Endstation Tiefsee. In einer 2.250 km langen Tiefseerinne, dem Kurilen-Kamtschatka-Graben im Westpazifik, fanden Senckenberg-Forscherinnen, unterstützt vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) und der Goethe-Universität Frankfurt, unerwartet große Mengen Plastik in der Tiefsee. Sowohl Makro- als auch Mikroplastik. Um die Plastik-Senke im tiefen Ozean zu entdecken, verwendeten die Wissenschaftler Sedimentproben sowie mit Schleppnetzen und einem Epibenthosschlitten ans Tageslicht beförderte Proben aus Tiefen von bis zu 9.600 Metern. Dies war der tiefste Einsatz von Schleppnetzen zur Erforschung der Plastikverschmutzung, der jemals stattgefunden hat. Sämtliche Proben wurden im Sommer 2016 während der deutsch-russischen Expedition Kurambio II an Bord des Forschungsschiffes RV Sonne gesammelt. Das Ergebnis zeigt, dass die Tiefsee immer mehr zum Mülleimer der Meere wird. Daher sehen die Wissenschaftlerinnen die Biodiversität am tiefsten Meeresgrund in Gefahr.
Die 20221 und 20232 veröffentlichten Senckenberg-Studien über die Funde von überraschend viel Plastik in der Tiefsee bestätigen andere wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse, die in der Tiefsee eine bedeutende Plastikmüll-Senke sehen.
Mikroplastik
Mikroplastik ist überall, belastet jedes Ökosystem der Erde. Auch die Ozeane und hier die tiefen maritimen Gräben, tausende Meter unter dem Meeresspiegel. Wie man jetzt weiß, sind sie „letzte Ruhestätte“ für beunruhigend große Mengen der kleinen Plastikteilchen. Insgesamt 14 verschiedene Plastikarten befanden sich in den Proben aus dem Kurilen-Kamtschatka-Graben. Unter den häufigsten Polypropylen. Ein Standardkunststoff, der weltweit für Verpackungen eingesetzt wird. Auch auf viel Mikroplastik von Acrylaten und Polyurethan, die in Lacken enthalten sind, stießen die Forscherinnen.
In jeder einzelnen der entnommenen Sedimentproben wiesen die Wissenschaftler Mikroplastik-Teilchen nach – pro Kilogramm Sediment zwischen 215 und 1596 Partikel. Foto: AWI

„Wir haben insgesamt 13 Proben an sieben verschiedenen Stationen des Grabens genommen, in Tiefen zwischen 5.740 und 9.450 Metern. Keine einzige davon war frei von Mikroplastik“, berichtet die Senckenberg-Forscherin Serena Abel. „Pro Kilogramm Sediment haben wir zwischen 215 und 1.596 Mikroplastik-Teilchen nachgewiesen – eine so große Menge hätte zuvor niemand erwartet.“
In der licht- und wellenlosen Meeresumwelt der Tiefsee bleiben diese Polymere recht stabil. Wahrscheinlich findet keine weitere Zerkleinerung oder Abbau statt. Die Forscherinnen vermuten, dass Mikroplastik höchstwahrscheinlich auf dem Meeresboden landet, ohne in kleinere Teile zu zerfallen.
Überraschende Dynamik am tiefsten Meeresboden
Überrascht war das Forschungsteam von den großen Unterschieden zwischen den einzelnen Proben. „Bislang galt der tiefste Meeresgrund als eine vergleichsweise unbeeinflusste und stabile Umgebung, in der sich das Mikroplastik ablagert und an einem Ort verbleibt. Umso erstaunter waren wir, dass auch Proben, die nur wenige Meter voneinander entfernt entnommen wurden, ganz unterschiedlich aufgebaut waren“, berichtet Abel. „Das zeigt, was für eine dynamische Umgebung die tiefsten Bereiche der Tiefsee tatsächlich sind. Nicht nur spezielle Strömungen und Wirbel, sondern auch die Organismen, die hier heimisch sind, halten das Sediment in Bewegung.“

Das Kopflose Hühnermonster ist eine Tiefsee-Seegurke, die schwimmen kann. Die Art gehört zu den Sedimentreinigern der Tiefsee. © NOAA Ocean Exploration and Research
Makroplastik
Auf der Suche nach größerem Plastik in der Tiefsee beprobte das Forscherteam im Kurilen-Kamtschatka-Graben 13 Stationen in Tiefen zwischen 5.134 und 9.582 Metern mithilfe von Schleppnetzen und einem Epibenthosschlitten.

„Unsere Ergebnisse sind alarmierend: In allen Proben haben wir (Makro-) Plastikmüll gefunden – mit einer Gesamtzahl von 111 Gegenständen“, erläutert Angelika Brandt. Dabei waren Industrieverpackungen und Material, das der Fischerei zugeordnet werden kann, die häufigsten Müllkomponenten. Mit 33 Prozent waren Schnüre und Kordeln die häufigsten Hinterlassenschaften, gefolgt von Kunststofffragmenten (23 %) und Industrieverpackungen (11 %).
Der Tiefsee-Meeresboden darf keine Halde für Plastikmüll werden
„Jedes Jahr gelangen schätzungsweise 2,4 bis 4 Millionen Tonnen Plastik über die Flüsse ins Meer, als Folge des extremen weltweiten Plastikkonsums und der schlecht organisierten Müllentsorgung. Ein beträchtlicher Teil davon sinkt zum Meeresboden und sammelt sich im Sediment an oder wird durch Strömungen bis in die tiefsten Regionen weitertransportiert, wo es sich letztendlich ablagert. So wird die Tiefsee zum ‚Endlager des Mülls‘“, mahnt Brandt.
Die Position des Kurilen-Kamtschatka-Grabens und die hier herrschenden hohen Sedimentationsraten machen ihn zu einem potenziellen Standort für eine umfangreiche Kunststoffverschmutzung. Dieser abgelegene Tiefseegraben könnte eines der am stärksten mit Plastik kontaminierten Meeresgebiete sein, schreiben die Forscherinnen. Eine ozeanische Ablagerungszone für Plastik in der Tiefsee. Das ist gefährlich, denn die Biodiversität am Grund des Grabens ist hoch – soweit bislang bekannt. Höher als in weniger tiefen Bereichen dieses Grabens.
„Genau diese hohe Biodiversität in der Tiefsee wird durch die starke Verschmutzung mit Mikroplastik nun besonders gefährdet! Unsere Ergebnisse unterstreichen die Dringlichkeit neuer politischer Maßnahmen für die Abfallbehandlung und die Kunststoffproduktion! Der Meeresboden darf keine Halde für Plastikmüll werden!“
Dr. Serena Abel & Prof. Dr. Angelika Brandt, Senckenberg Naturmuseum Frankfurt

- Serena M. Abel, Sebastian Primpke, Fangzhu Wu, Angelika Brandt, Gunnar Gerdts, Human footprints at hadal depths: interlayer and intralayer comparison of sediment cores from the Kuril Kamchatka trench, Science of the Total Environment, Volume 838, Part 2, 2022. https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2022.156035 ↩︎
- Serena M. Abel, Fangzhu Wu, Sebastian Primpke, Gunnar Gerdts, Angelika Brandt (2023): Journey to the deep: plastic pollution in the hadal of deep-sea trenches. Environmental Pollution, Volume 333, https://doi.org/10.1016/j.envpol.2023.122078 ↩︎
Grafik: Seas At Risk
„Seas At Risk gratefully acknowledges funding support from EU LIFE Programme. The content is the sole responsibility of Seas At Risk. It should not be regarded as reflecting the position of the funder.“
