Narwal – Einhorn der Meere

Mit ihrem sagenumwobenen spiralförmig gedrehten Stoßzahn gehören Narwale (Monodon monoceros) zu den sonderbarsten Bewohnern der Weltmeere. Doch der Narwal, Ursprung der Einhorn-Legende, könnte vor Grönland bald auch nur noch ein Mythos sein. Denn grönländische Inuit töten zu viele der seltsamen Meeressäuger. Dadurch hatten sich die Bestände innerhalb weniger Jahrzehnte bis 2016 auf ein Viertel dezimiert.

Das Wort Narwal stammt aus dem Altnordischen. Es bedeutet „leichenhafter Wal“. Denn sein grau gefleckter Körper ähnelt der Farbe von Leichen ertrunkener Seeleute. Sie gehören zu den tief tauchenden Meeressäugern. Während ihrer bis zu 25 Minuten langen Tauchgänge tauchen sie 1.500 m, vielleicht auch tiefer bis hinab ins Bathypelagial. Ihre Nahrung sind im Wesentlichen mittelgroße bis große arktische Fische der nordpolaren Eisfauna (z. B. arktischem Kabeljau, Polardorsch und Steinbutt) sowie Tintenfische und Garnelen. Natürliche Feinde sind Eisbären, Orcas und große Haie.

Lebensraum und Systematik

Narwale leben in arktischen und subarktischen Gewässern nördlich des Polarkreises entlang der Küsten Kanadas, Grönlands und Sibiriens. Gemeinsam mit Belugawalen bilden sie die Familie der Gründelwale (Monodontidae). Meist bilden sich Schulen von zehn bis 20 Tieren. Gelegentlich springen diese dann gleichzeitig aus dem Wasser, um synchron abzutauchen. Warum sie das tun, ist unklar. Manchmal bilden sie auch große Gruppen von Hunderten bis Tausenden Individuen.

Nach einer Trächtigkeit von etwa 13 bis 16 Monaten bringt ein Weibchen im Sommer (Juli bis August) ein einzelnes Kalb zur Welt. Es wird mindestens ein Jahr lang gestillt. Kälber sind bei der Geburt bis 1,60 m lang und etwa 80 kg schwer.

Auf der Roten Liste der Weltnaturschutzorganisation IUCN ist die Art als nicht gefährdet gelistet. Ihr Bestand wird auf etwa 123.000 erwachsene Exemplare geschätzt. Aussagen zur Bestandsentwicklung sind laut IUCN nicht möglich.

Wie groß ist ein Narwal?

Sie können 5 m groß und bis zu 1,6 Tonnen schwer werden, inklusive des Einhorns.

Wie alt werden Narwale?

Mindestens 50 Jahre.

Woraus besteht der Narwal-Stoßzahn?

Es handelt sich um einen modifizierten Zahn. Er besteht aus Elfenbein und erinnert an einen gedrehten Spazierstock. Vorwiegend wächst er aus dem vordersten linken Zahn des Oberkiefers. Er ist stets links spiralig gewunden, zwischen 2 und 3 m lang und wiegt bis zu 8 kg.

Rätselhafter Stoßzahn

In der Regel sind nur die Männchen mit einem Stoßzahn bewehrt. Allerdings kann es auch bei weiblichen Narwalen gelegentlich zur Ausbildung eines oder sogar zweier Stoßzähne kommen. Die Funktion des Narwal-Stoßzahns ist immer noch rätselhaft. Am wahrscheinlichsten ist, dass sie als Duellierwaffen im Imponierverhalten der Männchen bei der Eroberung paarungsbereiter Weibchen eingesetzt werden. So fanden sich Stoßzahnspitzen in Köpfen erlegter Narwale. Jeder dritte Stoßzahn ist abgebrochen.

In seltenen Fällen kann ein Narwal zwei Stoßzähne aufweisen: Schädel in einem Museum.

Schädel eines Narwals mit zwei Stoßzähnen. Foto: Söhnke Behrends/Marine Photobank

Aber auch die Funktion eines Messfühlers wird der Nasenwaffe zugeschrieben. Untersuchungen zeigten, dass ein Narwal-Stoßzahn etwa 10 Millionen Nervenenden enthält. Damit könnten Narwale neben Wassertemperatur und -druck, den Salzgehalt des Meerwassers oder die Quantität von Beute in Abhängigkeit von der Tiefe erfassen.

Wirkungsloser Artenschutz für den Narwal

Das Einhorn der Meere steht auf Anhang II des Washingtoner Artenschutzübereinkommens (WA/CITES). Damit wird ein geregelter internationaler Handel von Narwal-Produkten ermöglicht. 2004 verhängte die EU aus Artenschutzgründen ein Einfuhrverbot für Narwal-Stoßzähne, um es 2010 schließlich wieder aufzuheben. Denn Grönland hatte zugesagt, die Jagd auf das Einhorn der Meere zukünftig besser überwachen zu wollen. Bereits das ursprüngliche Einfuhrverbot war allerdings durch großzügige Ausnahmen recht löchrig.

Die Einfuhr von Narwal-Erzeugnissen in die USA ist dagegen seit 1972 durch den Marine Mammal Protection Act verboten.

Totengeläut für das Einhorn der Meere

Narwale stehen wie die meisten Meeressäuger an der Spitze der marinen Nahrungsnetze. Deshalb nehmen sie über die Nahrung Schwermetalle wie Quecksilber, Cadmium oder Blei und Umweltgifte wie polychlorierte Biphenyle (PCB) oder DDT auf. Diese reichern sich dann im Muskelgewebe, Nieren, Leber und im Körperfett an. Auch die zunehmende Überfischung der Heilbutt-Bestände vor Grönland setzt dem Einhorn der Meere zu.

Meeresschützer befürchten, dass der Narwal-Bestand vor Westgrönland mit geschätzten etwa 4.500 bis 7.800 Individuen der Kombination aus Umweltbelastung, Nahrungsmangel und zu hohem Jagddruck nicht lange standhalten kann. Denn zu den offiziell erlegten Walen kommt eine nicht bekannte Zahl „verloren gegangener“ Tiere, wenn die Bergung scheitert oder ungeübte Jäger am Werk sind.

Schule aus drei Narwalen in Nordkanada, August 2005.

Narwale vermehren sich nur langsam. In einer Population von 100 Individuen werden etwa sieben Kälber pro Jahr geboren. © Kristin Laidre / NOAA Fisheries

2004 hatten Wissenschaftler festgestellt, dass es in den Gewässern vor Grönland mindestens 10 Prozent weniger Narwale gab als bei den letzten Bestandserfassungen. Ende 2006 erhöhte Grönland eigenmächtig seine Fangquote um 100 auf 385 Tiere. Das ist fast das Dreifache dessen, was Forscher für erträglich halten.

Wie bei Elefanten-Stoßzähnen wird der Narwal-Stoßzahn für Schnitzereien genutzt, die an Touristen verkauft werden. Zwischen 300 und 600 € pro Meter kann mit einem Stoßzahn erlöst werden. Das Fleisch wird zum Verzehr oder auch als Hundefutter verwendet.

Paul Nicklen berichtete 2007 in National Geographic Deutschland, wie er einen 13-jährigen Inuit einen ganzen Tag lang auf Narwale schießen sah. Der Junge verwundete viele Tiere, brachte aber keinen Wal an Land. Ältere Inuit standen dabei und schwiegen.

Titelfoto: Glenn Williams/Marine Photobank


In der Gegend um Hann. Münden, Hardegsen und Beverungen schmücken Narwalmotive zahlreiche Fachwerkhäuser. Warum Zimmermänner im ausgehenden 17. Jahrhundert das Einhorn der Meere als Motiv auswählten, ist nicht bekannt. Narwale als Motiv im Fachwerk gibt offensichtlich nur in diesem sehr begrenzten, immerhin 300 km vom Meer entfernten Gebiet. Außergewöhnlich viele geschwungene Narwalmotive (98 Stück) schmücken das Narwalhaus in Hann. Münden, das sogar eine eigene Webseite hat.


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