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Das in Deutschland bekannteste Opfer einer Verstrickung ist Unglücksrabe Huckebein. Wilhelm Busch ließ den frechen Raben in seiner zwischen Oktober 1867 und September 1868 veröffentlichten Bildergeschichte einen traurigen Tod im Strickzeug sterben. Wale und größere Delfinarten verheddern sich – ähnlich wie Rabe Huckebein – dagegen in Resten von Fischfangausrüstung oder Befestigungs- und Bojenleinen von stationären Reusen. Mit oft ähnlichem Ergebnis. Wissenschaftler gehen davon, dass Verstrickung in Fischereileinen für Großwale mittlerweile weltweit eine der Haupttodesursachen ist. Allerdings ist die Datenlage schlecht. Lediglich für die die nordamerikanische Ostküste entlangwandernden Nordkaper existiert ein engmaschiges Überwachungssystem. Außerdem sind hier speziell geschulte Teams entlang der Küste stationiert. Sie befreien verhedderte Wale auf See – wenn sie die Tiere rechtzeitig finden.
Inhaltsverzeichnis
- Neue Studie zeigt: Ausmaß der Verstrickung in Fischereileinen wird unterschätzt
- Hauptgefahr durch schwimmende Polypropylen-Leinen
- Zwergwale überleben eine Verstrickung in Fischereileinen meist nicht
- Immer mehr Buckelwale im Nordatlantik
- Abgesenkte Fischereileinen könnten viele Wale vor Verstrickungen bewahren
Neue Studie zeigt: Ausmaß der Verstrickung in Fischereileinen wird unterschätzt
Ein elfköpfiges Wissenschaftlerteam aus Großbritannien hat nun erstmals Ausmaß und Folgen von Verhedderungen für Buckelwale (Megaptera novaeangliae) und Zwergwale (Balaenoptera acutorostrata) durch die schottische Hummer- und Garnelenfischerei unter die Lupe genommen. In schottischen Gewässern verstricken sich diese Walarten am häufigsten. Dazu trugen die Forscher Berichte aus den letzten 10 Jahren über gestrandete sowie lebende verhedderte Wale zusammen. Zusätzlich interviewten sie 159 schottische Küstenfischer.

Im Ergebnis zeigt sich, dass Verstrickungen in Fischereileinen wesentlich häufiger vorkommen, als man bislang aufgrund der Auswertung von Strandungen angenommen hatte.
Demnach verheddern sich jährlich durchschnittlich sechs Buckelwale und 30 Zwergwale in Leinen der rechteckigen Körbe zum Fang von Garnelen und Hummern. Meist schwimmen die Wale in die über den Fangkörben schwimmende Grundleine.
Hauptgefahr durch schwimmende Polypropylen-Leinen
Die schottische Küstenfischerei mit Reusen zielt auf verschiedene Krebstiere: darunter Europäische Hummer (Homarus gammarus), Norwegische Hummer (Nephrops norvegicus), die auch als Kaisergranat oder Scampi bekannt sind, Taschenkrebse (Cancer pagurus) und Samtkrabben (Necora puber), auch Teufelskrabbe oder Wollige Schwimmkrabbe genannt. Typischerweise befinden sich etwa 50 bis 60 miteinander verbundene Fangkörbe am Meeresgrund. Meist innerhalb von 3 Seemeilen vor der Küste in weniger als 50 m Tiefe.
Die Fangkörbe liegen in Abständen von jeweils 14 bis 15 m am Meeresboden und sind mit einer etwa 2 m langen Leine an der durchgehenden Grundleine befestigt. Die Fischer verwenden dazu 10 und 12 mm starke schwimmfähige Polypropylen-Leinen. Damit stellen sie ein in der Wassersäule schwebendes, für Wale kaum zu erkennendes Hindernis dar.

© https://doi.org/10.3354/esr01214
Zwergwale überleben eine Verstrickung in Fischereileinen meist nicht
Schwimmt ein Zwerg- oder Buckelwal in eine dieser Leinen, verheddert er sich. Mit Glück kann sich der Wal davon selbst befreien. Buckelwalen gelingt dies häufiger. Man erkennt diese Tiere dann an Narben und tiefen Einschnitten in Flippern, Finne und Fluke. Zwergwale dagegen sind oft nicht stark genug, um Leinen und an ihnen hängende Fangkörbe wieder loszuwerden. 84 Prozent der verhedderten Zwergwale, auf die schottische Küstenfischer bei der Kontrolle ihrer Fangapparate stießen, waren bereits tot. Sie starben wohl kurz nach und noch am Ort des Geschehens.
An der Küste von Schottland gibt es wesentlich mehr Zwergwale als Buckelwale. Daher ist diese Art, im Vergleich zu Buckelwalen, auch intensiver von Verhedderungen betroffen.
Für die schottische Westküste berechneten die Wissenschaftler, dass jährlich 2,3 % der Zwergwal-Population durch Verstrickung in Fischereileinen stirbt. Dies können die Tiere durch Vermehrung nicht kompensieren. Folglich sinkt ihre Zahl beständig.
Immer mehr Buckelwale im Nordatlantik
Buckelwale sind kräftige Schwimmer. Sie sind in der Lage, Leinen samt Fangkörben über große Entfernungen zu schleppen.

Die britischen Forscher schätzen, dass sich in den vergangenen 10 Jahren mindestens 64 Buckelwale an der schottischen Küste in Fischereileinen verhedderten.
Doch seit einigen Jahren tauchen Buckelwale verstärkt im Nordatlantik vor Schottland, Irland und in der südlichen Nordsee vor den Niederlanden auf. Sie stammen entweder aus der kleinen Population der Kapverdischen Inseln oder aus dem südöstlichen karibischen Teil der Westindischen Inseln.
Die an der Studie beteiligten Wissenschaftler schätzen, dass ihre Zahl jedes Jahr um 25 Prozent zunimmt. Dies spiegelt sich auch in der zunehmenden Zahl der Verstrickungen von Buckelwalen wider.
Offensichtlich verlagern die Großwale seit einigen Jahren ihren Lebensraum vermehrt in nördlichere Gewässer. Eine Zunahme der Populationen durch Vermehrung schließen die britischen Wissenschaftler aus. Wahrscheinlich ist diese temporäre Lebensraumverlagerung Teil des seit Jahren im Zuge der Klimakatastrophe zu beobachtenden Artenwandels in den Meeren.
Abgesenkte Fischereileinen könnten viele Wale vor Verstrickungen bewahren

Schottische Küstenfischer sind offensichtlich bereit, sich mit Vorschlägen wie der Einführung absinkender Grundleinen an Lösungen zur Senkung der Verstrickungsrate von Großwalen zu beteiligen, schreiben die Forscher.
Vergleichbare Lösungen finden bereits Anwendung in der Hummerfischerei vor der Ostküste Nordamerikas, um die vom Aussterben bedrohten Nordkaper vor solchen Verhedderungen besser zu schützen.
Publikation:
Leaper R, MacLennan E, Brownlow A, Calderan SV and others (2022) Estimates of humpback and minke whale entanglements in the Scottish static pot (creel) fishery. Endang Species Res 49:217-232. https://doi.org/10.3354/esr01214
Titelfoto: Karl Heinz Müller/Unsplash