Im Rhein bei Voerde begeisterte Mitte Januar 2023 ein Seehund (Phoca vitulina) mehrere Tage lang Spaziergänger. Fast genau ein Jahr zuvor, Mitte Februar 2022, tauchte einer der kulleräugigen Unterwasserjäger bei Duisburg auf. Medienberichten zufolge gab es auch 2020 eine Sichtung bei Krefeld und eine weitere 2014 bei Düsseldorf. Doch damit nicht genug: Bereits seit Oktober 2022 hält sich einer in der Elbe, weit hinter Hamburg, auf. Und im April 2022 konnte man mehrere der kleinen Robben in Hamburg beim Sonnenbaden am Elbufer bewundern. Auch in der Weser schwammen die wendigen Meeressäuger herum. Doch was lockt sie dorthin? Was machen Seehunde in Flüssen?
Immer der Beute hinterher
„Sie jagen einer Fischbeute hinterher und können dabei im Fluss auch weit ins Landesinnere vordringen“, erklärt unsere Projektpartnerin, die Tierärztin Janine Bahr-van Gemmert vom Robbenzentrum auf der Insel Föhr, den Hauptgrund für das ungewöhnliche Verhalten.
So legte das Tier im Rhein bei Voerde eine Strecke von schätzungsweise 250 Kilometer zurück. Ein auf den Namen Fredo getaufter Artgenosse, der seit Oktober 2022 immer wieder in der Elbe nahe der Lauenburg auftaucht, dürfte an die 150 km stromauf geschwommen sein.
Ein Aufenthalt in Flüssen kann wenige Tage bis mehrere Monate dauern. Gefahren sieht die Tierärztin vorwiegend durch Schiffskollisionen auf den viel befahrenen Wasserstraßen. Auch das Durchschwimmen von Schleusen birgt ein hohes Gefahrenpotenzial für die Unterwasserjäger. © Achim Scholty/pixabay
Süß oder salzig?
Für die Haut sei das Süßwasser, auch bei längeren Aufenthalten in einem Fluss, unbedenklich, so Janine Bahr-van Gemmert. Auch die Nahrungssuche sollte, abhängig von der Region, kein Problem sein. Denn als Opportunisten nehmen die Meeressäuger mit dem vorlieb, was gerade ihren Weg kreuzt. Auch Süßwasserfische werden somit nicht verschmäht.
Seehunde in Flüssen auf Wandertour
„In der Regel finden die Irrgäste selbstständig zurück. Problematisch kann es werden, wenn sie Schleusen passieren müssen“, erklärt die Robbenexpertin. Doch ob ihnen der Rückweg wirklich glückt, bleibt ungewiss. Denn bislang ließ sich dies nicht verfolgen.
Grundsätzlich ist es nicht ungewöhnlich, wenngleich nicht häufig, dass die kleinen Robben mitunter in Flüssen auftauchen. Auch in Großbritannien und den USA sind sie schon öfter stromauf gesichtet worden.
Insbesondere Jungtiere gehen gern auf Entdeckungsreise und vollbringen dabei erstaunliche Leistungen. Denn sie können bereits im ersten Lebensjahr bis zu 500 km von ihrem Geburtsort entfernt auftauchen. Früher schwammen sie dabei auch regelmäßig in Flüsse. Heute ist das schwieriger geworden, denn die meisten Wasserwege sind mit Schleusen und Wasserbauwerken für sie schwer passierbar. Daher sind Seehunde in Flüssen heutzutage eine Sensation.
Autorin: Ulrike Kirsch
Titelfoto: Tom und Nicki Löschner/pixabay