Giftige Algen vor kalifornischer Küste: tödliche Gefahr

Seit drei Jahren kommt es in den Sommermonaten vor der Küste von Südkalifornien zu toxischen, für Meerestiere tödlichen Algenblüten. Einsatzkräfte vom Channel Islands Marine & Wildlife Institute (CIMWI) und vom Marine Mammal Center in Sausalito haben seit dem 26. Juli fast 150 Kalifornische Seelöwen, drei Gemeine Delfine und vier Nördliche Seebären gerettet. CIMWI berichtet, dass sie täglich etwa 100 Meldungen über desorientierte, offensichtlich kranke Robben erreichen, darunter viele Mehrfachmeldungen.

2023 erkrankten über 1.000 Seelöwen (Zalophus californianus). Mehr als 500 starben. Erstmals töteten die giftigen Algen vor Südkalifornien auch Delfine. Mindestens 110 Tiere fielen der Algenvergiftung zum Opfer. Nach Angaben der US-Fischereiabteilung der Wetter- und Ozeanografiebehörde (NOAA Fisheries) handelt es sich um Pseudo-nitzschia Kieselalgen. Sie produzieren das Neurotoxin Domoinsäure. Es reichert sich über die Nahrungsnetze in Fischen, Muscheln und Tintenfischen an. Bei Menschen löst es „Amnesic Shellfish Poisoning“ (ASP), besser bekannt als „Muschelvergiftung“, aus. Hier kann das Pseudo-nitzschia-Toxin zu schweren Gedächtnisstörungen, irreversiblen Schädigungen des zentralen Nervensystems bis zum Tode führen.

Verheerende Folgen einer Muschelvergiftung

Bei den vor Südkalifornien lebenden Seelöwen verursacht eine Vergiftung mit Domoinsäure krampfartige Anfälle und andere schwerwiegende Schädigungen. Die Tiere können nicht mehr schwimmen, ihr Verhalten ist unberechenbar, sie wackeln mit dem Kopf, ihre Augen treten hervor, sie haben Schaum vor dem Mund. Überlebende Seelöwen erleiden Hirnschäden und irreparable Orientierungs- und Gedächtnisverluste.

Kalifornische Seelöwen sterben durch giftige Algen.

© NOAA Fisheries

Tödliche Algenblüte breitet sich aus

Im Channel Islands Marine & Wildlife Institute (CIMWI) in Santa Barbara gibt es eine Seelöwen-Rettungsstation. „Wir erhalten jeden Tag mehr als 200 Meldungen von Meeressäugern in Not“, wird Mitgründerin und Institutsleiterin Ruth Dover von der NOAA zitiert. Strandbesucher werden gebeten, jedes Tier zu melden. Denn je schneller ein Tier behandelt werden kann, desto größer sind die Chancen, dass es gesund wird und wieder ausgewildert werden kann.

Giftige Algen vor Kalifornien keine Seltenheit

Saisonale Ausbrüche von Domoinsäurevergiftungen sind entlang der kalifornischen Küste keine Seltenheit. Anders als bei der vor der Küste von Florida auftretenden, gefürchteten Roten Flut (red tide) – gleichfalls ausgelöst durch Neurotoxine emittierende Kieselalgen –, ist eine Pseudo-nitzschia-Algenblüte lokal begrenzt und nur selten von langer Dauer. 2015 war eine Ausnahme. Damals dauerte die Algenpest vom Frühjahr bis in den Sommer. Sie erstreckte sich zudem von Santa Barbara bis nach Alaska und erreichte ein bis dahin beispielloses Ausmaß. Hunderte Kalifornische Seelöwen starben.

Die Domoinsäure produzierenden Kieselalgen profitieren von einer komplexen Mischung aus zu viel Nährstoffen im Meerwasser, von der Klimakrise verursachten, hohen Wassertemperaturen und anderen Faktoren. Das Gift der Einzeller reichert sich in den Nahrungsnetzen immer stärker an. Als Top-Prädatoren erreicht es dann bei Seelöwen und Delfinen gesundheitsgefährdende, teils tödliche Konzentrationen.

Meeressäuger-Rettungsnetzwerke reagieren

NOAA Fisheries koordiniert die Strandungsmeldungen über das West Coast Marine Mammal Stranding Network. Strandbesucher und Haustiere sollen sich von Seelöwen an Land fernhalten. Vorzugsweise mindestens 100 Meter. „Diese Tiere können unberechenbar sein, und das macht sie gefährlich. Daher ist es wichtig, die Tiere zu melden, gleichzeitig aber der eigenen Sicherheit zuliebe darauf zu achten, Abstand zu halten“, warnt Justin Viezbicke, Strandungskoordinator von NOAA Fisheries.

Je schneller ein Seelöwe behandelt werden kann, desto größer sind seine Chancen, dass er gesund wird und wieder ausgewildert werden kann.

„Unser Team von äußerst engagierten, qualifizierten und fürsorglichen Freiwilligen arbeitet von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Kümmert sich um alle Seelöwen und bewertet jedes Tier einzeln“, erklärt CIMWI-Geschäftsführerin Ruth Dover. „Manche Tiere werden in einem mit Hinweisen versehenen Sicherheitsbereich unter Beobachtung gestellt, damit wir ihre Symptome überwachen können. Andere werden aufgrund ihres Zustands geborgen.“

Titelfoto: Ocean Image Bank/Jeff Hester


Giftige Algen in Nord- und Ostsee

Unter den mehr als 10.000 bekannten Algenarten der Weltmeere kennt man etwa 100, die toxische Verbindungen produzieren. Damit sind die Giftmischer zwar klar in der Minderheit. Doch sie profitieren in zunehmendem Maße von der Überdüngung der Küstengewässer. Nervengifte absondernde Algen gibt es auch bei uns in Nord- und Ostsee (Blaualgen bzw. Cyanobakterien). Massenhaftes Auftreten von Rotalgen und andere Algenarten sorgen zudem in der Ostsee regelmäßig für die Ausbildung sogenannter sauerstoffarmer Todeszonen. So bedeckten Cyanobakterien im Sommer 2010 in der Ostsee eine Fläche, die in etwa der Landfläche ganz Deutschlands entsprach. Für Deutschland gibt es ein Algenfrüherkennungssystem (AlgFES) mit dem regelmäßig aktualisierten „Algenreport“.

Fischsterben in der Oder durch eine giftige Goldalge

Zu den Giftmischern, die in Brack- und salzigem Flusswasser zu Hause sind, zählt die giftige Mikroalge Prymnesium parvum. Seit dem Spätsommer 2022 besser bekannt als Goldalge. Denn auf ihr Konto geht ein verheerendes Tiersterben in der Oder. Die einzelligen Goldalgen, die mit zwei beweglichen Flagellen ausgestattet sind, bilden eine ganze Reihe von Toxinen.

Zu viel, von Bergwerken aus Polen in den Fluss entsorgtes Salz, Nährstoffe aus der konventionellen Landwirtschaft in Kombination mit hohen Temperaturen und einem niedrigen Wasserstand verursachten eine Algenblüte. In der Folge verendeten tausende Fische, Muscheln, Schnecken und andere Algen. Das Flussökosystem der Oder brach bis in die Ostsee hinein zusammen. Der giftigen Alge vielen mindestens 1.000 Tonnen Fische zum Opfer.

Meeressäuger-Rettung in Deutschland?

Käme es entlang der deutschen Nord- und Ostseeküste zu einer vergleichbaren Massenausbreitung von giftigen Algen, gäbe es für unsere heimischen Meeressäuger (Seehund, Kegelrobbe und Schweinswal) keine Rettung.

Seehundjäger mit einem jungen Seehund am Strand von St. Peter-Ording.

In Deutschland existiert kein qualifiziertes, professionelles Meeressäuger-Rettungsnetzwerk. Das Meeressäuger-Management und damit auch die Aufsicht über das Strandungsgeschehen kranker Tiere liegt in den Händen nicht für diese Tätigkeit qualifizierter Hobbyjäger.

Update: überarbeiteter und mit neuem Datum veröffentlichter Beitrag


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