Seehundjäger – Tod im Watt

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Seehundjäger (Schleswig-Holstein) und Wattenjagdaufseher (Niedersachsen) nennen sich gern „Seehundmanager“ oder gar Tierschützer. Zwar jagen sie keine Seehunde. Das ist streng verboten. Dennoch erschießen Seehundjäger jedes Jahr Hunderte kranke, verletzte oder verlassene, meist junge, Robben. Sie dürfen das. Die meisten Tiere sterben an der deutschen Nordseeküste und auf den Nordseeinseln. Angeblich sollen ihnen „unnötige Leiden“ erspart werden. Doch ob eine Robbe getötet werden muss, entscheiden die Jäger situativ. Ohne weitere Nachfrage. Dabei ist Ihre Qualifikation zweifelhaft. Sie sind Hobbyjäger, die regelmäßige Fortbildungen erhalten. Das versteht man in Deutschland unter professionellem Robben-Management.

Warum sind Jäger für das Meeressäuger-Management in Deutschland zuständig?

In Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg sind ausschließlich „die vom Land bestellten Jagdaufseher“ – also Seehundjäger und Wattenjagdaufseher – befugt, sich um gestrandete, verletzte, verlassene und kranke Meeressäuger (Robben sowie Wale, Delfine und Schweinswale) zu „kümmern“. Hat eine Robbe Glück, dann endet dieses „kümmern“ nicht mit ihrem Tod. Dann entscheidet sich ihr Schicksal in einer der „offiziellen“ Auffangstationen.

Was macht ein Seehundjäger?

In Begleitung eines Seehundjägers konnten Jäger noch bis Ende der 1970er-Jahre für 180 D-Mark legal einen Seehund schießen. Das ist heute streng verboten. 1974 wurde die Jagd endlich eingestellt. Da standen die kulleräugigen Unterwasserjäger an deutschen Küsten bereits kurz vor der Ausrottung. Unglücklicherweise verblieb die u. a. nach EU-FFH-Richtlinie geschützte Art in Deutschland jedoch im Jagdrecht (mit ganzjähriger Schonzeit). Damit gehören Seehunde weiter zu den jagdbaren Tierarten.

Schild Nationalpark Wattenmeer. Hier sind Seehundjäger und Wattenjagdaufseher zuständig für das Management von Meeressäugern.
© U.Karlowski

Im Gegensatz dazu unterliegen Kegelrobben nicht dem Jagdrecht. Zuständig für das Management beider Arten und darüber hinaus sämtlicher Meeressäuger sind in Deutschland jedoch ausschließlich Seehundjäger oder sogenannte Wattenjagdaufseher. Das gilt auch im Nationalpark Wattenmeer. Das ist fragwürdig und nicht mehr zeitgemäß.

„Zuständig“ heißt demnach auch, eine Entscheidung über Leben und Tod zu treffen. Letzteres vollziehen sie mit einem Pistolenschuss in den Hinterkopf des Tieres. Ansonsten gehören zu ihren Aufgaben das Bergen toter Meeressäuger, Kontrollfahrten sowie Informations- und Aufklärungsarbeit.

Wer sind Seehundjäger?

Seehundjäger sind ehrenamtlich tätig. Sie müssen sich regelmäßig bei Schulungen des Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover fortbilden. Im „echten“ Leben haben sie ganz normale Jobs als Hotelier, Restaurantbesitzer oder Vermieter von Ferienwohnungen. In Niedersachsen nennen sie sich Wattenjagdaufseher.

Die Fortbildungen erschöpfen sich allerdings in mehreren, knapp fünfstündigen Veranstaltungen. Hierbei stehen dann Vorträge zu Themen wie „Umgang mit der Öffentlichkeit“ oder zum „Einpacken von Kadavern“ auf der Tagesordnung. Derart „geschult“ beurteilen diese Hobbyjäger als vom Land bestellte Jagdaufseher in alleiniger Kompetenz dann den Gesundheitszustand von Wildtieren. Das ist absurd.

Entscheidung über Leben und Tod

Die Entscheidung, ein Tier zu töten, trägt in sich eine hohe moralische Verantwortung, Respekt vor dem Leben und Sachverstand.

Seehundjäger bzw. Wattenjagdaufseher sind Ausdruck eines antiquierten Robbenmanagements: Mann hält ein Gewehr im Anschlag.
Foto: Harrison Haines/Pexels

Es liegt in der Natur der Sache, dass Jägern das Töten leicht fällt. Auch deshalb ist die Tätigkeit der Seehundjäger ständiger Konfliktherd – nicht nur wegen der heutzutage unpassenden Bezeichnung.

Da auf Sylt besonders viele verletzte, kranke oder verlassene Robbenwelpen erschossen werden (müssen?), kam die Insel bereits in den zweifelhaften Ruf eines Friedhofs der Kuscheltiere.

Was verdient ein Seehundjäger?

Das Land Schleswig-Holstein zahlt für jeden Einsatz eine Pauschale von 45,00 € – auch für das Erschießen eines Tieres. Ein monetäres Interesse kann dabei nicht von der Hand gewiesen werden. So hatte ein Sylter Seehundjäger nach eigenen Angaben 2016 rund 1.000 Einsätze.

2018 erschossen die 40 ehrenamtlichen Jagdaufseher aus Schleswig-Holstein 658 Robben. Den schleswig-holsteinischen Steuerzahler kostete das 29.610,00 €.

2019 wurden an der Küste von Schleswig-Holstein mindestens 690 kleine Robben erschossen (Angabe eines Seehundjägers von Sylt vom Februar 2020). Für die rund 3.000 Einsätze aller schleswig-holsteinischen Seehundjäger zahlte das Land 2019 ca. 135.000 € an Aufwandsentschädigungen.

Laut Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein (MELUND) gab es 2020 rund 2.300 Seehundjäger-Einsätze. Dabei starben 441 Tiere per Kopfschuss. Etwa 1.600 sollen bereits tot gewesen sein. 70 Tieren fehlte angeblich nichts. In einer Seehundstation landeten 188 Tiere.

Warum gibt es heute noch Seehundjäger?

Seit vielen Jahrzehnten verhindert, die gut organisierte und politisch bestens vernetzte Jagdlobby, dass Seehunde aus dem Jagdrecht gestrichen und Privilegien für Jäger eingeschränkt werden.

Seehundjäger oder Wattenjagdaufseher sind keine Experten, sondern Hobbyjäger: Mehrere Jäger gehen durch Graslandschaft.
Foto: Jacqueline Macou/Pixabay

Prominentester Vertreter dieser Interessengruppe ist der ehemalige Bundestagsabgeordnete und Ministerpräsident von Schleswig-Holstein (2005 bis 2012) Peter Harry Carstensen (CDU). Der gebürtige Nordstränder bekennt sich seit frühester Jugend als leidenschaftlicher Jäger.

Auch der ehemalige Umweltminister von Schleswig-Holstein und heutige Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz im Kabinett Scholz, Robert Habeck, wollte dieses politisch heiße Eisen nicht anfassen.

Fachleute unerwünscht

Aufgrund einer nicht mehr zeitgemäßen Gesetzeslage und des Einflusses der organisierten Jägerschaft auf Belange des Tier- und Naturschutzes, entzieht man selbst Tierärzten weitestgehend die Kompetenz zur Hilfeleistung in Notfällen.

Feuer frei in Herbst und Winter

Wie wenig professionell oder der individuellen Situation betroffener Tiere gerecht werdend das Meeressäugermanagement beim MELUND ausgerichtet ist, zeigt auch die Aussage:

Folglich verzeichneten Robbenschützer im Herbst und Winter im Bereich der nordfriesischen Inseln ungewöhnlich viele erschossene junge Robben.

Rantum (Sylt): Seehundjäger erschießt Robbe vor den Augen entsetzter Urlauber

Nordseeurlauber sollten zu dieser Jahreszeit daher auf schreckliche Erlebnisse gefasst sein. So mussten Urlauber mitansehen, wie am 14. Januar 2024 beim Aufgang Rantum auf Sylt eine Robbe – höchstwahrscheinlich von einem Seehundjäger – erschossen wurde:

Geretteter junger Seehund „Pirie“ am Strand.
Touristen berichten wiederholt, dass ihnen ein Seehundjäger erklärte, die aufgefundene Robbe würde gerettet. Später stellte sich dann heraus, dass er das Tier erschossen hat. Andere Tiere wiederum überließ man einfach ihrem Schicksal. Damit „Natur Natur sein kann“.

Ginge es ohne Seehundjäger und Wattenjagdaufseher besser?

Seehundjäger und Wattenjagdaufseher sind der Dreh- und Angelpunkt im Management der deutschen Robbenpopulationen. Doch ist das noch zeitgemäß?

Sicherlich leisten viele von ihnen auch einen Beitrag zum Meeressäuger-Management an deutschen Küsten. Und niemand will, dass ein Lebewesen, wenn es unheilbar, krank oder schwer verletzt ist, unnötig weiter leidet. Doch es werden entschieden zu viele Tiere erschossen. Andererseits überlässt man zu viele Tiere zum langsamen Sterben einfach ihrem Schicksal. Damit „Natur Natur sein kann“. Mit professionellem Meeressäuger-Management, wie man es aus anderen Ländern kennt, hat das wenig gemein.

Anti Wolfsplakat im Nationalpark Wattenmeer.

Ein Nationalpark fest in der Hand der Ewiggestrigen: Anti-Wolfsplakat im Nationalpark Wattenmeer. Foto: Sven Deutschendorf

Unverständlich bleibt, warum das Robben-Management in Deutschland oberflächlich geschulten Amateuren vorbehalten ist. Andere Länder sind da um einiges besser aufgestellt. Es ist ein Politikum und hängt wohl auch mit dem Gewohnheitsrecht der friesischen Seehundjagd zusammen. Besser wäre eine professionelle „Robben Task Force“, der z. B. auch Ranger, Veterinäre oder Wildtierbiologen angehören.

Angesichts der hohen Zahl jährlich an der Nordseeküste und im Wattenmeer von Seehundjägern erschossener Robben bekommt die MELUND-Verlautbarung von der Etablierung eines „umfassenden Systems, das insbesondere den Umgang mit kranken und verletzten Tieren sowie deren Rehabilitierung regelt“, einen seltsamen Beigeschmack. Das deutsche Robben-Management ist weder ethisch noch faktisch auf der Höhe der Zeit.

Es ist ein moralischer Imperativ, zumindest zu versuchen, in Not geratenen Wildtieren zu helfen. Es ist unsere Verantwortung. Die finale Entscheidung – der Tod des Tieres – sollte dabei Fachleuten und nicht Hobbyjägern vorbehalten sein.

Einzelne Ringelrobbe in Mönkebude kommt ohne Seehundjäger klar

Als am 29.12.2023 eine Robbe im Jachthafen von Mönkebude in Vorpommern auftauchte, genügte ein Team der Tierrettung Vorpommern-Greifswald, um den (guten) Zustand des Tieres beurteilen zu können. Eine Robbe im Brackwasser des Stettiner Haffs bei Anklam ist gleichwohl ungewöhnlich. Für Mönkebude ist es das erste Mal überhaupt, dass sich dort eine Robbe aufhält.

Herrschte anfänglich noch Unklarheit, ob es sich um einen Seehund oder eine Kegelrobbe handelt, identifizierte Meeresbiologin Anja Gallus vom Ozeaneum in Stralsund das Tier schließlich als Ringelrobbe. Ringelrobben sind die dritte in der Ostsee lebende Robbenart und die häufigsten Robben des Nordpolarmeers. Normalerweise findet man sie in den nördlichen kalten Gewässern von in Nordschweden, Finnland und Estland. Gelegentlich suchen sie im Winter auch südlichere Gebiete auf. Ihr Bestand in der Ostsee wird auf 7.000 bis 10.000 Exemplare geschätzt.

Systemversagen Seehundjäger: Solitärdelfin in der Ostsee

Wie unprofessionell das System aus Seehundjägern und Wattenjagdaufsehern mitunter agiert, zeigen außergewöhnliche Vorkommnisse mit Meeressäugern. Darauf ist man weder vorbereitet noch weiß man, damit umzugehen.

Der Tod Eckernförder Delfins Sandy war ein typisches Beispiel für das Systemversagen der Seehundjäger.

Der Eckernförder Delfin Sandy (Gemeiner Delfin) wurde keine 6 Jahre alt. Foto: © Kai Müsebeck

Beispiel hierfür ist der tragische Tod des Einzelgängerdelfins „Sandy“ in der Ostsee. Ostern 2020 tauchte der etwa sechs Jahre alte, nicht geschlechtsreife weibliche Gemeine Delfin in der Eckernförder Bucht auf. Dabei entwickelte er eine starke Objektfixierung auf eine etwa 100 bis 150 Meter vor dem Hemmelmarker Strand schwimmenden Markierungsboje.

Mit der Zeit begann der an multiplen Hautkrankheiten leidende Delfin, Menschen als Sozialkontakte zu akzeptieren und sogar zu suchen. Dabei schwamm er auch auf sie zu und ließ sich streicheln. Schnell entstand ein ungeregelter Massentourismus. Appelle von besorgten Bürgerinnen und Bürgern oder Meeresschutzorganisationen, Schutzmaßnahmen zu etablieren, verhallten. Der zuständige Seehundjäger blieb rat-, taten- und kompetenzlos. Ende Januar 2021 starb der schwer kranke Delfin.

Update: erweiterter und überarbeiteter Beitrag


Petition

Tierärzten muss es erlaubt sein, verletzte und kranke Robben zu retten!
auf change.org, gestartet von der Schauspielerin Janina Fautz und Janine Bahr-van Gemmert (Tierärztin im Robbenzentrum Föhr)

Titelfoto: © U.Karlowski


Weiterführende Informationen

Immer mehr Haie sterben, trotz Shark-Finning-Verboten

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In vielen Ländern ist die gezielte Haiflossen-Fischerei (Shark Finning) verboten oder eingeschränkt. Dennoch sterben immer mehr Haie. Laut einer aktuellen Studie1 soll die Zahl der zwischen 2012 und 2019 durch Fischereiaktivitäten getöteten Haie von 76 Millionen auf 80 Millionen Tiere gestiegen sein. Darunter mehr als 30 Prozent (ca. 25 Millionen Tiere) gefährdete Arten. Offenbar haben Anti-Finning-Regeln kaum Einfluss auf die Zahl getöteter Haie. Vielmehr schaffen sie Anreize für eine vollständige Nutzung gefischter Haie. Dies zeigt eine im Fachmagazin Science im Januar 2024 veröffentlichte Studie. Beteiligt waren Forscher um Boris Worm von der Dalhousie University und der Carleton University, Ottawa (beide aus Kanada), der University of California und von Sea Around Us. Die tatsächlichen Verluste könnten wegen der stark gestiegenen illegalen Fischerei (IUU) um einiges höher sein. Allerdings stellte die Welternährungsorganisation FAO bei ihren Erhebungen wiederum einen seit 2000 anhaltenden Abwärtstrend bei den globalen Haifängen fest.

Haiflossen-Fischerei ist grausam

Bei der Shark Finning genannten Haiflossen-Fischerei schneiden die Fischer den Tieren nach dem Fang die Flossen ab. Dann werfen sie die verstümmelten und nicht mehr schwimmfähigen Haie zurück ins Meer. Dort sterben sie langsam. Sie ersticken, verbluten, werden lebendig gefressen. Haiflossen-Fischerei ist eine gigantische Verschwendung. Denn fast 99 % jedes gefangenen Hais verschwinden ungenutzt wieder im Ozean.

Meeresschützer und Wissenschaftler befürchten schon lange den Zusammenbruch der Bestände bestimmter Arten. Denn die Fangrate steigt ständig. Doch Haie haben nur wenig Nachwuchs. Viele Arten benötigen bis zu 25 Jahre, bis sie geschlechtsreif sind.

Nachfrage nach Haiflossen übertrifft Angebot

Shark Finning (Haiflossen-Fischerei): ein Stapel Haifischflossen.

Haiflossen gehören zu den teuersten Fischprodukten überhaupt. Doch die Nachfrage übertrifft das Angebot bei Weitem. Foto: Jessica King, Marine Photobank

Nach Angaben der Welternährungsorganisation (FAO) verdreifachten sich die offiziell gemeldeten weltweiten Haifangmengen seit 1950. Im Jahr 2000 wurde ein Allzeithoch mit 868.000 Tonnen erreicht. Seit diesem Zeitpunkt ist ein Abwärtstrend zu verzeichnen. Die Fangmengen für das Jahr 2020 betrugen 665.622 Tonnen. Im Jahr 2021 wurden der FAO rund 7.100 Tonnen gehandelte Haifischflossen gemeldet. Laut FAO beträgt der Wert des weltweiten Handels mit Haiprodukten 1 Milliarde USD pro Jahr.

Haiflossen werden in über 125 Ländern verkauft. Größter Absatzmarkt ist Hongkong. Dort gelten sie als Delikatesse und Statussymbol. Eine Schale Haifischflossensuppe von bestimmten Arten kann dort bis zu 400 € kosten. Bedingt durch den wirtschaftlichen Aufschwung in Fernost können und wollen sich immer mehr Menschen Haiflossenprodukte kaufen. Früher was dies nur einer kleinen, wohlhabenden Bevölkerungsschicht vorbehalten.

Viele bedrohte Arten sterben beim Shark Finning

Wissenschaftler der Florida International University (FIU)2 durchleuchteten zwischen Februar 2014 und Februar 2015 mittels DNA-Analysen den bis dahin undurchsichtigen Handel auf dem weltweit größten Markt für Haifischflossen in Hongkong. 2016 importierte Hongkong 5.718 Tonnen Haiflossen. Das Ergebnis der im Oktober 2017 veröffentlichten Studie ist erschreckend. Denn mehr als ein Drittel der verkauften Haiflossen stammte von bedrohten Arten.

Bei 4.800 aus fast 100 Fischgeschäften gekauften Haiprodukten identifizierten die Forscher fast 80 Hai- und Rochenarten. 25 Prozent der Proben stammten dabei von Arten, die auf der Roten Liste der Weltnaturschutzorganisation (IUCN) als gefährdet gelistet sind. Mit einem Anteil von 34 Prozent war der Blauhai (Prionace glauca) die am häufigsten für Haiflossen und andere Haiprodukte verwendete Art. Auf der Roten Liste ist er mit dem Status „Gefährdung droht“ eingestuft.

Durch gezielte Haiflossen-Fischerei (Shark Finning) sterben viele Seidenhaie allein wegen ihrer Flossen.

Auch Flossen der bedrohten Seidenhaie landen auf den Märkten in Hongkong. Foto: Alex Chernikh/Marine Photobank

Weitere 8 Prozent der angebotenen Haiflossen stammten von bedrohten Arten. Darunter Bogenstirn-Hammerhai (Sphyrna lewini), Großer Hammerhai (Sphyrna mokarran), Seidenhai (Carcharhinus falciformis) oder Großaugen-Fuchshai (Alopias superciliosus). Nur etwa ein Fünftel der gefundenen Arten stammen aus nachhaltig operierenden Fischereien.

Dennoch sieht FIU-Meeresbiologe Damien Chapman, der an der Haiflossen-Studie teilnahm, Zeichen des Wandels: „Insgesamt sehen wir, dass der Schutz von Haien in der Öffentlichkeit immer mehr Unterstützung findet und die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich zieht“, sagt er auf phys.org. „Es liegt noch ein sehr langer Weg vor uns, aber wenn der jüngste Schwung anhält, dann können wir meines Erachtens die am stärksten gefährdeten Arten vor dem Handel schützen und gleichzeitig mehr auf nachhaltig gefischte Produkte umschwenken.“

Handel mit Haiprodukten in der EU

Die EU ist ein wichtiger Akteur beim internationalen Handel Haifleisch und mit Haifischflossen aus dem Shark Finning. Für die EU-Fischfangflotten, die in internationalen Gewässern Haie fangen, ist die EU dabei der wichtigste Absatzmarkt für Haifischflossen.

Viele Tiere stammen aus der gezielten Haiflossen-Fischerei (Shark Finning). Dennoch wird in der EU doppelt so viel mit Haifleisch verdient wie mit Haiflossen. Dabei muss man allerdings berücksichtigen, dass die Flossen nur etwa 2 % des Gewichts eines ausgewachsenen Hais ausmachen. Ein Kilo Haifischflossen bedeutet also viele tote Haie.Hinzu kommt, dass die EU wegen mangelnder Kontrollen auch eine Drehscheibe für illegale Haiprodukte ist.

EU exportiert jährlich rund 2.300 Tonnen Haiflossen

In den Jahren 2017 bis 2021 wurden nur wenige Haifischflossen in die EU importiert. Dagegen waren die jährlichen Exporte mit durchschnittlich etwa 2.300 Tonnen im Wert von 170 Millionen Euro erheblich. Der durchschnittliche Preis für die Ausfuhr von 1 kg Haifischflossen lag im Jahr 2021 bei 16 €. Haifleisch erzielte lediglich 1,43 € pro kg.

Shark Finning: Abgeschnittene Haifischflossen liegen auf einer Karre.

Foto: Rikke Færøvik Johannessen/Marine Photobank

In der EU sind Spanien und Portugal führend beim Haiflossen-Handel. Es folgen die Niederlande und Frankreich. Wobei Spanien sowohl bei den Einfuhren als auch bei den Ausfuhren der führende Akteur ist. Mehr als 99 % der gesamten EU-Ausfuhren stammen aus Spanien. Rund 96 % dieser Ausfuhren sind gefrorene Haifischflossen.

Die meisten Haiflossen aus der EU gehen nach Singapur und China

Laut EU-Kommission waren die wichtigsten Bestimmungsländer für EU-Ausfuhren von Haifischflossen zwischen 2017 und 2021 (angeben sind die jeweiligen Jahresdurchschnittswerte):

  • Singapur, 985 Tonnen und einem Handelswert von 13 Mill. €
  • China, 893 Tonnen bei einem Handelswert von 11 Mill. €
  • Hongkong, 194 Tonnen, Handelswert von 7 Mill. €

Rund 82 % der EU-Ausfuhren von Produkten aus dem Shark Finning landen in Singapur und China. Andere wichtige Handelsströme bestehen mit Hongkong und seit Kurzem auch mit Japan.

Blauhai ist die wichtigste Art beim Shark Finning durch EU-Fangflotten

In den Jahren 2019 und 2021 wurden von den europäischen Hai-Fangflotten insgesamt 248.392 Tonnen Hai-Fänge gemeldet. Dies entspricht einem jährlichen Durchschnitt von 82.797 Tonnen. Am häufigsten gefangen wurden Blauhaie (Prionace glauca). Etwa 56 % aller Hai-Fänge in diesem Zeitraum waren Blauhaie. Es folgten Kleingefleckter Katzenhai, Stachelrochen und Kurzflossen-Mako (Isurus oxyrinchus) mit 7 %, 6 % und 3 % der Gesamtfänge.

Bei vielen anderen Arten lagen die Gesamtfänge zwischen 2019 und 2021 bei unter 100 kg. Die Tiere waren wahrscheinlich zufällig als Beifang mitgefangen worden.

EU-Langleinenfischer fangen die meisten Haie

Die meisten Haie fangen EU-Langleinenfischer, die im Südatlantik und im Südpazifik operieren. Fänge aus internationalen Gewässern machen 60 % der Fangmenge aus. Wobei Blauhai und Kurzflossen-Mako fast ausschließlich in internationalen Gewässern gefangen werden. Ihre Befischung fällt in den Zuständigkeitsbereich regionaler Fischereiorganisationen (RFMOs).

Fins Naturally Attached-Verordnung soll Shark Finning unterbinden

Zwar ist Shark Finning seit 2013 in der EU mit der sogenannten „Fins Naturally Attached“-Verordnung (Ganzkörperanlandung) verboten. Die Tiere müssen beim Entladen im Hafen intakt sein. Erst danach darf man die Flossen abtrennen und verkaufen. Dies wird aber kaum kontrolliert. Deshalb kann niemand sagen, wie viele Haiflossen bei der Haiflossen-Fischerei illegal angelandet werden. Bislang gibt es nur in wenigen Staaten vergleichbare Gesetze zur Hai-Ganzkörperanlandung (Fins Naturally Attached). Etwa in den USA, Kanada, Indien, Südafrika, Chile, Costa Rica oder Kolumbien.

In anderen Ländern dagegen ist Shark Finning erlaubt. Daher gibt es auf dem weltweiten Markt gewaltige Mengen an Flossen. Die Herkunft ist meist kaum nachvollziehbar. Oft ist sie fragwürdig. Dennoch dürfen auch diese Haiflossen legal in und über Europa gehandelt werden. Dabei heißt es in der aktuellen „Fins Naturally Attached“-Verordnung: „Haie stellen keine traditionell europäische Speise dar, doch sie sind ein nötiges Element der europäischen marinen Ökosysteme.

Haifischflossen – Handelsverbote

Zum Glück sind andere Staaten beim Haischutz um einiges engagierter als die Europäische Union. Bis 2022 hatten 29 Länder Haischutzgebiete, Schutzgebiete oder andere Schutzmaßnahmen in Kraft gesetzt, die den Haifang in ihren nationalen Gewässern (Küstenmeer und Ausschließliche Wirtschaftszone) verbieten. Weiterhin gibt es eine Reihe unterschiedlicher Regularien Regionaler Organisationen für das Fischereimanagement (RFMOs) und einzelstaatlicher Bestimmungen (Anti-Finning-Gesetze), die das Shark Finning, nicht aber den Fang von Haien beschränken.

Großbritannien

Mit dem Brexit befreite sich Großbritannien von den nicht nur aus Sicht der Briten völlig unzureichenden EU-Fischereirichtlinien – zumindest teilweise. Beim Thema Verkauf von Haifischflossen zögerte man auf der Insel nicht lang. Im August 2021 verkündete die Regierung Handelsverbot (Import und Export) für Haifischflossen, das Ende Juni 2023 in Kraft trat.

Unter das Handelsverbot fallen auch Produkte, in denen Haiflossen enthalten sind wie Haiflossensuppe. Großbritannien übernahm damit in Europa eine führende Rolle im Kampf gegen Hai-Finning und den globalen Handel mit Haifischflossen.

„Das ist ein Meilenstein für den Haischutz und schwer Schlag gegen das Shark Finning. Einmal mehr zeigen sich andere Staaten beim Haischutz um einiges engagierter als die Europäische Union. Hier ist der Handel mit Haifischflossen immer noch erlaubt. Obwohl der Bestand nahezu aller Hochseehaie in den vergangenen 50 Jahren im Schnitt um 70 Prozent zurückgegangen ist. Die gezielte Haiflossen-Fischerei hat massiv dazu beigetragen“, erklärt der Biologe Ulrich Karlowski von der Deutschen Stiftung Meeresschutz.

USA

Am 23.12.2022 unterzeichnete US-Präsident Joe Biden den Shark Fin Sales Elimination Act. Damit sind in den USA Verkauf von Haifischflossen sowie – bis auf wenige Ausnahmen – deren Besitz illegal. Die zivilrechtliche Höchststrafe für jeden Verstoß beträgt 100.000 US-Dollar oder den Marktwert der betreffenden Haifischflossen, je nachdem, welcher Wert höher ist. Das von US-amerikanischen und internationalen Hai- und Meeresschutzorganisationen einhellig unterstützte Gesetzgebungsverfahren hatte am 15. Dezember 2022 den US-Senat passiert.

Zweifellos spielten die USA bislang eine wichtige Rolle im weltweiten Handel mit Haifischflossen. Die Wetter- und Ozeanografiebehörde der Vereinigten Staaten (National Oceanic and Atmospheric Administration/NOAA) erfasste 2016 den Import von etwa 60 Tonnen Haiflossen.

Jedoch stellte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) bereits 2015 fest, dass NOAA-Statistiken „die tatsächliche Menge der Haifischflossen-Importe erheblich unterschätzen“. Zum einen gab es keine ausreichenden Ein- und Ausfuhrkontrollen. Zum anderen erfasste NOAA, laut Shark Stewards aus Berkeley (Kalifornien), nur getrocknete und keine frisch abgeschnittenen oder eisgekühlte Haifischflossen. Gleichzeitig waren die USA allerdings ein bedeutender Exporteur.

Shark Finning (Haiflossen-Fischerei) ist grausam: Hai ohne Flossen liegt am Meeresgrund.

Handelsdaten aus den Jahren 2005 bis 2014 zeigen, dass in diesem Zeitraum 1.060 Tonnen Haifischflossen nach China verkauft wurden. Nach Hongkong gingen 16.659 Tonnen. Foto: Nancy Boucha, www.scubasystems.org 2005/Marine Photobank

Fidschi

Die Regierung von Fidschi setzt sich lokal und global aktiv für die Erhaltung und das Management von Haien und Rochen ein. Zu den Maßnahmen zählt auch ein Import- und Exportverbot für Haifischflossen, welches der pazifische Inselstaat 2019 einführte.

Haifischflossen – Handelsbeschränkungen

Im November 2022 beschloss die 19. Vertragsstaatenkonferenz des Washingtoner Artenschutzübereinkommens (CITES) Handelsbeschränkungen für 54 Arten Requiemhaie, sechs Hammerhai-Arten sowie für über 30 Geigenrochen-Arten beschlossen.

CITES stufte sie in Anhang II ein. Dies hat zur Folge, dass der Handel mit Hai- oder Rochenprodukten (Fleisch, Knorpel, Flossen) unter die Kontrolle nationaler Artenschutzbehörden und des Zolls fällt. Davon betroffen ist neben der gezielten Haifischerei besonders der lukrative Verkauf von Haifischflossen aus der Haiflossen-Fischerei.

  1. Boris Worm et al., Global shark fishing mortality still rising despite widespread regulatory change. Science383, 225-230(2024). DOI:10.1126/science.adf8984 ↩︎
  2. Andrew T. Fields et al. Species composition of the international shark fin trade assessed through a retail-market survey in Hong Kong, Conservation Biology (2017). DOI: 10.1111/cobi.13043 ↩︎

Update: erweiterter und überarbeiteter Beitrag

Titelfoto: istock.com/lonelytravel


Was können Sie tun?

Verzichten Sie – auch im Urlaub – auf den Verzehr von Haiprodukten. Achten Sie dabei auf als Kalbsfisch, Seestör oder Schillerlocke „getarnte“ Haiprodukte.

Citizen Science – Bürgerforscher:
Mithilfe der sozialen Medien wollen Haiforscher mehr über Haie und Rochen im Mittelmeer herausfinden, um eine umfassende Datenbank über die Arten zu erstellen. Dafür wurde das MECO Project gegründet (Mediterranean Elasmobranch Citizen Observations): Denn je mehr wir wissen, umso besser können wir Arten schützen!

Die öffentliche Facebook-Gruppe heißt: Hai-Sichtungen Mittelmeer/Sharks of the Mediterranean. Dort können Sie Ihre Sichtungen melden … und staunen, welche Arten schon entdeckt wurden!

Bildspenden:
Sie haben einen Hai gesehen? Wir freuen uns immer über Bildmaterial (Foto, Video), denn: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte!


Weiterführende Informationen

Restauration von Korallenriffen, Bandasee (Indonesien)

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Seit Anfang 2022 fördern wir ein nachhaltiges und nicht invasives Projekt zur Restauration von Korallenriffen bei den indonesischen Banda-Inseln. Partner sind Dr. Mareike Huhn von BandaSEA und Luminocean aus Indonesien. Durchgeführt wird es von den indonesischen Studierenden Farista Ghani und Rifaldi Kadir von der Hatta-Sjahrir Fisheries School Banda Islands. Sie erproben wird eine einfache, aber effektive Technik zur Wiederherstellung ausgebleichter Riffe. Ziel ist dabei auch, die Entwicklung eines Best-Practice-Leitfadens für leicht und kostengünstig umzusetzende Korallenrestaurationen mit größtmöglichem Biodiversitätserhalt. Damit sollen dann lokale Naturschutz- oder Tauchinitiativen von Studierenden auch auf abgelegenen indonesischen Inseln arbeiten und selbstständig geschädigte Korallenriffe wiederherstellen können.

ProjRifaldi Kadir und Farista Gani führen das Projekt zur Restauration von Korallenriffen in Indonesien durch.
Rifaldi Kadir und Farista Gani.
Nachhaltiges und nicht invasives Projekt zu Restauration von Korallenriffen in Indonesien: Taucher befestigen ein Netz, unter dem später Korallenlarven ausgesetzt werden.
Korallenrestauration bei den Banda-Inseln.

Restauration von Korallenriffen als Touristenattraktion?

Angesichts des durch die Klimakatastrophe und Meeresverschmutzung befeuerten globalen Korallensterbens sind Projekte für erfolgreiche Riff-Restauration entscheidend für das Überleben tropische Korallenriffe. Viele Touristen wollen den Riffen helfen und nehmen Angebote, bei Restaurationen mitzuhelfen, dankbar an. Vielfach gibt es dabei jedoch keinen wissenschaftlichen Ansatz. Im Vordergrund steht die touristische Attraktion. Hierbei wird dann häufig mehr Schaden als Nutzen angerichtet.

So gewinnt man Korallenstücke zum „Verpflanzen“ durch das Abbrechen von Korallen aus intakten Riffen. Eine Analyse, warum das Empfängerriff leidet, findet meist auch nicht statt. Somit entlässt man die abgebrochenen Korallen in Umweltsituationen, mit denen sie nicht zurechtkommen können. Außerdem reduziert das direkte Verpflanzen abgebrochener Korallenstücke die genetische Vielfalt im Empfängerriff, da nur bestimmte Arten für diese Methode verwendet werden können.

Wie kann man das besser machen? Einfach, aber dennoch effektiv? Ohne großen Laboraufwand? Nicht invasiv? Auf diese und andere Fragen haben Rifaldi Kadir, Farista Gani und ihr Team Antworten gefunden.

Korallenriffe bei den Banda-Inseln im Indopazifik

Die Banda-Inseln sind 7 bewohnte und 4 unbewohnte kleine Inseln, 215 km südöstlich von Ambon (Hauptstadt der Provinz Maluku). Sie befinden sich inmitten des tiefsten Meeres Indonesiens, der Bandasee. Mit mehr als 397 Hartkorallenarten und geschätzten 695 Arten von Rifffischen auf einer relativ kleinen Rifffläche gehören die Banda-Inseln zu den Gebieten mit der höchsten marinen Artenvielfalt im Indopazifik. Dank ihrer Abgeschiedenheit waren bis 2020 viele Korallenriffe noch relativ gut erhalten.

Korallenbleiche 2020

Die von der Hitzewelle 2020 ausgelöste Korallenbleiche traf die Banda-Riffe hart, besonders Porites- und Montipora-Korallen. Das Überwachungsteam von Luminocean fand anschließend Standorte mit bis zu 54 % ausgebleichten (toten) Korallen auf dem Riffdach und 48 % am Riffkamm. So etwas hatte es hier noch nie gegeben.

Einige der am stärksten geschädigten Riffe befinden sich vor der Insel Hatta. Bis 2020 herrschte hier die höchste Korallenvielfalt und Biodiversität im Banda-Riffsystem. Denn bei Hatta gibt es ansonsten kaum lokale riffschädigende Einflüsse. Fischerei und Meeresverschmutzung spielen keine Rolle. Daher ist dies der ideale Standort für Maßnahmen zur Korallenrestauration.

Wie funktioniert die nachhaltige und nicht invasive Restauration von Korallenriffen?

Die indonesischen Studenten entwickelten eine einfache Methode, Eier und Spermien (Gameten) von laichenden Korallen im Feld (in situ) während des sogenannten „spawning“ zu sammeln. Wichtigste Ausrüstungsgegenstände sind: Haushaltstrichter und PET-Flaschen.

Gametenfalle aus Trichter und PET-Flasche über einer Koralle

Die Nächte (spawning nights), in denen Korallen bei Hatta laichen, sind bekannt. Für Acropora-Arten sind das zum Beispiel 3 bis 6 Nächte nach den Vollmonden im März und November. In diesen Nächten befestigen das Restaurations-Team die Sammelfallen über einzelnen Korallenkolonien. Keine Koralle wird dabei beschädigt. Am folgenden Tag erfolgt dann ein Kontrolltauchgang, ob sich Gameten in den Plastikflaschen befinden.

Zusätzliche Fallen befinden sich weiter oben in der Wassersäule. Damit erhöht sich die Chance, Gameten von weiteren Arten zu erwischen. Denn ein Ziel des Projekts ist es, eine größere genetische Vielfalt im Empfängerriff wiederherzustellen, als dies mit herkömmlichen Restaurationstechniken möglich ist.

Zucht von Korallenlarven ohne Laboreinsatz

Die Gameten kommen zur Befruchtung in ein 10-Liter-Becken. Anschließend können sich die Korallenlarven (Planula-Larven) in 1000-Liter-Tanks wohlbehütet entwickeln.

Rifaldi und Farista mit den 1000-Liter-Tanks zur Aufzucht der Korallenlarven (Planula-Larven).

Im Zip-Lock-Beutel in die neue Heimat

Nach etwa 4 Tagen sind die Larven dann groß genug für den Transfer ins „richtige Leben“. Für den Transport zum Empfängerriff werden einfache Druckverschlussbeutel benutzt. Zuvor hatte das Korallenrestaurationsteam im Empfängerriff mehrere 3 mal 5 m große Parzellen über toten Korallen oder Felsen markiert.

Korallenrestauration in Indonesien Fischernetz mit Organza-stoff über einem ausgebleichten Riffabschnitt

Vor der Freisetzung der Larven bedecken Taucher jede Parzelle mit einem Fischernetz, das mit Organza-Stoff doppelt unterfüttert ist. Fertig ist ein „Schutzdach“ für Korallenlarven. Um ein Verdriften des Netzes zu verhindern, ist es mit Fischereiblei beschwert.

Nach 5 Tagen dann entfernen Taucher das Netz. Anhand der Markierungen der Parzellen kann man sie später leicht wiederfinden. Das ist entscheidend, um den Besiedlungserfolg langfristig überwachen zu können.

Fischereibehörde und Navy machen mit

Projektbeginn ist der 21. März 2022. Ermutigend ist, dass sowohl die lokale Fischereibehörde als auch die indonesische Navy viel Interesse zeigen, mitzumachen. Für den großen 1000-Liter-Tank dürfen die Studenten sogar eine Marinebasis nutzen. Ein idealer Standort. Denn er ist direkt am Meer, es gibt einen Stromanschluss und ein großer Baum wirft kühlenden Schatten auf den Tank.

Erfolgskontrolle

Für die Erfolgskontrolle der Korallenrestauration gibt es noch mehrere mit Netzen ohne Organzagewebe abgedeckte Parzellen. Hier werden keine Larven freigesetzt. Jeweils nach 1, 2, 4 und 6 Monaten wird dann der Ansiedlungserfolg überprüft. Es sind also vergleichsweise wenige Tauchgänge notwendig. Jede neue Korallenkolonie wird fotografiert und vermessen. Anschließend findet ein Vergleich mit den Parzellen statt, in denen keine Larven freigesetzt wurden.

Vorgesehen ist, die Laichzeiten 2022 und 2023 zu nutzen. In den Folgejahren kontrollieren Taucher von Luminocean und Studenten der Fischereischule Hatta-Sjahrir das weitere Heranwachsen der restaurierten Riffabschnitte. Dies soll alle 6 Monate stattfinden.

Bachelorarbeit von Joshua Berg: Wo siedeln sich Korallenlarven besonders gerne an?

Im Rahmen unserer Projektförderung unterstützten wir Ende 2023 die Bachelorarbeit des jungen Biologiestudenten Joshua Berg von der Uni Bochum.

Joshua Berg kontrolliert das Wachstum der Korallenlarven unter dem Mikroskop.
Das Wachstum der Larven in den Petrischalen im Labor wurde 14 Tage lang jeden Abend unter dem Mikroskop kontrolliert.

Er versucht herauszufinden, wo sich Korallenlarven am liebsten ansiedeln. Ausgangspunkt der Fragestellung sind ungewöhnliche natürliche Besiedlungserfolge von Korallen auf Lavagestein am Fuße der Vulkaninsel Banda Api. Der Vulkan brach zuletzt im Mai 1988 aus. Die ausgetretenen Lavaströme erreichten alle das Meer. Joshua Berg will herausfinden, ob „frisches“ Lavagestein vielleicht eine höhere Attraktivität für Korallenlarven hat als „normales“ Gestein am Meeresboden.

Während des Korallenablaichens bei den Bandainseln, welches Anfang November 2023 stattfand, sammelte Joshua mit dem Korallenrestaurationsteam von BandaSEA und Luminocean unter Einsatz des bewährten Systems aus Trichtern und Flaschen unter Wasser und an der Wasseroberfläche Korallengameten ein.

Die anschließende Aufzucht der Korallenlarven erfolgte in einer vom Korallenrestaurationsteam bereitgestellten Anlage. Alles Weitere, insbesondere das mühevolle Zählen von Korallenlarven und was mit den kleinen Korallen anschließend passierte, erzählt Joshua in seinem Video:

Erfolgreiche Korallenrestauration mit der neuen Methode

Testläufe des Projekts zur nicht invasiven und nachhaltigen Larvenansiedlung als Methode der Korallenrestauration fanden im Frühjahr und im Winter 2022 und 2023, jeweils nach dem spawning statt. Es gelang, Gameten einzufangen, Korallenlarven an Land aufzuziehen und sie anschließend in ausgebleichten Riffabschnitten vor der Insel Hatta anzusiedeln.

Mit Netzen abgedeckte Testfelder zur Ansiedlung von Korallenlarven am Meeresgrund.
Die 17 mit Netzen bedeckten Testfelder, unter denen später die Larven ausgesetzt wurden. © Joshua Berg

Für die bessere Dokumentierung des Besiedlungserfolgs baute das Restaurations-Team 2023 in einem vor einigen Jahren zerstörten flachen Riff 17 „Steinkreise“. Dort ließ man die Larven unter Seidenstoff-Zelten frei.

Nach 7 Tagen wurden die Zelte entfernt. Fünf Wochen nach dem Entlassen der Larven zählte Rifaldi bis zu 80 angesiedelte Larven auf einem Stein. Das ist ein großartiger Erfolg. Die Entwicklung der Ansiedlung wird weiter dokumentiert.

Langzeiteffekte für die Korallenrestauration

Bislang gibt es in Indonesien keinen nicht wissenschaftlichen Leitfaden in indonesischer Sprache über Möglichkeiten zur Korallenrestauration.

Farista und Rifaldi, indonesische Studenten, die für die Korallenrestauration in ihrem Land arbeiten.

Das will Rafaldi Kadir ändern und den neuen Best-Practice-Leitfaden über soziale Netzwerke verbreiten. Außerdem will er mit dem Projekt andere Studenten von den Banda-Inseln ermutigen, ihre Ausbildung fortzusetzen. Ausgerüstet mit dem notwendigen Wissen, können sie dann heimische Korallenriffe wiederaufbauen und schützen.

Dieses von jungen indonesischen Tauchern und Studenten getragene Projekt wird obendrein das Bewusstsein in Indonesien für die Probleme schärfen, die schlecht geplante und durchgeführte Korallenrestaurierungsprojekte verursachen.

Neben dem pädagogischen Nutzen zeigt das Projekt, wie man Korallenlarven ohne großen Aufwand auf abgelegenen indonesischen Inseln vermehren kann. Mit einer ständig einsatzbereiten Anlage zur Vermehrung von Korallenlarven auf den Banda-Inseln kann man zukünftig schnell reagieren, wenn Riffe in Not sind.

UN-Nachhaltigkeitsziele des Projekts (SDGs)

Update: erweiterter und überarbeiteter Beitrag

Nach Informationen von Mareike Huhn (BandaSEA), Joshua Berg (Universität Bochum); Fotos: BandaSEA, wenn nicht anders angegeben.


Korallenriffe schützen

Korallenriff Indonesien.

Helfen Sie den Baumeistern der Ozeane. Für den Erhalt und Wiederaufbau von Korallenriffen!


Weiterführende Informationen

Projekt Haie in der Karibik – Curaçao

10 Minuten

Seit April 2022 erforscht die Meeresbiologin Lisa Hübner mit einem Forschungsteam der Universität Groningen (Niederlande) den Haibestand um die Gewässer der zu den Niederlanden gehörenden Insel Curaçao. Bis ca. 2010 gab es in den türkisblauen Gewässern der Karibikinsel eine atemberaubende Vielfalt an Haien und Rochen. Seitdem sinken die Bestände dieser Knorpelfische zum Teil dramatisch. Doch Informationen zu Ausmaß und Gründen für das Verschwinden der Haie in Curaçao sind lückenhaft und nur durch anekdotische Hinweise, insbesondere von älteren Fischern, dokumentiert. Für einen besseren Schutz von Haien in der Karibik benötigt man unbedingt ganzheitliche wissenschaftliche Einblicke, die aufzeigen, wie stark und vor allem wieso die Bestände zurückgegangen sind. Zum anderen müssen in die nachfolgenden Schutzmaßnahmen lokale Bevölkerungsgruppen eingebunden werden. Deshalb haben wir die Arbeit von Lisa Hübner auf Curaçao gefördert.

Projekt Haie in Curaçao: Bericht von Lisa Hübner

Die bisher vorliegenden Ergebnisse der Forschungsarbeiten sind beunruhigend. Wir stellten nicht nur einen Rückgang der Hai-Hotspots rund um Curaçao fest, ihre Zahl hat sich seit 2010 fast halbiert. Es gibt zudem immer weniger Arten, die sich an den verbliebenen Hotspots aufhalten. Aktuell fangen Fischer dort drei Haiarten, während vor 2010 durchschnittlich sieben Arten gesichtet und/oder gefangen wurden. Dies zeigt deutlich das Ausmaß des Rückgangs der Haibestände in der Region.

„A Fisherman‘s Tale“: Hintergründe und Projektziele

Haie sind weitaus mehr als ikonische Geschöpfe des Meeres, sie sind unerlässlicher Bestandteil mariner Nahrungsketten und Ökosysteme. Die Knorpelfische sind systemrelevant. Verschwinden sie, entstehen Kaskadeneffekte in niedrigeren Trophieebenen1. Vor allem Korallenriffe, Seegraswiesen und die pelagische Zone sind auf einen gesunden Bestand dieser Raubfische angewiesen.

Projekt Haie in der Karibik – Curaçao: Ammenhai ruht unter Mangroven.

Ein Ammenhai. Diese Haie sieht man in der Karibik nur noch selten. © Amanda Cotton/Ocean Image Bank

Eine Bewertung der Weltnaturschutzunion IUCN vom September 2021 zeigt, dass 32 % aller Knorpelfischarten (Haie, Rochen und Chimären), zu denen Daten vorliegen, durch Überfischung vom Aussterben bedroht sind. Darunter der Karibische Riffhai (Carcharhinus perezii) und der Atlantische Ammenhai (Ginglymostoma cirratum) – Arten, deren Vorkommen einst die Normalität an karibischen Riffen und Küstenökosystemen widerspiegelten.

Seit 2014 hat sich die Zahl der Knorpelfischarten mit akutem Aussterberisiko damit mehr als verdoppelt, von 181 auf 391 Arten.

Wie Fischer uns helfen können, Haie in der Karibik zu schützen

Für unsere Forschungsarbeit wandten wir uns an die Experten der Insel: einheimische Fischer. Fischer verbringen den Großteil ihres Lebens auf See. Sie nehmen bewusst Veränderungen wahr, beispielsweise in der Zusammensetzung ihres täglichen Fangs oder im Vorkommen verschiedener Fischarten in speziellen Fanggebieten. Dieses Wissen – als „Fisher’s Local Ecological Knowledge” (FLEK) bezeichnet – dokumentierten wir in Curaçao.

Projekt Haie in der Karibik: Ein Baited Remote Underwater Video System/BRUVS im Einsatz vor Curaçao.
© Lisa Hübner

Dazu führten wir 25 tiefgreifende, semi-strukturierte Interviews mit Fischern durch. In die Datenauswertung flossen schlussendlich 21 Interviews ein.

Ergänzt wurde die FLEK-Studie durch beköderte Unterwasserkameras (Baited Remote Underwater Video Systems/BRUVS2), siehe Foto rechts. Beides zusammen bildet die ganzheitliche Basis dieses Projekts.

Wie erhebt man Fisher´s Local Ecological Knowledge?

Unser Team befragte Fischer unterschiedlicher Generationen zu Fängen und Sichtungen. Dazu stellten wir ihnen Fragen zu 14 Hai- und Rochenarten.

  • Tigerhai (Galeocerdo cuvier)
  • Blauhai (Prionace glauca)
  • Kurzflossen-Mako (Isurus oxyrinchus)
  • Hammerhai (Sphyrna spp.)
  • Zitronenhai (Negaprion brevirostris)
  • Riesenmanta (Mobula birostris)
  • Southern Stingray (Hypanus americanus)
  • Gefleckter Adlerrochen (Aetobatus narinari)
  • Walhai (Rhincodon typus)
  • Karibischer Riffhai (Carcharhinus perezii)
  • Kleiner Schwarzspitzenhai (Carcharhinus limbatus)
  • Bullenhai (Carcharhinus leucas)
  • Weißspitzen-Hochseehai (Carcharhinus longimanus)
  • Atlantischer Ammenhai (Ginglymostoma cirratum)

Für die Interviews legten wir den Fischern Bilder dieser Arten (im Folgenden gesammelt als „Haie“ bezeichnet) vor. Sie berichteten uns, ob und wenn ja, wo sie eine bestimmte Art zu Beginn ihrer Karriere sowie heutzutage fangen oder vom Boot aus regelmäßig sichten.

Projekt Haie in der Karibik – Curaçao: Fischer präsentiert ein Haigebiss.
Ein Fischer zeigt das Gebiss eines Haies, den er vor Curaçao gefangen hat. © Lisa Hübner

Um die Aufbereitung der Daten zu erleichtern, wurden die Fang- und Sichtungsinformationen in zwei Perioden aufgeteilt: „Vergangenheit“ (1957 bis 2009) und „Gegenwart“ (2010 – 2022).

Um mehr über die räumliche Verbreitung der Knorpelfische in den Küstengewässern der Insel zu erfahren (Identifizierung von Hai-Hotspots), ließen wir die Fischer den genauen Ort einer Begegnung (Fang oder Sichtung vom Boot) auf einer Karte einzeichnen. Daraus erstellten wir zwei Artenreichtums-Karten für beide Zeiträume. Wichtig dabei waren Informationen, wie oft die Fischer Haie zu Beginn ihrer Fischerkarriere und im Vergleich zu heute gesichtet oder gefangen haben. Der Fischer mit der längsten Erfahrung ist seit 1957 aktiv.

Die gesammelten FLEK-Daten wurden anschließend statistisch noch einmal reduziert, sodass nur statistisch relevante „Hotspots“ – also Orte, an denen eine hohe, statistisch relevante Artenvielfalt vorhanden ist – abgebildet wurden3. Als Ergebnis erhält man folgende Hai-Hotspots (in Rot) um die Insel Curaçao:

Zutage kam ein deutlicher und alarmierender Rückgang der in der „Vergangenheit“ existierenden Hai-Hotspots um fast die Hälfte im Vergleich zur „Gegenwart“. Doch nicht nur das. Auch die durchschnittliche Artenvielfalt der in den Hotspots lebenden Haiarten ist signifikant von sieben auf drei zurückgegangen. Der Blauhai wurde dabei von keinem der Fischer erwähnt.

Warum gibt es immer weniger Haie in Curaçao?

Unklar ist allerdings, warum die Haibestände derart hohe Verlustraten aufweisen. Überfischung in der Region könnte eine von mehreren Ursachen sein.

Überfischung

Auf die Frage, warum sie Haie fangen, gaben die Fischer unterschiedlichste Antworten. Manche sagten, sie fangen Haie nicht mit Absicht, bringen diese dann aber an Bord aus Angst, die für sie kostbare Ausrüstung nicht zu verlieren.

Haifleisch, Curaçao.
Projekt Haie in der Karibik – Curaçao: portioniertes Haifleisch. © Lisa Hübner

Andere wiederum meinten, sie fangen die Tiere wegen des reinen Nervenkitzels. Das macht es schwierig, das tatsächliche Ausmaß der Haifischerei vor Curaçao festzustellen.

Fakt ist allerdings, wenn erst einmal am Haken, werden die Fische hauptsächlich verkauft oder selbst konsumiert. Nur ein geringer Teil wird wieder ins Meer entlassen.

Das lässt vermuten, dass Haifänge einen sozio-ökonomischen Wert für die Fischer darstellen. Wie hoch dieser Wert genau ist, muss sich in zukünftigen Studien zeigen.

Übertourismus, Küstenbaumaßnahmen und Meeresverschmutzung

Möglicherweise ist die starke Abnahme der Haivielfalt in Curaçao auch das Ergebnis eines Zusammenspiels aus Überfischung und anderen Faktoren. So könnte der zunehmende Tourismus auf der Insel ebenfalls eine maßgebliche Rolle einnehmen. In den vergangenen Jahren kam es zu einer starken Zunahme der Küstenbebauung durch Resorts und Hotels. Dies wiederum wirkt sich negativ auf die ohnehin ungenügende Abfall- und Abwasserwirtschaft der Karibikinsel aus.

  1. Stellung eines Tiers oder einer Pflanze in der Nahrungskette ↩︎
  2. Baited Remote Underwater Video Systems (BRUVS) werden regelmäßig in Studien zur Bestandsbestimmung von Raubtieren eingesetzt. Haie werden durch den für sie attraktiven Köder angelockt und so von der angebrachten Kamera gefilmt. Die Filmaufnahmen werden im Nachhinein ausgewertet, um Anzahl und Artenvielfalt einer Region zu bestimmen. ↩︎
  3. Dieses Verfahren nennt sich „Hotspot Analysis (Getis Ord Gi * Statistic)“. ↩︎

Wie geht es weiter beim „A Fisherman‘s Tale“-Projekt?

Die bisherigen Ergebnisse des „A Fisherman‘s Tale“-Projekts verdeutlichen die Notwendigkeit für besseren Haischutz in Curaçao. Sie zeigen auch, wie wertvoll „Fisher’s Local Ecological Knowledge” (FLEK) – das Wissen von Fischern – für die wissenschaftliche Aufbereitung historischer Informationen sein kann.

Projekt Haie in der Karbik: Angelandete Haie in Curacao.
Angelandete Haie in Curacao. © Van Beek et al

„Um den zukünftigen Haischutz so nachhaltig und effizient wie möglich zu gestalten, sollte die Einbringung von Fischern als eigene Interessenvertretungsgruppe hier nicht aufhören. Fischer und ihre Bedürfnisse einzubeziehen, ist wichtig, um Meeresartenschutz, der Fischer eventuell benachteiligen könnte, moralisch vertretbar zu machen. Studien zeigen auch, dass die Einbindung von Fischern dazu führt, dass mögliche Fischereibeschränkungen tatsächlich eingehalten werden“, erläutert Meeresbiologin Lisa Hübner.

Haie in der Karibik gemeinsam mit Fischern und Behörden schützen

Sobald alle Ergebnisse ausgewertet sind, werden die Groninger Forscher ihre Ergebnisse den Behörden in Curaçao vorlegen und den Dialog zwischen Fischern und Entscheidungsträgern herstellen. Haischutz in der Region soll gemeinsam mit Fischern, nicht gegen sie, entstehen, hoffen die Wissenschaftler.


Hintergrund: Haischutz in der Karibik

Im Jahr 2015 entstand um die Gewässer der Inseln Saba und Bonaire in der Niederländischen Karibik das „Yarari Shark and Marine Mammal Sanctuary.

Meeresschutzgebiete (MPAs/Marine Protected Areas), insbesondere mehrere in Verbindung gebrachte MPAs, können die über weite Strecken wandernden Raubfische effektiv schützen. Leider fehlen solche Schutzgebiete um die anderen Inseln der Niederländischen Karibik.

Im Juni 2016 verhängten die Regierungen der Karibik-Inseln St. Maarten und der Kaimaninseln ein Fangverbot für die kommerzielle Haifischerei in ihren Hoheitsgewässern. Gleichzeitig gaben Curaçao und Grenada bekannt, noch im Laufe des Jahres gleichfalls den kommerziellen Fang von Haien verbieten zu wollen. Damit erhöhte sich die Zahl von Haischutzgebieten zum damaligen Stand auf weltweit 17, mit einer Fläche von etwa 20 Millionen Quadratkilometern.

Die karibischen Haischutzgebiete sind Ergebnis wachsenden Engagements von karibischen und pazifischen Staaten. Sie wollen die Ausrottung der Haie in der Karibik verhindern. Dieses gründet sich auch auf den Ergebnissen eines internationalen karibischen Haischutz-Symposiums. Es fand im Juni 2016 auf St. Maarten statt. An dem Treffen von Regierungsvertretern und nicht staatlichen Haischutzorganisation nahm auch der engagierte Haischützer Sir Richard Branson teil.

Update: erweiterter und überarbeiteter Beitrag

Foto oben: Karibischer Riffhai, © Guido Leurs



Weiterführende Informationen

Meeresschutzgebiete – Übersicht

15 Minuten

Meeresschutzgebiete (MPAs) sollen die biologische Vielfalt sichern und sie vor abwendbaren Gefahren schützen. Außerdem können sie dort, wo die Artenvielfalt bereits zurückgegangen ist, dafür sorgen, dass sie sich wieder regeneriert. Fischbestände erholen sich in funktionierenden Schutzzonen innerhalb kurzer Zeit, wenn sie nicht befischt werden (No-Take-Zonen). Dann können Fischer, wegen des Spillover-Effekts, außerhalb des Meeresschutzgebietes sogar mehr und größere Fische fangen als vor der Unterschutzstellung. Leider sind viele MPAs – wie in Deutschland – reine „paper parks“. Es gibt sie nur auf dem Papier. Zudem herrscht Verwirrung über die Definition von „Schutz“ und die Erwartungen an die Wirkung von Meeresschutzgebieten. In manchen MPAs ist keinerlei menschliche Nutzung zugelassen. Noch sind das viel zu wenige. Doch diese MPAs erfüllen die in sie gesteckten Erwartungen.

In anderen Meeresschutzgebieten wiederum ist alles zugelassen. Von intensiver Fischerei bis zum Tiefseebergbau. Dies führt zu Kontroversen über die Wirksamkeit von Meeresschutzgebieten und untergräbt das Vertrauen in MPAs. Zudem gefährden wirkungslose Meeresschutzgebiete sämtliche Ziele für den Erhalt der Biodiversität, einschließlich des Übereinkommens über die biologische Vielfalt und der Agenda für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (UN).

Meeresschutzgebiete – Beispiele

Noch vor wenigen Jahren konnte man sich nicht vorstellen, dass das Unterziel 14.5 des UN-Nachhaltigkeitsziels 14 (Leben unter Wasser), bis 2020 zehn Prozent der Meeresfläche unter Schutz zu stellen, jemals erreicht werden könnte. Aber dann „hagelte“ es Meeresschutzgebiete. Besonders die US-Präsidenten George W. Bush und Barack Obama ließen es sich nicht nehmen, jeweils „ihr“ weltweit größtes Schutzgebiet auszurufen.

Trotz dieses präsidialen Eifers verfehlte die Weltgemeinschaft letztlich mit ca. 7 % Unterziel 14.5. Dabei stand man kurz davor. Doch Ende Oktober 2020 konnte sich die „Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis“ (CCAMLR) nicht auf die Einrichtung dreier großer Schutzgebiete in der Antarktis einigen.

Pazifik

George W. Bush erschuf im Januar 2009 Meeresschutzgebiete, die mit einer Fläche von 500.000 km² ungefähr so groß wie Spanien sind. Zu den von Bush eingerichteten drei Reservaten gehören neben dem Pacific Remote Islands Marine National Monument das Marianas Trench Marine National Monument (Inseln der Nördlichen Marianen) und das Rose Atoll Marine National Monument (Rose-Atoll in Amerikanisch-Samoa). Ihm ist es zu verdanken, dass auch der 2400 km lange Marianengraben mit dem tiefsten Punkt der Erde geschützt ist.

Karte des Pacific Remote Islands Marine National Monument Meeresschutzgebiets (MPA).

US-Meeresschutzgebiete im Pazifik. Quelle: NOAA

Barack Obama vergrößerte das von Bush ausgerufene „Pacific Remote Islands Marine National Monument“ dann um fast das Neunfache auf 1.282.534 km². Damit war es zu dieser Zeit das größte Meeresschutzgebiet.

Kiribati – Phoenix Islands Protected Area (PIPA)

Karte vom Meeresschutzgebiet PIPA bei Kiribati

Anfang 2015 verbot die Regierung des aus einer Vielzahl von Inseln bestehenden Kleinstaates Kiribati in einem der seinerzeit größten Meeresschutzgebiete die kommerzielle Fischerei. Es handelt sich um die über 408.000 km2 umfassende Phoenix Islands Protected Area (PIPA).

Das gesamte Schutzgebiet ist eine „No-Take-Zone“. PIPA (Phoenix-Inseln) ist ungefähr so groß wie Kalifornien. Sie umfasst elf Prozent der ausschließlichen Wirtschaftszone von Kiribati. Seit 2010 steht das Gebiet auf der UNESCO Weltkulturerbe-Liste.

Bis 2015 hatte Kiribati, das auf der Hälfte des Weges zwischen Hawaii und Australien in Mikronesien liegt, Fischereilizenzen verkauft. Darunter an Japan, China oder Taiwan. Mit der neuen No-Take-Zone ist ein sehr artenreiches Meeresgebiet sicher vor Fischereiaktivitäten.

Die PIPA umfasst acht Atolle und zahlreiche kleinere Koralleninseln. Ihre umfangreichen Riffe sind noch weitgehend intakt. Mehr als 120 Korallenarten, 514 Arten Rifffische sowie Raubfischarten wie Thunfische, Haie oder Makrelen wurden hier bislang identifiziert. Außerdem suchen Meeresschildkröten die Strände der in der PIPA liegenden Inseln zur Eiablage auf. Zudem gibt es hier Delfine und große Ansammlungen von Seevögeln.

Im November 2021 wurde bekannt, dass Regierung von Kiribati PIPA aufgeben, für kommerzielle Fischerei freigeben und als UNESCO-Weltkulturerbe abmelden wolle.

Revillagigedo-Archipel – Mexikos kleines Galapagos

Die seit 2016 zur Welterbe-Liste der UNESCO zählende Revillagigedo-Inseln vor der Westküste Mexikos gehören zu den größten Natur- und Meeresschutzgebieten von Nordamerika. Fischereiaktivitäten sind in dem aus vier unbewohnten Vulkaninseln bestehenden und sich über 420 km erstreckenden Archipel verboten (No-Take-Zone).

Karte vom Meeresschutzgebiet Revillagigedo-Archipel

Das mexikanische Umweltministerium will auch den Bau von Hotels auf der Inselgruppe mit ihrer Landfläche von 157 km² unterbinden. Denn die etwa 400 Kilometer vom Badeort Cabo San Lucas (Bundesstaat Colima) an der Südspitze der Baja California entfernt liegenden Inseln (San Benedicto, Socorro, Roca Partida and Clarión) zeichnen sich durch ihren außerordentlichen Artenreichtum aus. Neben vielen bedrohten Arten leben hier auch seltene Reptilien- und Seevogelarten.

Für Wale, Delfine, Walhaie, Mantarochen sind die umliegenden Gewässer ein wichtiger Rückzugsraum. Wegen seiner Artenvielfalt bezeichnet man die Inseln auch als Mexikos kleines Galapagos. Von den 366 hier heimischen Fischarten kommen 26 nur hier vor. Sie sind endemisch. Wie bei anderen Schutzgebieten auch, hängt der Erfolg der Schutzzone von Kontrollen und Überwachung ab. Piratenfischer scheren sich nicht um Vorschriften. Deshalb überwacht die mexikanische Marine das Gebiet.

Kermadec Ocean Sanctuary

Quelle: NewZealand Government, Ministry for the Environment

Karte der No-Take-Zone Kermadec Ocean Sanctuary.

Ende September 2015 kündigte Neuseeland die Einrichtung eines riesigen Meeresschutzgebietes an. Das Kermadec Ocean Sanctuary umfasst eine Fläche von 620.000 km². Damit ist es größer als Frankreich. In der noch weitestgehend unberührten Region sind nun für die Meeresumwelt negative Aktivitäten verboten. Dazu zählen Fischfang (No-Take-Zone) oder die Suche nach Bodenschätzen.

In den Gewässern rund um die im südwestlichen Pazifik gelegenen, unbewohnten Kermadecinseln leben zahlreiche seltene und bedrohte Arten. Darunter mindestens 35 Delfin- und Walarten, Meeresschildkröten und Vögel. Der im gesamten Südpazifik beheimatete Kermadec-Sturmvogel ist nach diesen Inseln benannt. Denn man kann hier ganzjährig beobachten.

Südamerika: Neues Meeresschutzgebiet ohne industrielle Fischerei

Auf der UN-Weltklimakonferenz in Glasgow (COP 26) verkündeten die Präsidenten von Ecuador, Kolumbien, Costa Rica und Panama im November 2021 die Einrichtung eines neuen, rund 500.000 km2 großen Meeresschutzgebietes.

Es erweitert und verbindet bereits existierende Schutzgebiete. Dadurch ist das Galapagos-Schutzgebiet (Ecuador) jetzt mit dem Naturreservat rund um die unbewohnte, im Ostpazifik liegende Insel Malpelo (Kolumbien) sowie mit den Nationalparks der Cocos- und Coiba-Inseln (Costa Rica und Panama) verbunden. Hier leben Wale und Delfine, Haie, RochenMeeresschildkröten und andere Meerestiere. Darunter auch gefährdete oder vom Aussterben bedrohte, spektakuläre Arten wie Bogenstirn-Hammerhaie oder Walhaie.

Industrieller Fischfang, z. B. Langleinenfischerei, dort künftig verboten. Lokale, handwerkliche Fischerei ist in bestimmten Zonen weiterhin möglich. In einem von vielen Meerestieren genutzten 30.000 km2 großen Wanderkorridor soll ein vollständiges Fischereiverbot gelten. Er liegt zwischen dem Galapagos-Schutzgebiet und dem Cocos Island National Park in Costa Rica. Allerdings ist die Region unter Druck durch illegale Fischerei (IUU/illegal, unreguliert und undokumentiert). Insbesondere durch illegale Haifischerei und Hai-Flossenfischerei.

„Wir werden Ökosysteme wie die Galapagos- und die Cocos-Inseln schützen, die zu den wertvollsten Ökosystemen gehören“, verkündete Costa Ricas Präsident Carlos Alvarado Quesada auf der COP 26. Während der Präsident von Panama Laurentino Cortizo hinzufügte, es werde viel „über den Klimawandel geredet“ und es gebe „viele nicht eingehaltene Zusagen“. Daher sei das neue Meeresschutzgebiet „eine starke Maßnahme und das, was unser Land und die Welt benötigen“.

Antarktis

Rossmeer: Meeresschutzgebiet mit Verfallsdatum

Im Oktober 2016 gelang der Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis (CCAMLR) ein historischer Durchbruch.

Nach zähen, über fünfjährigen Verhandlungen mit 24 Staaten und der EU, entstand das derzeit größte Meeresschutzgebiet der Welt. Das auch der „letzte Ozean“ genannte und weitgehend unberührte antarktische Rossmeer. Ein historischer, ein großartiger Erfolg. Schließlich profitieren unzählige Meerestierarten davon. Darunter Wale, Adelie- und Kaiserpinguine, Weddell-Robben oder Krill. Sogar für den durch hemmungslose Tiefseelangleinenfischerei stark überfischen Schwarzen Seehecht ist Entlastung in Sicht.

Allerdings ist auf rund einem Viertel des Gebiets weiterhin Tiefseelangleinen- und Krillfischerei erlaubt. Dennoch, der größte Teil des neuen Schutzgebiets – etwa 1,12 Millionen Quadratkilometer –, bleibt als gigantische No-Take-Zone tabu. Unklar ist jedoch, wer das alles überwachen wird.

Und wie mit illegal operierenden Piratenfischern verfahren werden soll. So sie denn dingfest gemacht werden. Befremdlich ist zudem, dass der Status als Meeresschutzgebiet nur für 35 Jahre gilt. Anschließend soll es neue Verhandlungen geben.

Zentraler Arktischer Ozean

Der zentrale Teil des Arktischen Ozeans ist nicht als Meeresschutzgebiet ausgewiesen. Aber er hat eine größere Bedeutung für den Biodiversitätserhalt als die meisten offiziellen Meeresschutzgebiete. Denn seit Oktober 2018 gilt ein 15-jähriges Verbot für die Hochseefischerei im zentralen Nordpolarmeer (Übereinkommen zur Verhinderung der unregulierten Hochseefischerei im zentralen Nordpolarmeer). Damit ist ein Gebiet von etwa 2,8 Millionen km2 – der Größe des Mittelmeeres – bis 2033 vor kommerzieller Fischerei geschützt. Der Vertrag kann um weitere fünf Jahre verlängert werden.

Ausschlaggebend für das Fischereiverbot war der Rückgang des Meereises aufgrund der Klimakatastrophe. Im Sommer sind mittlerweile bis zu 40 Prozent des zentralen Arktischen Ozeans eisfrei und für Fischtrawler schiffbar. Folglich nimmt das Interesse an Fischzügen in der Arktis zu.

Atlantik und Europa

Kanada: Eastern Canyons Marine Refuge

Zum Welttag der Meere 2022 erklärte die kanadische Regierung das rund 44.000 km2 große „Eastern Canyons Marine Refuge“ vor der Küste der kanadischen Provinz Neuschottland zum Meeresschutzgebiet. Damit sind artenreiche Tiefsee-Lebensräume, insbesondere der Grundschleppnetzfischerei, geschützt. In dem fischreichen Gebiet gibt es die größten bekannten Kaltwasserkorallenriffe vor der Atlantikküste Kanadas, Tiefseeschwämme und viele Delfine.

Charlie-Gibbs Meeresschutzgebiet

Es liegt im Atlantik zwischen Island und den Azoren am sogenannten Mittelatlantischen Rücken. Hier driften Kontinentalplatten auseinander. Dabei fließt immer wieder Magma ins Meer. Am Meeresboden bilden sich so mit der Zeit Gebirgsstrukturen (Seeberge). Das Charlie-Gibbs-MPA ist ein sehr produktiver und artenreicher Tiefseelebensraum. Das macht ihn für die Tiefsee-Fischerei hochinteressant. Experten hatten daher befürchtet, dass diese besonderen Lebensräume durch Grundschleppnetzfischerei zerstört werden könnten. OSPAR und die für das Meeresgebiet zuständige Regionale Fischereimanagement-Organisation North-East Atlantic Fisheries Commission (NEAFC) einigten sich jedoch, die FAO-Richtlinien zu bodenberührenden Fischerei umzusetzen. Demnach sollen ökologisch bedeutsame Gebiete mit Seebergen, Kaltwasserkorallen oder Tiefseeschwämmen vor dieser zerstörerischen Fischerei geschützt werden.

Allerdings dürfen Fische, die im Charlie-Gibbs Meeresschutzgebiet in der Wassersäule schwimmen, nach wie vor befischt werden. Auch Fangflotten aus Staaten, die nicht der NEAFC angehören, sind nicht verpflichtet, die Regeln des MPA zu respektieren.

Dennoch ist das Charlie-Gibbs-MPA eines der wenigen Beispiele, dass ein Gebiet in der Hohen See als Meeresschutzgebiet ausgewiesen werden konnte. Obgleich es außerhalb der Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) der OSPAR-Mitgliedstaaten liegt. Der Name stammt vom Forschungsschiff „Josiah Willard Gibbs“, das hier 1968 unterwegs war. Der Zusatz „Charlie“ dagegen stammt von einer gleichnamigen Wetterstation.

Quelle: world ocean review 4

NACES im Nordostatlantik

Anfang Oktober 2021 riefen die 15 Vertragsstaaten der Oslo-Paris-Konvention (OSPAR) zusammen mit der EU ein neues Meeresschutzgebiet im Nordostatlantik aus. Das „North Atlantic Current and Evlanov Sea basin“ (NACES). NACES ist ein Biodiversität-Hotspot. Mehr als fünf Millionen Seevögel versammeln sich hier regelmäßig. Doch auch zahlreiche andere Meerestierarten nutzen das Gebiet. Zusätzlich tragen 47 Seeberge mit ihrem Artenreichtum zur Bedeutung Schutzgebiets bei.

Über kleinere 70 EU-Schutzgebiete auf einen Schlag

Im Anschluss an die OSPAR-Jahrestagung 2014 erklärten Schottland, Spanien und Portugal über 70 neue Meeresschutzgebiete oder kündigten sie an. Sie sind Lebensraum für zahllose, zum Teil seltene und bedrohte Meerestierarten. Darunter Tiefseehaie, Korallengärten oder Tiefseeschwämme. Erstmals wandte man hier zusätzliche Kriterien der Roten Liste des OSPAR-Abkommens an. Dadurch gelang es, von der EU (noch) nicht geschützte Arten und Lebensräume zu erfassen.

Stumpfnasen-Sechskiemerhai in der Tiefsee, Pacific Remote Islands Marine National Monument.
Sechskiemerhaie sind ursprüngliche Tiefseehaie. Sie zeichnen sich durch sechs Kiemenspalten auf jeder Kopfseite aus. Damit unterscheiden sie sich von allen anderen Haien. Foto: NOAA Office of Ocean Exploration and Research, Deepwater Wonders of Wake.

Kroatische Adria

Die unbewohnte Vulkaninsel Jabuka liegt mitten in der Adria ca. 80 km nordwestlich der kroatischen Insel Vis. Die umgebenden Gewässer gehören zu den fischreichsten der Adria. Doch Überfischung ließ die Bestände schwinden. Als Gegenmaßnahme ergriff die kroatische Regierung daher ein Fangverbot und richtete eine Fishery Restricted Area (FRA) ein. Darin befindet sich eine No-Take-Zone, in der jegliche Fischerei verboten ist. Die von Fischern zunächst abgelehnte Zone erwies sich schon bald als Segen für die lokalen Kleinfischer. Dank des Spillover-Effekts fingen sie außerhalb der Schutzzone wieder mehr und größere Fische.

Das Becken von Jabuka (Jabučka kotlina) in der kroatischen Adria ist ein hervorragendes Beispiel für ein funktionierendes Meeresschutzgebiet. Ein Vorbild für das gesamte Mittelmeer.

Balearen – Schutzgebiet von mediterraner Bedeutung (SPAMI)

Seit Ende 2017 sind die Gewässer zwischen den Balearen und dem spanischen Festland ein besonderes Schutzgebiet von mediterraner Bedeutung (Specially Protected Area of Mediterranean Importance – SPAMI). Dies entschied die 20. Vertragsstaatenkonferenz der Barcelona-Konvention der Mittelmeer-Anrainerstaaten. Für Meeresschützer war das wie ein lang ersehntes Weihnachtsgeschenk. Denn die Konferenz tagte vom 17. bis 20. Dezember in Tirana (Albanien).

Seit Jahren hatten Wissenschaftler, Meeresschützer und Regionalparlamente der Balearen und Kataloniens die spanische Regierung zu diesem Schritt aufgefordert. Die Meeresregion ist eine wichtige Finnwal-Wanderroute zu ihren Nahrungs- und Fortpflanzungsgebieten im nördlichen Mittelmeer. Ferner ist sie Lebensraum vieler Wal- und Delfinarten. Darunter Haie, Rochen, Meeresschildkröten, Fische und Seevögel. Außerdem leben hier die Extremtaucher unter den Meeressäugern, Cuvier-Schnabelwale.

Mit der SPAMI-Anerkennung erübrigen sich weitere Versuche der Ölindustrie, Lizenzen für die Suche nach Öl- und Gasvorkommen zu erhalten. Gegen derartige Pläne hatte sich massiver Widerstand, vorwiegend auf den Balearen, formiert. „Wir sind dankbar für die große Unterstützung durch spanische Volksvertretungen sowie durch Wissenschaftler und Naturschutzinstitutionen weltweit“, sagt Carlos Bravo, Sprecher der Alianza Mar Blava. Der Allianz gehören mehr als 120 Mitglieder an. Neben balearischen und katalanischen Regierungsstellen, Privatunternehmen aus Bereichen wie Tourismus, Fischerei und Schifffahrt sowie Meeresschutzorganisationen und Wissenschaftler.

Bereits im Vorfeld leitete die spanische Regierung die SPAMI-Anerkennung mit einem Dekret ein. Dieses erklärte den Wanderkorridor zu einem Meeresschutzgebiet. Mit der Folge, dass dort keine seismischen Untersuchungen mit Airguns (Luftdruckpulsern) oder Abbautätigkeiten stattfinden durften.

Schlusslicht Deutschland

Und Deutschland? Da herrscht weitgehend Fehlanzeige. Deutschland hat zwar ca. 45 % der Flächen seiner Küstenmeere und seiner Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) als Naturschutzgebiete oder Natura-2000-Gebiete unter Schutz gestellt (in der Nordsee ca. 43 % und in der Ostsee ca. 51 %). Doch ist hier fast alles erlaubt. Sei es eine Ölbohrinsel im UNESCO-Weltnaturerbe Nationalpark Wattenmeer. Stellnetzfischerei im Schweinswalschutzgebiet vor Sylt. Grundschleppnetzfischerei im Meeresschutzgebiet Doggerbank. Militärische Sprengungen und Marine-Manöver. Selbst in Kernzonen des Nationalparks und UNESCO-Weltnaturerbes Wattenmeer ist eine eingeschränkte wirtschaftliche Nutzung zulässig.

Seit November 2022 gibt es immerhin halbherzige Fischereiverbote zum Schutz von Schweinswalen in der Ostsee. Darauf folgten im Februar 2023 ähnlich zaghafte Einschränkungen in AWZ-Meeresschutzgebieten in der Nordsee. Mit der Amrumbank, einer Sandbank im Meeresschutzgebiet Sylter Außenriff, gibt es nun immerhin eine erste kleine tatsächlich fischereifreie Zone in der AWZ.

Update: erweiterter und überarbeiteter Beitrag

Grafik oben aus: The MPA Guide: A framework to achieve global goals for the ocean


Weiterführende Informationen

Wie man mit Haien schwimmt

Der Titel mag etwas irreführend sein. Denn es handelt sich keineswegs um einen Ratgeber in der Art von „Schwimmen mit Delfinen“. Was „Wie man mit Haien schwimmt“ aber sehr wohl vermittelt, ist, wie man sich – sozusagen als Eindringling – im Lebensraum der Haie richtig verhält: mit Respekt vor diesen faszinierenden Spitzenprädatoren. Und den einen oder anderen Hinweis, wann man am besten nicht ins Wasser geht, um Hai-Begegnungen zu vermeiden, gibt es natürlich auch.

Vorsicht ansteckend: Hai-Virus

Wie man mit Haien schwimmt, Buchcover
Foto Buchcover © Folio Verlag

Sarano will eine Bresche schlagen „Im Namen der Haie“, wie der Titel im französischen Original wörtlich übersetzt heißt. Ein Plädoyer – und, wie es im Untertitel heißt, auch eine Liebeserklärung – für Haie, die vielfach missverstandenen, gefürchteten und noch immer millionenfach von Menschen gejagten, gequälten und verstümmelten Meeresjäger. Seine Begeisterung und Faszination für diese Knorpelfische ist in jedem Kapitel zu spüren – und ansteckend!

Der Autor

François Sarano ist Ozeanograf und Tiefseeforscher. Der passionierte Taucher war 13 Jahre lang wissenschaftlicher Berater von Jacques-Yves Cousteau und Expeditionsleiter auf dessen legendärem Forschungsschiff Calypso. Eine vielversprechende Voraussetzung für ein spannendes Buch!

Tödliche Gegner

Das erste Kapitel beginnt mit dem Geburtsjahr des Autors. 1954 – als man Haie weitgehend noch als Ungeheuer und tödliche Gegner für Taucher betrachtete. Übrigens auch der Meeresforscher und Dokumentarfilmer Jacques-Yves Cousteau (1910 – 1997), der zu jener Zeit für seine Aufnahmen Haie tötete und andere brutale Tricks anwandte. Zum Glück hat sich Cousteaus Bild von Haien später gewandelt, ebenso wie seine Aufnahmetechniken.

Calypso

Als Expeditionsleiter auf der Calypso unternahm der Franzose Sarano unzählige Tauchgänge und kann auf daher auf viele spannende Erlebnisse mit den unterschiedlichsten Haiarten zurückblicken. Er schwimmt Seite an Seite mit Weißen Haien, tummelt sich unter Bullenhaien, begegnet Arten, die die meisten Taucher wohl nur selten zu Gesicht bekommen, etwa einem laufenden Hai oder einem Geisterhai.

Charakterköpfe

Aber Sarano filmt nicht nur, er zeichnet auch unter Wasser. Er ist ein genauer Beobachter, erkennt Drohgebärden von Haien, macht sich Notizen zu körperlichen Merkmalen einzelner Tiere zur Identifizierung oder ihren unterschiedlichen „Charakteren“. Denn auch Haie besitzen Persönlichkeit. Während beispielsweise Bullenhai-Weibchen Ana risikobereit ist, ist ihre Artgenossin Stella eher zögerlich und scheuer.

Dass Tiere einer selben Art – oder auch Population – sehr unterschiedliche Charaktere haben können, ist inzwischen vielfach anerkannt. Egal, ob sich beispielsweise um Meeresschildkröten, Delfine oder Robben handelt.

Haie (un)erwünscht

Bullenhaie beim Synchronschwimmen.
Bullenhaie beim Synchronschwimmen. Foto: Fiona Ayerst/Marine Photobank

Haitourismus erfreut sich in einigen Gebieten wachsender Beliebtheit. Bekanntere Stellen sind beispielsweise in Playa del Carmen in Mexiko, wo Taucher Bullenhaie beobachten können. Oder bei der philippinischen Insel Malapascua, wo es eine Putzerstation gibt, die gerne von Fuchshaien besucht wird.

Doch nicht überall sind die Topprädatoren der Meere erwünscht. Um Badegästen ein ungestörtes Vergnügen im Meer zu gewähren, werden etwa Hainetze zum Schutz von Stränden aufgestellt: tödliche Fallen für unzählige Haie und andere Meerestiere. Oder es werden – vorwiegend nach tragischen tödlichen Unfällen – regelrechte Hetzjagden veranstaltet. Wie auf der Insel La Réunion, in deren Gewässern man Haie praktisch ausgerottet hat.

Immer wieder bringt Sarano auch ethische Aspekte zur Sprache. Hinterfragt unser Verhältnis zu Haien, aber auch zu anderen Tieren und zur Natur insgesamt.

Traurige Realität

Eine alarmierende Studie aus dem Jahr 2021 zeigt, dass der Bestand nahezu aller Hochseehaie und -rochen in den vergangenen 50 Jahren im Schnitt um 70 Prozent zurückgegangen ist!

Hammerhai im Netz
Überfischung und Beifang sind mit die größten Gefahren für Haipopulationen. Foto: Toby Matthews/Ocean Image Bank

Viele Haibestände sind überfischt. Haie sterben als ungewollter Beifang in Fischereigerät. Sie werden beim sogenannten Shark Finning bei lebendigem Leib verstümmelt: Fischer schneiden ihnen die begehrten Flossen ab und lassen die bewegungsunfähigen Tiere qualvoll am Meeresgrund sterben.

Sportfischer brüsten sich auch heute noch mit Fängen von großen Haien – die gefährdet oder gar vom Aussterben bedroht sind.

Und auch für die Schönheit müssen diese Knorpelfische herhalten: Für das Leberölderivat Squalan sollen jedes Jahr schätzungsweise 3 Millionen Tiefseehaie getötet werden, um den weltweiten Bedarf an Squalan zu decken, zitiert der Autor eine Expertin.

Wie man mit Haien schwimmt – ein Überblick

Ein Blick zurück in die Entstehungsgeschichte darf in einem Werk über Haie nicht fehlen. Ebenso wenig wie Kapitel über ihre Biologie.

Knapp 30 Seiten Quellennachweise und weiterführende Literatur zeugen von einer fundierten Recherche. Das Werk ist reich illustriert, zusätzlich verlinken mehrere QR-Codes zu Tauchvideos.

Fazit: Bitte lesen!

Wie man mit Haien schwimmt – eine Liebeserklärung. Buchcover
Foto Buchcover © Folio Verlag

Dass Sachbuch und Spannung keine Gegensätze sein müssen, beweist Sarano mit „Wie man mit Haien schwimmt“ hervorragend. Selbst wenn man nicht den Wunsch verspürt, mit ihnen zu schwimmen, ist das packend erzählte und außerordentlich kenntnisreiche Buch ABSOLUT empfehlenswert. Aber Vorsicht: Der Hai-Virus ist ansteckend!

Über eine (vermutlich nur ungenau formulierte oder übersetzte) Stelle sind wir allerdings gestolpert: „Haie können nicht einfach anhalten; um genügend Sauerstoff über die Kiemen aufnehmen zu können, müssen sie sich mit offenem Mund durchs Wasser bewegen.“ Als allgemeine Aussage stimmt dies nicht. Dass nicht alle Haiarten ständig in Bewegung bleiben müssen, ist seit Längerem bekannt. Für den Hammerhai, um den es in diesem Kapitel geht, trifft die Aussage allerdings zu.

Wie man mit Haien schwimmt
Eine Liebeserklärung
François Sarano
übersetzt von Ingrid Ickler
Hardcover, 301 Seiten
Folio Verlag
ISBN 978-3-85256-889-8
erschienen am 15. August 2023
26,00 Euro
Erhältlich im Buchhandel

Tipp: Bei Einkäufen über gooding erhalten wir eine Prämie und das ganz ohne Mehrkosten für Sie.

Titelfoto: Hammerhai, Amanda Cotton/Ocean Image Bank


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