Wie die bioinvasive Pazifische Auster beim Küstenschutz in der Nordsee hilft

Gelegentlich erweisen sich bioinvasive Tier- oder Pflanzenarten als vorteilhaft für die von ihnen eroberten Lebensräume. Ein Beispiel ist die Pazifische Auster (Magallana gigas) oder Pazifische Felsenauster in der Nordsee. Forschende von Senckenberg am Meer (Wilhelmshaven) sowie der Universitäten Braunschweig und Hannover sehen in der zwischen 8 und 30 cm großen, schnell wachsenden, robusten Austernart eine unerwartete Helferin für den Küstenschutz. Die Pazifische Auster bildet Riffe. Diese mindern – als natürliche Wellenbrecher – die Folgen des von der globalen Erhitzung verursachten Meeresspiegelanstiegs in der Nordsee wie Überflutungen und Küstenerosion.

Riffe der Pazifischen Auster ersetzen Miesmuschelbänke

Seit ihrer Einführung zu Aquakulturzwecken Mitte des letzten Jahrhunderts hat sich Magallana gigas in der Nordsee unkontrolliert verbreitet. Mittlerweile hat die Pazifische Auster fast alle Miesmuschelbänke im niedersächsischen Wattenmeer durch eigene Strukturen – Austernriffe – ersetzt.

Austernriffe als natürliche Wellenbrecher für besseren Küstenschutz

Die durch den Menschen eingebrachte Pazifische Auster (Magallana gigas) hat in der Nordsee die heimischen Miesmuschelbänke verdrängt und große Riffeausgebildet. Foto: C. J. Hitzegrad

Die veränderten küstennahen natürlichen Strukturen könnten für den Schutz der Nordseeküste von Vorteil sein, hoffen die Wissenschaftler. Ihre im Fachjournal „Ecology and Evolution“ veröffentlichte Studie1 zeigt, dass die Riffe von Magallana gigas mit dem erwarteten Meeresspiegelanstieg in der Nordsee mitwachsen können.

Zudem sind sie als neue Biodiversitäts-Hotspots Lebensraum für zahlreiche andere Arten. Darunter auch Miesmuscheln. Mit der Ausbreitung der Felsenauster sank ihr Bestand zunächst. Mittlerweile leben in den Austernriffen genau so viele Miesmuscheln wie vor der Ausbreitung der Pazifischen Auster.

Die flache Nordseeküste ist anfällig für Sturmfluten

Die Nordsee, welche an die flachliegenden Küsten Deutschlands, der Niederlande und Dänemarks grenzt, ist bereits heute anfällig für Sturmfluten. Der infolge der globalen Erhitzung steigende Meeresspiegel erhöht das Risiko von Überschwemmungen und Erosion entlang der gesamten Nordseeküste.

Austernriffe wachsen genauso schnell, wie der Meeresspiegel steigt

Die Forschenden untersuchten am Beispiel des Kaiserbalje- und des Nordland-Riffs, wie sich ein steigender Meeresspiegel auf die Riffstrukturen der Pazifischen Auster auswirkt. Dabei wurden die beiden in der Gezeitenzone des zentralen Wattenmeeres liegenden Austernriffe halbjährlich in einem Zeitraum von drei Jahren2 unter die Lupe genommen und mittels 3D-terrestrischen Laserscannings vermessen.

3D-Aufnahme des Kaiserbalje-Riffs mittels terrestrischen Laserscannings.
3D-Aufnahme des Kaiserbalje-Riffs mittels terrestrischen Laserscannings. Grafik: Senckenberg

„Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die Riffwachstumsraten dem lokalen Meeresspiegelanstieg standhalten könnten. Ähnlich wie bei Austernriffen an der US-Ostküste und in der südlichen Nordsee. Das mittlere Riffwachstum liegt bei 19,8 Millimetern pro Jahr am Kaiserbalje-Riff und jährlich 17,5 Millimetern am Nordland-Riff“, erläutert Kai Pfennings, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Senckenberg am Meer in Wilhelmshaven.

Bioinvasor Pazifische Auster mit unerwartet positiven Folgen

„Die riesigen Riffstrukturen von bis zu 22 Hektar und das Vorkommen in der Nordsee sind ein Paradebeispiel dafür, wie der anthropogene Einfluss, in diesem Fall das unbedachte Einbringen einer nicht-heimischen, ökosystemgestaltenden Art, ganze Ökosysteme irreversibel verändern kann“, erklärt Pfennings.

Gleichzeitig hebt er die positiven Transformationsfolgen gegenüber dem Ursprungszustand hervor: „Dennoch dienen die Austernriffe heute für eine Vielzahl von Tieren als Habitat, so auch der heimischen Miesmuschel; sie sind Fischkinderstube und Schadstoffsenken. Zudem könnten die Riffe für den Küstenschutz nützlich sein, da sie mit ihrer hohen Widerstandsfähigkeit gegen hydromechanische Belastungen als natürliche Wellenbrecher dienen.“

Austernriffe als ökosystembasierte, weiche Küstenschutzlösung

„Die Riffe der Pazifischen Auster oder Felsenauster in der Nordsee tragen als ökosystembasierte Konzeptlösung in Kombination mit harten Küstenschutzmaßnahmen wie Wellenbrechern oder Deichen wesentlich zu einem kosteneffizienten und langfristig wirksamen Küstenschutz bei. Ganz abgesehen von den vielen Vorteilen für den Klimaschutz, die Artenvielfalt und als Biofiltrierer“, hebt Ulrich Karlowski, Biologe von der Deutschen Stiftung Meeresschutz, die Relevanz der Forschungsergebnisse hervor.

Zu den natürlichen Systemen des „weichen“ Küstenschutzes (Dämpfung von Wellen und Brandungswellen, Stabilisierung des Meeresbodens) zählen auch Seegraswiesen, Korallenriffe und Mangrovenwälder. Wobei Letztere in unseren Breitengraden nicht vorkommen.

  1. Pfennings, K., Hoffmann, T. K., Hitzegrad, J., Paul, M., Goseberg, N., & Wehrmann, A. (2024). Beyond annual metrics: Linking seasonal population dynamics to vertical oyster reef growth. Ecology and Evolution, 14, e70238. https://doi.org/10.1002/ece3.70238 ↩︎
  2. Die Studie über Magallana gigas ist im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projektes BIVA-WATT entstanden: https://www.tu-braunschweig.de/lwi/hyku/forschung/projekte/biva-watt ↩︎

Titelbild: Felsenaustern (Magallana gigas) bilden das Kaiserbalje-Riff im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. © C. J. Hitzegrad


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