Die Beratungen dauerten mehr als drei Jahre. Dann stimmte die für die Bewirtschaftung von Thunfischen und thunfischähnlicher Arten im Indischen Ozean zuständige Fischereikommission, die Indian Ocean Tuna Comission (IOTC), auf ihrer Tagung im Mai 2023 erstmals über Einschränkungen für die ökologisch katastrophale Fischerei mit frei treibenden Fischsammlern (Fish Aggregating Device/FAD) ab. Vom Ergebnis sind Meeresschützer und Küstenstaaten gleichermaßen enttäuscht. Zwar einigte sich die IOTC auf verringerte Fangquoten für Großaugenthunfische oder Maßnahmen zur Reduzierung des Beifangs von Seevögeln und Walen. Auch ein Vorschlag von Mauritius für ein freiwilliges 30-tägiges Fangverbot für die im Indischen Ozean vom Aussterben bedrohten Gelbflossenthune wurde angenommen.
Nicht einigen konnte man sich dagegen, auf ein entscheidendes Paket von Vorschlägen zur Begrenzung des Einsatzes von frei treibenden Fischsammlern (FADs). Vor allem europäische und ostasiatische Fangflotten setzen diese Fanghilfen bei der Ringwadennetzfischerei ein. FADs sind berüchtigt. „Ihr Einsatz ist ursächlich für die Überfischung der Thunfischbestände und hohe Beifangraten im Indischen Ozean verantwortlich. Zudem gehen sie in großer Zahl verloren. Dann richten sie als Geisternetze enorme ökokologische Schäden an. Küstenstaaten des globalen Südens stehen außerdem vor einer kaum lösbaren Entsorgungsproblematik durch angetriebene FADs“, erklärt der Biologe Ulrich Karlowski von der Deutschen Stiftung Meeresschutz.
Inhaltsverzeichnis
Überfischung der Thunfischbestände im Indischen Ozean
Die IOTC tagte vom 8. bis 12. Mai 2023 in Mauritius vor dem Hintergrund jahrelanger Überfischung der Thunfischbestände im Indischen Ozean. Der Bestand des hochpreisigen Gelbflossenthunfischs ist seit 2015 überfischt. Neuerdings gilt auch der Großaugenthunfisch als überfischt.
Der im Indischen Ozean gefangene Thunfisch ist vorwiegend für Märkte in der EU und in Großbritannien als Thunfischkonserve oder für Japan und die USA als Sashimi bestimmt. Industrielle Ringwadenfischer fingen im Indischen Ozean von 2015 bis 2021 über 98 Millionen junge Gelbflossenthunfische mithilfe von Fischsammlern. Das waren etwa 97 % der jährlichen Gesamtfangmenge.
EU-Fangflotten rotten Thunfischbestände im Indischen Ozean aus
Für die Überfischung des Gelbflossenthuns im Indischen Ozean sind hauptsächlich industrielle Ringwadenfänger verantwortlich. Dies hat bereits zu großen Spannungen zwischen den Küstengemeinden und lokalen Fischereien im Indischen Ozean und den großen Ringwadenfischereien geführt. Die Küstengemeinden befürchten, dass es für sie nicht mehr genügend Gelbflossenthunfische gibt und ihre lokale Wirtschaft zusammenbricht, sobald der Bestand vernichtet ist.
Nach den Statistiken für 2020 hat die EU-Flotte im westlichen Indischen Ozean 217.000 Tonnen Thunfisch gefangen. Von diesem Fang entfielen 69 % auf Spanien, 28 % auf Frankreich, 2 % auf Italien und 1 % auf Portugal. Der Fang bestand hauptsächlich aus Echtem Bonito (Skipjack-Thunfisch), Gelbflossen- und Großaugenthunfisch. Dabei hatten Gelbflossenthune mit mehr als 60 % des Fangs den höchsten Anteil unter den EU-Fängen.
Die EU-Delegation bei der IOTC hatte sich 2021 und 2022 gegen Versuche zur Verbesserung der bestehenden FAD-Bewirtschaftungsmaßnahmen gewehrt. Angeblich fehle es an wissenschaftlichen Daten, die als Grundlage für solche Entscheidungen dienen könnten.
Entscheidung für weniger FADs gilt nicht für EU-Fangflotten
Zwar unterstützten elf Küstenstaaten gegen den starken Widerstand der EU den Vorschlag von Indonesien zur Begrenzung des Einsatzes von Fischsammlern. Demnach sollte ab dem 1. Januar 2024 die Zahl der zulässigen FADs pro Schiff schrittweise reduziert werden. Im ersten Jahr von 300 auf 250, dann auf 200 im Jahr 2025. Gleichfalls sollte es ab 2024 eine 72-tägige Sperrfrist für den Einsatz von FADs geben. Auch dieser Punkt stieß auf erbitterten Widerstand der EU. Sie drohte sogar, das gesamte Maßnahmenpaket scheitern zu lassen.
Dieser Schritt erwies sich wegen eines kuriosen IOTC-Schlupfloches letztlich als unnötig. Denn im April 2024 legten die EU und Frankreich sowie weitere Länder wie Oman, Kenia, die Seychellen und die Philippinen formell Einspruch gegen die Beschlüsse zur Reduzierung des Einsatzes von FADs ein.
EU nutzt Schlupfloch in den IOTC-Regeln
Das war clever. Denn nach ihren eigenen Regeln muss jedes Land, das innerhalb von 120 Tagen nach einer IOTC-Entscheidung Einspruch gegen eine Maßnahme einlegt, diese nicht anwenden. Das bedeutet, dass EU-Fangflotten, die mit Abstand die meisten FADs einsetzen und verlieren, die von der IOTC beschlossenen Beschränkungen vorerst nicht einhalten müssen. „Damit dürfen die für den Hauptfischereidruck im Indischen Ozean verantwortlichen Fangflotten aus der EU ihre Überfischungs- und Meereszerstörungsorgie mit Fischsammlern bis auf Weiteres fortführen“, betont Karlowski.
Die französische Organisation Bloom und die Blue Marine Foundation haben angekündigt, die Einwände der EU und Frankreichs rechtlich anzufechten. „Im Grunde ist diese Fischereikommission handlungsunfähig“, bedauert Karlowski. „Immer wieder legen Mitgliedsstaaten Einspruch ein, gegen Beschlüsse, die ihnen nicht passen und müssen dann nicht daran halten. Oder die IOTC nimmt gleich den gesamten Beschluss zurück, weil er nicht durchgesetzt werden kann. Das ist eine Farce“.
Meeresschützer halten eine grundlegende Überarbeitung des IOTC-Abkommens im Sinne einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Fischbestände des Indischen Ozeans für dringend erforderlich.
Unser Einsatz gegen FADs im Indischen Ozean
Wir treten für einen vollständigen Verzicht auf frei treibende FADs ein (FAD-free, FAD free fishing). Im März 2021 hatten wir gemeinsam mit über 100 Organisationen die IOTC aufgefordert, die FAD-Fischerei im Indischen Ozean einzuschränken. Auch der Wissenschaftliche Ausschuss der IOTC hatte eine Reform gefordert.
Im Vorfeld einer IOTC-Sondertagung im Februar 2023 hatten wir dann gemeinsam mit 120 anderen Organisationen einen Appell an die EU-Kommission, die Generaldirektion Maritime Angelegenheiten und Fischerei (DG MARE), alle Staatsoberhäupter der Europäischen Union und den EU-Fischereiausschuss für ein wirksames Management frei treibender Fischsammlern (FADs) unterstützt.
Die Unterzeichner des Appells betonen, dass die EU moralisch und rechtlich verpflichtet ist, im besten Interesse ihrer 450 Millionen Bürger zu handeln und nicht nur die Interessen von Handelsunternehmen in Spanien, Frankreich und Italien zu schützen, die von ihren Fischereiaktivitäten im Indischen Ozean profitieren.
Appell an die EU: Rettet die Thunfische im Indischen Ozean, schützt unsere Ozeane! ↗
Was sind Fischsammler (FADs)?
Mit dem Einsatz sogenannter Fischsammler (Fish Aggregating Device/FAD) nutzen Fischer das natürliche Schutzbedürfnis von Jung- und Schwarmfischen. Denn Jungfische suchen gerne Schutz unter an der Wasseroberfläche treibenden größeren Objekten. Im Prinzip kann auch ein vor sich hin trödelnder Blauwal ein Fischsammler sein. Mithin gab es natürliche FADs, wie Baumstämme oder Algenansammlungen, schon immer.
Hinzu kommt, dass treibende Objekte für Thunfische eine Art „Landmarke“ oder „Treffpunkt“ darstellen. Hier finden sie sich zu größeren Schwarmverbänden zusammen. Diese Fischansammlungen bleiben Meeresjägern natürlich nicht lange verborgen. Folglich kommen große Thunfische, Haie oder Delfine gerne einmal für eine Mahlzeit vorbei.
Künstliche FADs können reine Bambusflöße oder Bambusflöße mit Netzmaterial sein. Das Netzmaterial verringert die Verdriftung des FAD. Zusätzlich erhöht es die Attraktivität als Aggregationsort.
Seit wann setzt man FADs ein?
Fischerei mit Ringwadennetzen um natürliche schwimmende Objekte wird schon lange durchgeführt. Erst in den 1980er-Jahren begann der Einsatz künstlicher Objekte (FADs). Dieser entwickelte sich in den frühen 1990er-Jahren dann schnell weiter.
Meist treiben FADs frei oder verankert an der Wasseroberfläche. Wohingegen andere in einer bestimmten Wassertiefe schwimmen. Zum leichteren Auffinden werden viele FADs mit Signalgebern ausgestattet. Einige sind auch mit einem Echolot ausgerüstet, um die Menge an Fisch unter dem FAD festzustellen.
Unter Verwendung von Informationen zur FAD-Fischerei von: Fischbestände online – Thünen-Institut für Ostseefischerei
Ökologische Folgen der Fischerei mit frei treibenden Fischsammlern
Die FAD-Fischerei mit frei treibenden Fischsammlern und Ringwadennetzen ist eine nicht nachhaltige, zerstörerische Fischfangmethode. Zum einen werden viele Jungthunfische gefangen noch bevor sie sich vermehren konnten. Im Indischen Ozean trifft dies den Bestand der Gelbflossen-Thunfische, der bereits stark geschwächt ist. Zum anderen sterben beim Einholen der Ringwadennetze viele Nichtzielarten wie Meeresschildkröten, Delfine und Haie als Beifang, die sich ebenfalls gerne im Bereich der FADs aufhalten. Die Blue Marine Foundation schätzt, dass jedes Jahr mindestens 100.000 Seidenhaie als Beifang in der Ringwadennetzfischerei mit FADs sterben.
Beim Einsatz von FADs wird der natürliche Schutzinstinkt von Schwarmfischen ausgenutzt, die sich gerne unter an der Wasseroberfläche treibenden Objekten versammeln. Zur Oberflächenvergrößerung und um ein Verdriften zu verhindern, sind an den Fischsammlern Netze befestigt, die in der Wassersäule schweben. Jedoch gehen jedes Jahr Zehntausende der aus Bambusstäben und anderen schwimmenden Materialien gefertigten Fischsammler verloren oder versinken. Bislang konnte man Fischer, die ihre FADs verlieren, nicht zur Rechenschaft ziehen.
© International Pole & Line Foundation (IPNLF)
Durch die verlorenen FADs ist ein gewaltiges Geisternetzproblem im Indischen Ozean entstanden. Beim Anlanden richten Netzteile der FADs zusätzliche Zerstörungen an Korallenriffen an. Außerdem stellen sie die zumeist armen Anrainerstaaten des Indischen Ozeans vor kaum zu lösende Entsorgungsprobleme für die aus Kunststoff bestehenden Netzabfälle.
© Seychelles Island Foundation
MSC zertifiziert FAD-Fischerei
Im November 2018 zertifizierte das Marine Stewardship Council (MSC) erstmals eine FAD-Fischerei als nachhaltig. Es handelt sich um das spanische Unternehmen Echebastar. Folglich darf sie für im Indischen Ozean gefischten Skipjack-Thunfisch das begehrte, verkaufsfördernde blaue Fischsiegel verwenden.
8000 tote Seidenhaie mit nur 5 Schiffen für 35.000 Tonnen Thunfisch
Wie zerstörerisch die FAD-Fischerei von Echebastar ist, zeigt sich an den jährlich mindestens 8.000 als Beifang getöteten Seidenhaien (Carcharhinus falciformis). Bemerkenswert ist, dass diese gewaltige Beifang-Menge von nur 5 Trawlern verursacht wird. Deren durchschnittliche Fangmenge liegt bei etwa 35.000 Tonnen Thunfisch.
Auch der WWF, der einst gemeinsam mit Unilever 1997 das Marine Stewardship Council (MSC) gründete, kritisiert die Entscheidung. Konsequenterweise weist der WWF darauf hin, dass „Fischkonsumenten nicht davon ausgehen sollten, dass das Fischereiunternehmen Echebastar den Standards des MSC-Umweltsiegels in seiner Performance ausreichend nachkommt.“
Wendepunkt beim MSC
Bislang hat der MSC damit geworben, dass er nur Fischereien zertifiziert, die keine Fischsammler (fad free fishing) einsetzen.
Es ist zwar ein einfacher Weg, Fischerei zu betreiben, aber auch verschwenderisch und destruktiv, da viele junge Thunfische gefangen werden, ehe sie sich fortpflanzen können, gemeinsam mit einem hohen Anteil an Beifang anderer Spezies. Die Probleme, die mit dieser Fischereimethode einhergehen, sind von sehr kritischer Bedeutung für den Erhalt und die Gesundheit des Ozeans.
MSC
Verbrauchertipps
- Achten Sie beim Kauf von Fischprodukten auf die Fangmethode UND das Fanggebiet.
- Unterstützen Sie mit Ihrem Kauf Fischereien, die nachhaltige Fangmethoden einsetzen: Pole & Line (Angelruten), Handangeln, Fischfallen, Wurfnetze etc.
- Meiden Sie grundsätzlich mit Fischsammlern (FAD) gefangenen Fisch. Achten Sie auf Kennzeichnungen wie: FAD-free, FAD free fishing
- Meiden Sie Fisch aus dem Indischen Ozean ohne Angabe der Fangmethode.
Titelfoto: ISSF/Fabien Forget
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