlechtsorgane männlicher Haie.
Männchen oder Weibchen?
Ob das andere, rund 4,6 m große Tier ein Weibchen war, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Zumindest waren in den Aufnahmen mit ähnlicher Körperposition keine Klasper zu sehen, schreiben die Forscher. Bei den meisten Haien sind die Weibchen größer als die Männchen. Ein weiteres Merkmal sind die Markierungen und Kratzer, die dieser Riesenmaulhai aufwies. Sie können von männlichen Haien stammen, die die Partnerin bei Werbung und Paarung „nippen“, beißen und mit den Zähnen festhalten.
Ähnliche Muster sieht man zum Beispiel auch am Körper von Bogenstirn-Hammerhaien.
Vertikalwanderer Riesenmaulhai
Warum sich die beiden Riesenmaulhaie tagsüber an der Oberfläche aufhielten, ist unklar. Bislang geht man davon aus, dass sie tagesperiodische Vertikalwanderer sind. Tagsüber verweilen sie in Tiefen von bis zu 200 m. Erst nachts kommen sie an die Wasseroberfläche. Doch möglicherweise ist es bei Riesenmaulhaien ähnlich wie bei ihren Verwandten, den Riesen- und Walhaien. Bei diesen Arten variiert die Vertikalwanderung je nach Region und Jahreszeit. So sieht man beispielsweise in der Adria in den Frühjahrsmonaten auch tagsüber sehr gelegentlich einen Riesenhai.
Treffpunkt San Diego?
Möglicherweise sind die Gewässer vor San Diego ein Nahrungs- und Versammlungsgebiet für Riesenmaulhaie, in dem es gelegentlich auch zur Paarung kommt. Die Gegend könnte sich also gut eignen, um mehr über dieses „Großmaul“ herauszufinden.
Citizen Science – Ihre Mithilfe
Das Beispiel zeigt, wie Laien bei der Erforschung seltener und/oder bedrohter Arten helfen können. Daher sind alle dazu aufgefordert, Sichtungen von Meerestieren zu melden. Als Citizen Scientist kann man so einen wichtigen Beitrag zur Enträtselung weitgehend unbekannter Arten leisten.
Haben Sie auch eine Beobachtung gemacht? Dann senden Sie uns (info[AT]stiftung-meeresschutz) Ihre Fotos/Videos mit Angaben zu Ort, Datum und Zeit.
1 Skelton, Z.R., Kacev, D., Frable, B.W. et al. Two’s company: first record of two free-swimming megamouth sharks, Megachasma pelagios (Lamniformes: Megachasmidae), off the California coast. Environ Biol Fish (2023). https://doi.org/10.1007/s10641-023-01406-0https://link.springer.com/article/10.1007/s10641-023-01406-0o:
Artensteckbrief Riesenmaulhai
Der Name ist Programm. Riesenmaulhaie besitzen ein sehr breites, rundliches Maul. Anders als bei den meisten Haien ist es endständig, Ober- und Unterkiefer sind in etwa gleich lang. Am Oberkiefer besitzen sie ein arttypisches weißes Band.
Bislang geht man davon aus, dass sie maximal 5,5 m bei einem Gewicht von über 1.200 kg erreichen.
Sie leben weltweit in tropischen und warm-gemäßigten Gewässern. Die genaue Verbreitung ist jedoch nicht bekannt. (Karte: Florida Museum of Natural History)
Bei der Untersuchung von Mageninhalten fand man Krill, Ruderfußkrebse und Quallen. Man nimmt an, dass Krill die Hauptmahlzeit ist.
Dokumentiert wurden bislang nur Angriffe von Pottwalen.
Wie sich die Art fortpflanzt, ist unbekannt. Man vermutet ovovivipar: Die Jungen schlüpfen im Mutterleib aus dem Ei und werden lebend geboren.
Der rund 4,5 m große Riesenmaulhai starb möglicherweise als Beifangopfer in einem Fischernetz, wie Nonie Enolva, Pressesprecherin des Fischereiministeriums der Philippinen, in den Medien zitiert wurde. Man entdeckte ihn im Juni 2022 tot an der Küste von Bagacay in der philippinischen Provinz Sorsogon. Das Foto stammt von der Facebookseite von Nonie Enolva.
Systematik
Riesenmaulhaie (Megachasma pelagios) gehören wie Riesenhaie (Cetorhinus maximus) und Weiße Haie (Carcharodon carcharias) zur Ordnung der Makrelenhaiartigen (Lamniformes). Der dritte filtrierende Hai, der Walhai (Rhincodon typus), zählt dagegen zu den Ammenhaiartigen (Orectolobiformes).
Gefährdungsstatus
Laut Roter Liste der Weltnaturschutzunion IUCN sind Riesenmaulhaie nicht gefährdet. Allerdings gibt es keinerlei Zahlen zu den Beständen.
Gefahren
Riesenmaulhaie sind hauptsächlich Beifangopfer in der Fischerei. In solchen Fällen dienen sie auch zum menschlichen Verzehr.
Autorin: Ulrike Kirsch im März 2023
Titelfoto: Video-Standbild aus dem Paper Skelton, Z.R., Kacev, D., Frable, B.W. et al. Two’s company: first record of two free-swimming megamouth sharks, Megachasma pelagios (Lamniformes: Megachasmidae), off the California coast. Environ Biol Fish (2023). https://doi.org/10.1007/s10641-023-01406-0o; Video: David Stabile und Andrew Chang