Fisch-, Vogel- und Säugetierarten in Nord- und Ostsee haben es schwer. Denn die Belastung der Meeresökosysteme ist zu hoch. Darauf weist das Umweltbundesamt (UBA) anlässlich der aktuellen Berichte zum Zustand der deutschen Ostsee- und Nordseegewässer hin. Erstellt wurde diese Bestandsaufnahme von der Bundesregierung und den Küstenbundesländern für die EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL). Viel verbessert hat sich nicht. Allerdings sind die Probleme altbekannt: Eutrophierung (Überversorgung mit Nährstoffen), Fischerei und Vermüllung, hauptsächlich mit Kunststoffen. Weiterhin besorgniserregend ist das Eindringen nicht einheimischer Arten (Bioinvasoren).
Inhaltsverzeichnis
Probleme durch Fischerei, Landwirtschaft und Meeresmüll
Viel zu hoch: Belastung mit Nährstoffen gemäß der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie
In der deutschen Nordsee sind 55 Prozent der Gewässer sind von Eutrophierung betroffen. Die meisten Nährstoffe, wie Stickstoff oder Phosphor, stammen aus der konventionellen Landwirtschaft. Diese kontinuierliche Überdüngung führt zu Wassereintrübung, giftigen Algenblüten oder Todeszonen ohne Sauerstoff. Infolgedessen verursachen konventionelle Landwirte nicht nur einen dramatischen Verlust der Artenvielfalt an Land, sondern auch in unseren Küstengewässern.
Lediglich magere sechs Prozent der Nordseegewässer befinden sich diesbezüglich noch in gutem Zustand – ein Armutszeugnis deutscher Meeresschutzpolitik. Noch schlimmer sieht es an der deutschen Ostsee aus. Hier gibt es gar keine unbelasteten Gebiete mehr. Folglich befinden sich alle untersuchten Gewässer im Zustand der Eutrophierung.
Bisherige Bemühungen reichen bei Weitem nicht aus
Dazu sagt Maria Krautzberger, Präsidentin des UBA: „Die Befunde werden in das nächste nationale Maßnahmenprogramm ab 2022 einfließen. Dabei wird es nicht nur darum gehen, neue Maßnahmen zu ergreifen. Sondern auch darum, bereits vereinbarte Maßnahmen schneller und wirksamer umzusetzen. Die Belastung der Meeresökosysteme durch Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft und durch die Auswirkungen der Fischerei, zum Beispiel durch Grundschleppnetze auf den Meeresboden, sollten dabei Themen sein. Bei der Bekämpfung von Meeresmüll steht die Vermeidung von Kunststoffmüll an erster Stelle.“
Plastikmüll nach wie vor ein gigantisches Problem
In der südlichen Nordsee besteht etwa 90 Prozent des Mülls am Meeresboden und am Strand aus Kunststoffen. Während in deutschen Ostseegewässern der Plastikanteil des Mülls am Meeresboden bei 40 Prozent und an den Stränden bei 70 Prozent liegt. Dazu sagt Maria Krautzberger: „Das von der EU geplante Verbot bestimmter Einwegartikel auf Kunststoffbasis, wie Trinkhalme oder Wattestäbchen, ist ein Schritt in die richtige Richtung, um Kunststoffmüll und den Eintrag ins Meer zu verringern. Auch Recycling muss gestärkt werden, zum Beispiel mit hohen und verpflichtenden Recyclingquoten für die Hersteller.“
Bioinvasoren – Was machen die denn hier?
Zwischen 2011 und 2016 konnten in der Ostsee elf Bioinvasoren (neue, nicht einheimische Arten) nachgewiesen werden. Während es in der Nordsee 22 waren. Bereits im letzten Jahrhundert zugewanderte oder eingeschleppte Arten, wie die Pazifische Auster oder der Japanische Beerentang im Wattenmeer verändern die Ökosysteme sichtbar.
In erster Linie erreichen Bioinvasoren unsere Gewässer unbeabsichtigt. Zu nennen sind hier die Schifffahrt und marine Aquakulturen. Jetzt könnte das 2017 in Kraft getretene internationale Ballastwasser-Übereinkommen von Seeschiffen endlich für Entlastung sorgen.
Auch am Meeresboden sieht es schlimm aus – Verwüstung, wohin man blickt
Zerstörungen durch Grundschleppnetzfischerei an einem Tiefseeberg. Foto: CSIRO Marine Research
Neben den negativen Einflüssen der Eutrophierung leiden Meeresböden hauptsächlich unter großflächigen Zerstörungen durch Grundschleppnetzfischerei, vorrangig in der Nordsee.
Auch die Förderung von Rohstoffen, der Bau von Windenergieanlagen oder die Verlegung von Seekabeln und Pipelines beeinträchtigen den Meeresboden. All dies steigert die Belastung der Meeresökosysteme zusätzlich. Dabei wird ganz nebenbei noch viel Lärm verursacht. Davon betroffen sind primär unsere heimischen Schweinswale. All dies könnte verringert werden, wenn man es denn wollte. Denn es fehlt nach wie vor an No-Take-Zonen (keine Fischerei). Weiterhin müssten bauliche Eingriffe in die Lebensräume viel stärker am Schutz und am Erhalt der Meeresökosysteme ausgerichtet werden, als dies bisher der Fall ist.
Dringend gesucht: politische Maßnahmen auf internationaler Ebene für besseren Meeresschutz
Abschließend bringt Maria Krautzberger es auf den Punkt: „Es braucht politische Maßnahmen auf internationaler Ebene, um die Meere besser zu schützen. Aber natürlich kann auch jeder selbst etwas beitragen: Wir können etwa darauf achten, wie viel Kunststoffe wir verbrauchen und ob es Alternativen gibt; oder unsere Abfälle sauber trennen, damit sie recycelt werden können und nicht in den Meeren landen.“
Quelle: Umweltbundesamt (UBA)
Die EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL)
Seit 2008 gibt die MSRL (2008/56/EU) den Rahmen für einen ganzheitlichen Meeresschutz in der EU vor. Damit soll gemäß MSRL bis 2020 ein „guter Umweltzustand“ der Meere erreicht werden. Damit verpflichten sich die Mitgliedstaaten, die Belastung der Meeresökosysteme und den Zustand von marinen Arten anhand von elf Zielbeschreibungen (Deskriptoren) zu überwachen. In erster Linie sind dies sind die Belastung mit Nähr- und Schadstoffen, Müll, Unterwasserlärm, physische und hydromorphologische Beeinträchtigungen und biologische Störungen. Zur Umsetzung der Richtlinie hat Deutschland 2016 ein erstes Maßnahmenprogramm zum Schutz der Meeresgewässer verabschiedet. Deswegen liefern alle aktuellen Befunde die Grundlage für die 2021/2022 anstehende Überprüfung und Anpassung der Maßnahmen.
Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie mit ökosystembasierten Ansatz
Dabei folgt die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie einem ökosystembasierten Ansatz. Hierbei betrachtet man nicht nur den Zustand einzelner Arten, sondern ganze Lebensräume und wie man beides schützen kann. Ferner berücksichtigt die MSRL die Idee der intergenerationellen Verantwortung der heute lebenden Menschen.
Der gute Umweltzustand wird in der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie folgendermaßen definiert: „,Guter Umweltzustand‘ ist der Umweltzustand, den Meeresgewässer aufweisen, bei denen es sich um ökologisch vielfältige und dynamische Ozeane und Meere handelt, die im Rahmen ihrer jeweiligen Besonderheiten sauber, gesund und produktiv und deren Meeresumwelt auf nachhaltigem Niveau genutzt wird, sodass die Nutzungs- und Betätigungsmöglichkeiten der gegenwärtigen und der zukünftigen Generationen erhalten bleiben.“
Große Herausforderung dabei ist allerdings, einzelne, passende Grenzwerte zu bestimmen. Viele sind unrealistisch streng und kaum zu erreichen. Denn die MSRL empfiehlt, sich bei der Definition des guten Umweltzustands an der Situation in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu orientieren. Dies erweist sich in der heutigen Realität oft als Ding der Unmöglichkeit.
Historische Umweltdaten sind Mangelware
Zwar befanden sich europäischen Küsten im Referenzzeitraum bereits unter Druck durch den Menschen. Jedoch war insbesondere das Meerwasser in Nord- und Ostsee weitaus weniger belastet – vor allem, weil in der Landwirtschaft noch kein Kunstdünger eingesetzt wurde.
Vergleichsweise sehr viel geringer war auch der Eintrag von Abwässern und Fäkalien. Diesen verursachten damals einige wenige Küstendörfer und -städte. Damit stehen Wissenschaftler vor einem Problem: Es gibt kaum historische Daten darüber, wie hoch der Nährstoffeintrag in historischer Zeit war. Denn damals erfasste man derartige Umweltparameter, anders als heute, nicht systematisch und zentral.
Deshalb arbeitet man bei der Festlegung von Grenzwerten für die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie mit mathematischen Modellierungen. Dabei hofft man, dass diese die damalige Situation so gut wie möglich abbilden. Jedoch werden nicht einfach die errechneten historischen, niedrigeren Werte zugrunde gelegt. Stattdessen verwendet die MSRL höhere Zielwerte. Diese orientieren sich auch an der heute gemessenen Gewässergüte.
Nährstofffracht wird für die Ostsee hoch bleiben
Jedoch sind wesentlich niedrigere Nährstoffeinträge beispielsweise für die Ostsee langfristig kaum erreichbar. Denn die heutigen Böden tragen eine Last von über 150 Jahren Nährstoffzufuhr in sich. Selbst bei einem Dünge-Stop für die Landwirtschaft, was mit Blick auf die Nahrungsmittelproduktion unrealistisch ist, werden die Böden noch lange ihre Nährstofflast in die Ostsee abgeben.
Quellen: Umweltbundesamt (UBA) / world ocean review 4