Die Meerwalnuss: eine räuberische Rippenqualle erobert die Ostsee

Die ersten Exemplare der Meerwalnuss (Mnemiopsis leidyi) in der Ostsee entdeckte man 2006. Da hatten die Raubquallen bereits begonnen, Eier von Dorsch, Grundel, Seestichling oder Wittling im großen Stil aufzufressen. Denn diese invasiven Rippenquallen haben einen unglaublichen Appetit auf Fischlaich und Krebschen. Ihr Hunger auf Krebstiere macht sie zudem zum direkten Nahrungskonkurrenten für die Fischlarven von Hering und Sprotte. Eine einzige Meerwalnuss kann bis zu 200 Liter Wasser am Tag filtrieren. Dabei frisst sie 80 bis 90 Prozent der im Meerwasser lebenden Kleinstorganismen auf. Das kann betroffene Ökosysteme wie Seegraswiesen massiv unter Druck setzen. Denn hier fehlen nun die Krebstiere, die sich von Mikroalgen ernähren. In der Folge vermehren sich diese übermäßig, überwuchern und töten das Seegras und beschleunigen durch ihren starken Sauerstoffverbrauch die Ausbreitung von Sauerstoffmangelzonen und Todeszonen.

Eine Meerwalnuss im Boston Aquarium.
© Steven G. Johnson – eigenes Werk, CC BY-SA 3.0

Die Meerwalnuss ist etwa zehn Zentimeter lang, vermehrt sich schnell und hat bei uns kaum Feinde. Das kann gefährlich werden. Denn schon einmal, im Schwarzen Meer, löste Mnemiopsis leidyi eine ökologische Katastrophe aus.

In der Regel erobert sich die ursprünglich von der Ostküste Nordamerikas stammende, mittlerweile in fast allen Ozeanen heimische Rippenquallenart neue Lebensräume als blinder Passagier in Wasserballasttanks von Schiffen. Auf diese Weise dürfte sie auch zu uns ins Mare Balticum gelangt sein.

Anpassungskünstler Meerwalnuss

Im Oktober 2007 erreichte die Art die Danziger Bucht, den Finnischen und den Bottnischen Meerbusen. Noch gehen Experten davon aus, dass die Neuankömmlinge hier nicht so, wie im Schwarzen Meer wüten können. Denn dort kam es zur Massenvermehrung. Doch dafür ist es den Glibbertieren bei uns noch zu kalt. Noch. Denn lediglich im August, wenn die Wassertemperaturen in der Ostsee die 20°-Grenze erreichen, herrschen optimale Bedingungen für die hungrigen Einwanderer.

Allerdings sollte man die Anpassungskünste von Mnemiopsis leidyi nicht unterschätzen. Denn mittlerweile gelingt es der Meerwalnuss, auch bei Wassertemperaturen von um die neun Grad zu überwintern.

Massenvermehrung in der Ostsee

Messdaten US-amerikanischer Wettersatelliten, die seit 1990 die Oberflächentemperatur der Ostsee mehrmals täglich messen, zeigen, dass die Oberflächentemperatur seit 1990 jedes Jahrzehnt um durchschnittlich 0,6° Celsius steigt. Von 1990 bis 2017 sind das bereits 1,62° Celsius.

So trübt sich für so manchen Badegast mittlerweile das sommerliche Badevergnügen. Zwar ist die Meerwalnuss für den Menschen ungefährlich. Doch zu Hochzeiten produzieren Millionen Rippenquallen einen aus Eiern und Spermien bestehenden Schleim – sie sind Hermaphroditen. Dann wird es im Wasser unangenehm.

Massenvermehrung der Rippenqualle Mnemiopsis leidyi im Mittelmeer.
Massenvermehrung im Mittelmeer, © Project Manaia

Überleben in Sauerstoffminimumzonen

Mnemiopsis leidyi gehört zu den wenigen Meerestieren, die in der Lage sind, in Sauerstoffminimumzonen (Oxygen Minimum Zones, OMZ) zu überleben. Diese Wasserschichten, in denen die Sauerstoffkonzentration des Wassers extrem niedrig ist, weiten sich auch in der Ostsee immer weiter aus.

Die Meerwalnuss gehört somit zu den Profiteuren der von der Klimakatastrophe ausgelösten Erhitzung der Ozeane und damit einhergehenden sinkenden Sauerstoffkonzentrationen in den Weltmeeren. Sie kann auch dann noch überleben und Beute jagen, wenn ihre Nahrungskonkurrenten wegen Sauerstoffmangels längst das Feld räumen mussten.


Meerwalnuss löst eine ökologische Katastrophe im Schwarzen Meer aus

Bedingt durch die seit 1970 zunehmende Salinität des Schwarzen Meeres und Meeresverschmutzung fand Mnemiopsis leidyi damals ideale Lebensbedingungen. Zudem hatte die Meerwalnuss auch hier keine natürlichen Feinde. In den folgenden Jahren vernichtete sie Zooplankton, Fischeier und Krebslarven. Um 1989 betrug die Biomasse der Rippenquallen etwa 1 Milliarde Tonnen. Währenddessen ging die Zahl wertvoller Speisefische wie Anchovis oder Sprotten dramatisch zurück.

Rettung kam von ganz allein

Zeitweilig erwogen Wissenschaftler, einen natürlichen Feind der Meerwalnuss anzusiedeln. Die mit ihr verwandte räuberische Melonenqualle Beroe ovata. Melonenquallen saugen ihre Beute in sich hinein. Zwischen drei und fünf Stunden benötigt eine Beroe, um eine Meerwalnuss zu verdauen. Angesichts verschiedener Desaster bei der Ansiedlung von Fremdorganismen wie bei der Zuckerrohrkröte in Australien oder mit Mungos auf den hawaiianischen Inseln, erschien die Idee jedoch zu riskant.

Melonenqualle im Schwarzen Meer.

Melonenqualle im Schwarzen Meer.
Foto: Cristian Chirita

Dann kam Beroe ovata von ganz allein. 1997 tauchten die ersten Exemplare im Schwarzen Meer auf. Wahrscheinlich ebenfalls eingeschleppt über abgepumptes Ballastwasser. „Ich konnte es nicht glauben“, freute sich Tamara Shiganova vom Shirov-Institut für Ozeanologie in Moskau. Es begann eine gnadenlose Jagd. Rippenqualle gegen Rippenqualle. Schließlich endete sie mit dem Zusammenbruch der unterlegenen Meerwalnuss-Population.

Wissenschaftler erwarten, dass Beroe nach getaner Arbeit im Laufe der Zeit im Schwarzen Meer sang- und klanglos ausstirbt. Schäden im Ökosystem werden nicht erwartet. Vielleicht sind die Meerwalnuss-Vernichtungskünste der Melonenquallen eines Tages auch in der Ostsee gefragt?


Rippenquallen

Rippenquallen sehen mit ihrem durchscheinenden, gelartigen Körper zwar wie Quallen aus. Zoologisch gesehen sind sie jedoch keine echten Quallen, zählen zu den Hohltieren und bilden dort einen eigenen Tierstamm.

Eine bioluminiszierende Mnemiopsis leidyi.
Eine bioluminiszierende Mnemiopsis leidyi,
© Stefan Siebert, gemeinfrei

Sie besitzen u. a. keine der für Quallen typischen Nesselzellen. Außerdem bewegen sie sich anders. Echte Quallen wie die Spiegeleiqualle können durch pulsierende Muskelstöße ihre Schwimmrichtung beeinflussen. Rippenquallen dagegen sind immer in Bewegung durch wellenförmiges Schlagen von kammartigen, irisierend schillernden Geißelplättchen. Diese sind entlang von acht „Rippen“ in der Körperlängsachse angeordnet.

Die meisten Rippenquallen besitzen die Fähigkeit zur Biolumineszenz.

Rippenquallen sind die größten Meerestiere, die noch Geißeln zur Fortbewegung einsetzen und gehören zu den urtümlichsten aller mehrzelligen Meerestiere. Sie spalten sich vor rund 700 Millionen Jahren als erste – noch vor den Schwämmen – vom bis dahin aus Einzellern bestehenden Stammbaum ab.

Titelfoto: © Petra Urbanek – eigenes Werk, CC BY-SA 4.0


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