8 Minuten
Eigentlich sollte der kommerzielle Walfang in Island bereits 2022 nicht mehr stattfinden. Das jedenfalls hatte die isländische Regierung im Sinn. Doch es kam anders. Nach dreijähriger Pause starben 2022 erneut Finnwale durch isländische Harpunenkanonen. Kristjan Loftsson, schwerreicher Eigentümer der Walfang-Firma „Hvalur“, wollte mit seinen vier Walfangschiffen die ihm bis 2023 zustehende Quote von 209 Finnwalen ausschöpfen. Die ersten Finnwale landete Hvalur traditionell am 17. Juni, dem isländischen Nationalfeiertag, an. Am Ende der Saison 2022 hatten Loftssons Walfänger zwischen 139 und 148 Finnwale getötet.
Damit bestätigte der 79-jährige Loftsson einmal mehr seinen Ruf als skrupelloser Geschäftemacher. Gleichzeitig stieß er viele seiner Landsleute vor den Kopf. Sie befürchten einen internationalen Imageschaden, den die bei Whalewatchern beliebte Insel im Nordatlantik damit erleidet. Wie berechtigt diese Ängste sind, zeigt ein im Mai 2023 von isländische Veterinärbehörde MAST veröffentlichter Bericht. Er dokumentiert die tierquälerische Vorgehensweise der isländischen Walfänger bei der Tötung der Wale.
Inhaltsverzeichnis
Kein Walfang in Island seit 2019
Wirtschaftlich hat der isländische Walfang wenig Sinn. Es gibt kaum Absatzmöglichkeiten für isländisches Walfleisch. Daher hatte es seit 2019, trotz vorhandener Fangquoten, keine Fangaktivitäten mehr gegeben. Die Fangboote blieben an ihren Liegeplätzen.

Finnwal. Foto: Wayne Hoggard/NOAA
Zu Beginn des Jahres 2022 erklärte Svandís Svavarsdóttir, isländische Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Fischerei, deutlich, dass die Regierung den Walfang nicht mehr unterstützt und es ab 2024 keine neuen Quoten geben wird. „Es muss nachgewiesen werden, dass eine Erneuerung der Fangrechte wirtschaftlich vertretbar ist“, sagte Svavarsdóttir. „Warum sollte Island das Risiko eingehen, eine Fischerei aufrechtzuerhalten, die keinen wirtschaftlichen Nutzen gebracht hat, um ein Produkt zu verkaufen, das kaum gefragt ist? Alles in allem gibt es kaum einen Grund, den Walfang nach 2024 zuzulassen.“
Isländische Regierung verschärft die Regeln
Wohl als Replik auf die unnachgiebige Haltung von Kristjan Loftsson kündigte Ministerin Svandis Svavarsdottir Anfang Juli 2022 neue Regeln für den Walfang in Island an. So muss jede Fangfahrt per Video dokumentiert werden. Außerdem gelten seit dem Sommer 2022 neue Tierschutzregeln bei der Tötung von Walen. Diese sind vergleichbar mit Vorgaben bei der Schlachtung von Tieren. Zuständig für Umsetzung und Überwachung ist die isländische Veterinärbehörde MAST.
Die neuen Regeln für den Walfang in Island basieren auf Artikel 21 der isländischen Tierschutzverordnung. Sie galt bislang nicht für Wale. Artikel 21 verlangt bei der Schlachtung von Tieren schnelles und schmerzfreies Töten. Die Videoaufnahmen müssen die Walfänger der MAST zur Verfügung stellen. Außerdem sollen ab 2023 Jahr ausgebildete Tierärzte an Bord der Fangboote die Jagd beobachten und die Tierschutzkonformität des Walfangs in Island dokumentieren.
Trotz Verstößen gegen das Tierschutzgesetz kein Einzug der Walfanglizenz
Am 8. Mai 2023 veröffentlichte die MAST dann eine Studie, die die Tierquälerei der Walfänger von Kristjan Loftsson belegt. Die während der Walfangsaison 2022 erhobenen Daten zeigen, dass die bei der Jagd auf Finnwale eingesetzten Methoden dem isländischen Tierschutzgesetz widersprechen. Trotzdem kann man den Walfang in Island in dieser Saison nicht stoppen. Das sagte Ministerin Svavarsdottir gegenüber Iceland Review.
Langer Todeskampf trotz moderner Tötungsmethoden
Laut der MAST-Studie musste auf 14 Wale mehr als einmal mit der Harpunenkanone geschossen werden. Bei zwei Walen waren vier Schüsse erforderlich. Der Todeskampf der Meeressäuger dauerte durchschnittlich 11,5 Minuten. Ein Tier kämpfte sogar zwei Stunden lang mit dem Tode. Ein anderer Wal wurde durch einen Fehlschuss in den Rücken verletzt. Trotz einer mehr als fünf Stunden dauernden Verfolgungsjagd konnte er entkommen.

Die isländischen Walfänger von „Hvalur“ verwenden Harpunenkanonen mit Explosivgeschossen. Sie können nach einem Treffer ungefähr einen Meter tief in den Körper des Wals eindringen. Dort sollen sie dann explodieren und gleichzeitig Widerhaken in den Körper feuern. In der MAST-Studie heißt es, dass dennoch nur zwei Drittel aller getöteten Wale sofort sterben. © GRWA / Pixabay
Die Ministerin bezeichnete die Ergebnisse der Studie gegenüber Iceland Review als „schockierend“. Allerdings sei es rechtlich nicht möglich, die Jagdlizenz für die laufende Saison einzuziehen.
Der letzte Walfänger Islands wehrt sich
Der Chef von „Hvalur“ konnte die Veröffentlichung der Studie dreimal verzögern, indem er 76 Einwände erhob. So beharrte Loftsson darauf, dass sich Finnwale auch nach ihrem Tod noch bewegen können.
Auslaufmodell Walfang in Island
Zwergwale und Finnwale im Visier
In Island gab es nur einen begrenzten lokalen Markt für Zwergwalfleisch. Außerdem gelang es nicht, mit Japan und Norwegen einen Exportmarkt für Finnwalfleisch zu etablieren. Walfleisch wurde zum Ladenhüter, Walfang zunehmend unwirtschaftlich. Hinzu kommt, dass das Töten der großen Meeressäuger im Land selbst immer unpopulärer wurde. Whalewatching erfreut sich in Island großer Beliebtheit und ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für das kleine Land.
Bereits 2018 hatte IP-Utgerd, eine von zwei isländischen Walfang-Firmen, den Zwergwalfang aus wirtschaftlichen Gründen frühzeitig eingestellt. Nach sechs erlegten Tieren aus einer Quote von 217. In der Folge gab IP-Utgerd bekannt, fortan auf Seegurken-Fischerei umzusteigen.
Harpunierten isländische Walfänger einen Blauwal?
„Hvalur“ ist dagegen auf die Finnwaljagd spezialisiert. 2018 harpunierten die Walfänger wahrscheinlich einen der auch in Island streng geschützten Blauwale. Anschließend behauptete Kristjan Loftsson, es habe sich um einen Hybrid (Kreuzung) aus einem männlichen Finnwal und einem Blauwalweibchen gehandelt. Während die vom Aussterben bedrohten Blauwale gesetzlich geschützt sind, trifft dies auf Hybride nicht zu.

War es ein Blauwal oder ein Hybrid, den isländische Walfänger harpunierten? Foto: Hard to Port
Im Anschluss an diese Vertuschungsaktion forderten 17 Wissenschaftler, dass Island den Walfang bis zur Klärung einstellt. Darunter auch ITAW-Leiterin Ursula Siebert von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover.
Hybride – selten und nicht geschützt
Kreuzungen zwischen unterschiedlichen Walarten sind selten. Meist kommt dies zwischen Finn- und Blauwalen vor. Von 1983 bis 1989 erlegten isländische Walfänger nachweislich drei Furchenwal-Hybriden.
Blauwal und Finnwal: geschützte Arten
Sowohl Finn- als auch Blauwal stehen unter Schutz. Auch wenn sich der Blauwalbestand seit Ende der Walfangzeit leicht erholt haben soll, so gehen Expertenschätzungen von weltweit nur noch 10.000 bis 25.000 Tieren aus. Dies entspricht etwa 3 bis 11 % des Bestands von 1911! Mit bis zu knapp 34 m Länge sind Blauwale (Balaenoptera musculus) die größten lebenden Tiere der Erde. Danach kommen Finnwale mit bis zu knapp 23 m Länge (die Exemplare auf der Südhalbkugel sind sogar noch größer).
Die Population der Finnwale im Nordatlantik betrug im Jahr 2000 groben Schätzungen zufolge 53.000 Individuen. Finnwale (Balaenoptera physalus) stehen auf der Roten Liste der Weltnaturschutzorganisation (IUCN) als gefährdet.
Walfangländer
Island, das wie Norwegen und Japan trotz des Verbots des kommerziellen Walfangs weiterhin Wale jagte, operierte zunächst – wie Japan – unter dem Deckmantel der Wissenschaft. 1992 verließ das nur knapp 350.000 Einwohner zählende Land die Internationale Walfangkommission (IWC). 2003 trat man erneut bei, verweigerte jedoch die Anerkennung des von der IWC 1982 beschlossenen und 1986 in Kraft getretenen Walfangverbots.
Gegen erbitterte Proteste zahlreicher Meeresschutzorganisationen hatte Island dann 2006 den kommerziellen Walfang wieder aufgenommen. Hauptsächlich Finnwale, die zweitgrößten Tiere der Welt, und Zwergwale fielen den Harpunenkanonen der Nordmänner zum Opfer.
Derzeit betreiben Japan und Norwegen aktiv kommerziellen Walfang. Bis zum Austritt aus der Internationalen Walfangkommission (IWC) 2018 hatten japanische Walfänger bereits jahrzehntelang unter dem Deckmantel eines sogenannten wissenschaftlichen Walfangs operiert.
Daneben jagen indigene Gruppen, wie die Inuit, aufgrund zugewiesener Quoten Wale. Meist ist dies nicht nachhaltig und ähnlich grausam wie der kommerzielle Walfang.
Update: erweiterter und überarbeiteter Beitrag. Mit neuem Datum wieder veröffentlicht.
Titelfoto: Walfangboot Hvalur 8. Sven Koschinski/DSM