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Das vom Niederländer Boyan Slat initiierte Projekt Ocean Cleanup will Unmögliches. Speziell entwickelte Ozean-Filter-Systeme (lange Meeresreusen) sollen 90 Prozent des gesamten Kunststoffabfalls aus den Weltmeeren „fischen“. Zuerst ist der Große Pazifische Müllteppich an der Reihe. Trotz vielfältiger Kritik an Sinnhaftigkeit, Effektivität, Ressourcenverbrauch und Nachhaltigkeit des Vorhabens.
Inhaltsverzeichnis
Projekt The Ocean Cleanup
In nur fünf Jahren will The Ocean Cleanup die Hälfte des Plastikmülls aus dem pazifischen Müllstrudel herausfischen. Dieser Müllstrudel kreist im Pazifik, zwischen der Westküste der USA und Hawaii. Die dort im Uhrzeigersinn zirkulierende Mülldeponie erstreckt sich über eine Fläche von der Größe Zentraleuropas. Deshalb nennt man sie auch „Great Pacific Garbage Patch“ (Großer Pazifischer Müllteppich).
Jedoch befinden sich rund 70 Prozent der im Meer befindlichen Plastikabfälle am Meeresgrund. Damit sind sie für Ozean-Filter unerreichbar. Weitere etwa 15 Prozent treiben Wind und Wellen gleich wieder an Land zurück. Vom verbleibenden Rest ist vieles als Mikroplastik bereits in so kleine Teile zermahlen, dass es von den Filtern nicht erfasst werden kann.
Erste Tests enttäuschen
Die von The Ocean Cleanup entwickelten Ozean-Filter bestehen netzbewehrten Röhrensystemen. Das Versuchsmodell System 001 beispielsweise bestand aus zu einem Halbrund geformten schwimmenden Röhren. Die Systeme sollen an der Meeresoberfläche treibenden Plastikmüll abfischen. Anschließend wird der derart umarmte Müll in regelmäßigen Abständen von Versorgungsschiffen eingesammelt. Diese liefern ihn dann in an Land befindlichen Recyclinganlagen ab. Soweit die Theorie.

Am 9. September 2018 schließlich, wurde es ernst. Ein 600 m langes Ocean Cleanup-Rohr, System 001 oder „Wilson“ genannt, verließ im Schlepptau eines Versorgungstrawlers San Francisco in Richtung des Großen Pazifischen Müllstrudels (Great Pacific Garbage Patch). Am 3. Januar 2019 musste die Mission abgebrochen werden. Denn ein 18 m langes Teilstück des Cleanupgeräts hatte sich selbständig gemacht.
Neuer Versuch: System 002, „Jenny“
Ende Juli 2021 schließlich brach The Ocean Cleanup mit dem umkonstruierten, jetzt auf 800 m vergrößerten System 002, Codename „Jenny“, von der Basis im kanadischen Victoria (British Columbia) erneut zum Great Pacific Garbage Patch auf.
Bei den bis Anfang September durchgeführten Tests war System 002 allerdings nur 120 Stunden (5 Tage) einsatzbereit. In dieser Zeit entfernte es 8,2 Tonnen Plastik aus dem Meer. Bei weiteren Tests sammelte „Jenny“ dann bis zum 22. September 2021 etwa 3,8 Tonnen Plastikmüll.
Bei allen neun Tests habe System 002 nach Angaben von The Ocean Cleanup insgesamt knapp 29 Tonnen auf der Meeresoberfläche treibenden Plastikmüll abgefischt. Ein recht bescheidenes Ergebnis. Denn allein im Großen Pazifischen Müllstrudel sollen Schätzungen zufolge etwa 79.000 Tonnen Plastikmüll herumtreiben – verteilt über eine Fläche dreimal so groß wie Frankreich. Geplant ist allerdings, dass bei längeren Testfahrten nun deutlich mehr Plastik zusammen kommt.
Wie effektiv ist The Ocean Cleanup?
Angesichts des von Slat und seinen Mitstreitern seit 2013 ausgelösten Hype, „endlich die unfassbaren Mengen an Plastikteilen aus dem Meer entfernen zu können“, gehen gleich mehrere entscheidende Aspekte unter. Einer sind die Myriaden von Kleinstlebewesen (Quallenpolypen, Phyto- und Zooplankton, Fischlarven, u. v. a. m.), die auf und an den treibenden Kunststoffteilen als Erstbesiedler neue Lebensräume gefunden haben. Auch deshalb warnen Experten seit Jahren vergeblich davor, dass The Ocean Cleanup und und andere Ozean-Filter mehr Schaden als Nutzen anrichten.
„Sie haben ich weiß nicht wie viele Millionen Dollar ausgegeben, um die Netzfischerei zu erfinden. Wieviel Plastik sammeln sie für all die Zeit und die fossilen Brennstoffe, die sie verbrennen, und was fangen sie sonst noch?“
Miriam Goldstein vom Thinktank Center for American Progress
Sensibles Meeserökosystem in Gefahr
Zudem könnten die Sammelarme ein noch rätselhaftes Meeresökosystem zerstören – das Neuston. Dabei handelt es sich um lebende Inseln. Ende Januar 2019 machte Meeresforscherin Rebecca Helm von der University of North Carolina, Asheville, in The Atlantic auf diese sensiblen Meereslebensgemeinschaften aufmerksam. Sie sieht im Ocean Cleanup Filtersystem eine große Gefahr.
„Es scheint ein zu großes Risiko zu sein, das gesamte Ökosystem an der Meeresoberfläche so stark zu stören, besonders weil es eines ist, das wir kaum kennen. Das Neuston ist eine fremde Welt, die ebenso bizarr wie schön ist. Noch ist es möglich, die Vernichtung dieses seltsamen Ökosystems zwischen Meer und Himmel zu verhindern“.
Rebecca Helm, University of North Carolina
Ressourcenverbrauch, Nachhaltigkeit, ökologischer Rucksack
Bislang zeigt sich, dass das Projekt vergleichsweise uneffektiv ist. Man verbraucht viele Ressourcen, ist weder klimafreundlich und noch nachhaltig orientiert. Fraglich ist auch, ob die Geräte den harschen Bedingungen der Meeresrealität über längere Zeit standhalten. Hinzu kommt ein schwerer ökologischer Rucksack*.
„Ocean Cleanup hat 8 Jahre und 51 Millionen US$ an Spenden benötigt, um ein System zu entwickeln, das im letzten Monat (dem Testmonat) 8,2 t Plastik aus dem Meer entfernt hat.“
New York Post, September 2021
Den Wasserhahn zudrehen, statt die Badewanne mit einem Fingerhut leeren!
„Sönke Hohn, ein auf mathematische Modellierung spezialisierter Biologe am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung, ist einer der vielen Skeptiker des Ocean Cleanup. Letztes Jahr veröffentlichte Hohn in Zusammenarbeit mit Forschern aus dem England und Deutschland eine Analyse darüber, wie viel es kosten würde, wenn das Ocean Cleanup nur das schwimmende Plastik in den fünf größten Müllstrudeln einsammeln würde.
Hohn und seine Kollegen nahmen die derzeitige Menge an Plastik im Meer, addierten die jährlichen Einträge und verglichen sie mit der Menge an Plastik, die durch das erfolgreiche Pilotprojekt von Ocean Cleanup gesammelt wurde. Hohns Berechnungen ergaben, dass die Bemühungen des Ocean Cleanup in geschätzten 20 Jahren keine spürbaren Auswirkungen auf die Plastikmenge im Meer haben würden. Um auch nur einen Bruchteil von einem Prozent der Gesamtmenge zu reinigen, müsste das Ocean Cleanup bis 2150 ununterbrochen laufen.
Selbst als Hohn die Flotte künstlich auf 200 Ozean-Filter vergrößerte, konnte das Projekt nur fünf Prozent des schwimmenden Plastiks auffangen. – „Das war ein optimistisches Szenario”, sagt Hohn.”
Ryan Stuart aus Vancouver Island (British Columbia) in einem Text im Hakai magazine vom 21.09.2021
Es bedarf globaler, grundlegender Änderungen bei Verbrauch und Umgang mit Kunststoffen. Ändert sich nichts, werden im Jahr 2040 schätzungsweise bis zu 29 Millionen Tonnen Plastikabfälle jährlich in den Ozeanen enden. Damit könnte man auf jedem Meter Küstenlinie der Welt 50 Kilogramm Plastikmüll abladen.
Alle Fotos: © The Ocean Cleanup
* Was ist der ökologische Rucksack?
Der ökologische Rucksack drückt das Gewicht aller natürlichen Rohstoffe aus, die für unseren Konsum anfallen. Sprich: Alle Produkte inklusive ihrer Herstellung, Nutzung und Entsorgung. Für das Autofahren zählt man zum Beispiel nicht nur das Auto selbst und das Benzin, sondern anteilig auch die Eisenerzmine, die Stahlhütte und das Straßennetz.
Alle Rohstoffe zusammengezählt ergeben eine Maßzahl für die Belastung der Umwelt. Denn die Förderung von Rohstoffen ist nicht nur ein Eingriff in das natürliche Gleichgewicht der Erde, sondern wird irgendwann als Abfall an die Natur zurückgegeben. Je weniger natürliche Rohstoffe wir verbrauchen, desto geringer sind auch unsere Umweltauswirkungen.
Mein ökologischer Rucksack | Der Ressourcenrechner des Wuppertal Instituts (ressourcen-rechner.de)
Quelle: Wuppertal Institut
Weiterführende Informationen
- The Dream of Scooping Plastic From the Ocean Is Still Alive – and Problematic
- Scientific Reports: Evidence that the Great Pacific Garbage Patch is rapidly accumulating plastic
- Scooping Plastic Out of the Ocean Is a Losing Game – Hakai magazine
- Ocean Cleanup struggles to fulfill promise to scoop up plastic at sea – New York Post
- Plastik in Ozeanen: Schwimmende Müllschlucker sind nicht die Lösung – wissenschaftlichen Studie, Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT)
- Forscher warnen vor Ozean-Filtern – süddeutsche.de
- Wie das Ocean-Cleanup-Projekt ein komplett unbekanntes Ökosystem in Gefahr bringt
- Einwegplastik-Richtlinie – wo steht die EU?
- Erfolgreicher Einsatz gegen Meeresmüll
- Küsten- und Flusssäuberungen