Red Tide (Rote Flut) – Giftgas aus dem Meer

1 Minute

Red Tide – Rote Flut, so nennt man in den USA eine gefürchtete, hochtoxische Algenblüte. Denn bei einer Red Tide treibt auf der Meeresoberfläche eine rötliche Schicht. Gebildet von Milliarden winziger, einzelliger Dinoflagellaten der Art Karenia brevis. Sie emittieren ein Nervengas. Dann treiben Giftgaswolken über das Meer bis ans Land. Millionen Fische sterben. Aber auch größere Meerestiere wie Delfine, Manatis, Haie oder Meeresschildkröten haben kaum eine Chance. An Land sind Menschen, die das Gas einatmen, in Gefahr.

Selten nur werden die Folgen industrialisierter Landwirtschaft für die Meeresumwelt so deutlich und so tragisch sicht- und greifbar wie bei einer Red Tide. Denn Auslöser der Roten Flut sind in der Regel Nährstoffe aus der übermäßigen Düngung landwirtschaftlicher Flächen. Doch auch von Rasenflächen oder aus Kläranlagen gelangt zu viel unerwünschter Dünger ins Meer. Deshalb kommt die Rote Flut immer wieder. Wie im Golf von Mexiko. Zuletzt traf es dort die texanische Golfküste im September 2023.

Gefährliche Kettenreaktion

Eine Rote Flut entsteht in drei Schritten. Grundvoraussetzung ist eine massive Überdüngung mit Stickstoff und Phosphor im Meerwasser. Anschließend kommt es zu einer explosionsartigen Vermehrung von Cyanobakterien der Gattung Trichodesmium. Mithilfe des Enzyms Nitrogenase bilden diese primitiven, zellkernlosen Organismen (früher als Blaualgen bezeichnet) aus im Meerwasser vorhandenem Stickstoff organische Verbindungen. Erst dann betritt mit der Kieselalge Karenia brevis der unheimliche Hauptakteur die Bühne.

Giftige Einzeller verursachen die Rote Flut

Denn die jetzt reichlich im Meerwasser vorhandenen organischen Verbindungen sind ein gefundenes Fressen für die zum normalen Phytoplankton gehörenden einzelligen Dinoflagellaten. In der Folge kommt es zur explosionsartigen Massenvermehrung von Karenia brevis. Die Winzlinge verursachen die Red Tide. Sie kann sich auf mehreren Quadratkilometern Meeresoberfläche ausbreiten und sehr lange dauern.

Red Tide vor Sarasota.

Red Tide vor Sarasota. Quelle: Sarasota Dolphin Research Program – Facebookseite

Giftgas aus dem Meer

Beim Ausbruch einer Roten Flut färben viele Milliarden Dinoflagellaten nicht nur die Wasseroberfläche rot. Wie nach einem militärischen Giftgasangriff wehen über den rötlichen Teppichen von Karenia brevis emittierte Neurotoxine. Und die haben es in sich. Fische, Delfine, Wale oder Seekühe, die in eine Red Tide geraten, sterben. Unmittelbar oder an den Spätfolgen, wenn die Rote Flut längst vorbei ist, an vergifteter Nahrung. So verendeten bei einer einzigen Algenpest vor der Küste von Florida mehrere Millionen Fische und Hunderte Seekühe.

An Land getriebene Giftgaswolken lösen bei Menschen schwere Schleimhautreizungen und Atemprobleme aus. Zusätzlich kann der Verzehr von Fischen und anderer Meeresfrüchte wie Muscheln, die das Nervengift aufgenommen haben, zu Lähmungen und Gedächtnisstörungen führen.

Opfer eine Red Tide Algenblüte: Untersuchung eines gestrandeten Großen Tümmlers.

Opfer einer Red Tide: Untersuchung eines gestrandeten Großen Tümmlers. Quelle: NOAA, Mote Marine Laboratory

Kann man Muscheln aus einem Red Tide Gebiet essen?

Muscheln oder Austern, die aus Red Tide belasteten Gewässern stammen, können giftig sein und zu einer Lebensmittelvergiftung, der neurotoxischen Schalentiervergiftung (NSP), führen.

Noch riskanter ist der Verzehr von Muscheln, die während einer Pseudo-nitzschia Algenpest geerntet wurden. Denn diese Kieselalgen produzieren das Neurotoxin Domoinsäure. Es löst beim Menschen die gefürchtete „Amnesic Shellfish Poisoning“ (ASP), besser bekannt als „Muschelvergiftung“. Diese führt zu schweren Gedächtnisstörungen, irreversiblen Schädigungen des zentralen Nervensystems bis zum Tod.

Dagegen kann man, laut Informationen des Gesundheitsministeriums von Florida, Teile von Schalentieren (Krabben, Krebse, Shrimps und Hummer) verzehren, auch wenn sie aus einem von Red Tide getroffenen Gebiet stammen.

Erstmals seit 2018 wieder eine Red Tide in Texas

Am 3. September 2023 kam es zum ersten Mal seit 2018 wieder zu einer Red Tide Algenblüte an der texanischen Golfküste. Betroffen waren hauptsächlich die obere Küste um Galveston Bay und die untere Laguna Madre im Rio Grande Valley, wie das Texas Parks and Wildlife Department mitteilte. Als Folge des Ausbruchs gab es mindestens zwei Fischsterben. Auch einige größere Haie wurden tot an die Strände gespült.

Glücklicherweise hielt diese Rote Flut nicht sehr lange an. Ende September 2023 wurde sie immer schwächer und war Mitte Oktober fast vollständig verschwunden.

Was ist eine Rote Flut? FWC Fish and Wildlife Research Institute

Gewaltige Staubwolken aus der Sahara können ebenfalls eine Rote Flut auslösen. Denn die bei ihrer Reise um den Globus voran getriebenen Sandkörnchen enthalten Eisen. Und immer wenn eine der riesigen Staubwolken aus der Sahara bei Ostwind im Golf von Mexiko vor der Küste Floridas im Meer niedergeht, steigt dort die Eisenkonzentration an. Damit zünden die Sahara-Staubwolken die tödliche Kettenreaktion aus Vermehrung von Trichodesmium und nachfolgend Karenia brevis. Dies zeigte eine von der NASA (National Aeronautics and Space Administration) finanzierte Studie des College of Marine Science der Universität Florida.

Saharastaub löst gewaltige Algenblüte von Tampa Bay bis Fort Myers aus

Bei ihrer Studie setzten die Wissenschaftler Boden- und NASA-Satellitenmessungen ein. So konnten sie den Weg einer Staubwolke verfolgen, die am 17. Juni 1999 von Afrika aus Richtung Osten trieb. Bereits am 1. Juli hatte sie West-Florida erreicht. Im Oktober dann war dann der Gehalt organischer Stickstoffverbindungen im Meerwasser um 300 Prozent gestiegen. Anschließend entwickelte sich eine gewaltige Algenblüte. Sie erstreckte sich über fast 13.000 km² von Tampa Bay bis nach Fort Myers.


Die längste Red Tide, die jemals im Golf von Mexiko wütete, dauerte 16 Monate. Sie begann im Oktober 2017 und endete Anfang 2019. Doch bis in den Juni 2019 hinein dokumentierte die nationale Wetter- und Ozeanografiebehörde der Vereinigten Staaten (NOAA) ungewöhnlich viele tote Delfine entlang der Südwestküste von Florida. Ihr Tod wird in unmittelbarem Zusammenhang mit der abgeebbten Algenblüte gebracht. Man nimmt an, dass ihnen vergiftete Fische oder Blaukrabben zum Verhängnis werden. Die Zahl der toten Delfine sei beispiellos, heißt es seitens der NOAA.


Unter den mehr als 10 000 bekannten Algenarten der Weltmeere kennt man etwa 100, die toxische Verbindungen produzieren. Damit sind die Giftmischer zwar klar in der Minderheit. Doch sie profitieren in zunehmendem Maße von der Überdüngung der Küsten.

Nervengifte absondernde Algen gibt es auch bei uns in Nord- und Ostsee (Blaualgen / Cyanostämme). Massenhaftes Auftreten von Rotalgen und andere Algenarten sorgen zudem in der Ostsee regelmäßig für die Ausbildung sogenannter sauerstoffarmer Todeszonen. So bedeckten Cyanobakterien (Blaualgen) im Sommer 2010 in der Ostsee eine Fläche, die in etwa der Landfläche ganz Deutschlands entsprach. Für Deutschland gibt es ein Algenfrüherkennungssystem (AlgFES) mit dem regelmäßig aktualisierten „Algenreport“.

Update: erweiterter und überarbeiteter Beitrag. Mit neuem Datum wieder veröffentlicht.

Titelfoto: In einer Roten Flut verendeter Riesenzackenbarsch von Sarah Frias-Torres/Marine Photobank


Weiterführende Informationen