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Zu Anfangs schürte die Langleinenfischerei Hoffnungen auf eine effektive und gleichzeitig selektive Fangtechnik. Was dann folgte, waren Ernüchterung und heftige Kritik. Denn diese Fischfangtechnik reißt sowohl Zielfischarten als auch durch ihre hohen Beifangraten zahlreiche Nichtzielarten in den Abgrund.
Inhaltsverzeichnis
Langleinenfischerei trägt massiv zur Überfischung der Weltmeere bei
Nach Angaben der Welternährungsorganisation (FAO) liegt die Beifangrate in der Langleinenfischerei bei durchschnittlich ca. 20 Prozent der Gesamtfangmenge. Daher prangern Wissenschaftler und Meeresschützer sie als eine der größten Bedrohungen für Haie und Rochen sowie für Nichtzielarten wie Albatrosse, Fregattvögel oder Meeresschildkröten an. Hinzu kommt die mittlerweile starke Überfischung der Zielfischarten wie Schwarzer Seehecht (Dissostichus eleginoides) im Südpolarmeer oder Roter Thunfisch (Thunnus thynnus) im Mittelmeer, insbesondere durch illegal operierende Piratenfischer. Beide Arten sind mittlerweile fast ausgerottet.
Zielfischarten
Langleinenfischer haben es zumeist auf den Schwarzen Seehecht, verschiedene Thunfischarten, Kabeljau (Gadus morhua), Schwertfische (Xiphias gladius), Heilbutt (Hippoglossus hippoglossus), Mahimahi (Dolphin Fish oder Goldmakrelen), Haie und andere wertvolle Speisefischarten abgesehen.
Schwertfisch am Haken einer Langleine. © Andre Seale/Marine Photobank
Vorteile dieser Fischereimethode sind die im Vergleich zum Fang mit Netzen geringen Beschädigungen der Zielfische. Außerdem wird der Meeresboden nicht geschädigt oder zerstört. Dies ist z. B. beim Einsatz von Grundschleppnetzen oder Baumkurren der Fall. Langleinenfischerei ist vor allem in den Gewässern der Südhalbkugel sehr verbreitet. Sie kommt aber auch in der Nordsee beim Fang von Kabeljau und in der Ostsee beim Dorsch- und Aalfang zum Einsatz.
Pelagische und Grundfisch-Langleinenfischerei
Bei der Langleinenfischerei werden an einer aus Kunststoff gefertigten Hauptleine (auch Grundleine oder Mutterleine genannt) unzählige mit Köderhaken versehene Nebenleinen ausgelegt. Das gesamte Fanggerät kann eine Länge von bis zu 130 Kilometern erreichen. Daran befinden sich dann mehr als 20.000 Köderhaken. Als Köder kommen Makrelen oder Tintenfische zum Einsatz. Und Fischer aus Peru benutzen sogar Delfinfleisch als Köder bei der Langleinenfischerei auf Haie.
Es gibt es zwei grundverschiedene Einsatzformen der Langleinenfischerei: die pelagische und die Grundfisch-Langleinenfischerei. Pelagische oder halbpelagische Langleinen werden von den Fangschiffen an oder nahe der Wasseroberfläche ausgebracht. Dann lässt man sie treiben. Mittels an Bojen befindlichen Sendern ist es den Fischern später möglich, das Fanggerät wiederzufinden und einzuholen. Auf diese Weise fischt man vor allem große Thunfischarten oder Schwertfische.
Langleinenfischerei öffent das Tor zur Befischung der Tiefsee
Bei der Grundfisch-Langleinenfischerei werden Langleinen am Meeresboden in bis zu 5.000 Metern Tiefe versenkt und horizontal zu diesem verlaufend verankert. Diese auch Grundfischerei genannte Technik wurde 1988 speziell zum Fang des Schwarzen Seehechts und anderer nahe oder am Meeresboden lebender Fischarten eingeführt. Seither fand sie starke Verbreitung.
Damit war das Tor zur Befischung der von Fischereiaktivitäten bis dahin weitgehend verschont gebliebenen Tiefsee aufgestoßen.
Beifänge in der Langleinenfischerei
Albatrosse und Fregattvögel
Für Seevögel, insbesondere für Albatrosse, war die Erfindung der pelagischen Langleinenfischerei ein Desaster. Umweltorganisationen schätzen, dass in allen Weltmeeren jährlich 300.000 dieser prächtigen Seevögel getötet werden. Denn die nahe der Wasseroberfläche während des Setzens der Leinen ausgebrachten Köder ziehen sie auf der Suche nach Nahrung magisch an. Doch die majestätischen Vögel verhaken sich. Und beim Absinken der Leine ertrinken sie jämmerlich.
Nach Schätzungen von BirdLife International kommt auf 2.500 Haken mindestens ein toter Albatros. Bei jährlich schätzungsweise 200 Millionen ausgebrachten Haken sind mittlerweile alle 21 Albatrosarten gefährdet oder akut vom Aussterben bedroht. Bereits nahezu ausgerottet ist der Amsterdaminsel-Albatros (Diomedea amsterdamensis), von dem nur noch knapp über 100 Exemplare existieren sollen.
Haie und Rochen
Haie werden sowohl gezielt befischt aber auch, wie Rochen, als unbeabsichtigter Beifang getötet. Nach einer Studie des WWF vom Juli 2007 starben allein im Südostatlantik jährlich sieben Millionen Haie und Rochen als Beifang bei der Langleinenfischerei auf Thunfisch, Schwertfisch und Seehechte. Darunter waren ca. 5,5 Millionen Blauhaie (Prionace glauca) und ca. 1,1 Millionen der bedrohten Makohaie (Isurus oxyrinchus). Allerdings ist die Dunkelziffer wegen der illegalen Fischerei hoch. Allein durch die Langleinenfischerei sollen heute etwa 20 % aller Haiarten vom Aussterben bedroht sein.
Die kanadische Langleinenfischerei auf Schwertfisch im Nordwestatlantik wurde 2012 durch den MSC als nachhaltig zertifiziert. Für jeden gefangenen Schwertfisch werden auch 3–5 Blauhaie gefangen, wobei 30 % der ins Wasser zurückgeworfenen Haie nicht überleben.
Raubfischerei auf Haie durch EU-Langleinenfischer
Zum „Shark Awareness Day 2022“ (14. Juli) veröffentlichte Greenpeace International den Report „Hooked on Sharks“. Er unterstreicht das Ausmaß der Langleinenfischerei durch spanische und portugiesische Fangboote in „Hai-Kinderstuben“ im Nordatlantik. So sind an einem durchschnittlichen Fangtag über 1.200 km Langleinen mit schätzungsweise 15.000 – 28.000 Haken im Wasser.
Zwar zielt die Langleinenfischerei im Nordatlantik nominell auf Schwertfisch ab. Mittlerweile sind die Fischer aber finanziell auf den Verkauf von Haifleisch und die besonders lukrativen Haiflossen angewiesen. Ohne ein Handelsverbot für Haiflossen bleibt die EU damit weiter Zentrum des weltweiten Haifischhandels.
Inzwischen sind Arten, wie der Kurzflossen-Makohai im Nordatlantik vom Aussterben bedroht. Trotz geänderter Vorschriften für den Fang dieser spektakulären Haiart, durch die zuständige Fischereikommission ICCAT, hat sich an der Situation nicht viel geändert. Denn theoretisch besteht seit 2022 im Nordatlantik ein zweijähriges Fangverbot für Makohaie. © Fred Buyle
Meeresschildkröten
Besonders Lederschildkröten (Dermochelys coriacea), Unechte Karettschildkröten (Caretta caretta) und Echte Karettschildkröten (Eretmochelys imbricata) sind durch die Langleinenfischerei gefährdet. Doch gehen Schätzungen über die jährlichen Verluste weit auseinander.
Im Mittelmeer soll der jährliche Beifang ca. 20.000 Unechte Karettschildkröten betragen. Weltweit allerdings sollen es zwischen 250.000 und 400.000 sein. Die Tiere sterben an Verletzungen, die ihnen die Haken zufügen, oder sie ertrinken, weil sie sich nicht mehr von ihnen befreien können.
Es geht auch anders
Durch Modifikationen am Fischereigerät können die hohen Beifangraten bei der Langleinenfischerei drastisch gesenkt werden. So ließe sich der Seevogelbeifang sehr leicht vermeiden. Denn Seevögel stürzen sich in der Regel beim „Schießen“ der Leinen auf die Köder. Werden die Leinen dagegen durch ein bis in etwa 10 Meter Wassertiefe reichendes Rohr geschossen, können Albatrosse oder Fregattvögel nicht nach den Ködern tauchen.
Eine andere Methode sind sogenannte „Vogelscheuchen-Leinen“, bei denen farbige Bänder die Vögel abschrecken. Diese Methode ist in Südafrika beim Einsatz von pelagischen Langleinen bereits vorgeschrieben. Doch wird sie nur unzureichend angewandt.
Dass Schutzmaßnahmen den Seevogelbeifang bei der Langleinenfischerei deutlich senken können, beweist die Situation der überwachten und regulierten Langleinenfischerei in der Antarktis. Denn bereits 1991 wurden dort Modifikationen am Fischereigerät von der Convention for the Conservation of Antarctic Marine Living Resources (CCAMLR) eingeführt. Daraufhin sank die Seevogel-Beifangrate um 90 Prozent. 2007 gab es in der Antarktis zum zweiten Mal in Folge keine Albatrosbeifänge mehr.
Vergleichbare Maßnahmen wurden im November 2007 von der Kommission zum Erhalt des Atlantischen Thunfischs (ICCAT) verabschiedet. Kurz darauf schloss sich die Fischereikommission für den westlichen und zentralen Pazifik (WCPFC) an. Ihr gehören die EU sowie 24 weitere Fischereinationen an.
Problematisch bleiben allerdings die in allen, auch in antarktischen Gewässern operierenden Piratenfischer. Denn ihnen geht es nur um eine möglichst große Beute ohne Rücksicht auf Beifangverluste.
Rundhaken retten Meeresschildkröten, Magnete schützen Haie
Der Beifang von Meeresschildkröten lässt sich durch spezielle Rundhaken um 90 Prozent reduzieren, ohne dass dabei weniger Fisch gefangen wird. Ein oberhalb der Haken angebrachter Magnet schreckt Haie ab und könnte deren Beifangrate deutlich senken.
Und das Setzen beköderter Langleinen in Tiefen ab 100 Metern beim Thunfischfang im tropischen Ostpazifik würde sowohl den Beifang von Haien und Rochen als auch den von Meeresschildkröten minimieren. Denn diese gehen in der Regel an Haken oberhalb von 100 Metern Tiefe. Thunfische dagegen fängt man in Tiefen unterhalb von 100 Metern. Diese Methode wird erfolgreich von der Fischereiabteilung der Wetter- und Ozeanografiebehörde der Vereinigten Staaten (NOAA) in US-Gewässern getestet.
Abwrackprogramme
Taiwan reduzierte seine Langleinen-Fischereiflotte zwischen 2005 und 2006 um 160 größere Fangboote. Dies entspricht einer Verkleinerung der gesamten Fischereiflotte um 26 %. Im Rahmen dieses Programms wurden 50 taiwanesische Langleinen-Fangboote aus dem Atlantischen Ozean von September bis Dezember 2006 abgewrackt oder versenkt.
Langleinenfischer verstümmeln Seevögel
Im November 2020 kam ein internationales Forscherteam um Dimas Gianuca einer unsäglichen Praxis von Langleinenfischern im Südwestatlantik auf die Spur. Die Fischer schneiden Seevögeln, die an den Haken der Langleinen mit ihrem Schnabel hängen bleiben, einfach die Schnäbel ab. Anschließend werfen sie die verstümmelten Seevögel ins Meer zurück! Dabei kann man die Seevögel, ohne sie zu verletzen, befreien. Betroffen sind insbesondere Albatros- und Sturmvogelarten, darunter auch stark gefährdete wie Gelbnasenalbatros (Thalassarche chlororhynchos) und Brillensturmvogel (Procellaria conspicillata).
Ein Foto in den Social Media gab den Ausschlag: Es zeigte einen lebenden Albatros, dessen obere Schnabelhälfte gekappt war. Um herauszufinden, ob dies eher Einzelfälle sind oder es sich um eine gängige Praxis in der Langleinenfischerei handelt, starteten die Forscher einen Aufruf mit Bitte um Zusendung von entsprechenden Dokumentationen. So konnten sie Daten von mehr als 20 Jahren sammeln. Der älteste Fall reicht zurück ins Jahr 1999.
46 Seevögel und acht Arten, darunter vier gefährdete oder gar stark gefährdete, sind die traurige Bilanz der Sammlung. 17 der Vögel waren von den Langleinenfischern getötet worden. Die Tiere hatten den Angaben zufolge Traumata durchlitten, gebrochene Füße oder Flügel, Verletzungen am Körper oder verstümmelte Schnäbel. 29 Fälle betrafen überlebende Vögel. Wie lange die verstümmelten Seevögel überleben, ist unbekannt
„Wir können kaum herausfinden, wie viele dieser gefährdeten Vögel als direkte Folge der ihnen von Fischern zugefügten Verletzungen umkommen. Die von uns dokumentierten Fälle sind höchst wahrscheinlich nur ein Bruchteil eines viel größeren Bildes“, erklärt Dr. Alex Bond, Mitautor der Studie und Hauptkurator für Vögel im Natural History Museum in London, das mit einem Mitarbeiter ebenfalls an der Studie teilnahm.
Spezialfall Langleinenfischerei im Südwestatlantik
In Zusammenarbeit mit der Albatross Task Force, einem internationalen Expertenteam zum Schutz von Albatrossen, durchforsteten die Forscher Unterlagen aus Namibia, Südafrika, Brasilien, Uruguay, Argentinien, Chile und Peru.
Von Langleinenfischern verstümmelter Albatros. Nachweise, dass Langleinenfischer Seevögel verstümmeln, fanden sich nur für Brasilien, Uruguay, Argentinien und in geringerem Umfang aus Chile. Deren Fischer operieren alle (auch) im Südwestatlantik. © Nicholas Daudt
„Diese Praxis wird anscheinend speziell von Fischern in der Region abgewandt“, erklärt Alex Bond. Die Forscher hoffen, dass ihre Veröffentlichung ein erster Schritt ist, um die grausamen Praktiken zu verhindern. Neben dem Einsatz vorhandener Techniken zur Beifangreduzierung schlagen sie zudem für die Vögel ungefährliche Abschreckvorrichtungen vor, wie Flatterbänder oder Wasserstrahler, um sie daran hindern, den Ködern nachzutauchen. Aufklärung und Training der Fischer wären zusätzliche wichtige Maßnahmen, damit Fischer nicht länger Seevögel verstümmeln.
Fernüberwachung
Zudem plädieren Wissenschaftler für den verstärkten Einsatz von Fernüberwachungssystemen (REM/remote electronic monitoring). Dabei werden mithilfe von GPS und Videokameras die Fischfangaktivitäten eines Fangschiffes auf See überwacht. Auch Beobachter an Bord der Fangschiffe würden helfen: „In Gegenwart von Beobachtern an Bord der Schiffe würde die von uns dokumentierte brutale Praxis der Fischer, den Vögeln in großem Maßstab den Schnabel abschneiden und über Bord zu werfen, sehr wahrscheinlich aufhören“, erklärt Dr. Bond.
Studie Langleinenfischer verstümmeln Seevögel:
Dimas Gianuca, Leandro Bugoni, Sebastián Jiménez, Nicholas W. Daudt, Philip Miller, Gabriel Canani, Augusto Silva-Costa, Fernando A. Faria, Julian Bastida, Juan Pablo Seco Pon, Oli Yates, Patricia P. Serafini, Alexander L. Bond,
Intentional killing and extensive aggressive handling of albatrosses and petrels at sea in the southwestern Atlantic Ocean,
Biological Conservation, Volume 252, 2020, 108817, ISSN 0006-3207,
https://doi.org/10.1016/j.biocon.2020.108817
Für viele Tierarten ist es bereits zu spät
Für viele Meerestierarten dürften diese technischen Verbesserungen und die von den regionalen Fischereikommissionen veranlassten Reformen allerdings zu spät kommen. Denn insgesamt gibt es noch immer zu wenige ernsthafte Anstrengungen gegen die ausufernde IUU-Fischerei (Piratenfischerei).
Titelfoto: OceanImageBank/Ron Watkins