Seit Anfang Oktober des Jahres stranden ungewöhnlich viele Seehunde an Stränden der nordfriesischen Inseln Föhr, Amrum und Sylt. Die Meeressäuger sind geschwächt, verletzt oder leiden unter Lungenwurmbefall. Doch selbst wenn Urlauber oder Anwohner die meist noch jungen Seehunde entdecken und Hilfe herbeirufen, haben diese kaum eine Überlebenschance. Obwohl sich Lungenwurmbefall sehr gut ohne große Belastungen behandeln lässt und die Tiere nach kurzer Zeit wieder in die Freiheit entlassen werden können. Nur in den seltensten Fällen landen sie in der einzigen offiziellen schleswig-holsteinischen „Seehundstation Friedrichskoog“. Denn jetzt im Herbst und Winter werden die meisten an der Nordseeküste von Schleswig-Holstein strandenden Seehunde erschossen.
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Seehunde erschießen?
Wenn ein Seehundjäger eine verletzte oder kranke Robbe für nicht rettbar hält, tötet er sie mit einem Pistolenschuss in den Hinterkopf. 2018 starben mindestens 658 Seehunde an der Küste von Schleswig-Holstein per Kopfschuss. 2019 waren es 690 Tiere. Egal ob eine Robbe gerettet oder erschossen wird: Für jeden Einsatz zahlt das Land eine Pauschale von 45,00 €.
Ethisch fragwürdige Wildtier-Tötung
„Die vermeintlichen Retter, sogenannte in Schleswig-Holstein für das Robbenmanagement zuständige Seehundjäger, erweisen sich viel zu oft als Henker. Ohne weitere Begutachtung durch einen fachkundigen Tierarzt erschießen diese Hobbyjäger seit Anfang Oktober fast alle gestrandeten Seehunde, während besorgten Urlaubern vorgegaukelt wird, die kleinen Robben würden gerettet. Diese Vorgehensweise ist skandalös und ethisch verwerflich“, erklärt der Biologe Ulrich Karlowski von der Deutschen Stiftung Meeresschutz.
Zahl rehabilitierter Robben soll sinken, egal wie
Ziel des deutschen Robbenmanagements ist, die Zahl der in die beiden einzigen offiziellen Aufnahmestationen Deutschlands eingelieferten Seehunde zu senken. Das geschieht besonders im Herbst und Winter durch das Ausmerzen vermeintlich „unfitter“ Exemplare. Deshalb werden in dieser Zeit Seehunde in großer Zahl erschossen.

Foto: Amy Asher/unsplash
Genpool der Nordsee-Seehunde soll „sauber“ bleiben
„Damit wollen die Verantwortlichen aus Politik, Verwaltung und der Jägerschaft den Genpool der Nordsee-Seehunde gezielt steuern. Zudem solle so wenig wie möglich in natürliche Abläufe, zu denen auch das Sterben von erkrankten Wildtieren gehöre, eingegriffen werden. Dabei ignorieren die Verantwortlichen, dass die Erkrankungen Folgen der menschgemachten Verschmutzung der Meere sind, keine natürlichen Erkrankungen. Auch der Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer leidet unter diesen Verschmutzungen. Abgesehen davon widerspricht das Töten erkrankter oder verletzter Wildtiere ohne fachkundige Beurteilung ethisch bedingter Fürsorgepflicht und dem Tierschutzgesetz“, erklärt Ulrich Karlowski.
Meeressäugermanagement in Deutschland in Jägerhand?
Nach Meinung der Deutschen Stiftung Meeresschutz ist es eine weitere Bankrotterklärung deutscher Meeresschutzpolitik, dass weder fachkundige Tierärzte noch Wildtierbiologen berechtigt sind, Seehunde, angespülte Schweinswale oder andere Meeressäuger zu bergen und zu pflegen. Für das Meeressäugermanagement in Deutschland sind Hobbyjäger mit Zusatzausbildung zuständig. Diese können unkontrolliert und eigenmächtig beliebig viele Seehunde erschießen, ohne, dass dies hinterfragt wird.
Petition
„Tierärzten muss es erlaubt sein, verletzte und kranke Robben zu retten!“ auf change.org, gestartet von der Schauspielerin Janina Fautz und Janine Bahr-van Gemmert (Tierärztin im Robbenzentrum Föhr)
Foto oben: Der kleine Seehund wurde nicht erschossen, sondern gerettet, er erhielt den Namen „Pirie“
Meeressäuger-Rettungsnetzwerk? Fehlanzeige
Es ist dringend notwendig, dass in Deutschland ein professionelles und mit modernem Rettungsgerät ausgerüstetes Meeressäuger-Rettungsnetzwerk mit strategisch verteilten Aufnahme- und Pflegestationen eingerichtet wird. Dabei sollten auch Ranger, Veterinäre oder Wildtierbiologen eingesetzt werden. Denn es geht ja auch um die Rettung von gestrandeten Schweinswalen, der einzigen bei uns heimischen Walart.

Toter Schweinswal am Sandstrand in Sylt – Foto: nature.picture / pixelio.de
Zudem beobachtet man gerade eine Lebensraumverschiebung beim Großen Tümmler, der bald wieder an der deutschen Nordseeküste heimisch werden könnte. Darüber hinaus tauchen bei uns aber auch andere Delfinarten und sogar Großwale auf. Doch für Rettungsaktionen bei Strandungsereignissen dieser Arten gibt es weder qualifiziertes Personal noch geeignetes Rettungsgerät.
Rettungsnetzwerke für Meerestiere
- British Divers Marine Life Rescue – Dedicated to the rescue of marine life, Großbritannien
- French Stranding Network PELAGIS, La Rochelle – The oldest participative science network in France
- Irish Whale and Dolphin Group (IWDG), Irland
- Greater Atlantic Regional Marine Mammal Stranding Network (NOAA), USA
- Disentanglement Network – Ostküste Nordamerika, USA
- Texas Marine Mammal Stranding Network (TMMSN), USA
- The Marine Mammal Center – California coastline and the Big Island of Hawai‘i, USA
- Marine Mammal Rescue and Response – World Vets, State of Washington, USA
- Marine Mammal Stranding Network (California Academy of Sciences), USA
- Sea Turtle Stranding and Salvage Network (NOAA Fisheries), USA
- Marine Animal Rescue (MAR) – Pacific Palisades, Long Beach & Catalina Island, USA
- Whale and dolphin rescue (DAWE) – Australian Government, Neuseeland
- Marine mammal strandings (Department of Conservation, New Zealand), Neuseeland
- San Juan County Marine Mammal Stranding Network (SJCMMSN) – The Whale Museum/NOAA Fisheries, USA
- Central Puget Sound Marine Mammal Stranding Network – Orca Network, USA
- Philippine Marine Mammal Stranding Network (MPPSN), Philippinen