Immer weniger Grauwale

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Seit 2019 sinkt die Zahl der an der Westküste Nordamerikas wandernden Grauwale (Eschrichtius robustus) scheinbar unaufhaltsam. Mittlerweile ist ihr Bestand vom Höchststand aus 2016 mit etwa 27.000 Exemplaren um 38 Prozent auf 16.650 zurückgegangen. Das berichtet die Fischereiabteilung der Wetter- und Ozeanografiebehörde der USA, NOAA Fisheries.

Niemals zuvor gab es so wenige neugeborene Grauwalkälber

Seit 1994 erfassen Forscher der NOAA die Bestandsentwicklung der zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch den kommerziellen Walfang fast ausgerotteten Walart. Dabei zählen sie auch die Zahl der jährlich neu hinzugekommenen Walkälber. Seit Beginn der Zählungen im Jahr 1994 gab es noch nie so wenig Nachwuchs bei den Weitschwimmern. Im Vergleich zu 1994, als es über 1.000 Grauwalkälber gab, zählten die Forscher in diesem Jahr lediglich 217.

Immer weniger Grauwale: Entwicklung des Bestands der ostpazifischen Grauwale und neugeborener Kälber von 1994 bis 2022.
Bestandsentwicklung der Population im östlichen Nordpazifik von 1994 bis 2022. Die Grafik zeigt auch die Zählungen der neugeborenen Kälber. © NOAA Fisheries

Weite Wanderungen

Die jährlichen Küstenrundwanderungen der nordpazifischen Grauwale zwischen ihren Nahrungsgründen entlang der Küste Alaskas und den Fortpflanzungsgründen entlang der Küste Mexikos in die Baja California gehören zu den längsten im Tierreich. Jedes Jahr legen die bis zu 15 m langen und 34 Tonnen schweren Giganten dabei etwa 20.000 Kilometer zurück.

Seit 2019 schaffen viele die Reise nicht

Bereits seit 2019 beobachten US-Forscher eine bislang unerklärliche Häufung von Grauwalstrandungen. Von 2019 bis 2021 strandeten rund 600 Tiere. Die meisten an den Küsten der USA und Mexikos.

Es gibt immer weniger Grauwale.
Grauwalstrandungen entlang der Westküste von Nordamerika von Dez. 2018 bis Mai 2021. Quelle: NOAA-Fischeries

Das waren derart viele, dass NOAA Fisheries einen unusual mortality event (UME) ausrief. Das ist eine Art Notstand aufgrund einer ungewöhnlich hohen Anzahl von Todesfällen in einer Meeressäugerpopulation. Ein UME erfordert sofortige Untersuchungen und daraus folgende Maßnahmen. Im Rahmen des UME-Untersuchungsprozesses stellte NOAA Fisheries ein unabhängiges Team von Wissenschaftlern zusammen. Experten überprüfen dabei die gesammelten Daten und untersuchen gestrandete Wale.

Finden sie nicht mehr genug Nahrung?

Die Meeressäuger setzen im Sommer und Herbst „alles auf eine Karte“, erklärt NOAA Fisheries. Das ist die Zeitspanne, in der sie versuchen müssen, sich satt zu essen. Nur so können sie die folgenden sechs Monate überleben. Dem größten Ernährungsstress sind sie dann während der erneuten Migration nach Norden ausgesetzt. Dann stoßen sie möglicherweise an die Grenzen ihrer Fettreserven. Einige, aber nicht alle der untersuchten gestrandeten Wale wiesen Anzeichen von Abmagerung auf. Bei anderen waren Schiffskollisionen oder Angriffe von Orcas die Todesursache.

Es gibt immer weniger Grauwale: Weibchen mit Kalb.
© NOAA Fisheries

Bei den noch laufenden Untersuchungen konnten mehrere wahrscheinliche Ursachen festgestellt werden. Dazu gehören ökologische Veränderungen in der Arktis, die sich auf den Meeresboden und dort befindliche Nahrung der Wale (u. a. Krebstiere und andere Wirbellose) auswirken, sowie auch auf Beute, die über dem Sediment und in der Wassersäule vorkommt.

Warum gibt es immer weniger Grauwale?

„Es scheint mehrere Faktoren zu geben, an deren Verständnis wir noch arbeiten“, sagt Deborah Fauquier, Tiermedizinerin im Marine Mammal Health and Stranding Response Program von NOAA Fisheries, die die UME-Untersuchung koordiniert. Grauwale haben ein für Bartenwale ungewöhnlich breites Nahrungsspektrum. Sie ernähren sich von einer Vielzahl von Beutetieren. Deshalb gibt es viele Variablen, die ihren Ernährungszustand beeinflussen.

Gefahr für das Überleben der Art?

Bislang geht man davon aus, dass das ungewöhnliche Grauwalsterben keine langfristige Bedrohung für das Überleben der Art widerspiegelt. Denn der jetzt zu beobachtende Rückgang ähnelt früheren Schwankungen der Population im Ostpazifik. Die weitere Bestandsentwicklung will NOAA Fisheries jedoch genau im Auge behalten.

Das letzte vergleichbare Grauwalsterben ereignete sich zwischen 1999 und 2000. Damals starb über ein Fünftel der Gesamtpopulation der grauen Meeresriesen. „Der Grauwalbestand erholte sich in der Vergangenheit mehrmals von niedrigen Zahlen“, erklärt Tomo Eguchi, Biologe und Hauptautor der neuen NOAA-Fisheries-Berichte. „Wir sind verhalten optimistisch, dass es diesmal genauso ist.“

Titelfoto: OceanImageBank/HannesKlostermann

„The Rigors of Research“ beschreibt, wie Wissenschaftler der SWFSC Grauwale identifizieren und herausfinden, wo sie sich aufhalten.

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