Mit einer skandalträchtigen Entscheidung genehmigte der isländische Interimspremier und gleichzeitige Interimsfischereiminister Bjarni Benediktsson kurz vor dem Ende seiner Amtszeit schnell noch zwei neue Walfanglizenzen. Bis 2029 dürfen jährlich 209 Finnwale und 217 Zwergwale vor Island harpuniert werden. Die Lizenzen bekamen der notorische Walfangbefürworter und Multimillionär, der 81-jährige Kristján Loftsson und sein Unternehmen Hvalur hf. sowie die Firma Tjaldtangi ehf.
Mitte Oktober hatte Benediktsson die isländische Regierungskoalition aufgelöst und Neuwahlen beantragt. Die fanden am 30. November statt. Seine liberalkonservative Unabhängigkeitspartei landete dabei nur noch auf Platz 2. Als Interimspremier war er eigentlich nur noch für Angelegenheiten zuständig, die das Funktionieren der Übergangsregierung sicherstellen sollten. Eine Entscheidung über bis weit in die Zukunft gültige Walfanglizenzen gehörte sicherlich nicht dazu. Doch das war Benediktsson egal. In isländischen Medien ist von Korruption, Machtmissbrauch und Freundschaftsdiensten die Rede.
Rückschritt für den Meeresschutz
„Island verabschiedet sich mit der Freigabe des kommerziellen Walfangs von den Zielen des UN-Übereinkommens zur biologischen Vielfalt, mit dem das globale Massenaussterben gestoppt werden soll. Abgesehen davon zeigen zahlreiche Studien, so auch der isländischen Regierung, dass das Harpunieren von Großwalen ein grausamer, langwieriger und keinesfalls humaner Tötungsvorgang ist, wie von den Walfängern behauptet wird. Zudem ist es zynisch und zeigt ein falsches Verständnis für Nachhaltigkeit, wenn die Regierung davon spricht, die Entscheidung basiere auf einem Vorsorgeansatz und spiegele eine verstärkte Betonung nachhaltiger Ressourcennutzung wider“, erklärt Ulrich Karlowski, Biologe von der Deutschen Stiftung Meeresschutz.
Walfang in Island
Gegen erbitterte Proteste zahlreicher Meeresschutzorganisationen nahm Island 2006 den kommerziellen Walfang wieder auf. Hauptsächlich Finnwale, die zweitgrößten Tiere der Welt, und Zwergwale fielen den Harpunenkanonen der Nordmänner zum Opfer.
In Island gab es jedoch nur einen begrenzten lokalen Markt für Walfleisch. Außerdem gelang es nicht, mit Japan und Norwegen einen dauerhaft funktionierenden Exportmarkt zu etablieren. Walfleisch wurde zum Ladenhüter, Walfang zunehmend unwirtschaftlich. Hinzu kommt, dass das Töten der großen Meeressäuger im Land selbst immer unpopulärer wurde. Whalewatching erfreut sich in Island großer Beliebtheit und ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für das kleine Land.
Bereits 2018 hatte IP-Utgerd, eine von zwei isländischen Walfangfirmen, den Zwergwalfang aus wirtschaftlichen Gründen frühzeitig eingestellt. Nach sechs erlegten Tieren aus einer Quote von 217. In der Folge gab IP-Utgerd bekannt, fortan auf Seegurken-Fischerei umzusteigen. Kristján Loftsson machte jedoch weiter.
Eine Analyse des Beratungsunternehmens Intellecon vom August 2023 zu den Auswirkungen des Walfangs auf die isländische Wirtschaft, zeigt, dass die isländische Wirtschaft nur geringfügig vom Walfang profitiert. Einnahmen aus dem Walfang sind in den vergangenen zehn Jahren sogar stark gesunken. Denn außer Japan und Norwegen gab es keine weiteren Absatzmärkte für Walprodukte. Zudem sank die Nachfrage in Japan in den vergangenen vier Jahren um 99 Prozent. Hinzukommt, so der Intellecon-Bericht, dass der isländische Walfang negative Folgen für das Image der Insel im Ausland hat. So hatte die isländische Tourismusbranche bereits im März 2022 ein Ende des Walfangs gefordert.
2019 bis 2021
Von 2019 bis 2021 gab es wegen fehlender wirtschaftlicher Perspektive, trotz vorhandener Fangquoten, keine Fangaktivitäten. Die Walfangschiffe blieben an ihren Liegeplätzen und das sollte auch so bleiben, jedenfalls nach Meinung der damaligen isländischen Ernährungsministerin Svandís Svavarsdóttir.
Sie machte deutlich, dass die Regierung den Walfang nicht mehr unterstützt und es ab 2024 keine neuen Quoten geben würde. „Es muss nachgewiesen werden, dass eine Erneuerung der Fangrechte wirtschaftlich vertretbar ist“, sagte Svavarsdóttir. „Warum sollte Island das Risiko eingehen, eine Fischerei aufrechtzuerhalten, die keinen wirtschaftlichen Nutzen gebracht hat, um ein Produkt zu verkaufen, das kaum gefragt ist? Alles in allem gibt es kaum einen Grund, den Walfang nach 2024 zuzulassen.“ Doch es kam anders.
2022 bis 2023
2022 starben nach dreijähriger Pause jeodch erneut Finnwale durch isländische Harpunenkanonen. Kristján Loftsson hatte darauf bestanden, mit seinen vier Walfangschiffen die ihm bis Ende 2023 zustehende Quote von 208 Finnwalen auszuschöpfen. Damit hatte er einmal mehr seinen Ruf als skrupelloser Geschäftemacher bestätigt. Gleichzeitig stieß er viele seiner Landsleute vor den Kopf. Sie befürchten einen internationalen Imageschaden für die bei Whalewatchern beliebte Insel im Nordatlantik.
Nachdem Hvalur hf. 2022 in isländischen Gewässern noch 154 Finnwale harpunierte, schien ein Ende des Walfangs in Island dann 2023 möglich. Svandís Svavarsdóttir hatte entschieden, aus Tierschutzgründen die Finnwaljagd bis zum 31. August 2023 auszusetzen. Die Tötung der riesigen Bartenwale widerspreche dem isländischen Tierschutzgesetz, wie ein im Mai 2023 von der isländischen Veterinärbehörde MAST veröffentlichter Bericht dokumentierte. Durch das verpflichtende Videomonitoring kamen unsägliche Tierquälereien ans Tageslicht. So jagten Loftssons Walfänger einen Finnwal fünf Stunden lang, bevor sie ihn harpunieren konnten.
Dennoch konnten die Walfänger anschließend die Jagd unter strengeren Auflagen und mit Überwachung bis zum Ende der Saison im September wieder aufnehmen. Daraufhin starben 24 Finnwale. Darunter ein schwangeres Weibchen. Ein Finnwal ging nach dem Harpunieren verloren, mindestens zwei Wale mussten zweimal harpuniert werden.
Anschließend verklagte Kristján Loftsson, einer der mächtigsten Männer auf der Insel, die Regierung auf Schadensersatz und nachdem das isländische Parlament, der Althing, das Vorgehen von Svandís Svavarsdóttir gegen Loftsson als illegal einstufte, musste diese zurücktreten. Sie wurde durch Bjarkey Olsen Gunnarsdóttir ersetzt. Kristján Loftsson beantragte anschließend nochmals eine neue Walfanglizenz.
Finnwal. Foto: Wayne Hoggard/NOAA
Kein Walfang in Island 2024
Am 11. Juni 2024 gab die damalige isländische Ernährungsministerin, Bjarkey Olsen Gunnarsdóttir von der Links-Grünen Bewegung, eine Quote von 128 Finnwalen zum Abschuss frei. Die Quote betraf 99 Finnwale im Gebiet Grönland/West-Island und 29 in der Region Ost-Island/Färöer-Inseln. Die Entscheidung löste weltweit Entsetzen aus. Durch die späte Entscheidung blieb den Walfängern von Hvalur hf. jedoch nicht genug Zeit, um die Boote flottzumachen. Deshalb konnten die Walfänger die Lizenz nicht nutzen.
Tierquälerei beim Walfang in Island
Wohl als Replik auf die unnachgiebige Haltung von Kristján Loftsson kündigte Ministerin Svavarsdóttir Anfang Juli 2022 neue Regeln für den Walfang in Island an. So muss jede Fangfahrt per Video dokumentiert werden. Außerdem gelten seit dem Sommer 2022 neue Tierschutzregeln bei der Tötung von Walen. Diese sind vergleichbar mit Vorgaben bei der Schlachtung von Tieren. Zuständig für Umsetzung und Überwachung ist die isländische Veterinärbehörde MAST.
Die neuen Regeln für den Walfang in Island basieren auf Artikel 21 der isländischen Tierschutzverordnung. Sie galt bislang nicht für Wale. Artikel 21 verlangt bei der Schlachtung von Tieren schnelles und schmerzfreies Töten. Die Videoaufnahmen müssen die Walfänger der MAST zur Verfügung stellen. Zudem sollen ab 2023 Jahr ausgebildete Tierärzte an Bord der Fangboote die Jagd beobachten und die Tierschutzkonformität des Walfangs in Island dokumentieren.
Schockierender Bericht der isländischen Veterinärbehörde
Der am 8. Mai 2023 veröffentlichte die MAST dann ihre Studie, die die Tierquälerei der Walfänger von Kristján Loftsson belegt. Die während der Walfangsaison 2022 erhobenen Daten zeigen, dass die bei der Jagd auf Finnwale eingesetzten Methoden dem Tierschutz widersprechen. Laut der MAST-Studie musste auf 14 Wale mehr als einmal mit der Harpunenkanone geschossen werden. Bei zwei Walen waren vier Schüsse erforderlich. Der Todeskampf der Meeressäuger dauerte durchschnittlich 11,5 Minuten. Ein Tier kämpfte sogar zwei Stunden lang mit dem Tode. Ein anderer Wal wurde durch einen Fehlschuss in den Rücken verletzt. Trotz einer mehr als fünf Stunden dauernden Verfolgungsjagd konnte er entkommen.
Kristján Loftsson konnte die Veröffentlichung der Studie dreimal verzögern, indem er 76 Einwände erhob. So beharrte er darauf, dass sich Finnwale auch nach ihrem Tod noch bewegen können.
Svandís Svavarsdóttir bezeichnete die Ergebnisse gegenüber der Presse als „schockierend“. Daraufhin stoppte die Regierung von Ende Mai bis zum 31. August 2023 den Walfang. Ein von der Regierung beauftragtes Tierschutzgremium urteilte, dass die Tötungs-Methoden gegen das isländische Tierschutzgesetz verstoßen. Da die Walfangsaison bis etwa Mitte September dauert, bestand Hoffnung, dass die Walfänger 2023 gar nicht mehr zum Zuge kommen. Diese Hoffnung erfüllte sich schlussendlich nicht.
Die isländischen Walfänger von Hvalur verwenden Harpunenkanonen mit Explosivgeschossen. Sie können nach einem Treffer ungefähr einen Meter tief in den Körper des Wals eindringen. Dort sollen sie dann explodieren und gleichzeitig Widerhaken in den Körper feuern. In der MAST-Studie heißt es, dass dennoch nur zwei Drittel aller getöteten Wale sofort sterben. © GRWA/Pixabay
Harpunierten isländische Walfänger einen Blauwal?
Hvalur hf. ist auf Finnwaljagd spezialisiert. 2018 harpunierten die Hvalur-Walfänger wahrscheinlich einen der auch in Island streng geschützten Blauwale. Anschließend behauptete Kristján Loftsson, es habe sich um einen Hybrid (Kreuzung) aus einem männlichen Finnwal und einem weiblichen Blauwal gehandelt. Während die vom Aussterben bedrohten Blauwale gesetzlich geschützt sind, trifft dies auf Hybride nicht zu.
War es ein Blauwal oder ein Hybrid, den isländische Walfänger harpunierten? Foto: Hard to Port
Im Anschluss an diese Vertuschungsaktion forderten 17 Wissenschaftler, dass Island den Walfang bis zur Klärung einstellt. Darunter auch ITAW-Leiterin Ursula Siebert von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover. Kreuzungen zwischen unterschiedlichen Walarten sind selten. Meist kommt dies zwischen Finn- und Blauwalen vor. Von 1983 bis 1989 erlegten isländische Walfänger nachweislich drei Furchenwal-Hybriden.
Blauwal und Finnwal: geschützte Arten
Sowohl Finn- als auch Blauwal stehen unter Schutz. Auch wenn sich der Blauwalbestand seit Ende der Walfangzeit leicht erholt haben soll, so gehen Expertenschätzungen von weltweit nur noch 10.000 bis 25.000 Tieren aus. Dies entspricht etwa 3 bis 11 % des Bestands von 1911! Mit bis zu knapp 34 m Länge sind Blauwale (Balaenoptera musculus) die größten lebenden Tiere der Erde. Danach kommen Finnwale mit bis zu knapp 23 m Länge (die Exemplare auf der Südhalbkugel sind sogar noch größer).
Die Population der Finnwale im Nordatlantik betrug im Jahr 2000 groben Schätzungen zufolge 53.000 Individuen. Finnwale (Balaenoptera physalus) stehen auf der Roten Liste der Weltnaturschutzorganisation (IUCN) als gefährdet.
Walfangländer
Island, das wie Norwegen und Japan trotz des Verbots des kommerziellen Walfangs weiterhin Wale jagte, operierte zunächst – wie Japan – unter dem Deckmantel der Wissenschaft. 1992 verließ das nur knapp 350.000 Einwohner zählende Land die Internationale Walfangkommission (IWC). 2003 trat man erneut bei, verweigerte jedoch die Anerkennung des von der IWC 1982 beschlossenen und 1986 in Kraft getretenen Walfangverbots.
Derzeit betreiben Japan und Norwegen aktiv kommerziellen Walfang. Bis zum Austritt aus der Internationalen Walfangkommission (IWC) 2018 hatten japanische Walfänger bereits jahrzehntelang unter dem Deckmantel eines sogenannten wissenschaftlichen Walfangs operiert.
Daneben jagen indigene Gruppen, wie die Inuit, aufgrund zugewiesener Quoten Wale. Meist ist dies nicht nachhaltig und ähnlich grausam wie der kommerzielle Walfang.
Update: überarbeiteter und mit neuem Datum veröffentlichter Beitrag
Titelfoto: Walfangboot Hvalur 8. Sven Koschinski/DSM