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Auch wenn Haiangriffe auf Menschen außergewöhnlich selten vorkommen, erzeugen sie viel Aufmerksamkeit. Um das Vordringen von potenziell für den Menschen gefährlichen Haien bis in Strandnähe zu verhindern, setzt man in Südafrika oder Australien sogenannte Hainetze gegen Haiangriffe ein. Die Tiere sollen vorher von den Netzen „abgefangen“ werden. Hainetze stehen stark in der Kritik. Denn sie tragen zur Biodiversitätskrise an den betroffenen Küstenabschnitten bei. Viele andere Meerestiere sterben. Darunter auch bedrohte Delfin- und Haiarten sowie Meeresschildkröten und Rochen. Für die Population der etwa 500 Bleifarbenen Delfine (Sousa plumbea), die es noch an der Ostküste von Südafrika (Provinz KwaZulu-Natal) gibt, sind Hainetze sogar eine akute Überlebensfrage. Diese zu den Buckeldelfinen gehörende Art ist die am stärksten vom Aussterben bedrohte Meeressäugerart des Landes.
Todesfalle Hainetz
In Südafrika sind Hainetze seit 1952 Mittel der Wahl gegen Haiangriffe. Es handelt sich um Kiemennetze. Sie bestehen aus schwarzem Multifilament-Polyethylen, das mit einer Maschenweite von 51 cm gewebt ist. Meist sind sie etwa 214 m lang und 6,3 m tief und in 10–14 m Wassertiefe verankert. Diese Netze stehen parallel zur Küstenlinie jenseits der Brandung zwischen 300 und 500 m vor der Küste knapp unter der Wasseroberfläche. Sie sind, von kleineren Unterbrechungen abgesehen, das ganze Jahr über gestellt und werden regelmäßig kontrolliert. In Südafrika allerdings nur einmal am Tag und nur an Werktagen. Beschädigte Stellnetze werden ersetzt. Alle lebend in den Netzen gefundenen Tiere (einschließlich Haie, Meeresschildkröten und Wale), lässt man wieder frei. Tote Tiere werden entfernt und zu Forschungszwecken eingesetzt.
Bereits vor der Installation der ersten Hainetze in Südafrika waren Haiangriffe dort selten. Doch registrierte man seit 1999 an den „geschützten“ Stränden keine Angriffe mehr. Dies wird als Erfolg gesehen. Für Meeresschützer ist dies allerdings eher ein Indiz für bereits drastisch reduzierte Bestände der großen Haiarten. Denn es gibt einfach nicht mehr genug von ihnen. Hainetze wirken wie eine Art kontinuierlicher Haifischerei.
In Hainetzen vor der Ostküste von Südafrika sterben unter anderem regelmäßig:
- Bleifarbene Delfine (Sousa plumbea)
- Indopazifische Große Tümmler (Tursiops aduncus)
- Langschnäuzige Gemeine Delfine (Delphinus capensis)
- Sambesi- oder Bullenhaie (Carcharhinus leucas)
- Weiße Haie (Carcharodon carcharias)
- Tigerhaie (Galeocerdo cuvier)
- Riesengitarrenrochen des Rhynchobatus djiddensis-Artenkomplexes, Großer Geigenrochen (R. djiddensis)

Toter Bullenhai, Provinz KwaZulu-Natal. Foto: Fiona Ayerst/Marine Photobank
Küstennah lebende Delfine sterben in Hainetzen
Doch nicht nur Haie zahlen einen hohen Preis. Wobei dieser sowohl beim Zuschwimmen auf die Küste als auch beim Verlassen zu zahlen ist. Denn es ist nur allzu leicht, seitlich an den Stellnetzen vorbei oder unterhalb durchzuschwimmen. Für küstennah lebende Delfinarten, wie z. B. Buckeldelfine können Hainetze gegen Haiangriffe sogar zum Zusammenbruch einer Population beitragen. Dies fanden die Meeresbiologin Shanan Atkins von der University of the Witwatersrand in Johannesburg und Kollegen in einer achtjährigen Langzeitstudie heraus.
In KwaZulu-Natal stehen vor 37 Stränden Hainetze gegen Haiangriffe. Doch vor Richards Bay starben die meisten Bleifarbenen Delfine (Sousa plumbea), etwa 60 Prozent aller Hainetz-Beifänge. Und das, obwohl hier nur 5 Prozent der 23,4 Kilometer Stellnetzlänge der 320 Kilometer langen Küste von KwaZulu-Natal stehen. Daher konzentrierten sich die Wissenschaftler auf das bei Badenden und Surfern beliebte Richards Bay.
Buckeldelfine in der ökologischen Falle
Vor Richards Bay schwimmen Bleifarbene Delfine in ein Dilemma. Das Gebiet ist, wahrscheinlich wegen seines Nahrungsangebots, attraktiv. Doch birgt es durch die Hainetze gleichzeitig ein hohes Gefahrenpotenzial. Daher erleidet die KwaZulu-Natal-Population kontinuierlich Verluste. Diese sind durch natürliche Vermehrung nicht zu kompensieren.

Ertrunkener Delfin. Richards Bay, Südafrika. Foto: Brett Atkins
Hohe Delfinbeifänge in Hainetzen vor Richards Bay
Das sechsköpfige Team aus südafrikanischen und einem australischen Wissenschaftler identifizierte 109 Delfine mittels Fotoidentifikation individuell. Insgesamt fanden im Untersuchungszeitraum 417 Beobachtungsaktionen statt. Bei 272 von ihnen sichtete man 384 Delfingruppen. Die Forscher konnten so den Großteil der Buckeldelfine erfassen, die während des Untersuchungszeitraums entweder regelmäßig an Richards Bay auf ihren Wanderungen vorbeischwammen oder die sich ständig dort aufhielten. Wobei die Zahl residenter Tiere im Vergleich sehr klein blieb. Meist verweilten sie nur für ein oder zwei Tage. Dann zogen sie weiter. Aber: Sie kommen immer wieder!
Während der Studie starben mindestens 35 Delfine vor Richards Bay (25 Männchen, 9 Weibchen, bei einem war das Geschlecht nicht mehr feststellbar). Darunter auch 9 Tiere, die das Forscherteam individuell identifiziert hatte. „Die Hainetze führen zu einer kontinuierlichen Schwächung der Population“, erklärt Shanan Atkins.
Hainetze sind eine Sonderform der Fischerei zur Haibekämpfung
In KwaZulu-Natal werden Anti-Haimaßnahmen vom KwaZulu-Natal Sharks Board (KZNSB) koordiniert. Die Fangrate der Netze wird dabei recht genau dokumentiert. Dabei zeigen die Aufzeichnungen, dass sich ein Drittel der Tiere strandseitig in den Netzen verfängt. Also ausgerechnet dann, wenn sie die Bucht wieder verlassen wollen!
Einfache Rechnung: weniger Haie = weniger Haiangriffe
Hainetze gegen Haiangriffe agieren im Grunde wie eine kommerzielle Haifischerei. Nur, dass der Fang nicht genutzt wird. Besonders schlimm an dieser Fischereimethode ist ihre Beifangrate. Stellnetze haben eine doppelt so hohe Beifangrate wie Schleppnetze. De facto schwächen sie die Populationen großer Haiarten. Delfinbeifänge sowie Beifänge kleiner und für den Menschen harmloser Hai- und Rochenarten nimmt man dabei in Kauf.
Zwischen 2013 und 2017 starben in südafrikanischen Hainetzen, laut KZNSB-Statistiken, jedes Jahr durchschnittlich 416 Haie und über 160 andere Meerestiere, darunter Delfine, Meeresschildkröten und Wale. Von den jährlich durchschnittlich 27,2 gefangenen Buckeldelfinen entdeckte man im Schnitt nur ein Tier pro Jahr rechtzeitig genug, um es lebendig freizulassen.
Im gleichen Zeitraum lag der Jahresdurchschnitt in Hainetzen gefangener völlig harmloser Rochen und Geigenrochen bei 135,8 Tieren. Etwa die Hälfte davon konnte lebend befreit werden.
Immerhin befreit das KZNSB seit 1989 Haie, die noch leben. Darunter auch potenziell für Menschen gefährliche Arten. Dies sind Sambesi- oder Bullenhaie (Carcharhinus leucas), Weiße Haie (Carcharodon carcharias) und Tigerhaie (Galeocerdo cuvier). Allerdings überleben nur etwa 15,7 Prozent der gefangenen Haie. Meist entdeckt man die Tiere zu spät.
Welche Alternativen zu Hainetzen gibt es?
Shanan Atkins und ihre Kollegen untersuchten auch, wie sich die Delfinbeifänge vor Richards Bay vermeiden ließen. Der Königsweg ist hier schwierig. Zur Senkung von Beifängen in der Fischerei gibt es im Wesentlichen vier Strategien:
- Verminderung der Fangaktivitäten, dauerhaft oder zeitlich begrenzt.
- Versetzung der Netze an andere Standorte.
- Einsatz von Vergrämungstechnologie (z. B. Pinger).
- Änderung der Fangmethode.
„Die Netze zu reduzieren oder sie zu bestimmten Zeiten abzubauen, sind für die Delfine, die das ganze Jahr über hierhin schwimmen, keine langfristig wirksamen Optionen“, schreiben die Wissenschaftler. Das Versetzen der Netze, weg von den Nahrungsgründen der Meeressäuger, kommt aufgrund von Infrastrukturproblemen nicht infrage. Auch von Pingern (akustischen Signalgebern) – es wurden 10- und 3-kHz-Geräte in der Bucht getestet – zeigten sich diese Buckeldelfine weitgehend unbeeindruckt. Die Signale scheinen sie eher in die Netze zu locken, denn sie davon abzuschrecken. Gleichfalls wirkungslos blieb der Versuch mit versteiften Netzen. Denn diese verlieren ihre Steifigkeit bereits nach 24 Stunden. Hainetze bleiben jedoch 10 Tage im Wasser. Erst dann tauscht man sie aus.
Drumlines/Köderhaken: ein zweischneidiges Schwert
Mit sogenannten Drumlines, an einer Boje befestigten, beköderten Haken konnte vor Australien und Brasilien die Delfinbeifangrate gesenkt werden. Doch locken die Köder gerade die Tiere an die Küste, die man hier nicht haben will: Haie. Und sie sterben am Köderhaken einen langsamen Tod, wenn sie nicht rechtzeitig befreit werden.
Elektrozäune und Shark-Spotter
„Um Haiangriffe zu vermeiden, muss man die Haie nicht töten. Es gibt umweltverträglichere Methoden“, meint Shanan Atkins. Sie und ihre Kollegen plädieren für den Einsatz von „Elektrozäunen“. Hierbei handelt es sich um am Meeresgrund verankerte Elektrokabel. Von ihnen sind unter schwachem Strom stehende Drähte gespannt. Sie reichen bis an die Wasseroberfläche. Damit kann man die elektrosensiblen Haie abschrecken. Auch der Einsatz von „Shark Spottern“, die im Wasser befindliche Menschen rechtzeitig vor einem Haiangriff warnen, hat sich z. B. vor Kapstadt bereits bewährt.
Ob diese Methoden auch vor Richards Bay eingesetzt werden können, lässt sich noch nicht abschließend sagen. Hohe, sich kreuzende Wellen und sandiger Untergrund erschweren Verankerungen am Meeresgrund. Das trübe Wasser behindert die Sicht für „Shark Spotter“.

Publikation:
Atkins, Shanan & Cantor, Mauricio & Pillay, Neville & Cliff, Geremy & Keith, Mark & Parra, Guido. (2016). Net loss of endangered humpback dolphins: Integrating residency, site fidelity, and bycatch in shark nets. Marine Ecology Progress Series. 555. 249-260. 10.3354/meps11835.
Unser Einsatz gegen Hainetze
Von 2017 bis 2020 unterstützten wir die südafrikanische Meeresbiologin Shanan Atkins und ihr Projekt Humpback Dolphin Research bei der Abschaffung und Reduzierung von Hainetzen in der Provinz KwaZulu-Natal.
Erfolge
Im April 2019 wurde die Hainetz-Installation vor Richards Bay reduziert. Und zwar von fünf Doppelnetzen auf drei Doppelnetze. Außerdem kam es zum Ersatz eines Doppelnetzes durch ein einzelnes Hainetz. Dafür installierte das KZNSB als Ersatz neun Drumlines. Zu den abgebauten Hainetzen gehörte jedoch auch das für Delfine gefährlichste Netz (net 99). In der Folge sank die Zahl der in Hainetzen vor Richards Bay ertrunkenen Delfine deutlich.

Position der Hainetze vor Richards Bay bis 2019
Titelfoto: Bleifarbener Delfin im Hainetz von David Savides / Bullenhai im Hainetz von Fiona Ayerst/Marine Photobank
SMART drumlines statt Hainetze
In Australien setzt man statt auf Hainetze zur Verhinderung von Haiangriffen verstärkt auf SMART Drumlines. Diese melden über einen Signalgeber, wenn ein Hai am Köderhaken hängt. Dadurch kann man ihn rechtzeitig befreien. Auf diese Weise befreite Haie erhalten zudem einen Sender. So lassen sich ihre Wanderrouten per GPS-Tracking mit der SharkSmart-App verfolgen. Bisherige Erfahrungen sind sehr positiv. Es zeigte sich beispielsweise, dass von Smart-Drumlines befreite Haie an dem betreffenden Küstenabschnitt bei ihrer Wiederkehr einen größeren Abstand einhalten. Sie haben gelernt, die Gefahr zu meiden.
Woran erkennt man, dass ein Delfin in einem Fischernetz als Beifang gestorben ist?
Ende September 2022 veröffentlichte eine Forschergruppe aus Südafrika und von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) eine detaillierte Untersuchung zu der Frage, inwieweit Netzmarken als Indikator für Delfin-Beifänge in der Fischerei geeignet sind.
Hierzu analysierten sie anhand von Fotos und Sektionsberichten das Auftreten von Netzmarken und anderen äußeren Verletzungen bei 107 zwischen 2010 und 2017 in Hainetzen verendeten Delfinen und 15 an den Küsten von KwaZulu-Natal und der angrenzenden Provinz Ostkap (Eastern Cape) gestrandeten Individuen.

(a-d) Indopazifischer Großer Tümmler (Tursiops aduncus) mit auffälligen Netzmarken im (a) Bauchbereich, (b) um den Körper seitlich der Rückenflosse, (c) um den Körper an den Brustflossen, (d) Schwanzregion.
Bleifarbener Delfin (Sousa plumbea) mit Netznarben um den Körper in Höhe der Brustflossen (e-f).
Anmerkung: Das Seil um den Schwanzschaft des in (d) abgebildeten Delfins wurde nachträglich hinzugefügt.
© https://doi.org/10.47536/jcrm.v23i1.338
Viele Beifangopfer aus Hainetzen sind ohne Netzmarken
Die untersuchten Arten waren zum einen Indopazifische Große Tümmler (103 Individuen) und zum anderen Bleifarbene Delfine (19 Individuen). Das Ergebnis der Studie überrascht: Verletzungen oder Netzspuren sind kein zuverlässiger Indikator zur Identifizierung von Beifangopfern.
Denn bei lediglich 36 % der in Hainetzen gestorbenen Delfine konnten die Forscher derartige Spuren feststellen. Auffällig war, dass mehrheitlich Jungtiere Netzmarken aufwiesen (66 %). Als Jungtiere kategorisierten die Wissenschaftler Kälber, Neugeborene und subadulte Tiere.
Ausmaß der Delfinbeifänge in der Fischerei wird unterschätzt
Die Studie verdeutlicht, dass das Ausmaß von Delfin-Beifangverlusten in der Fischerei höher ist, als bislang angenommen. Denn zur sicheren Feststellung der Todesursache eines gestrandeten Tieres sind Nachweise wie histopathologische Untersuchungen erforderlich, so die Wissenschaftler. Nur auf diesem Weg lassen sich Beifangopfer zuverlässig identifizieren. Hierfür fehlt es in vielen Ländern allerdings an der notwendigen Infrastruktur wie Strandungsnetzwerke, Laboren oder ausgebildetem Personal.
Publikation:
Roussouw N, Wintner S, Hofmeyr G, Wohlsein P, Siebert U, Plön S. External indicators of fisheries interactions in known bycaught dolphins from bather protection nets along the KwaZuluNatal coastline, South Africa. JCRM [Internet]. 2022 Sep. 28 [cited 2022 Oct. 12];23(1):127-40. DOI: https://doi.org/10.47536/jcrm.v23i1.338
Available from: https://journal.iwc.int/index.php/jcrm/article/view/338