Voraussichtliche Lesedauer: 4 Minuten
Die Blockadepolitik der Europäischen Volkspartei (EVP) gegen das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (EU Nature Restauration Law/NRL) ist knapp gescheitert. Unter ihrem Fraktionsvorsitzenden, dem deutschen Europaabgeordneten Manfred Weber (CSU), wollte die EVP das Renaturierungsgesetz, ohne darüber zu verhandeln, aufhalten. Es gilt als Kern des European Green Deal von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Am 12. Juli 2023 stimmte das Parlament mit 324 gegen 312 Stimmen bei zwölf Enthaltungen gegen die Blockadepolitik der EVP.
„Das Scheitern von Manfred Webers EVP ist ein großartiger Erfolg. Ein historischer Schritt für Natur und Umwelt in Europa. Es zeigt, dass man politisch und persönlich motivierte Partikularinteressen nicht gegen den Willen der Mehrheit des Parlaments und der Bevölkerung durchpeitschen kann. Jetzt besteht eine reelle Chance, dass degradierte oder zerstörte Lebensräume in der EU wiederhergestellt werden müssen“, erklärt der Biologe Ulrich Karlowski von der Deutschen Stiftung Meeresschutz, die die europäische Restore-Nature-Kampagne unterstützt.
Inhaltsverzeichnis
Das Renaturierungsgesetz ist unabdingbar für den Erhalt der Artenvielfalt und natürlicher Lebensräume in Europa
Das Renaturierungsgesetz öffnet die Tür, dass Europa, das vergangenen Dezember in Montreal auf der UN-Biodiversitätskonferenz (Convention on Biological Diversity/CBD) vereinbarte 30×30-Ziel zum Erhalt der natürlichen Artenvielfalt, doch noch erreichen kann. Auf der UN-Konferenz vereinbarten die Vertragsstaaten, mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen bis 2030 unter Schutz zu stellen.
Etwa 80 % der natürlichen Lebensräume in Europa sind in einem schlechten Zustand oder bereits zerstört. Die wenigen Reste stehen unter starkem Nutzungsdruck. Doch ohne intakte Lebensräume werden Biodiversitätskrise und Klimakatastrophe ungehindert voranschreiten.
Die EU-Biodiversitätsstrategie mit dem Nature Restauration Law ist ein umfassender, ehrgeiziger und langfristiger Plan zum Schutz der Natur und zur Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme. Sie ist Kernstück des europäischen Grünen Deals. Die Biodiversitätsstrategie zielt darauf ab, die Natur in Europa zu revitalisieren. Dazu sieht sie eine Reihe konkreter Maßnahmen und Verpflichtungen vor. Denn um Ökosysteme wiederherzustellen, braucht es rechtliche Rahmenbedingungen.
Das Renaturierungsgesetz sieht vor, dass die EU-Mitgliedsstaaten unverzüglich und verpflichtend Maßnahmen zur Wiederherstellung von Land-, Küsten-, Süßwasser- und Meeresökosystemen, die sich in einem schlechten Zustand befinden, ergreifen. Und zwar bis 2030 auf mindestens 20 Prozent, bis 2040 auf 60 Prozent, bis 2050 auf 90 Prozent der betroffenen Flächen. Auf Flächen, wo diese Ökosysteme bereits verschwunden sind, müssen Wiederherstellungsmaßnahmen ergriffen werden.
Breite Unterstützung aus der Bevölkerung und der Wissenschaft für das EU-Renaturierungsgesetz
Das Besondere am Gesetz zur Wiederherstellung der Natur ist, dass es die EU-Länder verpflichtet, eine bestimmte Menge an Lebensräumen bis 2050 möglichst weiträumig wiederherzustellen. Gelingt ihnen das nicht, können sie zur Rechenschaft gezogen und vor Gericht gestellt werden.
Doch der Widerstand war und ist erheblich (z. B. aus der konventionellen Landwirtschaft, der Forstwirtschaft und der Fischerei)!

Zuletzt hatten mehr als 1.116.000 Bürgerinnen und Bürger, 210 Umweltorganisationen aus der EU, 6.000 Wissenschaftler, die Weltnaturschutzorganisation IUCN, Klimaaktivistin Greta Thunberg und viele andere mehr sich für das Renaturierungsgesetz eingesetzt und um Zustimmung im EU-Parlament geworben. Mit Erfolg, wie sich zeigte.
Änderungsanträge schwächen das EU-Renaturierungsgesetz
Es bleiben jedoch Wermutstropfen. Über zahlreiche Änderungsanträge, denen das Parlament teilweise zustimmte, gelang es den konservativen Kräften, den Text gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission zum Teil deutlich abzuschwächen.
So entfiel eine Regelung zur Wiederherstellung landwirtschaftlicher Flächen. Hierzu gehören auch entwässerte Moore. Das ist besonders schmerzlich. Denn entwässerte Moore binden kein CO₂ mehr, sondern setzen es frei. Etwa 7 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland stammen aus entwässerten Mooren (ohne Berechnung der Emissionen aus der landwirtschaftlichen Nutzung).
In den jetzt folgenden Trilog-Verhandlungen unter Leitung der spanischen EU-Ratspräsidentschaft zwischen Parlament, Kommission und Ministerrat wird sich entscheiden, ob Europa ein starkes oder ein schwaches Gesetz zur Wiederherstellung der Natur bekommt.