Delfine bringen einander Schwanzflossen-Laufen bei

Von landlebenden Tieren wie Primaten und Hunden weiß man, dass sie neue Verhaltensweisen durch Abschauen bei Artgenossen lernen. Doch können wild lebende Meerestiere das auch? Da sich im Ozean Transferprozesse für derartiges Lernen in der freien Wildbahn kaum dokumentieren lassen, rätselten Wissenschaftler auch lange über eine Verhaltensanomalie bei vor der Küste der südaustralischen Stadt Adelaide lebenden Indopazifischen Großen Tümmlern (Tursiops aduncus). Denn einige der Tiere begannen Anfang der 1990er-Jahre plötzlich, rückwärts auf ihrer Schwanzflosse auf dem Wasser zu laufen. Man kennt das „tail walking“ genannte Verhalten aus Delfinarien. Es gehört – soweit man bisher weiß – nicht zum natürlichen Verhaltensrepertoire der Art. Erst im Laufe einer 30 Jahre dauernden Studie1 über Adelaide-Delfine konnten Forscher das Rätsel schließlich im Jahr 2018 lösen.

Der erste wild lebende „Tailwalker“-Delfin

Die Wissenschaftler stießen bei ihrer Studie auf das Weibchen „Billie“. Es lebte mit rund 30 anderen Tümmlern überwiegend in der Mündung des Port River, 15 Kilometer vom Stadtzentrum von Adelaide entfernt. In Australien sind sie als Port-River-Delfine bekannt.

Als dreijährige Waise hatte Billie 1988 drei Wochen im Adelaide-Marineland-Delfinarium gelebt. Dort erholte sie sich, nachdem sie bei einem Ausflug in den Patawolonga-Fluss in eine Schleuse geraten war und nicht mehr herausgefunden hatte. Während ihres Aufenthalts im Delfinarium trainierte man sie nicht. Allerdings konnte sie Verhalten und Training ihrer dort in Gefangenschaft lebenden Artgenossen beobachten. Bevor man Billie wieder frei ließ, wurde ihre Rückenfinne mit der Zahl 3 markiert. Dadurch konnte man sie später in freier Wildbahn leicht wiedererkennen.

Offensichtlich hatten die Tailwalker aus dem Delfinarium Billie beeindruckt. Doch erst 1995, sieben Jahre nach ihrer Freilassung, sah man sie erstmals beim Tailwalking. Damals war sie etwa 10 Jahre alt und fast erwachsen. Sie führte ihre Kunstfertigkeit auch anderen Delfinen ihrer Gruppe und natürlich ihren sechs Kälbern, von denen nur zwei überlebten, vor.

Tailwalking als Modetanz der Port-River-Delfine

Damit war die Sensation perfekt. Bei Adelaide zeigen wilde Delfine ein Verhalten, das bis dahin nur trainierte Delfine konnten. Es entwickelte sich für einige Jahre zum Modetanz unter den weiblichen Port-River-Delfinen. 2011 liefen mindestens neun von ihnen auf der Schwanzflosse. 2014 ließ das Interesse nach, nur noch zwei Delfine führten das Kunststück gelegentlich vor. Erwachsene Männchen sahen die australischen Wissenschaftler niemals beim Laufen auf der Schwanzflosse.

Ein trainierter Großer Tümmler läuft rückwärts auf der Schwanzflosse.
© U. Karlowski/DSM

Für wilde Delfine hat Laufen auf der Schwanzflosse keine bislang erkennbare praktische Funktion. Offenbar wird es nur zum Spaß ausgeführt.

Entwicklung einer Kultur

Wissenschaftler werten derartige Verhaltensentwicklungen als Beispiel für kulturelles Verhalten innerhalb einer definierten Gruppe. Sozial erlernte Verhaltensweisen werden dabei an Nachkommen und Gruppenmitglieder weitergereicht.

Eine besondere Tierpersönlichkeit

Billie war ein besonderer Delfin. Sie war weit über Australien hinaus bekannt. Bereits 1987 machte der junge Delfin auf sich aufmerksam. Billie schloss Freundschaft mit den Pferden und dem Hund des Pferdetrainers Sandy Sandford, ging regelmäßig mit ihnen im Port River schwimmen. Jeden Morgen sah man den Delfin mit den Pferden herumtollen.

2009 starb Billie an Nierenversagen. Sie wurde nur etwa 25 Jahre alt, hätte noch Jahrzehnte weiterleben können. Doch die Sterblichkeitsrate unter den Port-River-Delfinen ist hoch. Wasserverschmutzung und rücksichtslos rasende Bootsfahrer sind dafür verantwortlich.

  1. Tail walking in a bottlenose dolphin community: the rise and fall of an arbitrary cultural ‘fad’
    M. Bossley, A. Steiner, P. Brakes, J. Shrimpton, C. Foster and L. Rendell
    Published:05 September 2018 https://doi.org/10.1098/rsbl.2018.0314 ↩︎

Ostsee-Solitärdelfin Delle läuft rückwärts auf der Schwanzflosse

Verblüffend ist, dass auch der berühmte Delfin Delle, der seit 2019 als Solitärdelfin in der Ostsee lebt, rückwärts auf der Schwanzflosse läuft. Das berichtet sein langjähriger menschlicher Begleiter, der Däne Jesper Stig Andersen. Delle ist ein Großer Tümmler (Tursiops truncatus). Eine mit den Indopazifischen Großen Tümmlern (Tursiops aduncus) eng verwandte Art.

Vielleicht hat dieser aktive und springfreudige Tümmler das Verhalten zufällig ausprobiert und, wie die Port-River-Delfine, Spaß daran gefunden.

Titelfoto: © vipfit /pixabay


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