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Heute, am 21. September 2023, hat Deutschland den Vertrag zum Schutz der Biodiversität auf der Hohen See (BBNJ-Abkommen/Hochseeschutzabkommen) unterzeichnet. Verabschiedet wurde das auch High Seas Treaty genannte Abkommen nach über 20-jährigen Vorbereitungsarbeiten Anfang März 2023. Die förmliche Annahme durch die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen erfolgte dann am 19. Juni 2023. Es ist eines von drei das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ) ergänzenden Umsetzungsabkommen und erleichtert die Einrichtung von Meeresschutzgebieten auf der Hohen See. Als Hohe See gelten die Meeresgebiete, die außerhalb der Gerichtsbarkeit von Nationalstaaten liegen, aber nicht der Meeresboden.
Bei der Zeremonie in New York nahmen Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Außenministerin Annalena Baerbock teil. Deutschland unterschrieb als eines der ersten von fast 70 Ländern. Doch erst, wenn 60 Staaten das BBNJ-Abkommen ratifiziert und die 60. Ratifikationsurkunde hinterlegt ist, kann das Abkommen 120 Tage danach in Kraft treten.
„Das Hochseeschutzabkommen ist ein historischer Meilenstein im Meeresschutz. Es öffnet eine Tür, dass bis 2030 vielleicht doch 30 Prozent aller Meeresgebiete unter Schutz stehen, auch wenn die Zeit drängt. Bislang sind nur etwas mehr als 1 Prozent der Hohen See geschützt“, sagt Ulrich Karlowski, Biologe bei der Deutschen Stiftung Meeresschutz.
Auf das „30 × 30“-Ziel – 30 Prozent der Landes- und Meeresfläche bis 2030 unter Naturschutz zu stellen – hatte sich die UN-Biodiversitätskonferenz Ende 2022 auf ihrer 15. Vertragsstaatenkonferenz in Montreal geeinigt.
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Scheinheilig beim Meeresschutz: Deutschland
„Außenministerin Baerbock sprach nach der Unterzeichnung von einem ‚Hoffnungsschimmer für die ganze Welt‘ und Umweltministerin Lemke von einem ‚historischen Tag für den Schutz der Meere‘. Für den Erhalt des Lebens in unseren Küstengewässern wäre viel gewonnen, wenn Deutschland mehr als nur schöne Worte in die Waagschale werfen würde“, erklärt Karlowski. Denn in den deutschen Küstengewässern von Nord- und Ostsee existiert Meeresschutz allerhöchstens auf dem Papier. Nicht einmal kleine Verbesserungen wie ein Verbot der desaströsen Grundschleppnetzfischerei in Meeresschutzgebieten, wie es die EU vorgeschlagen hat, sind bei uns realisierbar.
Die Hohe See – Area Beyond National Jurisdiction
Mit dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ) oder UN Convention on the Law of the Sea (UNCLOS) einigten sich 160 Nationen nach neunjährigen Verhandlungen auf eine verbindliche Aufteilung aller Meeresgebiete und des Meeresbodens. Am 16. November 1994 trat das SRÜ in Kraft. Seitdem gehören Meeresgebiete außerhalb der Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) zur Hohen See. Als Aras Beyond National Jurisdiction (ABNJ) stehen sie außerhalb der Gerichtsbarkeit von Nationalstaaten. Alle Meereslebewesen, die im Gebiet der Hohen See leben, bezeichnet man daher als Biodiversity Beyond National Jurisdiction (BBNJ).
Von Ausnahmen (erweiterten AWZ) abgesehen, beginnt die Hohe See ab der 200-Seemeilen-Grenze (ca. 370 Kilometer) der Küstenstaaten. Sie ist gemäß SRÜ ein „gemeinsames Erbe der Menschheit“. Ihre natürlichen Ressourcen gehören allen und alle Nationen sollen sie, laut SRÜ, sorgsam und verantwortungsvoll nutzen. Jedoch sind die Regeln des SRÜ zu vage und unverbindlich.
Schutz der Artenvielfalt in internationalen Gewässern
Das BBNJ-Abkommen ist eines von drei das SRÜ ergänzenden Umsetzungsabkommen. Es schafft einen verbindlichen Rechtsrahmen für den Erhalt und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt der Hohen See. Dabei galt es, die zahlreichen bereits existierenden Regelungen zum Management natürlicher Ressourcen sektorenübergreifend zu bündeln. Es soll die schwierige Einrichtung von Meeresschutzgebieten auf der Hohen See erleichtern. Es gilt als ein Meilenstein für den internationalen Meeresschutz. Die Arbeiten an dem Abkommen reichen bis ins Jahr 2002 zurück.
Die Hohe See: kein rechtsfreier Raum
Auch wenn die Hohe See außerhalb der Gerichtsbarkeit von Nationalstaaten liegt, ist sie weit davon entfernt, ein rechtsfreier Raum zu sein. So ist der Internationale Seegerichtshof (International Tribunal for the Law of the Sea, ITLOS) in Hamburg eine von vier Institutionen des SRÜ. ITLOS ist für Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des SRÜ zuständig. Zum weiteren Instrumentarium des SRÜ gehören die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) und das jetzt beschlossene BBNJ-Abkommen.
Viele Abkommen, wenig Kooperation
Der „World Ocean Review 4“-Bericht zählte 2015 knapp 600 regionale und überregionale Abkommen zur Nutzung und dem Schutz des Meeres. Allein unter dem Dach der UN existieren über 30 Organisationen und Kommissionen, die sich ganz oder teilweise mit Meeresthemen befassen.
Der Fischfang auf der Hohen See ist unter 11 Regionalen Organisationen für das Fischereimanagement (RFMOs) aufgeteilt. Lediglich die Arktis steht nicht unter RFMO-Verwaltung, da es hier (bislang) kaum Fischfang gibt. Für den Erhalt der biologischen Vielfalt des Südpolarmeers ist die „Kommission für die Erhaltung der lebenden Ressourcen der Antarktis“ (CCAMLR) zuständig. Sie ist Teil des Antarktis-Vertragssystems (ATS).
Die Internationale Schifffahrtsorganisation (International Maritime Organization/IMO) wiederum regelt die Schifffahrt. In ihre Zuständigkeit fallen aber auch Fragen zur von der Schifffahrt verursachten Meeresverschmutzung (Ausstoß von Klimagasen) oder Schiffskollisionen.
Meeresschutzgebiete auf der Hohen See
Aufgrund der Vielzahl zu beteiligender Organisationen und Interessengruppen gelang es bislang kaum, Meeresschutzgebiete auf der Hohen See einzurichten. Und wenn, dann konnte man, wie bei der Charlie-Gibbs Marine Protected Area, nur Teilbereiche von der Nutzung ausschließen.
Durch das BBNJ-Abkommen besteht jetzt berechtigte Hoffnung, dass die Staatengemeinschaft beim Meeresschutz auf der Hohen See zukünftig besser kooperiert. „Vielleicht gelingt dann sogar, dass nach Jahren vergeblichen Verhandelns endlich die drei bedeutenden neuen Meeresschutzgebiete in der Antarktis zustande kommen“, hofft Ulrich Karlowski.
Charlie-Gibbs Marine Protected Area
OSPAR und die für das im Atlantik zwischen Island und den Azoren liegende Meeresgebiet zuständige Fischerei-Organisation (NEAFC) einigten sich zwar auf ein Verbot der zerstörerischen Grundschleppnetzfischerei. Fischfang in der Wassersäule ist im Charlie-Gibbs-Meeresschutzgebiet jedoch weiter möglich. Und Fangflotten aus Staaten, die nicht der NEAFC angehören, sind nicht verpflichtet, die Regeln des MPA zu respektieren. Zudem könnte die ISA theoretisch Lizenzen für Tiefseebergbau-Vorhaben im Schutzgebiet vergeben.
Fischereiverbot im zentralen Arktischen Ozean
Aufgrund territorialer Ansprüche der Anrainerstaaten USA, Norwegen, Kanada, Dänemark, Island und Russland zählt nur ein kleiner Teil des Arktischen Ozeans eindeutig zur Hohen See. Der zentrale Teil des Arktischen Ozeans ist jedoch eines der wenigen Meeresgebiete, in dem kein kommerzieller Fischfang stattfindet. Damit ist ein Gebiet von etwa 2,8 Millionen km2 – der Größe des Mittelmeeres – mindestens bis 2033 vor kommerzieller Fischerei geschützt. Offiziell handelt es sich nicht um ein Meeresschutzgebiet. Dennoch hat der zentrale Arktische Ozean durch das Fischereiverbot eine größere Bedeutung für den Biodiversitätserhalt als die meisten offiziellen Meeresschutzgebiete.
Vertrag zum Schutz der Hohen See ist keine Allround-Lösung
In der Präambel des BBNJ-Abkommen zum Schutz der Hohen See heißt es: „Handeln wir als Beschützer der Ozeane in Gebieten außerhalb nationaler Gerichtsbarkeit im Namen heutiger und künftiger Generationen. Indem wir die Meeresumwelt schützen, pflegen und eine verantwortungsvolle Nutzung der Meeresumwelt einhalten. Bewahren wir die Erhaltung des Eigenwertes der biologischen Vielfalt in Gebieten außerhalb nationaler Gerichtsbarkeit.“
Jedoch kann das BBNJ-Abkommen allein den Schutz der Ozeane für die Zukunft nicht sicherstellen. Konflikte sind vorprogrammiert. Denn das Abkommen über den Schutz der Hohen See ist nicht automatisch mit zwei gleichrangigen Institutionen des SRÜ harmonisiert. Die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) bemüht sich um die Förderung des Tiefseebergbaus. Die damit verbundene Zerstörung der biologischen Vielfalt auf der Hohen See wäre unumkehrbar. Sowohl außerhalb als auch innerhalb zukünftiger Meeresschutzgebiete.
Auch die regionalen Fischereimanagement-Organisationen (RFMOs) funktionieren sehr unterschiedlich. Viele richten ihre Fangquoten auf die Interessen der Fischereiindustrie aus. Andere bestehen fast ausschließlich auf dem Papier.
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