Seit September 2022 fördern wir ein von der Turtle Foundation 2008 gestartetes Schutzprojekt auf der Kapverdeninsel Boa Vista für Unechte Karettschildkröten. Das Besondere daran: Bei der Wildereibekämpfung werden neben Rangerpatrouillen, Drohnen und Nachtsichtgeräten drei speziell ausgebildete Artenschutzhunde eingesetzt. Mit diesem innovativen Ansatz im Wildtierschutz gelang es, das Wildererunwesen stark zurück zu drängen. Entscheidend dabei ist das ausgeklügelte Zusammenspiel von Rangern, Volontären mit den Hunde- und Drohnenteams und lokalen Polizeikräften. Die Unechte Karettschildkröte (Caretta caretta) ist auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN als gefährdet eingestuft, die Population im Nordostatlantik als stark gefährdet. Die Kapverden-Nistpopulation zählt zu den elf am stärksten bedrohten Meeresschildkröten-Populationen.
- Erfolge aus der Projektbilanz 2023
- Boa Vista ist eine bedeutende Niststätte für Schildkröten
- Bekämpfung der Schildkröten-Wilderei auf Boa Vista
- Artenschutzhunde ergänzen Drohnen und Nachtsichtgeräte
- Was sind Artenschutzhunde?
- Welche Schildkrötenarten gibt es bei den Kapverden?
- UN-Nachhaltigkeitsziele des Projekts
- Meeresschildkröten in Not
Erfolge aus der Projektbilanz 2023
- Seit Projektbeginn sank die Schildkröten-Wilderei auf weniger als 0,2 % der jährlichen Nistpopulation.
- In der Nistsaison 2023 töteten Wilderer nur 17 von ca. 12.000 auf der Insel Boa Vista nistenden Weibchen. Damit sank die Schildkröten-Wilderei seit Projektbeginn auf weniger als 0,2 % der jährlichen Nistpopulation.
- An den mit Strandcamps der Turtle Foundation geschützten Stränden zählten Ranger und Volontäre 10.539 Nester. Dies entspricht etwa 2.100 nistenden Weibchen, denn jedes Weibchen gräbt etwa fünf Nester.
- Da durchschnittlich 40 Schlüpflinge pro Nest den Ozean erreichen, entspricht dies ca. 421.560 Schlüpflingen aus den vom Projekt bewachten Stränden. Der Schlupferfolg liegt in der Natur durch von Räubern wie Geisterkrabben oder Vögel verursachte Verluste niedriger als in der Aufzuchtstation (Hatchery).
- 336 besonders gefährdete Nester wurden in die Hatchery umgebettet. Dies geschieht immer dann, wenn Nester zu nah an der Uferlinie liegen oder durch Überschwemmung gefährdet sind. Auch Nester, die sich direkt vor dem am Strand Lacacao gebauten Hotel Riu Touareg, im Süden Boa Vistas, befinden, gelten als stark gefährdet. Aufgrund der beträchtlichen Lichtverschmutzung durch das Hotel würden alle Jungtiere nach dem Schlupf in die falsche Richtung krabbeln und sterben. Nach Möglichkeit soll der natürliche Nistprozess allerdings ungestört bleiben.
- Aus den 336 Nestern in der Hatchery schlüpften 18.054 Schlüpflinge. Das entspricht einem Nisterfolg von 67 %. Dabei wiegt und vermisst man einige der Jungtiere. Auch der Einfluss von Mikroplastik im Sand auf den Schlupferfolg wird untersucht.
- 2023 erreichten aus den ca. 60.000 Nestern der ca. 12.000 auf Boa Vista nistenden Weibchen bei einem durchschnittlichen Schlupferfolg von 40 Schlüpflingen pro Nest etwa 2.400.000 junge Meeresschildkröten das Meer!
52 einheimische Ranger, 36 internationale Volontäre, die Artenschutzhunde Zedda, Karetta und Kelo sowie Hundetrainer Marcel Maierhofer und sein Team von Mantrailing24 sind die Helden dieser wunderbaren Erfolgsgeschichte. Ziel ist es, die Wilderei auf Schildkröten in Boa Vista auf null zu reduzieren.
Boa Vista ist eine bedeutende Niststätte für Schildkröten
Die Kapverdischen Inseln im Atlantik sind nach Oman und Florida der drittgrößte Nistplatz der Unechten Karettschildkröte.
Etwa zwei Drittel der auf Kap Verde nistenden Schildkröten zieht es auf die Insel Boa Vista. Jedes Jahr zwischen Juni und Oktober kommen die Weibchen in großer Zahl nachts an die Strände, um Nester zu graben und ihre Eier abzulegen.
Seit 1987 stehen Meeresschildkröten auf den Kapverden unter Schutz. Dennoch ging die seitdem als Wilderei geltende Jagd dadurch nur unwesentlich zurück. Die „Nutzung“ der Meeresreptilien zur Nahrungsversorgung war tief in der ländlichen Bevölkerung verwurzelt.
Bekämpfung der Schildkröten-Wilderei auf Boa Vista
Allein 2007 starben hier an den Stränden etwa 1.200 Weibchen. Die meisten von ihnen, bevor sie ihre Eier legen konnten. Daher rief die Turtle Foundation 2008 ein umfassendes Projekt zum Schutz dieses bedeutenden Nistplatzes ins Leben.
Feldstationen
Zu Beginn einer jeden Nistsaison errichtet das Turtle-Foundation-Team an strategisch günstigen Stellen fünf Feldstationen. Über die gesamte Nistzeit sind dort von Juni bis Oktober Ranger und Volontäre untergebracht. Sie patrouillieren rund 30 Kilometer der insgesamt 65 km umfassenden Niststrände. Als flankierende Maßnahmen findet ein intensives Begleitprogramm vorwiegend in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, Umweltbildung und Öffentlichkeitsarbeit statt. Damit fördert das Projekt die Nachhaltigkeit der direkten Schutzmaßnahmen.
Zunahme der Wilderei trotz Strandpatrouillen
Mithilfe der konventionellen Strandpatrouillen ging die Wilderei von nistenden Schildkrötenweibchen von 2008 bis 2014 deutlich zurück.
Doch 2015 verstärkten die Wilderer ihre Aktivitäten, wurden auch aggressiver. Denn es locken finanzielle Anreize. Dank verbesserter Ausrüstung und anderen „Strategien“ konnten sie den Ranger-Patrouillen ein um andere Mal ausweichen. Es gelang ihnen, viele Schildkröten zu töten.
Mittlerweile gilt Schildkrötenfleisch auf den Kapverden als teure Delikatesse. Dies führte dazu, dass bis 2017 in einigen Gebieten fast 5 % aller nistenden Weibchen getötet wurden.
Artenschutzhunde ergänzen Drohnen und Nachtsichtgeräte
Um dies in den Griff zu bekommen, erweiterte die Turtle Foundation in enger Zusammenarbeit mit der lokalen Naturschutzbehörde und der Polizei die Maßnahmen zur Wildereibekämpfung. Zum Einsatz kommen jetzt moderne Nachtsichttechnik, Funkgeräte, Drohnen, Ferngläser mit Wärmebildtechnik.
Doch mit Technik allein bekam man die Wilderei nicht vollständig in den Griff. Deshalb setzt man seit 2022 zusätzlich auf die Spürnasen speziell ausgebildeter Artenschutzhunde. Damit eröffneten sich neue Dimensionen in der Wildereibekämpfung. Zur besseren Abschreckung arbeitet das Ranger-Team dabei mit aufeinander abgestimmten Einsatzkonzepten und -strategien.
Da die Meeresschildkröten stets nachts zur Eiablage an die Strände kommen, finden auch die Patrouillen nachts statt. Und das täglich an zufällig ausgewählten Stränden. Schwerpunktmäßig sind dies Strände mit hohem Wilderei-Risiko im Norden und Osten der Insel. Häufig begleiten Polizeibeamte die Ranger.
Mit ihren feinen Nasen und Ohren spüren die Artenschutzhunde während der Strandpatrouillen zielsicher Personen auf, die an den Niststränden nichts zu suchen haben. Zudem sind sie auf Schildkrötenfleisch trainiert. Ihnen entgehen keine auch noch so gut versteckten und getarnten Überreste getöteter Meeresschildkröten. Auf diese Weise entdeckten die Ranger einige ihnen vorher nicht bekannte Wilderei-Hotspots.
Überdies nehmen die Hunde die Fährten der Täter anhand von Geruchsproben auf: Denn oft genug hinterlassen Wilderer Stoffreste und Seile am Tatort.
Das mobile Hunde- und Drohnenteam ist auch auf den Niststränden im Osten der Insel im Einsatz. Dann gemeinsam mit Rangern von Bios.CV und Natura 2000, zwei weiteren auf Boa Vista aktiven Projekten zum Schutz der Schildkröten.
Mit der „Skorpion-Strategie“ den Tätern auf der Spur
2022 entwickelte das Team der Turtle Foundation die sogenannte „Skorpion-Strategie“.
Sie beinhaltet die Überwachung eines längeren Strandabschnittes durch endständig postierte Teammitglieder mit Nachtsichtferngläsern. In der Mitte des Strandabschnittes lauern versteckt positioniert die Drohnen- und Bodenteams.
Entdecken die Nachtsichtfernglas-Posten oder das Drohnenteam Wilderer, leiten sie das Bodenteam mit den Artenschutzhunden per Funk zum Tatort. Um dort die Täter festzunehmen, müssen die Ranger von zwei Polizisten begleitet werden.
Die „Skorpion-Strategie“ erfordert viel Training, eine perfekte Kommunikation und das vertrauensvolle Zusammenspiel aller Teammitglieder. Sie hatte nicht zuletzt dank der drei Artenschutzhunde in der Nistsaison 2022 einen durchschlagenden Erfolg. An den damit überwachten Stränden kam es nur zu einem nachgewiesenen Fall von Wilderei.
Artenschutzhunde im Einsatz am Flughafen von Boa Vista und auf Sal
Die Hunde sind auch darauf trainiert, Meeresschildkrötenfleisch in Taschen und in Fahrzeugen aufzuspüren und zu melden. Denn verpacktes Schildkrötenfleisch wird auf andere Inseln – vornehmlich in die Hauptstadt Praia auf Sal – geschmuggelt. Der Einsatzbereich „Objektsuche“ kam auf Boa Vista während der Nistsaison 2023 zweimal am Flughafen von Boa Vista zur Anwendung. Es wurde kein Schildkrötenfleisch gefunden.
In Praia, wo der größte Teil Bevölkerung des Landes lebt, bieten Händler Schildkrötenfleisch offen auf lokalen Märkten zum Verkauf an. Noch ist unklar, woher das Fleisch stammt, denn auf Sal nisten kaum Schildkröten.
Im Rahmen eines vom britischen Illegal Wildlife Trade Challenge Fund (IWT) finanzierten Projekts, arbeitetet Turtle Foundation jetzt mit der Organisation Project Biodiversity, die auf Sal tätig ist, zusammen.
Nach mehreren Vorbereitungstreffen unter Einbeziehung der Behörden auf Sal fanden im Juli und im Oktober jeweils mehrtägige Missionen des Hundeteams statt. Trainer Marcel Maierhofer reiste von Deutschland an, um die Einsätze der Hundeführer und Hunde anzuleiten. Dabei kam es auch zu mehreren Gepäckkontrollen am Hafen und am Flughafen. Schildkrötenfleisch fanden die Hunde auch hier nicht. Allerdings konnten bei einer nächtlichen Strandpatrouille zwei Personen verhaftet werden.
Was sind Artenschutzhunde?
Mit ihren rund 200 Millionen und mehr Geruchsrezeptoren (zum Vergleich: der Mensch besitzt rund sechs Millionen) sind Hunde gefragte Mitarbeiter in etlichen Bereichen des Natur- und Artenschutzes. Am bekanntesten dürften Zollhunde sein, die in den Koffern von Reisenden illegal eingeführte geschützte Arten, wie Korallen oder Seepferdchen, ausfindig machen. Trainierte Suchhunde entdecken auch bestimmte Pflanzen- oder Tierarten und sogar Losung im Wasser! So etwa die Mischlingshündin Eba. Sie hilft beim Center for Conservation Biology im US-Bundesstaat Washington bei Orca-Schutzmaßnahmen, weil sie sehr gut darin ist, im Wasser treibenden Kot der Meeressäuger zu erschnüffeln.
Wer sind die Artenschutzhunde auf Boa Vista?
Kelo
Der sechsjährige (2023) Kelo ist trotz seines rassebedingten Arbeitseifers ein ruhiger und freundlicher Hund.
Er ist sehr verträglich im Umgang mit anderen Hunden und Menschen. Kraft und Ausdauer des Rüden passen sehr gut zu seinem athletischen Hundeführer Carlos “Toti” Monteiro Reis.
Karetta
Die sensible Schäferhündin Karetta wird von João „Djola“ José Mendes de Oliveira betreut.
Sie steht Kelo in der Objektsuche wie auch im Mantrailing in nichts nach, kann aber aufgrund ihrer misstrauischen Einstellung zu Fremden nicht für die Öffentlichkeitsarbeit mit Kindern eingesetzt werden. Zu ihrem Hundeführer hat sie jedoch großes Vertrauen und arbeitet mit Freude.
Zedda
Die heimliche Chefin des kleinen Rudels ist die achtjährige Zedda.
Zedda war bereits erwachsen, als sie zum Hundeteam kam. Bis dahin lebte sie selbstständig auf Boa Vista. Daher verfügt sie nicht über den Grundgehorsam, der für die Einsatzreife erforderlich ist. Im Zweifel entscheidet Zedda immer selbst, was sie gerade tun möchte – arbeiten oder doch lieber Krabben jagen.
Dennoch ist sie ein wertvolles Mitglied des Teams, weil sie auch Anfängerfehler von Hundeführern verzeiht. Seit 2023 ist Délvis Rodrigues ihr neuer Hundeführer.
Hundetrainer Marcel Maierhofer
Welche Schildkrötenarten gibt es bei den Kapverden?
Neben Unechte Karettschildkröten (Caretta caretta) kommen vier weitere Arten in die kapverdischen Gewässer, die hier allerdings nicht regelmäßig nisten.
- die stark gefährdete Grüne Meeresschildkröte (Chelonia mydas)
- die in manchen Regionen vom Aussterben bedrohte Lederschildkröte (Dermochelys coriacea)
- die gefährdete Oliv-Bastardschildkröte (Lepidochelys olivacea)
- die vom Aussterben bedrohte Echte Karettschildkröte (Eretmochelys imbricata)
UN-Nachhaltigkeitsziele des Projekts
Nach Informationen der Turtle Foundation
Alle Fotos: © Turtle Foundation
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