Seit Mitte Februar grassiert vor der kalifornischen Küste eine für Meeressäuger und Seevögel wie Pelikane tödliche Pseudo-nitzschia-Algenpest. Trauriger Höhepunkt bisher ist der 20. April 2025. Rettungsteams des Southwest Fisheries Science Center von NOAA Fisheries (Fischereiabteilung der Wetter- und Ozeanografiebehörde der USA) bargen an diesem Sonntag 16 tote oder sterbende Gemeine Delfine an den Stränden von San Diego. Damit erhöht sich die Zahl an den Folgen der Algenpest verstorbener Delfine allein bei San Diego auf über 50. Bisher fielen Hunderte Kalifornische Seelöwen, Gemeine Delfine, zwei Grauwale, ein subadulter Zwergwal und ein junges Buckelwalweibchen der Algenpest zum Opfer. Der am 6. April entdeckte Zwergwal wurde mehrere Tage zuvor noch lebend im Hafen von Long Beach gesichtet. Er zeigte ein anormales Schwimmverhalten. Typisches Symptom des von den einzelligen Kieselalgen produzierten Nervengifts Domoinsäure. Wissenschaftler des Southwest Fisheries Science Center fanden bei 11 von 14 untersuchten Delfinen hohe Domoinsäurewerte.
Beliebteste Küstenabschnitte Südkaliforniens stark betroffen
Zu Beginn des diesjährigen Ausbruchs waren die Bezirke Los Angeles und Santa Barbara am schlimmsten betroffen. Anschließend breiten sich Pseudo-nitzschias bis nach San Diego aus. Es ist das vierte Jahr in Folge, in dem in dieser beliebten Küstenregion eine derartige Algenpest ausbricht. Ungewöhnlich ist der Zeitpunkt im Frühjahr. Normalerweise tritt das Phänomen in den Sommermonaten auf. Die Kieselalgen profitieren von einer komplexen Mischung aus zu viel Nährstoffen im Meerwasser, von der Klimakrise verursachten hohen Wassertemperaturen und anderen Faktoren.
Laut den letzten Bestandserfassungen von NOAA Fisheries leben geschätzt mehr als 1 Million Gemeine Delfine und etwa 250.000 Kalifornische Seelöwen entlang der Küste von Kalifornien. Experten gehen daher davon aus, dass die aktuelle Pseudo-nitzschia-Algenpest keine messbaren negativen Auswirkungen auf die Population der beiden Arten haben wird.
Domoinsäure: tödliches Algengift
Domoinsäure (C15H21NO6) ist eine der Glutaminsäure ähnliche Aminosäure. Sie verursacht bei Menschen die neurologische, mitunter tödliche „Amnesic Shellfish Poisoning“ (ASP), besser bekannt als „Muschelvergiftung“. Das Gift reichert sich über die Nahrungsnetze in Fischen, Muscheln und Tintenfischen an, auf die es sich nicht auswirkt. Bei Spitzenprädatoren dagegen kann es gesundheitsgefährdende, teils tödliche Konzentrationen erreichen. Wie Seelöwen und Delfine ernähren sich auch Buckel- und Zwergwale von kleinen Schwarmfischen wie Sardinen und Sardellen, die bekanntermaßen Domoinsäure anreichern.
Domoinsäure löst schwere Gedächtnisstörungen, Apathie, Desorientiertheit und irreversible Schädigungen des zentralen Nervensystems aus. Erkrankte Tiere können nicht mehr schwimmen, ihr Verhalten ist unberechenbar, sie wackeln mit dem Kopf, ihre Augen treten hervor, sie haben Schaum vor dem Mund. Sämtliche der bisher über 100 gestrandeten Gemeinen Delfine (Delphinus delphis) starben oder mussten eingeschläfert werden.
Triage am Strand
Während Helfer den Delfinen meist nicht helfen können, sind die Chancen für Kalifornische Seelöwen (Zalophus californianus) mit Domoinsäure-Vergiftungen besser. Autorisierte Partner des West-Coast-Meeressäuger-Rettungsnetzwerks von NOAA Fisheries, konnten bis Ende März 2025 mehr als 150 Seelöwen gegen Domoinsäurevergiftung behandeln.
„Wir müssen eine Triage durchführen, um die Tiere zu identifizieren, bei denen wir die größten Chancen haben, etwas zu bewirken“, erklärte John Warner, Geschäftsführer des Marine Mammal Care Center in Los Angeles. Gegenüber NOAA-Fisheries1 sagte Warner, dass Rettungsteams manchmal Delfine finden, die im flachen Wasser in der Nähe des Strandes im Kreis schwimmen.

© NOAA Fisheries
2024 kam es zum dritten Mal hintereinander im Sommer vor der Küste von Südkalifornien zu einer Pseudo-nitzschia-Algenblüte. Einsatzkräfte vom Channel Islands Marine & Wildlife Institute (CIMWI) und vom Marine Mammal Center in Sausalito retteten fast 150 Kalifornische Seelöwen, drei Gemeine Delfine und vier Nördliche Seebären.
2023 wurden sogar über 1.000 Seelöwen Opfer der giftigen Algen. Mehr als 500 starben. Erstmals traf es damals auch Delfine. Mindestens 110 Tiere starben.
Anders als bei der vor der Küste von Florida auftretenden, gefürchteten Roten Flut (red tide) – ausgelöst durch Neurotoxine emittierende einzellige, ungepanzerte Dinoflagellaten –, ist eine Pseudo-nitzschia-Algenblüte lokal begrenzt und nur selten von langer Dauer. Das Jahr 2015 war eine Ausnahme. Damals dauerte die Algenpest vom Frühjahr bis in den Sommer. Sie erstreckte sich zudem von Santa Barbara bis nach Alaska und erreichte ein bis dahin beispielloses Ausmaß. Hunderte Kalifornische Seelöwen starben durch Vergiftungen mit Domoinsäure.
Das Southern California Coastal Ocean Observing System überwacht den Domoinsäurespiegel vor Südkalifornien und macht Domoinsäure-Vorhersagen für die kalifornische Küste.
Meeressäuger-Rettungsnetzwerke reagieren
NOAA Fisheries koordiniert die Strandungsmeldungen über das West Coast Marine Mammal Stranding Network. Strandbesucher und Haustiere sollen sich von Seelöwen fernhalten. Vorzugsweise mindestens 100 Meter. „Diese Tiere können unberechenbar sein, und das macht sie gefährlich. Daher ist es wichtig, die Tiere zu melden, gleichzeitig aber der eigenen Sicherheit zuliebe darauf zu achten, Abstand zu halten“, warnt Justin Viezbicke, Strandungskoordinator von NOAA Fisheries.
Die dem NOAA-Rettungsnetzwerk angeschlossenen Partnerorganisationen meldeten Ende März 2025 täglich mehr als 100 Anrufe mit Meldungen zu erkrankten Seelöwen oder Delfinen. Manche Tiere erleiden am Strand krampfartige Anfälle oder scheinen mit dem Kopf zu wippen, während andere bereits verstorben sind.
„Es fordert einen emotionalen Tribut vor Ort“, betont John Warner. „Jahr für Jahr wird es schwieriger. Jede unserer Organisationen bemüht sich, so vielen Tieren wie möglich zu helfen. Aber wir haben nicht die Ressourcen, um jedes einzelne zu retten.“
Titelfoto: Channel Islands Marine & Wildlife Institute (CIMWI)
Giftige Algen in Nord- und Ostsee
Unter den mehr als 10.000 bekannten Algenarten der Weltmeere kennt man etwa 100, die toxische Verbindungen produzieren. Damit sind die Giftmischer zwar klar in der Minderheit. Doch sie profitieren in zunehmendem Maße von der Überdüngung der Küstengewässer. Nervengifte absondernde Algen gibt es auch bei uns in Nord- und Ostsee (Blaualgen bzw. Cyanobakterien).
Massenhaftes Auftreten von Rotalgen und andere Algenarten sorgen zudem in der Ostsee regelmäßig für die Ausbildung sogenannter sauerstoffarmer Todeszonen. So bedeckten Cyanobakterien im Sommer 2010 in der Ostsee eine Fläche, die in etwa der Landfläche ganz Deutschlands entsprach. Für Deutschland gibt es ein Algenfrüherkennungssystem (AlgFES) mit dem regelmäßig aktualisierten „Algenreport“.
Fischsterben in der Oder durch eine giftige Goldalge
Zu den Giftmischern, die in Brack- und salzigem Flusswasser zu Hause sind, zählt auch die Mikroalge Prymnesium parvum. Seit dem Spätsommer 2022 besser bekannt als Goldalge. Denn auf ihr Konto geht ein verheerendes Tiersterben in der Oder. Die einzelligen Goldalgen, die mit zwei beweglichen Flagellen ausgestattet sind, bilden eine ganze Reihe von Toxinen.
Von polnischen Bergwerken in den Fluss entsorgtes Salz, Nährstoffe aus der konventionellen Landwirtschaft in Kombination mit hohen Temperaturen und einem niedrigen Wasserstand verursachten damals eine verheerende Algenblüte. In der Folge starben tausende Fische, Muscheln, Schnecken und andere Algen. Das Flussökosystem der Oder brach bis in die Ostsee hinein zusammen. Der giftigen Alge fielen mindestens 1.000 Tonnen Fische zum Opfer.
Meeressäuger-Rettung in Deutschland?
Käme es entlang der deutschen Nord- und Ostseeküste zu einer vergleichbaren Massenausbreitung von giftigen Algen, gäbe es für unsere heimischen Meeressäuger (Seehund, Kegelrobbe und Schweinswal) keine Rettung.

In Deutschland existiert kein qualifiziertes, professionelles Meeressäuger-Rettungsnetzwerk. Das Meeressäuger-Management in Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein und damit auch die Aufsicht über das Strandungsgeschehen kranker Tiere liegt in den Händen nicht für diese Tätigkeit qualifizierter Hobbyjäger.
In Mecklenburg-Vorpommern dagegen sind viele Interessengruppen als Netzwerk in das Monitoring und Management von heimischen Meeressäugern (Seehunde, Kegelrobben und Schweinswale) eingebunden. Anders als in Schleswig-Holstein ist der Umgang mit Tieren in Not nicht Seehundjägern vorbehalten. Statt mit „Feuer und Schwert“ versucht man mit Empathie und viel ehrenamtlichem Engagement die Populationen zu schützen und Tierverluste, wenn irgend möglich, zu vermeiden.
- NOAA-Fisheries: Early Bloom of Toxic Algae off Southern California Sickens Hundreds of Sea Lions and Dolphins ↩︎
Update: überarbeiteter und mit neuem Datum veröffentlichter Beitrag