Umfrage Glaubwürdigkeit des MSC-Siegels

6 Minuten

Im April 2018 unterstützten wir über Sharkproject e.V eine Verbraucherumfrage der „Make Stewardship Count“-Koalition zur Glaubwürdigkeit des MSC-Siegels. Die Umfrage wurde von YouGov Deutschland GmbH im Zeitraum vom 12. – 19. April 2018 durchgeführt. 5574 Teilnehmer in Frankreich, Deutschland, Schweiz und Großbritannien nahmen daran teil. Daher sind die gewichteten Ergebnisse repräsentativ für die Bevölkerung über 18 Jahren in diesen Ländern. Die Umfrage ergab, dass die Glaubwürdigkeit des MSC-Siegels deutlich in Frage gestellt wird. Die „Make Stewardship Count“-Koalition stellte die Ergebnisse erstmals während der Seafood Global/Seafood Processing Global Messe in Brüssel 2018 vor.

Was ist das MSC-Siegel?

Der Marine Stewardship Council (MSC) ist eine internationale, unabhängige und gemeinnützige Organisation. Sie zertifiziert Fische und Meeresfrüchte aus angeblich nachhaltiger Fischerei. MSC-zertifizierte Produkte dürfen das blaue MSC-Siegel tragen. Es steht dafür ein, dass der Fisch aus geprüfter umwelt- und bestandsschonender Fischerei stammt. Noch genießt das Siegel bei Handel und Verbrauchern viel Vertrauen.

Wie glaubwürdigkeit ist das MSC-Siegel?

Bemerkenswert ist, dass Nachhaltigkeit beim Fischkauf für die überwiegende Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher sehr große Bedeutung hat. Doch diese Erwartungen erfüllt das MSC-Siegel mit seiner derzeitigen Zertifizierungspraxis nicht.

So lehnen 80 % aller Befragten es ab, dass es einer mit dem MSC-Siegel zertifizierten Fischerei erlaubt ist, beim Thunfischfang gezielt Delfine zu verfolgen und einzukreisen. Ähnlich deutliche Meinungsbilder gab es auch gegen den Einsatz von sogenannten Fischsammlern (FADs). Denn diese verursachen den vielfachen Tod von jungen Haien und hohen Beifang an anderen bedrohten und geschützten Tierarten.

Nicht nachhaltig und auch unter dem MSC erlaubt ist der Einsatz von Fischsammlern oder FADs

FADs (Fischsammler) können reine Flöße oder z. B. aus Bambus konstruierte Flöße mit bis zu 100 m langen Netzen und anderem Material sein. Foto: ISSF/David Itano

Auch beim „Finning“ von Haien und dem Einsatz umweltzerstörender Fangmethoden herrschte unteren den Befragten eine außergewöhnlich hohe Ablehnung. Im Durchschnitt waren 85 % aller Befragten über alle Länder hinweg der Meinung, dass derartige Fischereimethoden auch unter dem MSC-Siegel verboten sein sollten.

Gravierende Mängel beim Schutz streng geschützter Arten

Auch eine Studie des NABU-Dachverbandes Birdlife International deckte gravierende Mängel beim Schutz streng geschützter Arten auf. Insbesondere die Beifangrate bei seltenen und geschützten Walen, Delfinen, Seevögeln und Meeresschildkröten durch MSC zertifizierte Fischereien ist besorgniserregend hoch.

Der Verhaltenskodex der Welternährungsorganisation FAO von 1995 fordert, dass ungewollte Beifänge sogenannter „Nichtzielarten“ minimiert werden sollen. Diesem Ziel hat sich auch der MSC verpflichtet. Bisher leider mit sehr wenig Erfolg.

In den Medien: MSC-Fischsiegel in der Kritik


MSC-Siegel für überfischten Fisch?

Im Mai 2016 hatten Wissenschaftler die Verlässlichkeit des MSC-Siegels für nordeuropäische Fischbestände überprüft. An der interdisziplinären Studie beteiligt waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Kieler Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“, des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel, der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) sowie internationale Kollegen. Das Ergebnis ist ernüchternd. Mehr als zehn der untersuchten Bestände erwiesen sich als stärker befischt als ökonomisch sinnvoll und ökologisch vertretbar wäre. Die Studie erschien online in der internationalen Fachzeitschrift Marine Policy.

Grenzen des MSC-Siegels

Im Rahmen der Studie wurden 31 nordeuropäische Fischbestände im Nordostatlantik, die nach den Richtlinien des MSC befischt werden, hinsichtlich Bestandsgröße und Befischung untersucht. „Wir haben uns dabei an den offiziellen Bestandsabschätzungen orientiert, die auch die Grundlage für die MSC-Zertifizierung bilden“, sagt Dr. Rainer Froese vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Die Studie zeigt, dass im ersten Jahr der MSC-Zertifizierung elf Fischbestände über der vom MSC festgelegten Obergrenze befischt wurden. Vier Bestände befanden sich aufgrund ihrer geringen Größe sogar außerhalb sicherer biologischer Grenzen. Dennoch dürfen Fischprodukte aus diesen Beständen weiterhin das begehrte Siegel tragen.

Der MSC begründet dies damit, dass sich die Bestände nach Aufnahme in das Programm erholen. Dies zeigten die Untersuchungen der Kieler Forscher jedoch nicht. Denn auch nach längerer Zertifizierungsdauer zwischen einem und zehn Jahren (durchschnittlich vier Jahre) fand man keine signifikanten Veränderungen hinsichtlich des Fischereidruckes und der Größe der Bestände. Im letzten Zertifizierungsjahr mit verfügbaren Daten waren sieben Bestände (44 Prozent der Bestände mit verfügbaren Daten) überfischt. Fünf befanden sich sogar außerhalb sicherer biologischer Grenzen.

Fangmengen sind zu hoch

Auf der anderen Seite lag bei elf Beständen die erlaubte Fangmenge weit über den tatsächlichen Fängen. Dies ist ein untrügliches Zeichen, dass die festgelegten Fangmengen nicht den realen Fangmöglichkeiten entsprechen. Die MSC-Zertifizierung soll aber eine nachhaltige Fischerei garantieren. Das heißt unter anderem, Fangquoten sind richtig gesetzt und werden eingehalten.

„Unsere Studie hat somit gezeigt, dass die Regulierung die Fischerei nicht effektiv beschränkt hat. Darüber hinaus wurde bei drei Beständen der erlaubte Fang um bis zu 50 Prozent überschritten“, sagt Prof. Martin Quaas vom Institut für Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität und Leiter der Arbeitsgruppe Nachhaltige Fischerei im Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“. Offenbar, so das Fazit der Autoren, gab es keine effektive Kontrolle der Fänge, was mit dem Anspruch einer vorbildlichen Fischerei nur schwer vereinbar ist.

Umsetzung von FAO-Standards bislang nur freiwillig

Bisher mangelt es sowohl auf internationaler als auch auf europäischer Ebene an rechtlich durchsetzbaren Vorschriften für Produkte aus nachhaltiger Fischerei. Die Umsetzung der von der Welternährungsorganisation FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) definierten Standards ist für Unternehmen freiwillig.

„Jedes Unternehmen kann demnach den Begriff nachhaltige Fischerei frei verwenden. Kontrollierte Standards für Umweltlabels gibt es in diesem Bereich nicht“, sagt Prof. Nele Matz-Lück vom Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht. „Ökosiegel für überfischte Bestände mögen streng genommen ‚legal‘ sein, vertretbar sind sie nicht“, so Matz-Lück weiter.

Die Autorinnen und Autoren der Studie empfehlen daher, die Richtlinien des MSC-Siegels dahingehend zu ändern, dass Überfischung und unsichere Bestandsgrößen zur sofortigen Aussetzung der Zertifizierung führen. „Beim Kauf sind Fischprodukte mit MSC-Siegel zwar Produkten ohne Siegel vorzuziehen, doch um das entgegengebrachte Vertrauen der Verbraucher weiterhin zu erhalten, muss der MSC an seiner Glaubwürdigkeit arbeiten“, resümiert Erstautorin Dr. Silvia Opitz vom GEOMAR.

Mit freundlicher Genehmigung von GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel / Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“
Weitere Information & Kontakt
Originalarbeit:
Silvia Opitz, Julia Hoffmann, Martin Quaas, Nele Matz-Lück, Crispina Binohlan, Rainer Froese, Assessment of MSC-certified fish stocks in the Northeast Atlantic. Marine Policy 71 (2016), 10-14.
doi:10.1016/j.marpol.2016.05.003

Kontakt:
Dr. Silvia Opitz, GEOMAR Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung Kiel
sopitz[AT]geomar.de

Friederike Balzereit, Öffentlichkeitsarbeit Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“
Telefon: 0431-880-3032 | fbalzereit[AT]uv.uni-kiel.de