Es ist eine Sensation und ein Beleg für erfolgreiches Fischereimanagement: Der in der Nordsee bereits vor über 50 Jahren verschwundene Rote Thunfisch oder Atlantische Blauflossen-Thunfisch (Thunnus thynnus) ist wieder da! Man sieht die mächtigen Raubfische jetzt regelmäßig im Skagerrak, einer Meerenge zwischen Dänemark, Norwegen und Schweden, die die Nordsee mit der Ostsee verbindet. Das berichten Wissenschaftler vom Institut für Aquatische Ressourcen an der Technischen Universität, Dänemark (DTU Aqua).
Die dänischen Wissenschaftler rund um die Forscher Kim Aarestrup und Brian Mackenzie vom Institut für Aquatische Ressourcen haben eine Citizen-Science-Aktion ins Leben gerufen. Sie bitten Strandbesucher, Segler, Fischer, Besatzungsmitglieder und Gäste auf Fähren, Ausflugsbooten usw., Informationen abzugeben, wenn sie einen oder mehrere Thunfische in der Nordsee beobachten:
„Gegenwärtig gibt es in Dänemark keine Quote zum Fang dieser Thunfischart. Einzig Fischer oder Angler, die an unserer Markierungsstudie teilnehmen, dürfen diese Fische fangen. Für die Teilnahme muss man sich bewerben und bestimmte Qualifikationen, Fähigkeiten, Ausrüstungen usw. mitbringen“, erklärt uns Brian Mackenzie von DTU Aqua, der die Studie leitet. Jeder Thunfisch, der für die Markierungsstudie gefangen wurde, muss anschließend allerdings wieder freigelassen werden.
Inhaltsverzeichnis
Bald auch Orcas auf den Spuren des Roten Thun in der Nordsee?
Mit der Rückkehr der bis zu 5 Meter großen und bis zu 700 kg schweren Meeresgiganten verbinden sich spannende Fragen. Wird man Rote Thunfische bald auch bei uns an der Nordseeküste sehen können? Werden ihnen Gibraltar-Orcas nachfolgen, um sie dort zu jagen? Sie haben sich auf den Roten Thun als Beute spezialisiert und folgen ihm bei seinen Wanderungen aus dem Mittelmeer über den Golf von Biskaya in den Nordatlantik. Die kleine Gibraltar-Population gelangte zudem zu weltweiter Berühmtheit, weil etwa 16 Individuen gelernt haben, Segelboote durch Beschädigen der Ruderanlage zu stoppen. Bislang sind sechs Boote nach einer derartigen Begegnung gesunken.
Normalerweise sind Orcas in der Nordsee seltene Irrgäste. Zwischen 1841 und 2016 strandeten hier laut einer Studie der Stiftung Tierärztlichen Hochschule Hannover (TiHo) neun Exemplare.
Blauflossen-Thunfische – Gattung Thunnus
Der Rote Thun oder Atlantische Blauflossen-Thunfisch (Thunnus thynnus) ist eine von drei Arten der Gattung Thunnus (Blauflossen-Thunfische). Die anderen sind der Südliche Blauflossen-Thunfisch (Thunnus maccoyii) und der Nordpazifische Blauflossen-Thunfisch (Thunnus orientalis).
Artensteckbrief Roter Thunfisch
Der Rote Thun verdankt seinen Namen stark dunkelroten Fleisch. Er ist einer der begehrtesten Speisefische. Noch vor 100 Jahren mutete man das streng schmeckende Fleisch allerhöchstens Hunden oder Katzen zu. Zum Speisefisch – und einer begehrten Delikatesse – wurde Roter Thunfisch erst in den vergangenen 50 Jahren. Für Dosenthunfisch werden Atlantische Blauflossen-Thunfische dagegen nicht verwendet. Hierfür sind sie zu kostbar.
Hemmungslose Überfischung führte innerhalb von nur 30 Jahren zum Zusammenbruch der einst großen Bestände. Denn der weltweite Sushi-Höhenflug heizte die Nachfrage kräftig an. Naturgemäß ist Japan der wichtigste Abnehmer. Am schlimmsten traf es die Populationen im Westatlantik. Ihr Bestand sank seit den 1970er-Jahren auf gerade noch 10 Prozent seiner ursprünglichen Größe. Hauptursache war katastrophales Fischereimanagement. Viele befürchteten, dass die ikonischen Raubfische aussterben werden.
Ein Roter Thunfisch springt, kroatische Adria
Foto: Marco Aumann/DSM
Dann endlich einigte sich die für das fischereiliche Management von Roten Thunfischen im Atlantik zuständige Regionale Fischereikommission (RFMO), die ICCAT, auf wirksame Bewirtschaftungsmaßnahmen. 2021 hatten sich die Bestände im Atlantik und Mittelmeer so weit erholt, dass die Weltnaturschutzorganisation (IUCN) Thunnus thynnus als „nicht gefährdet“ einstufte. Und jetzt kehren sie sogar in die Nordsee zurück.
Ein „Ferrari“ unter den Fischen
Rote Thunfische sind enorm schnell. Sie erreichen Reisegeschwindigkeiten von bis zu 70 km/h. Sie schaffen in nur 40 Tagen eine Atlantikdurchquerung. In der Spitze sind auch 80 km/h möglich. Damit sind sie um einiges schneller als ihre Jäger, Weiße Haie und Schwertwale.
Roter Thunfisch ist fast warmblütig
Ein ungewöhnlich stark entwickeltes, meist neben den Muskelpaketen befindliches Blutgefäßsystem, auch Wundernetz genannt, ermöglicht es dem Roten Thun, seine Körpertemperatur gegenüber der umgebenden Wassertemperatur relativ konstant zu halten. Wenn sie es so richtig eilig haben, sollen bis zu 15 Grad über der Umgebungstemperatur drin sein. Rote Thunfische sind die einzigen Knochenfische, denen dieses energieaufwendige Kunststück gelingt.
Wo leben Rote Thunfische?
Die Art Thunnus thynnus verteilt sich im Wesentlichen auf zwei Lebensräume: den Westatlantik und den Ostatlantik. Außerdem soll es noch eine dritte, südliche Population vor der Küste von Südafrika geben. Sie schwimmen gerne in Schwarmverbänden mit anderen Thunfischarten (Albacore, Gelbflossen– und Großaugenthunen oder Skipjack).
Vermehrung
Rote Thune haben feste Laichplätze. Deshalb sind sie auf ihren jährlichen Wanderungen dorthin berechenbar. Das macht ihre Befischung vergleichsweise einfach. Während sich die Bestände des West- und Ostatlantiks bei der Nahrungssuche vermischen, schwimmen sie auf getrennten Wegen zum Ablaichen.
Die Population aus dem Westatlantik laicht zwischen April und Juni im Golf von Mexiko ab. Dagegen schwimmen Rote Thune aus dem Ostatlantik von Juni bis August ins Mittelmeer. Auf dem Weg zu den Laichgebieten legen sie mehr als 5.800 Kilometer zurück. Durchqueren den gesamten Atlantik. Dabei bleiben sie die meiste Zeit dicht an der Wasseroberfläche. Denn dort ist es mit Wassertemperaturen von 12 bis 16 Grad noch vergleichsweise angenehm temperiert.
Junge Weibchen legen pro Laichsaison im Schnitt 500.000 Eier. Alte und große Thunfischweibchen dagegen bis zu zehn Millionen. Die Larven schlüpfen nach nur drei Tagen. Dann sind sie gerade einmal drei Millimeter groß. Doch bereits nach einem Monat haben die Kleinen stolze 3,5 Zentimeter erreicht.
Ihre Lebenserwartung soll bei bis zu 20 Jahren liegen. Doch derartige Methusalems sind heutzutage selten.
Was frisst ein Roter Thunfisch?
Rote Thune jagen wie Wölfe im Verband. Sie kesseln ihre Beute ein. Nähern sich ihr rasend schnell im Halbkreis und umschließen sie. Eine Jagdtechnik, die auch verschiedene Delfinarten, wie Orcas, gerne anwenden.
Ihre bevorzugte Jagdbeute sind Makrelen und Sardinen. Jedoch fressen Rote Thunfische alles, was sie erwischen, und sie erwischen fast alles, was da im Wasser oder am Boden schwimmt oder treibt, krabbelt oder haftet. Dafür benutzen sie hauptsächlich ihren Gesichtssinn. Mal erbeuten sie flinke Makrelen, mal am Grund lebende Flundern, ja sogar Schwämme werden verspeist.
Bradford Chase von der Massachusetts Division of Marine Fisheries fand im Magen von vor New England gefangenen Roten Thunen an erster Stelle Heringe. Aber auch vielerlei andere größere und kleinere Fische. Von Haien bis zu Seepferdchen. Von Rochen bis zu Plattfischen sowie die verschiedensten Tintenfische, Krebse und anderes.
Fischereiindizierte Evolution und Ökosystem-Kaskaden
Ein richtig großer Roter Thunfisch ist eine Rarität. Es gilt schon als Sensation, wenn ein mäßig großes Exemplar ins Netz geht. Wie im Februar 2022, als Fischer im Ionischen Meer einen rund 380 kg schweren Roten Thun fingen. Der prächtige Raubfisch soll der schwerste und größte Fang dieser Art in den vergangenen zehn Jahren gewesen sein.
Werden Fischbestände zu intensiv befischt, weichen die Tiere dem Fischereidruck aus. Ihre Geschlechtsreife tritt früher ein, es gibt überwiegend kleinere Exemplare. Große und alte Tiere, die für viel Nachwuchs sorgen könnten, werden immer seltener. Eine derartige fischereiindizierte Evolution hat nachteilige Folgen für die Fischerei und die betroffenen Arten. Dieser Effekt lässt sich mittlerweile auch beim Roten Thunfisch beobachten.
Fischer schädigen die Resilienz stark befischter Arten
Genügend alte und große Fische in einem Bestand wirken wie eine Reproduktionsversicherung. Derart ausgeglichene Fischbestände sind widerstandsfähiger gegenüber sich verändernden Umweltbedingungen. Sie können Zeiten, in denen etwa Nahrungsmangel herrscht, wesentlich besser abpuffern und in der darauffolgenden Saison verlässlich Nachwuchs zeugen.
Fischereidruck auf Roten Thun vertrieb Weiße Haie aus dem östlichen Mittelmeer
Seit Jahrzehnten anhaltender, zu hoher Fischereidruck im Mittelmeer und im Schwarzen Meer führte dazu, dass der Rote Thun im türkischen Teil dieser Meere als ausgerottet gilt. In der Folge verschwanden auch Weiße Haie aus diesen Meeresregionen. Sie waren noch bis in die 1980er-Jahre zu ihren Laichplätzen wandernden Roten Thunfischen ins Marmarameer gefolgt.
Kaskade im Ökosystem: Erst verschwindet der Rote Thun, dann der Weiße Hai. Foto: Gerald Schömbs/unsplash
Ermutigende Signale für Blauflossen-Thunfische
Zuständig für die Bewirtschaftung und den Erhalt der Bestände im Mittelmeer und Atlantik ist die Internationale Kommission zum Erhalt des Atlantischen Thunfischs (ICCAT, International Commission for the Conservation of Atlantic Tunas).
Alle drei Arten der Blauflossen-Thunfische waren 2011 bedroht. Doch nach einem Jahrzehnt der Bemühungen von Naturschützern und der Industrie, darunter strenge Fangquoten und ein hartes Vorgehen gegen illegalen Fischfang, beginnen sich die Bestände zu erholen. 2021 schließlich verschob sich der Status für den Roten Thunfisch auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN von „gefährdet“ auf „nicht gefährdet“. Ein ermutigendes Signal.
Auf ihrer Jahrestagung 2022 verabschiedete die ICCAT nach fast zehnjährigen Verhandlungen eine neue Fangstrategie. Hierbei will man sich zur Berechnung der zulässigen Gesamtfangmenge (TAC) zukünftig auf ein wissenschaftlich abgesichertes Bewirtschaftungsverfahren stützen.
Meeresschützer sehen hier einen entscheidenden Paradigmenwechsel. Auch wenn es noch kein ökosystemares Mehrartenmanagement ist, so gilt jetzt eine Verpflichtung, mehr Nachhaltigkeit bei der Festlegung der Fangquoten anzustreben.
Pazifische Blauflossen-Thunfische
Nordpazifische Blauflossen-Thunfische (Thunnus orientalis) gehören in Japan zu den gefragtesten und teuersten Fischen überhaupt. Fast 90 Prozent des Fangs gehen nach Japan. Im Pazifik fängt man diese Thunfische hauptsächlich mit Ringwadennetzen und Langleinen.
Nach rücksichtsloser jahrzehntelanger Überfischung gab es 2012 im Pazifik noch 40.000 ausgewachsene vermehrungsfähige weibliche Exemplare. Dies entsprach etwa 2 bis 4 Prozent der ursprünglichen Bestandsgröße. 2011 begannen endlich auch für diese Art multilaterale Managementmaßnahmen, um die Überfischung einzudämmen und das drohende Aussterben zu verhindern. Die Maßnahmen wie Fangbeschränkungen und deren Kontrolle führten wesentlich schneller zum Erfolg, als alle Experten es erwartet hatten.
Im Juni 2024 gab es Entwarnung für die Bestände von Thunnus orientalis. Die Erhaltungsmaßnahmen der beiden für die fischereiliche Bewirtschaftung verantwortlichen Fischereikommissionen IATTC und WCPFC hatten Erfolg. Niemals zuvor seit Beginn der Bestandserfassungen gab es derart viele Nordpazifische Blauflossen-Thunfische. Dies gab die Fischereiabteilung der Wetter- und Ozeanografiebehörde der Vereinigten Staaten NOAA-Fisheries am 25. Juni 2024 bekannt.
Die zuständige Regionale Fischereikommission IATTC (Inter-American Tropical Tuna Commission) erhöhte die Fangquote für kommerzielle US-Fischereien für die Jahre 2025 bis 2026 um 80 %. Im Jahr 2022 fingen kommerzielle US-Fischer nur 368 Metrische Tonnen Pazifischen Blauflossenthunfisch. Der Fangertrag lag bei mehr als 2,2 Millionen US-Dollar. Mit der neuen Quote dürfen sie nun 1.822 Tonnen Thunnus orientalis fangen, was sich entsprechend in höheren Fangerträgen niederschlagen wird.
Dennoch bleibt der Druck hoch. Besonders auf große Exemplare. 2019 zahlte ein Sushi-Unternehmer aus Tokio für einen 278 kg schweren Blauflossen-Thunfisch die Rekordsumme von rund 2,6 Millionen Euro. Das war allerdings eher als Werbeaktion zu verstehen, denn im Schnitt liegen die Preise in Japan bei etwas über 150.000 € für größere Exemplare.
Titelfoto: Thunfischschwarm, NOAA/Marine Photobank
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