Fischerei und Aquakultur sind entscheidender Teil der Lebensgrundlage für mehrere Milliarden Menschen. Fisch und Meeresfrüchte aus Wildfang und Aquakultur gehören mittlerweile zu den am häufigsten gehandelten Nahrungsmitteln. Etwa 225 Länder sind in den Handel involviert. Dabei stammen rund 90 Prozent der globalen Fänge von Wildfisch aus den Küstenmeeren (12-Meilen-Zone) und den Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ; Meeresgebiet seewärts des Küstenmeeres bis zur 200-Seemeilen-Grenze) der Küstenstaaten. Viele dieser Gebiete wurden und werden zu intensiv befischt. 2019 waren bereits 35,4 Prozent der von der Welternährungsorganisation (FAO) erfassten Meeresfischbestände überfischt. Eine Steigerung um 1,2 Prozentpunkte gegenüber 2017.
Die fischereiliche „Bewirtschaftung“ dürfte eines der schlimmsten Beispiele menschlicher Misswirtschaft darstellen. Trotz einer Unmenge von Steuerungsinstrumenten ist dieser Sektor von Habgier und Gewinnstreben gekennzeichnet und nimmt wenig Rücksicht auf den Schutz von Gemeingütern oder auf das Recht zukünftiger Generationen, Zugang zu diesen Ressourcen zu genießen und von deren Nutzung nachhaltig zu profitieren.
Dr. Awni Behnam, Präsident des International Ocean Institute, world ocean review 2
Übersicht
- Aquakultur überholt Meeresfischerei
- Weniger Fangboote auf dem Meer
- Kleinfischer ohne Chancen?
- Überfischung
- Welche Fische werden am meisten gefischt?
- Sinnloses Sterben: Beifänge und Rückwürfe
- Sinnloses Sterben: Verhedderung / Verstrickung (entanglement)
- Sinnloses Sterben: Geisternetze
- Fischereilobby
- Regionale Organisationen für das Fischereimanagement (RFMOs)
- End of Fish Day
- Weiterführende Informationen
Aquakultur überholt Meeresfischerei
Nach Angaben der FAO (Food and Agriculture Organisation of the United Nations – Welternährungsorganisation) lag die weltweite Produktion (Wildfänge aus dem Meer und Süßwasser, Algen und Aquakultur) 2020 bei 214 Millionen Tonnen. Davon stammten allein rund 122,6 Millionen Tonnen aus Aquakultur. Ein Rekord. Der Fangertrag von Meeresfisch und anderen Meerestieren sank 2020 dagegen um etwa 4 Prozent gegenüber dem Durchschnitt der vorangegangenen drei Jahre auf 78,8 Millionen Tonnen. Ein Effekt der Coronapandemie, geänderten Fischereiregeln (besonders in China) und variierender Verfügbarkeit von stark befischten Arten wie Anchovis. Der Fangertrag für die vier wirtschaftlich wertvollsten Tiergruppen (Thunfische, Kopffüßer, Garnelen und Hummer) blieb dagegen auf fast gleichbleibend hohem Niveau. Anchovis (Sardellen) waren erneut die vorwiegend gefangene Art.
Hier nicht enthalten sind die unbekannten, beträchtlichen Fangmengen aus der IUU-Fischerei (illegal, undokumentiert und unreguliert) sowie ebenfalls beträchtlichen Mengen nicht angelandeter und nicht gemeldeter Beifänge.
Weniger Fangboote auf dem Meer
Seit vielen Jahren führt China (14,9 Prozent der weltweiten Fänge und 564.000 Fangboote im Jahr 2020) die Liste der sieben wichtigsten Fangnationen für Meeresfischerei an. Es folgen Indonesien, Peru, Indien, Russland, die USA und Vietnam. Laut des SOFIA-Berichts 2022 (The State of World Fisheries and Aquaculture) der FAO waren 2020 auf den Meeren und an den Küsten ca. 4,1 Millionen Fangboote (davon etwa 2,5 Millionen motorisiert) im Einsatz. Der Anteil der nicht motorisierten Fangboote konzentriert sich dabei mit 97 Prozent auf Asien und Afrika. Mit ca. 3,1 Millionen Schiffen verfügte der asiatische Raum über die mit Abstand größten Fangflotte.
Gegenüber 2015 ist das immerhin ein Rückgang von 10 Prozent. Dies spiegelt die Bemühungen der Länder, insbesondere Chinas und der europäischen Länder, wider, die globale Flottengröße zu reduzieren. Jedoch bedeuten Flottenverkleinerungen allein nicht unbedingt eine nachhaltigere Fischerei. Höhere Fangeffizienz gleicht die meisten Flottenverkleinerungen wieder aus.
In China allerdings sank der Fangertrag von 14,4 Millionen Tonnen im Jahr 2015 auf 11,8 Millionen Tonnen im Jahr 2020, was einem Rückgang von 18,2 Prozent entspricht. Die Zahl chinesischer Fischkutter sank von 1.072.000 im Jahr 2013 um 47 Prozent im Jahr 2020.
In der EU gab es 2020 etwa 74.000 Kutter, ein Rückgang um 28 Prozent verglichen mit dem Jahr 2000.
Immer weniger deutsche Berufsfischer
Laut des Jahresberichts des Landesfischereiverbandes Schleswig-Holstein gab es 2022 in Nord- und Ostsee noch 465 Fischkutter in der Erwerbsfischerei. Ein Jahr zuvor waren es noch 486 Trawler. Parallel dazu sank die Zahl der erwerbstätigen Fischer in Schleswig-Holstein von 786 auf 758 (413 im Haupterwerb und 345 im Nebenerwerb).
Auch in der krisengeplagten Ostseefischerei ist die Lage mehr als kritisch. Seit der Wende schrumpfte die Zahl deutscher Berufsfischer in der Ostsee von rund 1.800 Beschäftigten auf 180 im Jahr 2023.
Kleinfischer ohne Chancen?
Der hauptsächliche globale Überfischungsdruck der industriellen Fischerei geht dabei von nur 5 Prozent der weltweiten Fischereiflotte aus. Von ca. 45.000 Industriefangschiffen mit über 24 m Länge. Darunter auch sogenannte Supertrawler, mit über 80 m Länge. Supertrawler können jeden Tag über 200 Tonnen Fisch fangen und verarbeiten.
Ozeanien, Europa und Nordamerika verfügen über die meisten dieser großen Fischereifahrzeuge. Dabei ist die Europäische Union der größte Einzelimportmarkt für Meerestierprodukte. Im FAO-Fanggebiet 61 (Nordwestpazifik) wurden im Jahr 2020 mit 19,2 Millionen Tonnen die meisten Fische gefischt. Das sind 24 Prozent der weltweiten Meeresanlandungen.
Überfischung
FAO-Daten zeichnen nur ein unvollständiges Bild über das Ausmaß der weltweiten Fischereiaktivitäten. Denn nicht alle Länder kooperieren mit der FAO, wie Brasilien oder Kambodscha. Andere verfügen nicht über qualifizierte Fischereibehörden und liefern unvollständige Daten. Das Ausmaß der illegalen Fischerei und von Rückwürfen (Beifang) kann nur geschätzt werden.
Überfischung ist heutzutage unbestreitbar vorwiegend Folge der industriellen Fischerei und deren technischer Aufrüstung: Fischfinder, satellitengestützte Informationen, Helikopter, Fischsammler (FADs) usw. Sogar bis in die Tiefsee dringt man heute mit Grundschleppnetzen und Langleinen vor. Dabei werden einmalige Lebensräume und Lebensgemeinschaften unwiederbringlich zerstört.
Dennoch hat all der technische Aufwand die globalen Fangmengen von Meerestieren seit 2005 nicht wesentlich steigern können. In der Regel liegen sie zwischen 78 und 81 Millionen Tonnen im Jahr. Ist eine Art erschöpft, weicht die industrielle Fischerei auf andere, bisher nicht überfischte Bestände aus. Hier hinzu kommen zusätzliche Fangmengen aus der IUU-Fischerei sowie nicht gemeldete Beifänge.
IUU-Fischerei und Beifänge
Berechnungen der Forscher von Sea Around Us für das Jahr 2016 gehen von zusätzlich mindestens 15 Prozent der erfassten jährlichen Gesamtfangmenge aus IUU-Fischerei (17,6 Millionen Tonnen Fisch) und etwa 7,8 Prozent (8,1 Millionen Tonnen Fisch) aus Beifängen aus.
Dabei wächst das Ausmaß der IUU-Fischerei stetig. Schätzungen gehen davon aus, dass mittlerweile fast jeder fünfte bis sechste konsumierte Meeresfisch auf illegale Weise gefischt wurde. Die Verlockungen sind groß. Experten schätzen den jährlichen Verkaufswert von illegal gefangenem Fisch auf zwischen zehn und 23 Milliarden US-Dollar. Die weltweite IUU-Fischerei hat Dimensionen der internationalen organisierten Kriminalität erreicht. Führende Fischereinationen in diesem dunkeln Bereich sind China, Taiwan, Kambodscha, Russland und Vietnam.
Demnach besteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen den FAO-Zahlen und den Zahlen anderer Meeresforschungsinstitute. So errechnete Sea Around Us für 2016 rund 104 Millionen Tonnen Meeresfisch. Während die FAO 2016 von 78,3 Millionen Tonnen ausging.
Studie: Illegale Fischerei verbreiteter als gedacht
Eine Studie von Global Fishing Watch, die im Januar 2024 in der Fachzeitschrift „Nature“ erschien1, zeigt, dass das Ausmaß der weltweiten illegalen Fischereiaktivitäten weitaus größer sein könnte als bisher angenommen.
Demnach existieren für 72–76 % der Fangfahrten größerer Fangboote von 2017 bis 2021 keine AIS-Daten. Die Fischereifahrzeuge wurden „unter dem Radar“ geführt. Die Crew hatte das Identifikationssystem ausgeschaltet! Ein solches Verhalten lässt mit hoher Wahrscheinlichkeit auf illegale Aktivitäten wie IUU-Fischerei schließen. Zum Vergleich: Frachtschiffe fuhren nur während eines Viertels aller Fahrten mit ausgeschaltetem AIS.
Das Automatische Identifikationssystem (AIS) für Schiffe ist ein seit 2000 verbindlicher Standard der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO). AIS wurde eingeführt, um den Seeverkehr sicherer zu machen. Allerdings ist nicht jedes Schiff verpflichtet, AIS einzusetzen. Außerdem können die Systeme ausgeschaltet werden, um illegale Aktivitäten wie IUU-Fischerei zu verschleiern.
Ungenaue Datenerhebung
Zusätzlich erschweren Regelungen wie die EU-Fischerei-Kontrollverordnung die Bewertung der globalen Fangmengen von Meeresfisch. Denn eine „Toleranzmarge“ erlaubt Fehlschätzungen von bis zu 10 % beim Fang bestimmter Arten. Aus real 5.500 Tonnen gefangenem Echtem Bonito können im Logbuch somit 5.000 Tonnen werden. Damit ist die erlaubte 10-%-Spanne eingehalten.
Welche Fische werden am meisten gefischt?
Anchovis oder Peruanische Sardellen (Engraulis ringens) waren 2020 mit 4,9 Millionen Tonnen erneut die weltweit mit Abstand am stärksten befischte Art. Auf Platz zwei folgte der Pazifische Pollack (Theragra chalcogramma) mit 3,5 Millionen Tonnen. Dicht gefolgt vom weltweit am häufigsten gefischten Thunfisch, dem Skipjack (Katsuwonus pelamis), mit 2,8 Millionen Tonnen.
Überfischte Bestände
Viele Bestände sind durch die industrielle Fischerei bereits so stark dezimiert, dass eine fischereiliche Nutzung aus biologischer Sicht nicht mehr zu verantworten ist. Laut FAO waren 2019 35,4 Prozent der bewerteten Meeresfischbestände überfischt. Eine Steigerung von 1,2 Prozent gegenüber 2017. Innerhalb von nur vier Jahrzehnten hat sich ihr Anteil damit mehr als verdreifacht. Am stärksten überfischt waren 2020 laut FAO der Südostpazifik (FAO-Fanggebiet 87) mit 66,7 Prozent der Bestände. Es folgen Mittelmeer und Schwarzes Meer (FAO-Fanggebiet 37) mit 63,4 Prozent und der Südwestatlantik (FAO-Fanggebiet 41) mit 40 Prozent. Allerdings finden in vielen Meeresregionen mangels qualifizierter Fischereibehörden keine oder nur unzureichende Bestandserfassungen statt.
2019 wurden 57,3 Prozent der Bestände maximal befischt. Moderat oder nur wenig befischt waren laut FAO lediglich 7,2 Prozent der erfassten Meeresfischbestände. Die Folgen sind nicht nur für den Menschen gravierend, sondern für alles Leben in den Meeren. Den Löwenanteil aquatischer Lebensmittel (59 % der weltweiten Produktion) teilen dabei fünf Länder unter sich auf: China, Indonesien, Indien, die USA und Japan.
Weltweiter Pro-Kopf-Verbrauch
Der weltweite jährliche Pro-Kopf-Verbrauch von aquatischen Lebensmitteln stieg laut FAO von durchschnittlich 9,9 kg in den 1960er-Jahren auf 11,4 kg in den 1970er-Jahren. Von 12,5 kg in den 1980er-Jahren auf 14,4 kg in den 1990er-Jahren. Von 17,0 kg in den 2000er und 19,6 kg in den 2010er-Jahren auf ein Rekordhoch von 20,5 kg im Jahr 2019. Vorläufige Schätzungen deuten auf einen geringeren Verbrauch wegen gesunkener Nachfrage für 2020 (20,2 kg). Für 2021 wird wiederum mit einem steigenden Pro-Kopf-Verbrauch von Lebensmitteln aus Meer gerechnet.
Jährlich sterben zwischen 63 und 273 Millionen Haie und eine nicht erfasste Zahl von Rochen durch die industrielle Fischerei und beim sogenannten Finning (Flossenfischerei). Viele Arten sind dadurch mittlerweile vom Aussterben bedroht. Foto: © OceanImageBank/Toby Matthews
Mehr Fisch aus nachhaltiger Fischerei
Trotz der sich allgemein verschlechternden Trends verzeichnet die FAO für 2019 mehr Fänge aus nachhaltig operierenden Fischereien. Diese stiegen um 3,8 Prozent gegenüber 2017. Aus biologisch nachhaltigen befischten Bestände stammten laut FAO 82,5 Prozent aller Anlandungen.
Von den zehn am häufigsten gefischten Arten – Anchovis, Alaska-Seelachs, Echter Bonito, Atlantischer Hering, Gelbflossenthune, Blauer Wittling, Europäische Sardine, Japanische Makrele, Atlantischer Kabeljau und Degenfische (Trichiurus lepturus) – wurden 2019 im Durchschnitt 66,7 Prozent auf biologisch nachhaltigem Niveau befischt. Eine Zunahme gegenüber 2017.
Sinnloses Sterben: Beifänge und Rückwürfe
Die industrielle Fischerei verursacht horrende Beifangmengen. Diese Unmengen ungewollt getöteter Tiere können die Ökosysteme langfristig nicht verkraften. Auch etwa 300.000 ertrunkene Meeressäuger wie Wale und Delfine befinden sich unter den jährlich zu beklagenden Beifangopfern. In der EU-Fischerei geht man von jährlich etwa 1,7 Millionen Tonnen Fisch aus, die durch Beifänge und Rückwürfe vernichtet werden. Trotz vorhandener Gesetze, wie der ab 2019 EU-weit geltenden „Anlandeverpflichtung“, hat sich an der Rückwurfpraxis nichts geändert. Es mangelt an Kontrollen.
Sinnloses Sterben: Verhedderung / Verstrickung (entanglement)
Wissenschaftler gehen davon aus, dass Verhedderung in Fischereileinen (entanglement) mittlerweile eine der Haupttodesursachen für Großwale ist. Allerdings ist die Datenlage schlecht. Lediglich für Nordkaper gibt es an der nordamerikanischen Ostküste ein engmaschiges Überwachungssystem. Außerdem sind hier speziell geschulte Disentangelment-Teams entlang der Küste stationiert. Sie können verhedderte Wale befreien – wenn sie die Tiere rechtzeitig finden.
Unterschätzte Gefahr
Ein elfköpfiges Wissenschaftlerteam aus Großbritannien veröffentlichte im Januar 2023 eine Studie2 zu Ausmaß und Folgen von Verhedderungen für Buckelwale (Megaptera novaeangliae) und Zwergwale (Balaenoptera acutorostrata) durch die schottische Hummer- und Garnelenfischerei. Dazu trugen die Forscher Berichte aus den letzten 10 Jahren über gestrandete sowie lebende Wale zusammen. Zusätzlich interviewten sie 159 schottische Küstenfischer.
Im Ergebnis zeigt sich, dass Verstrickungen mit tödlichem Ausgang wesentlich häufiger vorkommen, als man bislang aufgrund der Auswertung von Strandungen angenommen hatte. Demnach verheddern sich jährlich durchschnittlich sechs Buckelwale und 30 Zwergwale in Leinen der rechteckigen Körbe zum Fang von Garnelen und Hummern. Meist schwimmen die Wale in die über den Fangkörben schwimmende Grundleine und verheddern sich darin.
Oftmals ist es Martyrium für das betroffene Tier. Mit Glück kann sich der Wal selbst befreien. Buckelwalen gelingt dies häufiger. Man erkennt diese Tiere dann an Narben und tiefen Einschnitten in Flippern, Finne und Fluke.
Für Zwergwale meist tödlich
An der Küste von Schottland gibt es wesentlich mehr Zwergwale als Buckelwale. Daher verstricken sich diese Wale häufiger. Zwergwale sind nicht stark genug, um Leinen und an ihnen hängende Fangkörbe wieder loszuwerden. 84 Prozent der verhedderten Zwergwale, auf die schottische Küstenfischer bei der Kontrolle ihrer Fangapparate stießen, waren bereits tot. Sie starben kurz nach ihrer Verhedderung.
Für die schottische Westküste berechneten die Wissenschaftler, dass jährlich 2,3 % der Zwergwal-Population in eine tödliche Verstrickung gerät. Dies können die Tiere durch Vermehrung nicht kompensieren. Daher wird die Population stetig kleiner.
Buckelwale
Buckelwale sind kräftige Schwimmer. Sie sind in der Lage, Leinen samt Fangkörben über große Entfernungen zu schleppen.
Die britischen Forscher schätzen, dass sich in den vergangenen 10 Jahren mindestens 64 Buckelwale an der schottischen Küste verhedderten. Für viele von ihnen war dies zwar nicht tödlich, doch das Herumschleppen des Fischereigeräts über längere Zeit schwächte die mächtigen Wale.
Seit einigen Jahren tauchen Buckelwale verstärkt im Nordatlantik vor Schottland, Irland und in der südlichen Nordsee vor den Niederlanden auf. Sie stammen entweder aus der kleinen Population der Kapverdischen Inseln oder aus dem südöstlichen karibischen Teil der Westindischen Inseln.
Die an der Studie beteiligten Wissenschaftler schätzen, dass ihre Zahl jedes Jahr um 25 Prozent zunimmt. Offensichtlich verlagern die Großwale seit einigen Jahren ihren Lebensraum vermehrt in nördlichere Gewässer. Die britischen Wissenschaftler schließen eine Zunahme der Populationen durch Vermehrung aus. Wahrscheinlich ist diese temporäre Lebensraumverlagerung Teil des seit Jahren im Zuge der Klimakrise zu beobachtenden Artenwandels in den Meeren.
Abgesenkte Fischereileinen verhindern Verstrickungen
Schottische Küstenfischer sind offensichtlich bereit, sich mit Vorschlägen wie der Einführung absinkender Grundleinen an Lösungen zur Senkung des entanglement von Großwalen zu beteiligen, schreiben die Forscher. Vergleichbare Lösungen finden bereits Anwendung in der Hummerfischerei vor der Ostküste Nordamerikas, um die vom Aussterben bedrohten Nordkaper vor tödlichen Verhedderungen zu schützen.
Sinnloses Sterben: Geisternetze
Fischernetze gehen verloren, werden wegen Verschleiß absichtlich im Meer entsorgt oder abgeschnitten, weil sie sich am Meeresboden verhaken. Sie fangen und töten als Geisternetze weiter. Verloren gegangenes Fischereigerät ist ein globales Problem von gigantischen Dimensionen. Schätzungen sprechen von zwischen 600.000 und 800.000 Tonnen Fischereigerät, die jedes Jahr in den Meeren landen! Darunter auch tonnenweise Geisternetze. Allein für die Ostsee wird der jährliche Eintrag von Netzen und Netzresten auf zwischen 5.000 bis 10.000 Teile geschätzt.
Sowohl das Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe MARPOL als auch die EU-Fischerei-Kontrollverordnung verbieten die Entsorgung von Fischereigerät im Meer. Theoretisch müssten die Fischer verloren gegangene Netze den Behörden melden. Da die bei einer Bergung entstehenden Kosten den Fischereien in Rechnung gestellt werden können, sind Meldungen von Geisternetzen seitens der Verursacher eine Rarität.
Fischereilobby
Maßnahmen zur Bekämpfung der Überfischung gibt es viele: z. B. selektive Fangtechniken, Fangquoten, Schutzgebiete und Schonzeiten für gefährdete Fischarten oder Öffnung versperrter Wanderrouten für Zugfische. Nicht nur Meeresschutzorganisationen aus aller Welt fordern dies seit vielen Jahren. Auch Wissenschaftler von Fischereikommissionen raten zu drastischen Einschränkungen.
Doch das Gegenteil passiert. Regionale Fischereiabkommen erweisen sich als nur bedingt hilfreich. Regelmäßig knickt die EU vor der starken Lobby der industriellen Fischerei ein. Gefälligkeiten, z. B. durch Subventionen für den Ausbau von Fangflotten unter dem Deckmantel nachhaltiger Fischerei sind an der Tagesordnung.
Laut einer Studie des Geomar–Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel wird in deutschen Meeresschutzgebieten sogar intensiver gefischt als außerhalb. Die Kieler Experten sprechen von einer um 40 Prozent stärkeren Fischereiintensität.
Regionale Organisationen für das Fischereimanagement (RFMOs)
RFMOs legen das Ausmaß zulässiger Fischereiaktivitäten in ihrem Zuständigkeitsgebiet fest und decken dabei fast alle kommerziell relevanten Fischarten und alle Ozeane ab. Sie regeln die Fischerei in internationalen Gewässern außerhalb der AWZ (Ausschließlichen Wirtschaftszone, 200-Seemeilen-Zone von Küstenstaaten). Lediglich die Arktis steht nicht unter Verwaltung einer RFMO, da es hier (bislang) kaum Fischfang gibt. RFMOs gehören dabei nicht nur Anrainerstaaten der Fischereigebiete an, sondern auch Nationen, die verstärkt in diesen Meeresregionen fischen.
Das ist vereinbar mit Internationalem Seerecht und legitim gemäß dem Freiheitsprinzip der Hohen See. EU-Staaten wiederum werden von der Europäischen Kommission in mehreren RFMOs vertreten. Während der jährlich stattfindenden Verhandlungen versuchen die RFMO-Mitglieder für ihr Fanggebiet Fangquoten für hier befischte Arten wie Makohaie festzulegen.
RFMOs, die Fischbestände nach Gebieten bewirtschaften
Es existieren 11 RFMOs, die Fischbestände nach Gebieten bewirtschaften: z. B. die Kommission für die Fischerei im Nordostatlantik (NEAFC, North East Atlantic Fisheries Commission) oder die Organisation für die Fischerei im Nordwestatlantik (NAFO, Northwest Atlantic Fisheries Organization).
RFMOs für weit wandernde Fischarten
Daneben gibt es fünf weitere RFMOs, die für weit wandernde Fischarten, hauptsächlich Thunfische, zuständig sind. Dazu gehören neben der ICCAT auch die Thunfischkommission für den Indischen Ozean (IOTC, Indian Ocean Tuna Commission) oder die Interamerikanische Kommission für Tropischen Thunfisch (IATTC, Inter-American Tropical Tuna Commission).
Zwei weitere RFMOs sind rein beratend tätig (Western Central Atlantic Fishery Commission/WECAFC und Fishery Committee for the Eastern Central Atlantic/CECAF).
- Paolo, F., Kroodsma, D., Raynor, J. et al. Satellite mapping reveals extensive industrial activity at sea. Nature 625, 85–91 (2024). https://doi.org/10.1038/s41586-023-06825-8 ↩︎
- Leaper R, MacLennan E, Brownlow A, Calderan SV and others (2022) Estimates of humpback and minke whale entanglements in the Scottish static pot (creel) fishery. Endang Species Res 49:217-232. https://doi.org/10.3354/esr01214 ↩︎ ↩︎
Update: überarbeiteter und mit neuem Datum veröffentlichter Beitrag
End of Fish Day
Der „End of Fish Day“ markiert das Ende unserer eigenen „Fischreserven“. Also den Ertrag deutscher Fischer aus deutschen Küstengewässern in Nord- und Ostsee. Von diesem Tag an ist Deutschland rein rechnerisch auf den Import von Fischereiprodukten angewiesen. Seit Jahren liegt der End of Fish Day immer früher im Jahr. 2024 fällt er auf den 29. Februar. So früh wie noch nie. Der erste End of Fish Day 2019 fiel auf den 5. April.
Mit einem Verbrauch von 13,6 kg Fisch und Fischereierzeugnisse pro Kopf (für 2022) liegen wir zwar unter dem Weltdurchschnitt von 20 kg, essen allerdings weitaus mehr Fisch, als deutsche Fischer fangen oder heimische Aquakulturen bereitstellen können. Unser Selbstversorgungsgrad mit Fischprodukten aus heimischem Fang ist mit 17 Prozent niedrig. 2021 lag er geringfügig höher bei 18,5 Prozent.
Mit dem End of Fish Day machen Slow Food Deutschland, Brot für die Welt und Fair Oceans seit 2019 auf die weltweit anhaltende Krise der Fischerei und die Vernichtung der Artenvielfalt in den Meeren aufmerksam. Der End of Fish Day errechnet sich auf Grundlage von Zahlen der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE).