Gibt es Orcas in der Türkei? Vor dieser Frage stand ein türkischer Fischer Ende Januar 2020, als er vor der nordägäischen Insel Gökçeada etwa 6 Seemeilen vor der Küste acht sonderbare Meeressäuger beobachtete. Geistesgegenwärtig filmte er die ihm unbekannten Tiere. Dann informierte er türkische Meeresforscher um Arda M. Tonay von der Universität Istanbul. Wie sich herausstellte, handelte es sich nicht um Wale oder um Orcas, sondern um eine in der nördlichen Ägäis bisher noch nie zuvor beobachtete Delfinart. Die türkischen Wissenschaftler bestätigten, dass es Kleine Schwertwale (Pseudorca crassidens) waren1. Es war seit 25 Jahren die erste zuverlässige Sichtung für diese Art in der gesamten Ägäis!
Wer spielt denn da?
Aufmerksam wurde der Fischer Uğur Özdemir, als plötzlich ein ziemlich großes Tier mit der von ihm zum Fang von Tintenfisch gerade ausgebrachten 150 m langen Langleine spielte. War es ein Orca? Ein Wal? Oder ein Großer Tümmler? Diese um sein Boot herum schwimmenden Meeressäuger hatte Uğur Özdemir noch nie zuvor gesehen.
Der junge Kleine Schwertwal spielt mit der Langleine. © Uğur Özdemir
„Die Tiere zeigten deutlich die besonderen Merkmale des Kleinen Schwertwals. Wie einen abgerundeten Kopf. Den Winkel des Maulspaltes. Die Form der Rückenflosse. Informationen über solche Sichtungen seltener Arten sind wertvoll, um unsere regionale Biodiversität zu verstehen“, betonen Tonay und Kollegen in ihrer Veröffentlichung im Journal of the Black Sea/Mediterranean Environment.
Anders, als es der Name nahelegt, ist Pseudorca crassidens nicht eng mit Orcinus orca, den man auch als Schwertwal kennt, verwandt. Zwar gehören beide Arten zu den Delfinartigen, jedoch ist Pseudorca näher mit Grindwalen verwandt. Optisch kann man die beiden Arten unmöglich miteinander verwechseln.
Pseudorca crassidens im Mittelmeer
Meist leben die agilen, sozialen und verspielten Tiere in tropischen bis warmen, gemäßigten Zonen. In halb geschlossenen Meeren, wie dem Mittelmeer, sieht man sie dagegen nur selten. Folglich ist der Kleine Schwertwal hier auch nur als Besucherart anerkannt.
Zwischen 1988 und 2013 gab es im Mittelmeer neun Sichtungen und acht Strandungen. Drei davon in der Ägäis. Zwischen der Insel Chios (Griechenland) und Çeşme (Türkei) wurden 1992 mindestens sieben Pseudorcas fotografiert. 1993 strandete ein Tier tot im Golf von Argolikos (Griechenland). 1995 ein weiterer lebend in der Bucht von İzmir. Er verstarb später.
Citizen Science mit lokalen Fischern
Türkische Meeresforscher begrüßen und fördern die Zusammenarbeit mit lokalen Fischern. „Sie können zu unserem grundlegenden Wissen über Meeressäuger und ihre Wechselwirkungen mit der Fischerei in türkischen Gewässern beitragen“, schreiben Tonay und Kollegen.
- Ayhan Dede*, Arda M. Tonay, Onur Gönülal, Ayaka Amaha Öztürk. SHORT COMMUNICATION – First sighting of false killer whales (Pseudorca crassidens) in the northern Aegean Sea.
Aquatic Journal Black Sea/Mediterranean Environment; Vol. 26, No. 1: 106-111 (2020) ↩︎
Titelfoto: © NOAA Photo Library – anim2620, CC BY 2.0