Doggerbank: Briten ächten Grundschleppnetze

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Ab Juli 2022 sperrt die britische Regierung vier Meeresschutzgebiete für Grundschleppnetzfischer. Darunter große Gebiete der Doggerbank in der Nordsee. „Außerhalb der EU nutzen wir unsere neuen Freiheiten, um unsere Meeresumwelt zu schützen. Es ist der Beginn der Renaturierung der Nordsee“, begründete Umweltminister George Eustice den drastischen Schritt.

Doggerbank: Zwei Drittel geschützt

Zu den vor den verheerenden Folgen des Einsatzes von Grundschleppnetzen geschützten Gebieten gehört auch ein großer Teil der Doggerbank in der Nordsee. Die Briten erklärten ihr Meeresschutzgebiet komplett zur Sperrzone. Das sind immerhin 12.000 von insgesamt 18.000 km2, die dieser artenreiche, flache Sandbank-Lebensraum umfasst. Teilweise liegt die Doggerbank nur 13 m unter der Wasseroberfläche. Zwergwale sind hier häufig anzutreffen.

Im britischen Teil der Doggerbank sind Schweinswale in Sicherheit vor Grundschleppnetzen.

Für Schweinswale ist die Doggerbank ein wichtiger Teil ihrer Aufzucht- und Fortpflanzungsgebiete in der deutschen Nordsee, wie die Sichtungen von Mutter-Kalb-Paaren belegen. Foto: Brendan Hunter/iStock

Deutschland beim Meeresschutz nur ein Papiertiger

Das deutsche Naturschutzgebiet (NSG) Doggerbank ist ca. 1.700 km2 groß. Dort bleibt Grundschleppnetzfischerei (natürlich) weiterhin erlaubt. Daten des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) zeigen, dass das gesamte NSG bis zu 1,5-mal im Jahr, im südwestlichen Teil auch bis zu dreimal im Jahr bodenberührend befischt wird.

Britische Meeresschutzgebiete ohne bodenberührende Fischerei

Die anderen drei für Grundschleppnetzfischer gesperrten britischen Meeresschutzgebiete sind:

Grafik mit den Meeresschutzgebieten vor England mit Grundschleppnetzfischerei-Verbot.
© Blue Marine Foundation
  • Inner Dowsing, Race Bank und North Ridge vor der Küste von South Lincolnshire
  • South Dorset Conservation Zone
  • The Canyons Marine Conservation Zone

Die beiden Letzten, vor der Küste von Cornwall gelegen, sind u. a. Heimat seltener und von Grundschleppnetzen schnell zerstörter Kaltwasserkorallenriffe. Es handelt sich um noch sehr artenreiche Meeresgebiete. Hier leben z. B. auch Weißschnauzendelfine, Papageientaucher und seltene Schwämme.

Fischen mit Grundschleppnetzen

  • Extrem hohe Beifangraten von bis zu 90 Prozent (allein in der EU von 2015 bis 2019 etwa 1 Million Tonnen toter Meerestiere)
  • Zerstörung des Meeresbodens und empfindlicher Tiefseelebensräume wie Seeberge, Kaltwasserkorallen oder Glasschwämme
  • Vernichtung potenter CO₂-Speicherökosysteme wie Seegraswiesen
  • Freisetzung großer Mengen des in Sedimenten gespeicherten Klimagases CO₂
  • Hoher Kraftstoffverbrauch und damit verbundene schädliche Emissionen (Kohlendioxid, Methan, Lachgas, Schwefeloxide, Stickoxide, Ruß) beim Ziehen durch Scheuchketten, Scherbretter aus Metall oder „Baumkurren“ künstlich beschwerter Netze über den Meeresboden
  • Plastikvermüllung: Einträge von tonnenweise verlorenen Dolly Ropes (rote oder blaue Scheuerfäden aus Polyethylen)

Doggerbank: Ende eines Muschelparadieses

Die sagenumwobene Stadt Rungholt, auch als „Atlantis des Nordens“ bekannt, soll am 16. Januar 1362 in der Nordsee untergegangen sein. Darüber verfasste Detlev von Liliencron 1882 sein berühmtes Gedicht „Trutz blanke Hans“. Noch bekannter allerdings ist die Rungholt-Sage in der „Nordfriesischen Chronik“ des Pfarrers Anton Heimreich aus Nordstrand.

Niemand erinnert in ähnlicher Weise an den Untergang des geradezu paradiesischen Muschelparadieses, das die Doggerbank in der Nordsee einst darstellte. Und das ist keine Legende und es ist auch noch gar nicht so lange her.

Noch in den 1920er-Jahren befand sich die 300 km lange und an die 120 km breite Doggerbank in einem unberührten Zustand. Britische Forscher hatten dies ausführlich dokumentiert. Damals gab es am Meeresboden ausgedehnte Muschelbänke. Viele große Muschelarten lebten hier: die dickschalige Gedrungene Trogmuschel (Spisula subtruncata) oder die bis zu 6 Zentimeter lange Bunte Trogmuschel (Mactra stultorum), auch Strahlenkörbchen, Strahlenkorb, oder Narrenkappe genannt. Auch ihren Fressfeind, die Glänzende Mondschnecke oder Glänzende Nabelschnecke (Euspira pulchella), gab es häufig.

Die Nordsee bebte hier vor Leben. Moostierchen und bunt schimmernde Seeanemonen siedelten in großer Zahl auf den Muschelbänken. Verschiedene Krebs- und Fischarten nutzten diesen Lebensraum zur Nahrungssuche. Davon wiederum profitierten Meerestiere auf höheren Ebenen des Nahrungsnetzes wie Seehunde, Kegelrobben oder Schweinswale. Dann war alles vorbei.

Die Zerstörung der Doggerbank

Mitte des vorigen Jahrhunderts entdeckten Grundschleppnetzfischer die Untiefe als lohnendes Revier für den Fang von Sandaalen. Diese wurden zu Fischmehl verarbeitet. Es dauerte nur wenige Jahre, dann war hier nur noch ein weitgehend monotones, sandiges Gebiet mit stark reduzierter Artenvielfalt. Dem Druck des mehrmaligen Umpflügens des Meeresbodens mit schweren Grundschleppnetzen halten nur wenige, unempfindliche Arten stand.

Heute dominieren hier Lebensgemeinschaften kleiner und unempfindlicher Arten wie Flohkrebse, Kleine Tellmuschel oder die mit Seesternen verwandten Schlangensterne.

Biodiversity and Ecosystem Functioning (BEF)

Dennoch betrachten Ökologen zuvorderst, ob der Lebensraum, trotz seines veränderten Arteninventars, noch funktioniert (BEF). Hierbei geht es vorrangig um die von Muscheln erbrachte Reinigungsleistung des Meerwassers. Dies schaffen auch viele kleine Muscheln. Diese stehen jedoch mittlerweile durch die Klimakrise unter Druck. Arten aus südlichen Breiten wandern langsam in kühlere nördliche Nordsee ein. Dennoch bringt die Artenverarmung der Doggerbank das gesamte Nahrungsnetz in der nördlichen Nordsee in Not. Zu viele Arten verloren ihre Lebensräume und Nahrungsgrundlage.

Wiederauferstehung des Muschelparadieses Doggerbank?

Der konsequente Schritt der britischen Regierung, in ihrem großen Doggerbank-Meeresschutzgebiet bodenberührende Fischerei zu verbieten, wird eine Erholung und teilweise Rückkehr der ursprünglichen Lebensgemeinschaften bewirken. Denn mit der Strömung gelangen auch Larven der Trogmuschelarten aus anderen Teilen der Nordsee zur Doggerbank. Doch hier hatten sie bislang keine Chance, heranzuwachsen. Höchstens als Jungtiere kamen sie noch sporadisch vor. Dann vernichtete sie der nächste Grundschleppnetzfischer.

Quelle: world ocean review 5


Doggerbank und Doggerland

Vor etwa 10 000 Jahren bestand die Nordsee größtenteils aus Festland. Flüsse durchzogen diese große zusammenhängende von Mooren und Birkenwäldern geprägte Landmasse zwischen den heutigen Niederlanden, Deutschland, Dänemark und Großbritannien. Sie waren Vorläufer von Rhein, Weser, Themse und Elbe. Ihre Mündungen lagen damals mehrere Hundert Kilometer weiter nördlich ins Meer als heute. Der Helgoländer Felsen dürfte zu dieser Zeit als mächtiger Tafelberg aus der weiten Ebene geragt haben. In Anlehnung an die Untiefe Doggerbank in der Nordsee wird die frühere Landmasse als Doggerland bezeichnet.

Im Verlauf der seit etwa 15 000 Jahren andauernden Warmzeit stieg dann der Meeresspiegel immer weiter an. Das Doggerland begann zu schrumpfen, bis es vor etwa 7000 Jahren ganz verschwand. Damals lag der Meeresspiegel etwa 25 Meter unter dem heutigen Niveau. Zu jener Zeit entstand die Nordsee.

Heute bedecken Sand und weiches Sediment weite Teile des Nordseebodens und das Wattenmeer an der niederländischen, deutschen und dänischen Küste. Diese Sedimente hatten die Vorläuferflüsse weit hinaus ins damalige Doggerland getragen.

Quelle: world ocean review 5


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