Solitärdelfine – Lone Rangers

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Dass einzelgängerische Delfine, sogenannte Solitärdelfine, mitunter den Kontakt zu Menschen suchen, ist zwar nicht außergewöhnlich, aber auch kein häufiges Phänomen. Sogar an der deutschen Ostseeküste gab es solche „Stars“ schon.

Solitärdelfine Die Menschenflüsterer

Anfang 2021 starb der gesellige Eckernförder Delfin, den seine Fans Finchen, Sandy oder Lucy nannten. Das Weibchen der Art Gemeiner Delfin (Delphinus delphis) war im Februar 2020 erstmals in der Eckernförder Bucht gesichtet worden. Es hatte eine Boje als seine „Heimat“ auserkoren. Taucher und Schwimmer hatten ihre wahre Freude an dem Meeressäuger, der mit der Zeit auch von sich aus ihre Nähe suchte. Bis auf eine Hauterkrankung wirkte das Tier Medienberichten zufolge recht fidel. Doch dann entdeckte ein Taucher am 27. Januar 2021 den toten Delfin auf dem Meeresgrund nahe „seiner“ Boje. Untersuchungen am Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung in Büsum ergaben, dass das nicht geschlechtsreife, erst etwa sechs Jahre alte Weibchen an einer schweren Lungenentzündung starb. Fremdeinwirkung schließen die Tierärzte aus.

Einzelgängerischer Delfin Sandy in Eckernförde

Der Eckernförder Solitärdelfin Sandy gehörte zur Art der Gemeinen (oder Gewöhnlichen) Delfine. Foto: © Kai Müsebeck

Einzelgänger*innen

Der Eckernförder Delfin gehörte zu den sogenannten Solitärdelfinen, die lieber in Nähe von Menschen leben als mit Artgenossen. Dieses Phänomen gibt es rund um den Globus immer wieder. Meist handelt es sich dabei um Große Tümmler (Tursiops truncatus). Gelegentlich sind auch andere Arten darunter, wie der eingangs erwähnte Gemeine Delfin, Orcas (Orcinus orca), Fleckendelfine (Stenella attenuata) und sogar mehrfach Belugawale (Delphinapterus leucas). Die Verteilung der Geschlechter zeigt ein paar mehr männliche Tiere (55) als weibliche (42), wie die britische Naturschutzorganisation Marine Connection in ihrem Bericht „Lone Rangers“ ausführt. Allerdings ist das Geschlecht nicht bei jedem der von Marine Connection 114 dokumentierten Fälle bekannt.

Solitärdelfine sind kein neues Phänomen

Der älteste bekannte einzelgängerische Delfin existierte im 19. Jahrhundert. In Großbritannien schaffte es 1814 ein Großer Tümmler namens Gabriel zu einiger Berühmtheit. Noch bekannter dürfte Pelorus Jack sein. Der Rundkopfdelfin hielt sich von 1888 bis 1912 zwischen den beiden Hauptinseln Neuseelands auf. Dort begleitete er durchfahrende Schiffe. Viel näher kam er Menschen allerdings nicht. Nachdem 1904 von einem Schiff aus auf ihn geschossen wurde, stellte die Regierung ihn unter Schutz, bis er 1912 verschwand.

Zwei Rundkopfdelfine. Auch sie können ein Leben als Solitärdelfin wählen.

Rundkopfdelfine sind gut ihrem namensgebenden rundlichen Kopf sowie der durch zahlreiche Kratzer weiß wirkenden Körperfarbe zu erkennen. Foto: © Wayne Hoggard/NOAA

Warum werden Delfine zu Einzelgängern?

Auch wenn Meeresdelfine, oder beispielsweise Belugawale, sozial lebende Tiere sind, ist es grundsätzlich nicht ungewöhnlich, sie gelegentlich allein anzutreffen. Doch warum diese Meeressäuger über einen langen Zeitraum hinweg ganz oder größtenteils ohne Artgenossen leben und teilweise sogar mit Menschen interagieren, ist nach wie vor unbekannt. Wissenschaftler stellten hierzu verschiedene Theorien auf.

So kann ein einzelgängerisches Leben krankheits- oder verletzungsbedingt sein. Möglich wäre auch ein zugrunde liegendes Trauma. Ausgelöst etwa, wenn ein Jungtier (beispielsweise durch ein Unwetter) von der Mutter getrennt wird, und es daher keine sozialen Kompetenzen erlernt. Oder wenn ein Delfin – aus welchen Gründen auch immer – einen Artgenossen oder eine Gruppe, mit dem oder der er umhergezogen ist, verliert.

Große Tümmler ist die häufigste Art unter einzelgängerischen Delfinen

Der Große Tümmler ist die häufigste Art bei den bekannten Solitärdelfinen. Foto: Ulrike Kirsch/DSM

Habituierung

Hat sich ein Delfin in Menschennähe „niedergelassen“, so erfolgt die Gewöhnung an die menschliche Umgebung in vielen Fällen ähnlich in mehreren Stufen, wie Wissenschaftler um Monika Wilke feststellten: vom Aufenthalt z. B. in einem Hafen oder in der Nähe einer Boje, über das Folgen von Booten bis zu ersten näheren Kontakten mit Schwimmern. Schließlich spricht sich die Anwesenheit des ungewöhnlichen Dauergastes herum und er wird zur Touristenattraktion: Zahlreiche Menschen wollen nun mit ihm schwimmen, ihm nahekommen. Auch der verstorbene Solitärdelfin aus Eckernförde soll erst allmählich zutraulicher geworden sein.

Missverständnisse um Solitärdelfine

Mit zunehmender „Berühmtheit“ häufen sich die artübergreifenden, hautnahen Begegnungen. Diese sind nicht ungefährlich. Denn allzu leicht wird vergessen, dass es sich um wild lebende Raubtiere handelt. So können Drohgebärden wie Flukeschlagen von Menschen als Spielgeste missverstanden werden. Lässt man den Delfin dann nicht in Ruhe, reagiert er unter Umständen aggressiv. Eine Verletzungsgefahr besteht aber selbst dann, wenn er „nur spielen“ will, denn auch dabei geht es bei den Meeressäugern mitunter rau zu, oder wenn er gar sexuelle Annäherungsversuche macht. Vorfälle dieser Art gab es in der Vergangenheit immer wieder.

Fatal Attraction

Mit wachsender Gewöhnung an Menschen und Boote steigt jedoch auch das Verletzungsrisiko für einen Solitärdelfin. Er wird in Gegenwart von Wasserfahrzeugen unvorsichtig, Verletzungen durch Propeller werden wahrscheinlicher. Leider scheinen Unfälle mit Booten die Meeressäuger nicht davor abzuschrecken, sich Booten und Propellern weiterhin „sorglos“ zu nähern, wie die Delfinforscher Mark Simmonds und Laetitia Nunny in ihrer Studie „A Global Reassessment of Solitary-Sociable Dolphins” berichten. Auch die Menschen werden durch das generell „freundliche“ Verhalten eines geselligen Delfins unvorsichtiger und stören ihn beispielsweise in Ruhe- oder Jagdphasen. Oder berühren ihn an empfindlichen Stellen.

Großer Tümmler Adria

Solitärdelfine gewöhnen sich an Menschen und Motoren und werden in der Nähe von Booten unvorsichtig. Oftmals wird ihnen das zum Verhängnis. Foto: U. Kirsch/DSM

Grundsätzlich sollte man sich bei einer Begegnung mit wild lebenden Meeressäugern bewusst machen, dass man sich in ihrem Lebensraum aufhält, und ihnen daher immer mit Respekt und Rücksicht begegnen. Das heißt zum Beispiel beim Schwimmen und Tauchen, dass man die Arme an den Körper legt und sich ohne Hektik bewegt.

Die Tiere sollten auch nicht angefasst werden: Denn es besteht die Gefahr von Krankheitsübertragungen von Mensch zu Tier und umgekehrt. Zudem soll man wilde Delfine auch nicht füttern! Diese Empfehlungen gelten auch für einzelgängerische Delfine, die von sich aus den Kontakt zu Menschen suchen. Denn, wie Simmonds und Nunny warnen: „Das Schicksal vieler geselliger Solitärdelfine zeigt, dass sie im Großen und Ganzen den Menschen ausgeliefert sind, die mit ihnen interagieren wollen. Es kann sich negativ auf das Wohlergehen der Tiere auswirken, wenn sie bei der Futtersuche oder beim Ausruhen gestört werden. Wenn Leute, die mit ihnen kommunizieren wollen, sie an empfindlichen Stellen berühren oder stupsen, sie mit ungeeigneten Sachen füttern, oder sie unabsichtlich von Booten angefahren werden.“

Titelfoto: Sandy (auch Finchen oder Lucy genannt) war ein Solitärdelfin der Art Gemeiner Delfin (Delphinus delphis). Das Weibchen hielt sich fast ein Jahr lang in der Eckernförder Bucht auf, bis es im Januar 2021 tot aufgefunden wurde. Sandy war DIE Attraktion der deutschen Ostseeküste, lockte Schwimmer, Taucher und Boote ins Wasser. Kai Müsebeck, der nur zufällig in der Gegend Urlaub machte, gelangen die wunderschönen Aufnahmen von Sandy: „Es war wirklich ein tolles Erlebnis.“ © Kai Müsebeck


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