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An der deutschen Nordseeküste stranden überraschend viele Wal- und Delfinarten. Dies zeigt eine von Prof. Dr. Ursula Siebert und dem dänischen Meeressäugerspezialisten Dr. Carl Christian Kinze initiierte Studie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo). Gemeinsam mit dem Nationalparkamt Niedersachsen gingen die Wissenschaftler dabei weit in die Vergangenheit zurück. Bis ins Jahr 1604. Akribisch durchforsteten sie dazu historische Aufzeichnungen und Museumsarchive. Was sie dabei an verschüttetem Wissen zutage förderten, ist verblüffend. Denn zwischen 1604 und 2017 fanden sie Strandungsnachweise für 19 Arten von Walen und Delfinen in der Nordsee. Darunter Arten, wie Blau-, Finn- und Buckelwal, die man hier nicht erwartet hätte.
Inhaltsverzeichnis
Sisyphusarbeit
Mitunter war es schwierig, einem Strandungsereignis die passende Art zuordnen. „Früher wurden alle Wale, die im deutschen Teil der Nordsee angetroffen wurden, mit Ausnahme des Schweinswals, vereinfacht gesagt, in eine einzige Kategorie von mutmaßlich erratischen Arten eingeteilt“, beschreiben die Forscher die Probleme. Dennoch gelang es, viele detaillierte Informationen über die Artzusammensetzung von an den Küsten der Nordsee im Zeitraum von 413 Jahren gestrandeten Walen und Delfinen aufzustöbern.
Am häufigsten stranden bei uns Schweinswale
Schweinswale sind die einzige bei uns heimische Walart. Ihr Vorkommen lässt sich laut der Studie bis ins Jahr 1651 zurückverfolgen. Damals tauchten die kleinen Meeressäuger in der Elbe auf. 1670 dann auch in der Weser. Bis 1885 konnte man Schweinswale sogar noch im Rhein bei Emmerich beobachten. Statistische Daten zu Schweinswalstrandungen werden in Deutschland erst ab 1990 erhoben. Bis einschließlich 2017 sind für diese Art 3.764 Strandungsereignisse dokumentiert.
Große Tümmler in der Elbe
Bis 1920 waren Totfunde der bekanntesten Delfinart in der Elbe keine Seltenheit. Denn die großen Delfine schwammen früher sogar bis hinunter zur Lutherstadt Wittenberg im Osten Sachsen-Anhalts. Große Tümmler haben nach dem Schweinswal die höchste Flussaffinität. Deshalb wundert es nicht, dass die Art früher in allen großen deutschen norddeutschen Flusssystemen auftauchte.
Insgesamt fanden die Forscher unter den Strandungsbelegen für Wale und Delfine in der Nordsee 31 Fälle für den Großen Tümmler in Flüssen und an der Küste. Darunter auch einige getötete Exemplare.
Strandungen Großer Tümmler 1604–2017 © ITAW/TiHo
Was machen die denn hier?
Neben häufiger strandenden Arten wie Gemeinen Delfinen oder Weißschnabeldelfinen überraschen einige „Meeressäuger-Exoten“. Etwa die 9 Orcas, die zwischen 1841 und 2016 an der Nordseeküste starben.
Am Strand von Rantum auf Sylt fand man am 8. Februar 2016 einen toten Orca. Foto: C. Dethlefs
Sogar arktische Arten wie Narwale und Belugawale verschlägt es manchmal zu uns. Das zeigen die beiden für diese Meeressäuger jeweils dokumentierten Totfunde. Auch die wohl spektakulärste Walart, Buckelwale, erwartet man nicht unbedingt. Dennoch starben hier zwischen 1824 und 1994 drei Exemplare der wegen ihrer Gesänge berühmten Meeressäuger.
Blauwale
Die Einwohner von Rantum (Sylt) trauten wahrscheinlich ihren Augen nicht, als im Juni 1881 plötzlich ein toter, über 15 m langer Blauwal am Strand lag. Doch blieb dies das einzige Strandungsereignis für diese Art. Und auch der einzige Bericht über die Sichtung eines Exemplars der größten rezenten Tierart der Welt unter den in der deutschen Nordsee gesichteten Walen und Delfinen. Einzelne Blauwale tauchten noch an der belgischen (1827) und niederländischen Küste (1840) auf. Zuletzt wurde 1907 vor Dänemark einer der seltenen Gäste beobachtet.
Finnwale
Verglichen damit stranden Finnwale bei uns häufiger. Denn im Zeitraum 1827 bis 2012 fanden die Forscher unter den Berichten an der Nordseeküste gestrandeter Wale und Delfine 21 Strandungen der zweitgrößten rezenten Tierart der Welt. Dabei töteten während beider Weltkriege auch ausgelegte Seeminen einige Bartenwale. Sie kollidierten mit den schwimmenden Sprengfallen. Brachten sie zur Detonation. Auf diese Weise starb auch der kopflose Finnwal, der im Juli 1943 am Juister Riff angespült wurde.
Pottwale
Pottwal Strandungen an der deutschen Nordseeküste 1604–2017 © ITAW/TiHo
Immer wieder stranden an der deutschen Nordseeküste auch Pottwale. Bei ihren Nachforschungen stießen die Forscher auf 21 seit 1604 dokumentierte Strandungsereignisse für die größte Zahnwalart. Dabei starben 59 Pottwale. Zuletzt 2016. Damals strandeten im Januar und Februar an der Küste zwischen Wangerooge und Büsum und auf Helgoland 15 junge Pottwalbullen.
Sie waren Teil eines umfangreicheren Strandungsgeschehens an der Nordseeküste. Dabei strandeten 30 Pottwale verteilt auf die Küsten Deutschlands, der Niederlande, Großbritanniens, Dänemarks und Frankreichs. TiHo-Wissenschaftler und Kollegen aus den Nachbarländern untersuchten anschließend 24 der gestrandeten Tiere auf Schadstoffe. Anhand der dabei festgestellten Kontaminationsprofile stellte sich heraus, dass die Meeressäuger aus zwei unterschiedlichen Regionen stammten. Während eine Gruppe aus dem nördlichen Teil des Atlantiks stammte, kam die andere aus dem Gebiet der Kanarischen Inseln.
Pottwale können sich, wie andere ozeanischen Arten, zu denen auch Blauwale, Finnwale und Buckelwale zählen, kaum an die Lebensbedingungen in der Nordsee anpassen. Denn der küstennahe Lebensraum konfrontiert sie mit Problemen, die sie nicht bewältigen können. Sie finden hier kaum Nahrung. Ihre Navigation versagt.
Kommt der Große Tümmler zurück?
Bei anderen Arten dagegen besteht die Möglichkeit, dass man sie beim Strandurlaub an der Nordsee zukünftig häufiger zu Gesicht bekommt. „Der Lebensraum Fluss wurde sowohl vom Schweinswal als auch vom Großen Tümmler genutzt. Dann bereitete die zunehmende Verschmutzung der Flüsse im Laufe des 20. Jahrhunderts dem ein Ende. Die erfolgreiche Rückkehr des Schweinswals in diese Flüsse könnte jedoch auch ein Vorläufer für das Wiederauftauchen des Großen Tümmlers sein“, hoffen die Forscher.
Bisher gibt es Nachweise für Große Tümmler im südlichsten Teil der deutschen Nordseeküste. Hierbei könnte es sich um Streugäste aus den Niederlanden handeln. Auch entlang der nördlichen englischen Nordseeküste dehnten Große Tümmler aus Schottland kürzlich ihr Verbreitungsgebiet weiter nach Süden aus.
Wale und Delfine in der Nordsee – welche Arten strandeten seit 1604?
Delfine
- Blau-Weißer Delfin (Stenella coeruleoalba)
- Gemeiner Delfin (Delphinus delphis)
- Großer Tümmler (Tursiops truncatus)
- Rundkopfdelfin / Risso’s Delfine (Grampus griseus)
- Weißschnauzendelfin (Lagenorhynchus albirostris)
- Weißseitendelfin (Lagenorhynchus acutus)
- Grindwal (Globicephala melas)
- Orca/Schwertwal (Orcinus orca)
Wale, inkl. Schweinswale & Schnabelwale
- Belugawal (Delphinapterus leucas)
- Blauwal (Balaenoptera musculus)
- Buckelwal (Megaptera novaeangliae)
- Finnwal (Balaenoptera physalus)
- Narwal (Monodon monoceros)
- Nördlicher Entenwal (Hyperoodon ampullatus)
- Pottwal (Physeter macrocephalus)
- Schweinswal (Phocoena phocoena)
- Seiwal (Balaenoptera borealis)
- Sowerby-Zweizahnwal (Mesoplodon bidens)
- Zwergwal/Minkewal (Balaenoptera acutorostrata)
Studie „Cetacean strandings along the German North Sea coastline 1604–2017“ veröffentlicht in:
Journal of the Marine Biological Association of the United Kingdom.
Foto oben: Bergung einiger der 2016 gestrandeten Pottwalbullen – Foto: Sonja von Brethorst