Eine der extremsten Formen unterschiedlicher Geschlechtergrößen entdeckten australische Forscher 2002 bei der seltenen Löcherkrake (Tremoctopus violaceus). Die auch als Blanket-Oktopus bekannte Art hat die kleinsten Männchen im Tierreich. Deshalb könnte man von „ungleichem Sex“ sprechen, wenn ein 3 cm großes Löcherkraken-Männchen auf ein 2 m großes Weibchen trifft. Der extreme Geschlechtsdimorphismus ist jedoch sinnvoll.
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Löcherkraken haben die kleinsten Männchen
Dem Zoologen Mark Norman und seinen Kollegen (Victoria-Museum, Melbourne) gelang es 2002 erstmals, ein lebendes Männchen zu fotografieren. Doch nicht nur das. Bei einem Nachttauchgang nördlich des Great-Barrier-Reef konnten sie ein Exemplar einfangen. Das war ein mehr als glücklicher Fund. Denn ein männlicher Löcherkrake ist mit 3 cm Länge nur etwa so groß wie eine Bohne oder wie die Pupille des Weibchens. Folglich sind sie Leichtgewichte. Wiegen nur ein Viertelgramm. Dagegen erreichen Weibchen bis zu 10 kg. Damit sind sie um das 40.000-Fache schwerer. Zudem sind sie bis zu 2 m groß.
Ein Löcherkraken-Weibchen. © OceanImageBank/MikeBartick
Bei größeren Tierarten kennt man einen derart ausgeprägten Geschlechtsdimorphismus nicht. Ähnliches gibt es sonst nur noch bei einer Igelwurmart und einigen Rankenfußkrebsen. Bei Letzteren ist das Männchen allerdings fest mit dem Weibchen verwachsen. Außerdem ist es auf die Funktion eines Spermienproduzenten reduziert.
Kleine Löcherkraken-Männchen mit früher Geschlechtsreife
Löcherkraken leben ständig in tiefen Meeresgebieten. Doch direkt am Meeresboden sind sie nie. Es sei deshalb für schwierig, ein Weibchen zu finden, vermuten die australischen Forscher. Beim harten Konkurrenzkampf um eine Partnerin könnten dann kleine Männchen im Vorteil sein. Denn je schneller sie ihre Geschlechtsreife erreichen, desto eher haben sie eine Chance, sich zu verpaaren. Den Weibchen der Löcherkrake ist dieser Weg dagegen versperrt. Denn sie müssen, um möglichst viele Eier produzieren zu können, groß bleiben.
Wehrhafter Winzling – ungleicher Sex – kurzes Leben
Trotz ihrer mickrigen Größe darf man männliche Löcherkraken nicht unterschätzen. Denn sie sind gut bewaffnet. Für Auseinandersetzungen mit Nebenbuhlern und zur Verteidigung rüsten sie sich mit abgerissenen Tentakeln der Portugiesischen Galeere. Dabei sind sie selbst gegen das Gift der Staatsquallen immun.
Doch ein langes Leben ist den tapferen Oktopusmännern trotzdem nicht beschieden. Unmittelbar nach dem Liebesakt stirbt der Winzling in der Kiemenhöhle seiner Auserkorenen. Zu den kleinsten Männchen im Tierreich zu gehören, ist als Blanket-Oktopus wahrlich kein Vergnügen.
Oktopusse: Superhirne auf acht Beinen
Oktopusse oder Kraken sind die intelligentesten und am höchsten entwickelten Vertreter des Tierstamms der Mollusken. Sie besitzen ein hoch entwickeltes, dezentralisiertes Nervensystem. Man nennt sie Superhirne auf acht Beinen. Denn drei Fünftel ihrer Nervenzellen befinden sich nicht im Gehirn, sondern in den Armen. Abgetrennte Oktopusarme agieren daher noch mehrere Stunden lang als pseudo-selbstständige Organismen.
Ihre Lernfähigkeit, ihr Gedächtnis und ihre ausgeprägte Neugier sind legendär. Das ist so komplex, dass man sie mit höher entwickelten Wirbeltieren gleichsetzt. Unzweifelhaft besitzen diese seltsamen Tiere ein Bewusstsein.
Titelfoto: Löcherkrake – Blanket-Oktopus © OceanImageBank/MikeBartick
Cambridge Declaration on Consciousness
Am 7. Juli 2012 unterzeichneten einige der klügsten Köpfe, darunter Irene Pepperberg, David B. Edelman, Diana Reiss, Kristof Kock, Philip Low und Stephen Hawking, die „Cambridge Declaration on Consciousness„. Darin trafen sie eine klare Aussage: Tiere haben ein Bewusstsein.
„Menschen sind nicht einzigartig darin, über neurologische Strukturen zu verfügen, in denen Bewusstsein entsteht. Nicht-menschliche Tiere wie alle Säugetiere und Vögel und viele andere Lebewesen, darunter Oktopusse, besitzen dieselben neurologischen Strukturen.“
Cambridge Declaration on Consciousness
Buchtipp: Rendezvous mit einem Oktopus
von Sy Montgomery
„Er kann 1600 Küsse auf einmal verteilen, er kann mit seiner Haut schmecken, Farbe und Form ändern und sich trotz eines Körpergewichts von 45 Kilogramm durch eine apfelsinengroße Öffnung zwängen: der Oktopus“. Und nicht nur seine körperlichen Superkräfte machen den Achtarmigen zu einem Wunderwesen der Meere. Kraken sind primär schlau. Sie können tricksen, spielen, lernen, sie können Menschen erkennen und Kontakt aufnehmen.
In ihrem preisgekrönten Buch erzählt die Naturforscherin Sy Montgomery auf berührende, kenntnisreiche, unterhaltsame Weise von ihren Begegnungen mit diesen außergewöhnlichen Tieren. Dabei wirft sie eine bemerkenswerte Frage auf: Haben Kraken ein Bewusstsein?
„Wenn man dieses Buch gelesen hat, versteht man die Seele der Ozeane.“
Peter Wohlleben
Das Nachwort wurde eigens für die deutsche Ausgabe von dem bekanntesten Fan dieses Buches verfasst: Donna Leon.